Der Gefangene
Ein Die Geister des Caligár Teaser.
~
Das Quietschen der Laterne klang ebenso schief wie Amos' Pfeifen. Beschwingt hüpfte das Licht mit ihm die steilen, schmalen Treppen hinab in den Schiffsbauch, tapfer stemmte es sich gegen die stickige Luft. Über ihm blieben die Schritte und das Gebrüll der Crew zurück. Es herrschte Aufruhr, und selbst, wenn der Großteil der Crew sich gegen ihn entschieden hatte, so gab es noch einige, die seinen Namen vertraten. Der Streit würde bis lange nach Mitternacht dauern. Wenn er nichts dagegen unternahm.
Bei den Vorräten blieb er stehen und grub in seinem Stiefel nach den Schlüsseln. Sie hatten ihm alles genommen, was ihn zum Captain machte, doch die Schlüssel hatten sie vergessen. Die, und den Hut. Er hätte sich weit mehr gesträubt, wenn sie ihm verboten hätten, ihn zu tragen, und Brok war kein Mann, der sich wegen so etwas Lächerlichem wie einem Kleidungsstück länger stritt. Er wollte schnell an die Macht, und die hatte er erhalten. Wenn seine Regentschaft über die Mortis auch nur von kurzer Dauer sein würde.
Das Schloss des Laderaums öffnete sich klickend, und er schlüpfte hinein. Die Metallbeschläge der Kisten glänzten stumpf im Licht der Kerze, doch er beachtete sie nicht. Pfeifend nahm er eine der Rumflaschen und schob sie in seine Jackentasche. Daneben lag ein leicht gebogenes Schwert in einer lackierten Holzscheide, mit einer merkwürdigen ziselierten Scheibe statt einer Parierstange. Er klemmte es hinter seinen Gürtel und verließ den Laderaum wieder. Rum zu stehlen galt selbst für einen Captain als unverzeihlich, und nun, da er nicht mehr war als ein gewöhnlicher Matrose, würden sie ihn aufhängen, sollten sie ihn erwischen.
Sanft strich er über den mit Stoff überzogenen Griff des fremdartigen Schwerts. Selbst seine magischen Waffen hatte Brok ihm abgeknöpft. Wahrscheinlich wollte er sie selbst nutzen, und er würde scheitern. Dafür war er viel zu dumm. Nun lagen sie in der Kajüte des Captains, und Amos juckte es in den Fingern, einfach hineinzustürmen und sie sich zurückzuholen. Doch er hing an seinem Leben.
Im Gehen nahm er eine leere Kiste mit und setzte seinen Weg durch den engen Gang fort, immer auf die Zellen zu. Sie hatten dem Gefangenen eine Laterne dort gelassen, doch ihrem funzeligen Schein nach war das Öl fast leer.
So leise wie möglich stellte Amos die Kiste umgekehrt neben die Zelle mit dem zusammengekauerten Kitsune darin und ließ sich seufzend darauf nieder. „Wir sitzen ganz ordentlich in der Scheiße, was?"
Hellblaue Augen funkelten ihm aus der Dunkelheit entgegen. „Warum habt ihr mich eingesperrt?" Seine Stimme klang rau, nach Salz und Gischt und Zorn.
„Die", Amos stellte die Laterne ab und entkorkte die Flasche, „haben dich eingesperrt, weil du ihnen im Weg bist. Vielleicht befassen sie sich später mit dir, wenn der Sturm vorbei ist. Du kannst von Glück reden, dass wir dich überhaupt aus dem Wasser gezogen haben. Ich dachte nicht, dass Brok seinen hässlichen kleinen Aufstieg verspätet, nur, weil uns ein Schiffbrüchiger vor den Bug schwimmt. Und ich habe gehofft, dass ich, in der Zeit, in der man dich aus dem Wasser zieht, vielleicht den Wind noch ändern kann, der mir von Broks Seite so eiskalt ins Gesicht wehte, aber ich habe mich geirrt."
„Du bist ihr Captain", raunte der Gefangene.
