Barilotto & Fragen

Ihr Abendkleid war ein Traum aus dunkelblauer Seide und die dünnen kleinen Punkte ihrer Fußprothesen klickten sacht über den polierten Marmorboden, während sie zielstrebig auf die Fahrstühle zu hielt. Um sie herum, war ein stetiges Klingeln und Klimpern, doch hatte Alessandra Viachella Colonna, wie ihr Name war, kein Auge für die Verlockungen des Casinos. In ihrer Hand einen schlanken langen Koffer aus glänzendem Metall haltend, wartete sie, bis der Fahrstuhl ankam und seine Türen mit einem leisen 'Ding' öffnete. Sie trat ein und drehte sich elegant zu den Türen. Ein zartes Lächeln auf ihrem hübschen Gesicht, beobachtete sie, wie ein Pärchen näher kam und schon einsteigen wollte, bis der junge Mann seinen Blick auf die rassige Schönheit warf und er seiner Partnerin etwas zuflüsterte, nur um zur nächsten Kabine zu gehen. Die Türen schlossen sich und sie hob ihre freie Hand. Ihr Finger öffnete sich und zum Vorschein kam ein kleines dünnes Silberplättchen, welches sie in das Schlüsselloch, unterhalb des Tableaus einsteckte. Sie brachte das Plättchen zum vibrieren und drehte dann ihre Hand, um dem Fahrstuhl die Erlaubnis zu geben, bis zu Dach zu fahren.

Das Plättchen raus ziehend, drehte sie sich zum großen Spiegel hinter ihr und als sie wieder ihren normalen Zeigefinger hatte, steckte sie sich damit eine freche Strähne hinter ihr Ohr. Sie war eine südländische Schönheit mit makelloser brauner Haut und dunklen sinnlichen Augen. Sich mit dem kleinen Finger noch einmal über die Lippen fahrend, erreichte der Fahrstuhl sein Ziel und sich selbst zu zwinkernd verließ sie diesen.

Nur noch den kleinen Flur entlang und schon öffnete sie die Tür, welche zum Dach führte. Die kühle Nachtluft ließ ihr Kleid wehen und sie war froh, dass sie noch daran gedacht hatte, ihre Haare in einem kunstvollen und doch festen Dutt zu frisieren. Nichts war störender als Haare, die einem die Sicht nahmen.

Mit klickenden Schritten trat sie zum Rand und blickte über das Panorama der Stadt. Las Vegas mochte zwar Teil des Gebiets der Rolern Corporation sein, dennoch hatte die Stadt ihren Namen nie verloren. Dazu war sie schlichtweg zu bekannt gewesen. Blinkende Lichter, die Aussicht auf Gewinn und schnelles Geld, waren noch immer der Lebensmotor der Stadt und sie kam wunderbar damit zurecht.

Sie stellte ihren Koffer auf eine ausgeschaltete Lüftung, drückte die Schnallen nach unten und öffnete ihn. Zum Vorschein kam ein komplexes und kompliziertes Gebilde aus Drähten, Kabeln und zwei weißen, sich drehenden Scheiben, die langsam nach oben fuhren.

„Bouna sera, mia signora*.", ertönte eine mechanische Stimme, deren simulierter Tonfall Höflichkeit und verhaltene Freude widerspiegelte.

„Bouna sera, Ahab."*², grüßte sie zurück und wartete geduldig bis sich die KI vollends aktiviert hatte.

„Pronto per l'input."*³, sprach AHAB, die Automatisierte Hilfe mit Autonomen Bewusstsein und die Frau erwiderte, „Esegui il protocollo 'Coure Sanguinante'."*4

Die Scheiben begannen sich schneller zudrehen und fertigten mittels holographischer Projektion und anschließender Nanokristallhärtung ein elegantes Gewehr, in Form eines Füllfederhalters, mit nur einem Schuss. Als AHAB den Prozess abgeschlossen hatte, nahm sie die Waffe, stellte ihren rechten Fuß gegen das Dachsims und legte an. Ihre braune Iris bekam gleichmäßige Linien und veränderten ihren Gestalt zu sensiblen Kameras, welche sich lautlos justierten und ihr einen Blick gaben, welchen nicht mal Hochleistungszielfernrohre erreichen konnten. Ihr Ziel, weit entfernt, stand an einem Brunnen und blickte in zärtlicher Ungeduld immer wieder auf seine Uhr.

