Svarog
Derweil wanderte Daniel mit Kaldr durch die Straßen und Gassen und brauchte nun keine Angst mehr zuhaben. Solange der große Wolf an seiner Seite war, würde es niemand wagen, ihm zu nahe kommen, ohne dass er dies wollte. Obwohl er kein bestimmtes Ziel vor Augen hatte, trugen ihn seine Füße zurück zur 'Süßen Welt'. Das Geschlossen-Schild prangte zwar an der Ladentür, dennoch gab sie nach und öffnete sich, als der Halbgott probehalber dagegen drückte. Auch ohne die Hauptlichter verlor der Laden seinen süßen Zauber nicht. Im Gegenteil. Im spärlichen Licht der Virtrinenleuchten wirkte alles noch mystischer und magischer, als zuvor. Als ob jedes Konfekt und jede Praline eine Art Zauberelixir war, dessen Wirkung man nur durch probieren heraus finden konnte.
Daniel und Kaldr schlichen sich, so gut der große Wolf es konnte, an der Theke vorbei und hinein in die Küche. Am anderen Ende der Küche führte ein Treppe in den Wohnbereich des Ladens, welcher, wie schon bei Bernie, ebenfalls in der oberen Etage lag. Kaldr passte kaum durch den engen Treppengang und quetschte sich mehr oder weniger durch, bis sie oben angekommen waren. Der Wolf wirkte wie ein Fellhaufen, so eingeklemmt wie er am oberen Ende war. Daniel griff unter seine Achseln und zog am Tier, bis dieses endlich aus der Öffnung rutschte und beide zu Boden stürzten.
Der Halbgott hörte wie eine Tür geöffnet wurde und eine vertraute Stimme sagte, „Ich hätte nie gedacht, dass Kaldr hier hoch kommen würde." Schritte näherten sich dem Jungen und der Wolf erhob sich langsam. Zum Vorschein kam ein zerwuselter Halbgott, dessen Haare in alle Richtungen abstanden und der nun hoch, zu Sebastian blickte.
Der Chocolatier hielt ihm die Hand hin und fragte, „Darf ich dir zur Hand gehen?"
Daniel ergriff sie und ließ sich von ihm hoch ziehen. Von Mächten jenseits von allem, wurde Daniel an Sebastians Brust gedrückt, als er wieder auf die Beine kam. „Geht's dir gut?", fragte dieser den Halbgott und lächelte ihm dabei entgegen.
„J-ja. Danke.", erwiderte Daniel nur und war erleichtert, dass im Flur ein relatives Zwielicht herrschte und Sebastian so seine leichte Röte nicht sehen konnte. Er hatte diesen leichten Duft von Schokolade an sich, vermischt mit fruchtiger Süße und der Leichtigkeit einer Milchcreme. Was auch immer er heute schon zubereitet hatte, es haftete ihm an und Daniel wünschte sich, er würde ihn nicht mehr loslassen. Bis sie ein gequältes Geräusch hörten und der Chocolatier Daniel hinter sich her zog.
In dem Raum, der sich ihm nun eröffnete, waren auf etlichen Regalen viele kleine Sphären zusehen. Diese Sphären hatten einen glitzernden Mantel, welcher aus vielen kleinen Lichtpunkten zu bestehen schien, während ihr innerstes ein sich ständig bewegender Kern war, der sich anscheinen nicht entscheiden konnte, welche Form er annehmen sollte. Inmitten des Raums, auf einem alten Sessel, saß ein hochgewachsener, schlanker Mann, der angestrengt auf eine Sphäre in seiner Hand blickte. Die Sphäre war noch recht klein, wurde aber beständig größer.
Sebastian ließ Daniel los und nahm seinen Platz neben dem Mann ein. „Svarog? Alles in Ordnung?", fragte er den Mann und sah ihn sorgenvoll an.
Als die Sphäre ihre endgültige Größe erreicht hatte, seufzte Svarog erleichtert auf. „Es ist getan. Ist alles wieder gut." Daniel hörte seine Stimme, konnte aber kaum glauben, dass diese einem Mann gehörte. Sie war das wunderschönste was er je gehört hatte. Eine Stimme wie diese... sie konnte nur einem Gott gehören.
Und als er dann seine Augen auf Daniel richtete, war es um ihn geschehen. Die Iris des Gottes erstrahlte in allen Farben des Regenbogens, wobei keine Farbe länger als wenige Millisekunden zu sehen war. Sie waren wie ein Fluss und ständigem Wandel unterworfen.