„Ich war", knurrte Amos. Allein der Gedanke an Broks Visage ließ seine Hände jucken.
Die Art, wie der Kitsune sein Gewicht verlagerte, klang milde überrascht.
„Der Ork, der befahl, dich einzusperren, trägt den widerwärtigen Namen Brok, und ist der größte Abschaum auf diesem Schiff. Er hat mir gedroht, mich umzubringen, wenn ich nicht abdanke, mit der Hälfte meiner Crew hinter sich, und da ich doch sehr an meinem Leben hänge, habe ich ihm mit größten Freuden mein Amt überlassen." Amos trank einen Schluck, der Rum brannte in seiner Kehle. „Seit ich zur See fahre, will ich Captain werden, und nun, keine drei Monate später, bildet dieser Bastard sich ein, mich kampflos absetzen zu können."
„Warum habt ihr nicht gekämpft? Ist das nicht der Weg der Piraten? Ein Kampf auf Leben und Tod?" Der Kitsune kam näher. Die zerlumpte Decke, die die Piraten ihm gegeben hatten, stank nach totem Fisch und Moder. Dennoch ließ er sie auf seinen breiten Schultern liegen. Amos erhaschte einen Blick darunter, auf weite, schwarze Hosen und ein zerrissenes Hemd. Sein Fell schien im Licht der Laternen tief orangefarben. Narben durchzogen sein Gesicht, die Andeutung eines Knurrens verzog seine Mundwinkel. Amos unterdrückte ein Schlucken. Mit diesem Mann war nicht zu spaßen.
Scheinbar ungerührt reichte er dem Gefangenen die Flasche durch das Gitter der Zellentür. „In einem fairen Kampf bin ich Brok unterlegen. Deswegen werde ich niemals fair gegen ihn kämpfen."
Der Kitsune blickte ihn überrascht an. „Ich trinke nicht", sagte er nur.
„Welche Schande." Amos zog die Flasche zurück und trank selbst. „Aber Brok hat sich geschnitten, wenn er denkt, ich würde ihn in Ruhe an meinem Kartentisch in meiner Kajüte sitzen und meine Whiskeyvorräte trinken lassen. Nein, ich werde mir mein Amt zurückholen."
„Warum erzählt Ihr mir das alles?" Der Kitsune verengte die Augen und musterte das Katzenblut vor sich, von seinem längs getragenen Zweispitz und den langen Haaren an den Spitzen seiner Katzenohren, das lange schwarze Fell, die ebensolche Kleidung, die dunkle Brokatweste, die die schäbige, mittlerweile zu grau ausgeblichene Jacke mit den Fransen an den Schultern, wo dereinst Rangabzeichen angenäht gewesen waren, die einfachen Hosen, die mit goldenen Nieten beschlagenen schwarzen Stiefel, die Krallen, die aus ihnen lugten. Sein Blick schien Amos zu durchbohren, als sähe er durch seinen Körper hindurch in seine Seele.
Amos ahnte, dass es dort nicht viel zu sehen gab, und dennoch musste er an sich halten, um sich nicht unter seinem Blick zu winden. „Ich weiß, was du bist." Er zog das fremde Schwert aus dem Gürtel. Die Augen des Kitsune weiteten sich. „Das gehört dir, nicht wahr? Deiner Statur und den Narben an deinen Armen nach weißt du auch, wie man es benutzt. Du hast mehrere Tage auf See verbracht, nur mit einem Eimer und einer Planke, und du bist weder halb verdurstet noch ausgehungert. Wasser reinigen, Essen beschwören. Nur Priester vermögen solche Zauber. Ich sehe deine Hände, die Zeichen auf den Handrücken, ein Auge und eine Laterne, ich weiß, dass du sechs Schweife hast, und all das sagt mir, dass du ein verdammter Shinaru bist."
„Ich war", knurrte der Gefangene.
„Wie bitte?"
„Ich war ein Shinaru. Jetzt bin ich nichts mehr."