Sie legte ihren Zeigefinger auf den Abzug und wollte diesen schon betätigen, als es leise klingelte. Ihr Ziel nicht aus den Augen lassend, strich sie sich übers Ohr und ein Headset erschien.

„Si?"*5, fragte sie, während sie wieder das Gewehr justierte.

„Alessa, meine Liebe. Wie geht es dir?", näselte ihr Schotternagel ins Ohr.

„Was willst du? Ich bin beschäftigt.", antwortete sie mit italienischem Akzent.

„Hach, heute scheinen wohl alle ihre Manieren zu vergessen.", ertönte es sorgenvoll aus dem Sprecher und Alessa antwortete nur, „Leck mich am Arsch, Asino. Ich leg jetzt auf." Bevor sie ihre Hand über das Headset wischen konnte, wurde sie aufgehalten.

„Warte, warte, warte. Ich habe einen Auftrag für dich. Einen höchst lukrativen, wie ich hinzufügen darf." Schotternagel wartete auf eine Reaktion, doch herrschte an beiden Ende Stille. Bis Alessandra sagte, „Ich habe noch nicht aufgelegt, oder?"

„Richtig. Dann habe ich also deine ungeteilte Aufmerksamkeit?", vergewisserte sich Schotternagel nochmal.

„Meine geteilte, aber du hast sie.", sprach die Attentäterin und legte ihre Hand wieder auf den Lauf, um für mehr Stabilität zu sorgen.

„Nun, das reicht mir schon. Wie dem auch sei, der Auftrag kommt von der Vorsitzenden von River-Range persönlich. Nach Beendigung des Auftrags steht eine Summe von 2.600.000 Credits an. Abzüglich meiner Vermittlungsprovision.", hörte sie ihn leise lachen und drückte ab. Der Schuss war ein hohes, beinahe singendes Geräusch und die Kugel traf ihr Ziel, wie beabsichtigt, im Kopf. Durch die besondere Form, brachte die Kugel den Hinterkopf ihres Opfers förmlich zum platzen. Genau dann, als seine Verabredung bei ihm eintraf und sich die beiden umarmten. Ihre Augen noch immer fokussiert, lächelte sie leicht über ihre Arbeit.

„Alessandra? War das ein Schuss?", wollte der Nasale wissen und die Schützin erwiderte nur,„Barilotto."*6

„Ich nehme an, du hast deinen jetzigen Auftrag ausgeführt?"

„Si."

„Gut, dann überweise ich dir gleich das Geld und schicke dir anbei noch die Informationen, für deinen nächsten."

Alessandra ließ das Gewehr fallen und es zersplitterte in kleine Teile, die wiederum zu glitzerndem Staub zerfielen und vom Wind davon geweht wurde. Sie trat an ihren Koffer und drückte auf den kleinen blinkenden Knopf. Im Kofferdeckel flackerte ein orangener Bildschirm auf und über der Fertigungsanlage erschien eine virtuelle haptische Tastatur. Alessandra überprüfte erst ihre Finanzen und anschließend die neuen Daten. Sie öffnete die beiden Dossiers und den Anhang und überflog sie kurz.

„Nimmst du an?", fragte Schotternagel ruhig.

„Si.", antwortete sie nur und strich übers Headset. Damit war die Verbindung getrennt. Sie ließ ihre Augen über die Dossiers schweifen und lächelte.

„Annika, mio caro amico. In che cosahai appena manovrato?"*7, fragte sie das leuchtende Bild der jungen Devi und kicherte leise.


Nach einigen Tagen, hatte sich Daniel Alexander Backhaus, oder kurz Daniel, noch immer nicht wirklich an seine neue Umgebung angepasst. Zum einen war es furchtbar eng und zum anderen waren die junge Frau und das Skelett ihm immer noch unheimlich. Andererseits machten sie nicht den Eindruck, als ob sie ihm etwas antun wollten. Bedachte man die Umstände ihres ersten Treffens so waren sie nun deutlich netter. Miclantecuhtli, wie sich das Skelett vorgestellt hatte, fragte sogar immer wieder nach seinem Wohlbefinden und nannte ihn immer nur 'Kleiner'. Während Annika ihn zwar größtenteils ignorierte, aber immer, wenn sie dachte er sei abgelenkt, bemerkte er, wie sie ihn anblickte. Daniel konnte zwar noch nicht herausfinden, was sie dabei dachte, dennoch war er sich sicher, dass sie ihm nichts tun würde. Fast sicher.