„Was verschafft uns die Ehre deines Besuchs, Daniel?", fragte der Gott und reichte ihm die Hand. Dieser nahm sie nur sehr zögerlich an und ein kribbeln durchfuhr ihn, als er sie berührte. Wie bei Sezuna einst, konnte er nicht wirklich ausmachen, woher dieses Gefühl kam, dennoch sah er etliche Bilder aufblitzen. Bilder, aus einer alten Zeit. Einer Zeit der Holzräder, der fleißigen Bauern mit Sense und Harke und junger Frauen und Männer, mit Blumenkränzen auf ihren Köpfen. Das letzte Bild war ein kleiner Junge mit flammendem Haar und einem Lachen, das der Sonne ebenbürtig war.
Svarog löste seine Hand und sah ihn fragend an. „Du etwas gesehen, nicht wahr?", wollte der Gott wissen.
Daniel nickte nur mit dem Kopf und versuchte das Pochen in seinen Schläfen zu ignorieren.
„Shiva erwähnte schon, dass du etwas besonderes bist. Sag mir, was war es, dass du gesehen hast?" Während ihm Daniel mit leicht zittriger Stimme davon berichtete, hatte sich Svarog erhoben und platzierte die Sphäre auf ein Regal. Als Daniel fertig war, lächelte ihm der Gott entgegen und sprach, „Erinnerungen an mein Volk, die Slawen. Und an meinen Sohn Svarožić."
„Ihr Volk?", fragte Daniel verwirrt.
Svarog nickte und breitete seine Arme aus. „Was du hier siehst sind die Blaupausen des Lebens. Der Zeichentisch der Schöpfung." Der Halbgott schaute sich die Fülle der Sphären an. „Ich bin einer der Schöpfergötter und die Slawen waren... sind mein Volk. Mit diesen Sphären haben die anderen Götter und ich die Welt und alle ihre Bewohner erschaffen. Nun ja... in gewisser Weise jedenfalls."
„In gewisser Weise? Wie meinen Sie das?", wollte Daniel wissen und näherte sich einer Sphäre, um sie nun genauer betrachten zu können.
„Bitte. Dutzen wir uns doch. Und damit meine ich... nun, sagen wir einfach das wir mit unseren Kräften den natürlichen Dingen einen Schubs in die richtige Richtung gaben. Wir haben aus diesem Dampfkessel, welcher vormals die Erde war, das gemacht was sie nun ist. Wir haben einen Lebensraum für unsere Schöpfung geschaffen. Und Mithilfe dieser Blaupausen haben wir das Leben angeregt, in die Richtungen zu wachsen, die wir vorgesehen hatten. Pflanzen, Tiere, Menschen.", erklärte der Schöpfergott.
„Das heißt... ich habe keine Ahnung." Daniel war völlig überfordert, mit dem was ihm Svarog da sagte.
Der Gott kicherte leise und erklärte weiter, „Nur das in diesen Blaupausen alles drin ist, was man braucht, um Leben jeglicher Art zu kreieren. Würdest du jetzt eine berühren, würde daraus eine Kopie von dir entstehen. Allerdings wäre sie leer. Hohl, wenn du so willst."
Der Halbgott hatte es aufgegeben, Svarog zu folgen und streckte stattdessen seine Hand aus, um die Sphäre vor ihm zu berühren. Doch schon spürte er die warme Hand des Chocolatiers auf seiner und wie sie ihn sanft davon wegzog.
„Das solltest du nicht tun.", sagte Sebastian nur und ließ ihn dann los. Svarog nickte und sprach weiter, „Es ist für Götter schon schwer genug Leben zu erschaffen. Vor allem Leben, welches beseelt ist. Ihr Menschen könnt nur leere Hüllen eurer selbst erschaffen und obwohl sie leben und atmen, sind sie doch nichts weiter als...nun ja... lebendes Gemüse. Darauf wartend, dass ihnen eine Seele eingepflanzt wird."
Daniel war noch immer überwältigt von dem, was sich vor ihm erstreckte. Mit diesen Sphären konnte man Leben erschaffen. Echtes Leben. Doch brauchte es wohl einen Gott, damit dieses Leben auch wirklich funktionierte.
Svarog löste sich langsam in sanftes Licht auf und nickte Daniel noch ein Mal zu, ehe er in Sebastian verschwand. Der Chocolatier schloss für einen Moment die Augen und als sie wieder öffnete, schimmerte für einen kurzen Augenblick jenes Licht in seiner Iris.
„Dieser Prozess laugt ihn immer aus. Er war schon länger draußen, als er es für gewöhnlich tut.", erklärte Sebastian diesen abrupten Abschied und geleitete den Halbgott zum Flur. Dann schloss er die Tür hinter sich ab. Erst mit einem normalen Schlüssel und dann zeichnete er noch ein Symbol auf die Tür, welches kurz aufglühte und dann verschwand.