Amos' Sicherheit verrutschte, doch er verbarg es. „Eine schöne kleine Gesellschaft sind wir. Große Männer, vom Schicksal zu Fall gebracht, und nun sitzen wir in der Dunkelheit und suchen nach dem, was wir verloren haben."
„Was ich verloren habe, kann ich mir nicht zurückholen."
Welch fatalistische Einstellung. Amos schwenkte die Flasche. „Ich möchte dir einen Handel vorschlagen. Ich weiß nicht, wie du in diese Gewässer kamst, und auch nicht, was du verbirgst, und ich weiß auch nicht, ob ich dir geben kann, was du willst. Aber ich weiß, dass ich Brok tot im Meer treiben sehen will, dass ich wieder Captain dieses Schiffes sein will, und dass es für mich von größtem Vorteil wäre, wenn ich dabei einen Shinaru an meiner Seite habe, der mich bei meinen Gräueltaten beschützt."
„Ich bin kein Shinaru mehr", fauchte der Kitsune.
„Aber du kannst noch immer die Magie deines Gottes wirken. Sie ist ein Gabe. Sie kann nicht mehr genommen werden, es sei denn, du handelst gegen die Prinzipien des König Schellen und der Banshee." Amos wies mit dem Schwertknauf auf das goldene Glöckchen, das an einem roten Lederband um den Hals des Mannes hing, und die kleine eiserne Laterne daneben. „Und ich denke nicht, dass ein paar Morde gegen den Sinn der Banshee stehen. Ebenso glaube ich nicht, dass nur dein Dasein als Shinaru dich zu einem guten Kämpfer macht. Das bist nur du selbst."
Die Hand des Kitsune krümmte sich um einen unsichtbaren Schwertgriff.
Amos erhob sich und lehnte sich gegen die Zellentür. „Wahrscheinlich kann ich dir nicht geben, was du willst. Du sagst selbst, dass du es dir nicht zurückholen kannst. Aber wenn du dich mir anschließt, kannst du dir alles holen, was du möchtest. Alles, wonach es dir verlangt, kann unser sein. Wir stehlen, rauben und morden, und dafür sind wir die gefürchteten Könige der See der Stürme. Du kannst ein Teil meiner Crew werden. Das Segeln erlernen." Amos lächelte einladend und reichte dem Mann das Schwert durch die Gitterstäbe. „Alles, was du tun musst, ist Brok zu töten."
Der Kitsune sah hinab zu den schmutzigen Planken, als böten sie eine Antwort auf all die Fragen, die zweifelsohne in seinem Kopf herumspukten. Schließlich hob er den Blick. „Wer seid Ihr?"
„Mein Name ist Captain Amos Ranshaw. Herr über die Mortis." Amos Lächeln wurde listig. „Wie ist dein Name?"
„Izaya Kane." Er warf die Decke von seinen Schultern. Muskeln wölbten sich unter seinem zerrissenen Hemd. Seine Finger umschlossen das Schwert, und Amos spürte die Kälte von Magie an seiner Hand, als würde das lackierte Holz sie leiten. Mit einer fließenden Bewegung zog er es aus der Scheide, und Amos erkannte, dass er in jeder seiner Vermutungen über das Können recht gehabt hatte.
Wortlos zog Amos seinen Schlüsselbund und öffnete die Zelle. Die Tür quietschte in den Angeln, und er sah sich unbehaglich um. Doch keine Schritte näherten sich.
Izaya trat aus seiner Zelle. Ohne die Gitterstäbe zwischen ihnen wirkte er noch größer. Er überragte Amos um einen Kopf. Sechs Schweife fächerten sich hinter ihm auf wie eine Schleppe. Beinahe hungrig blickte er den Gang entlang, aus dem Amos gekommen war. „Wo finde ich diesen Brok?"
~ ~ ~
Und dies ward der Beginn einer gar zauberhaften Freundschaft.
Ein kleiner Vorgeschmack auf Lucifuges besten Feind Ranshaw und seinen Bluthund - Blutfuchs? - Kane. Ich liebe sie beide.
Nächste Woche beginnt es. Die Geister des Caligár. Updates jeden Freitag, zu finden auf meinem Profil.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top