Er saß auf dem alten Sofa und beobachtete Annika dabei, wie sie ihr Bein öffnete und die darin befindliche Hydraulik untersuchte. Ihrem Gesicht nach zu urteilen, schien sie unzufrieden zu sein.

Mic kam aus der Küche und stellte zwei Tassen heiße Schokolade auf den kleinen provisorischen Holztisch, der aus einer runden Pressholzplatte und einem Kabeltrommelfuß bestand und setzte sich neben den Jungen.

Derweil Daniel nach der rissigen, aber immer noch dichten Tasse griff, fummelte Annika mit einem speziellen Schraubenschlüssel in ihrem Bein herum und als Funken sprangen, fluchte sie lautstark, „So eine verdammte Scheiße!"

Mic kicherte hämisch und sprach mit seiner rauen Stimme, „Immer wieder ein Highlight, dir dabei zuzusehen."

„Leck mich.", erwiderte sie nur und griff seufzend nach der Tasse. Ein Schluck davon trinkend, schloss sie für einen Moment genießerisch die Augen.

„Tut gut, was?", fragte Mic und lehnte sich etwas zurück. Annika nickte und stellte die Tasse wieder hin, um weiter zu arbeiten.

„Darf... darf ich etwas fragen?", kam es von Daniel. „Klar. Immer raus damit." Mic drehte seinen blanken Schädel zu ihm und seine Flammen flackerten interessiert auf.

„Wie bekommst du das hin?", fragte der Junge und blickte dabei auf seine Tasse.

„Altes Familienrezept.", erwiderte der Gott nur und seine rechte Flamme verlor etwas an Intensität, als ob er ihm zu zwinkern würde.

„Wie war deine Familie?", fragte Daniel aus dem Blauen heraus und sah Mic entgegen. Der Gott erwiderte zunächst nichts und sah ihn mit seinen unergründlichen grünen Flammen entgegen. „We, wenn ich fragen darf.", fügte der Junge noch schnell an und sah wieder auf die flüssige Schokolade in seiner Tasse. Er konnte dem Blick des Gottes nicht lange standhalten. Oder es lag an seiner allgemeinen Ausstrahlung. Oder beides.

Mic seufzte leise und erwiderte mit freundlichem Tonfall, „Ist schon gut. Hat mich einfach nur überrumpelt, deine Frage. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich habe keine Ahnung. Meine Frau, Mictlantecihuatl, ist vor mir erwacht. Wo sie nun ist und was macht, bleibt mir jedoch verborgen."

„Und eure Kinder?", fragte Daniel weiter.

Mic lachte leise und erwiderte, „Wir hatten keine Kinder. Wir sind Götter des Todes und der Unterwelt, entsprungen aus einer Religion, die nie Kinder für uns vorgesehen hatte."

Daniel zeigte sich doch ein wenig verwirrt über diese Aussage und Mic erkannte den fragenden Gesichtsausdruck sofort. „Vor langer Zeit, als die alten Götter noch herrschten, da wachten meine Frau und ich, über die Verstorbenen. Unser Reich war ein Ort der Prüfung und dafür gedacht, dass die Seelen entweder zurückkehren oder aber nach Tlalocan gehen konnten. Wenn sie sich denn als würdig erwiesen hatten. Es war eine gute, eine glorreiche Zeit. Damals." Daniel hörte das leise Bedauern und eine Art ferne Trauer in seiner Stimme und legte vorsichtig seine Hand auf die skelettierte des Gottes.

„Ich bin sicher, du wirst Mic...Micla... also deine Frau noch finden. Sie vermisst dich wahrscheinlich ebenso sehr, wie du sie." Sein Tröstung ließ den Gott auflachen und er wuschelte dem Jungen durch die blonden Haare.

„Ha! Pass gut auf deine Seele auf, sonst könnte ein Gott noch auf falsche Gedanken kommen.", erwiderte Mic und die Flammen in seinen Augen bekamen einen leichten violetten Stich.

„Lass ihn in Ruhe.", kam es von Annika, die mithilfe eines Nanoinjektors ihr offenes synthetisches Fleisch wieder verschloss und nun sah es wieder so aus, wie ein echtes menschliches Bein. Sie legte den Injektor auf den Tisch und konnte nun endlich ihre, nun eher warme Schokolade genießen. Der Sitzsack knirschte leise, als sie sich in einem bequemen Schneidersitz positionierte und einen Schluck trank.