„Willst du einen Kaffee?", fragte Sebastian Daniel und schritt an ihm vorbei zur Treppe. "Ja, gerne.", antwortete der Halbgott und folgte dem jungen Mann zurück in die Küche.
Unten angekommen, sah Daniel dass bereits noch jemand anwesend war. Ein weiterer Mann in den Mittzwanzigern, stand in der Küche und hatte sich lässig an den Tresen gelehnt. Seine Piercings, sein buntes Haa rund seine zerrissene, einstmals bunte Kleidung machten aus ihm jemand, denn man nicht so schnell vergaß. Sobald Sebastian ihn sah, versteifte er sich merklich und sein Gesicht wurde hart.
„Basti!", rief der Mann freudig und stellte sich gerade hin. „Ich hatte mich schon gefragt, wo du hin bist." Er trat näher und seine schweren Stiefel klopften förmlich auf dem Fliesenboden. Auf Daniel machte er einen ziemlich bunten und recht schlampigen Eindruck. Seine Haare zu einem Irokesen geschnitten, strahlten Grün, Blau und Pink. Alles grell und leuchtend. Seine Hose, wie auch sein Tanktop wiesen Risse und absichtliche Schnitte auf, um einen Teil seiner Tatoos zu zeigen. Dem Halbgott war im dieser Stil nicht fremd. Auch wenn er ihn eher aus Videos und Büchern kannte.
Als Kaldr sich endlich durch den engen Gang gequetscht und seinen Platz wieder an der Seite Daniels eingenommen hatte, sträubte sich sein Fell und ein leises gefährliches Knurren entwich seiner Kehle. Es klang wie ein entfernter rollender Donner.
Der Mann schenkte dem Wolf jedoch keine Beachtung und trat an Daniel heran.
„Und wer bist du, wenn ich fragen darf?" Seine Stimme, nun leise und bedrohlich, brachte den Hauch von Drogen und Alkohol mit sich, welchen Daniel schlecht werden ließ. Trotz das er die Nase rümpfen musste, brach der Halbgott zu keiner Zeit den Blickkontakt und erwiderte, „Ich könnte Ihnen die gleiche Frage stellen."
Der Mann zog sein Gesicht etwas zurück und lachte auf, ehe er sagte,„Das nenn ich doch mal Manieren. Mehr als das, müsstest du eigentlich wissen, dass man eine Frage, nicht mit einer Gegenfrage beantwortet."
Noch immer war Kaldr in Alarmbereitschaft, doch kühlte sein Gemüt ein wenig ab, als Daniel ihm seine Hand auf den Kopf legte. Nicht viel, aber doch genug, dass er das Knurren einstellte.
„Daniel.", kam es nur knapp von dem Halbgott und der Mann nickte leicht.
„Ratte.", erwiderte der Mann schlicht und blickte dann zu Sebastian. „Ich denke, es wird Zeit Tschüss zu sagen, Basti."
Der Chocolatier wandte sich an den Halbgott und schenkte diesem ein schwaches Lächeln. „Wirst du den Weg allein zurück finden?", fragte er diesen und berührte ihn sacht am Arm. Just in diesem Moment hörte Daniel Svarogs Stimme in seinen Gedanken. Auffordernd, wütend, verzweifelt.
Der Halbgott verstand die Worte nicht, welcher der Schöpfer an ihn richtete, dennoch war der Klang seiner Stimme eindeutig.
Und doch nickte er nur mit dem Kopf. Was auch immer hier vor sich ging, er konnte nicht einfach drauf los preschen und hoffen irgendetwas zu erreichen. Nicht zuletzt deshalb, da er auch bei Ratte eine Präsenz spürte.
Daniel schob an sich an dem Bunten vorbei und sprach, „Komm Kaldr. Wir gehen." Der große Wolf trottete mit aufrechtem Schwanz und aufrechten Ohren an Ratte vorbei, dabei zeigte er diesem noch in einem gutturalen Knurren seine Fangzähne, während er zu Daniel aufschloss. Ein Wort von dem Halbgott hätte genügt und Kaldr hätte Ratte die Kehle durchgebissen. Bereit war er dazu alle Mal.
Als sie aus dem Laden raus waren, wurde die Vordertür abgeschlossen. Daniel drehte seinen Kopf noch mal nach hinten und ging dann los. Wieder wurde er sich bewusst, dass dies hier nicht seine Welt war.
Menschen wie Ratte, sind ihm noch nie zuvor begegnet. In seiner alten Gegend liefen solchen Typen nicht herum und wenn doch, dann wurden sie von der Privatpolizei von River-Range gleich aufgehalten. Aber nicht hier. Hier wanderten sie herum. Hier waren sie zuhause und er war der Eindringling. Inmitten von Wellblech und Holz, von Feuer und geringer Technik.
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