Als sie die Tasse wieder absetzte, richtete sie ihren Blick auf Daniel und fragte, „Aber jetzt sag mal. Wie kam es dazu, dass du unser Ziel geworden bist? Hast du jemanden sauer gemacht oder dich einfach nur schlecht bei deinen Eltern benommen?"

Daniel zuckte mit den Schultern und schüttelte leicht seinen Kopf. „Ich habe keine Ahnung. Vater sagte mir nur, dass ich an dem Abend im Wohnzimmer auf etwas warten sollte. Er hatte auf mich einen... gehetzten Eindruck gemacht. Als ob er wusste, was passieren würde. Aber ich weiß nicht, womit ich ihn verärgert haben soll, um das zu... verdienen."

„Verstehe. Der Auftrag war anonym und versprach eine Summe, die uns locker in Rente schicken konnte. Wahrscheinlich war das ebenfalls gelogen. Ich frage mich nur, ob der Auftraggeber wusste, was du bist.", grübelte Annika laut und Daniel fragte, „Was ich bin? Was bin ich denn?" Annika und Mic blickten sich an. Seit dem der Junge hier war, war es das erste wirkliche Gespräch was die drei miteinander führten. Es hatte sich bisher einfach nicht ergeben und nun standen sie vor der Wahl. Es geheim zu halten oder es ihm zu sagen. Beide Entscheidungen hatten ihr für und wider und während sich die Devi und ihr göttlicher Partner in Gedanken unterhielten, blickte Daniel immer wieder zwischen ihnen hin und her. Bis Mics Feuer kurz aufflammte und Annika, an Daniel gerichtet, sagte, „Du bist ein Gott. Na ja, Halbgott. Was du jedoch genau bist und von wem du abstammst, keine Ahnung. Als wir dich töten wollten, da hat das Göttliche in dir, sich mit aller Macht dagegen gewehrt und mir ziemliche Schmerzen bereitet. Selbst Mic hat es für ein paar Momente vertrieben."

Daniels Gesicht zeigte Verwirrung, Fragen und Unglaube. Unfähig seine Gedanken zu ordnen, zitterte seine Tasse und die Schokolade darin, wallte auf wie in einem Sturm. Mic nahm ihm die Tasse vorsichtig aus der Hand und stellte sie auf den Tisch.

„Ei,ein Gott? A,aber wie?"

„Das ist die Masterfrage. Selbst Deva bekommen nur menschliche Kinder. Mit anderen Worten, es gibt da draußen einen Gott, der es geschafft hat, seine Essenz in einen richtigen Körper zu formen. Und dieser Gott hat entweder mit Vati oder Mami die Laken zerwühlt." Annika verzog leicht das Gesicht,als sie über ihren letzten Satz nachdachte und setzte ein leises,„Entschuldige.", hinten dran.

Der Junge, noch immer unfähig, die Information zu verarbeiten, zitterte am ganze Leib. Dabei beherrschte nur ein überwältigender Gedanke seinen Geist: Wenn die Konzerne das mitbekamen, würden sie ihn holen kommen. Und dann würde er sterben. Er hatte seinen Vater oft genug belauscht, um zu wissen, wie Armaments hergestellt wurden. Und das war es, was seine Angst erst so richtig entfachte.

Aus einem Impuls heraus, klammerte er sich an Mic und vergrub seinen Kopf in dessen knöcherne Brust. Der Gott hob seine Hand und strich ihm beruhigend über den Kopf. Seine Flammen wurden kleiner und bekamen einen bläuliche Note.

„Cualtzin Coneuh.*8. Beruhige dich.", sprach Mic mit einer ungewöhnlich sanften Stimme. Das Raue war fast verschwunden und wich einem dunklen Flüstern. Anni seufzte leise und trank abermals einen Schluck, als sie hörte, wie es an ihrer Tür klopfte.


*Guten Abend, Madame.

*2 Guten Abend, Ahab.

*3 Bereit für Eingabe.

*4 Führe Protokoll„Blutendes Herz" aus.

*5 Ja.

*6 Volltreffer.

*7 Annika, meine liebe Freundin. Wo hast du dich jetzt wieder rein manövriert?

*8 Schönes Kind.

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