38 | Familie über alles
Ich wünsche euch ganz viel Spaß mit dem neuen Kapitel. Ich hoffe, ihr liebt die Geschichte immer noch, auch, wenn immer nur einmal die Woche ein Kapitel kommt.
Ich schaute ungeduldig auf mein Handy. Noch immer keine Antwort von Edita. Dabei hatte ich ihr schon vor über einer Stunde geschrieben und sie gefragt, wohin sie verschwunden war.
Ich machte mir Sorgen um sie.
Als ich aufgewacht war, war sie schon nicht mehr da gewesen.
Sie hatte mir keine Nachricht hinterlassen, sondern war einfach so verschwunden. Das passte gar nicht zu ihr. Nicht zu wissen, wo sie war, hätte mich unter anderen Umständen nicht beunruhigt, aber das hier war anders.
Ich versuchte, meine innere Unruhe, die langsam in Wut umschlug, zu kontrollieren. Es würde Edita nichts bringen, wenn ich jetzt die Beherrschung verlor. Sie brauchte einen ruhigen Mann an ihrer Seite, keinen pöbelnden Egoisten. Als ich einen weiteren ungeduldigen Blick auf meine letzte WhatsApp-Nachricht an Edita warf, hatten sich die Haken endlich blau verfärbt und ihr Status hatte auf „online" gewechselt. Meine Finger juckten nervös, als sie eine Antwort eintippte.
„Brauche etwas Zeit für mich."
Ich seufzte schwer. Aber es war ihre Entscheidung und ich konnte sie zu nichts zwingen. Also entschied ich, an neuen Songs zu arbeiten. Vielleicht bekam ich dort auch endlich mal wieder den Kopf frei.
„Okay, fahre ins Studio", antwortete ich, bevor ich einen dunklen Hoodie über mein Shirt zog und mich auf den Weg machte. Bis ich spät abends zurückkehrte, reagierte sie nicht auf meine letzte Nachricht. Doch ihr Auto stand vor der Tür, also hatte sie es im Laufe des Tages scheinbar wieder nach Hause geschafft.
So leise ich konnte, schloss ich die Wohnungstür hinter mir. Ich wollte sie nicht wecken, auch, wenn ich eigentlich mit ihr darüber sprechen wollte, dass sie sich zurückzog. Aus dem Wohnzimmer fiel etwas Licht in den Flur. Ich hörte den leisen Ton des Fernsehers.
Ich zog meine Sneakers aus, löschte das Licht und betrat den Raum. Edita lag mit geschlossenen Augen und ausgestreckten Beinen auf der Couch und hatte sich in eines der großen Kissen gekuschelt. Sie trug ein ihr viel zu großes, weißes Corbo-Shirt, das eine ihrer Schultern freigab, und eine schwarze Leggings. Sie war wirklich wunderschön.
Ich näherte mich der Couch, darauf bedacht, sie nicht zu wecken, doch als ich sie erreichte, schlug sie ihre Augen auf und blinzelte müde. Ich schenkte ihr ein Lächeln. Sie versuchte, es zu erwidern. Selbst jetzt, müde und mit zerzausten Haaren, fand ich sie süß.
„Du bist zuhause", stellte sie leise fest, als ich mich zu ihr herunterbeugte, um sie zu küssen. Sie richtete sich ein wenig auf. Ich ließ mich neben sie auf die Couch fallen und legte meinen Arm um ihre Schultern. Dann zog ich das iPhone aus meiner Jeans und legte es auf dem Wohnzimmertisch ab.
Eine ganze Weile schwiegen wir, genossen die Anwesenheit des anderen. Als ich ihr einen Seitenblick zuwarf, war sie bereits wieder eingeschlafen. Erst, als das Smartphone auf dem Wohnzimmertisch zu vibrieren begann, schreckte Edita in meinem Arm wieder auf.
„Echt jetzt?", seufzte ich leise, denn gerade in dem Moment wollte ich einfach nur die Stille mit ihr genießen. Tagsüber hatte sie Abstand gefordert, doch jetzt schien sie meine Nähe zu suchen. Eigentlich wollte ich gerade nicht einmal wissen, wer mich um diese Zeit noch anrief. Es war mir egal. Edita jedoch beugte sich ein Stück nach vorn und schaute auf das Display meines Handys.
„Es ist deine Mama", sagte sie und erlangte damit sofort meine Aufmerksamkeit.
Meine Mutter war vermutlich einer der wenigen Menschen in meinem Leben, der mich immer und jederzeit anrufen durfte. Also griff ich nach dem iPhone und nahm den Anruf an.
„Hallo, Maman", sagte ich und setzte ein Lächeln auf.
„Rafa! Gott sei Dank!", platzte es aus ihr heraus. Sofort war ich in Alarmbereitschaft.
„Was ist los?", fragte ich und setzte mich aufrecht hin.
„Es ist wegen Opa."
Ich hielt den Atem an.
„Was ist mit ihm?"
„Er musste ins Krankenhaus", sagte meine Mutter.
„Warum? Was ist los?"
„Er hatte einen Schwächeanfall. Ich fahre zu ihm, um mich zu vergewissern, dass es ihm gut geht", sagte meine Mutter.
„Ich komme auch", sagte ich entschieden.
„Aber das ist doch so weit", sagte meine Mutter.
„Ich würde ans Ende der Welt fahren, um nach ihm zu sehen", versicherte ich ihr.
Edita musterte mich neugierig.
„Das musst du wirklich nicht", versicherte mir meine Mutter.
„Und ich mache es trotzdem."
„Was ist passiert?", fragte meine Freundin, als ich aufgelegt hatte.
Ich seufzte schwer.
„Mein Opa liegt im Krankenhaus. Ich muss dort hin", offenbarte ich ihr.
„Was hat er denn?"
„Einen Schwächeanfall", antwortete ich, während ich bereits in meinem Handy nach Flügen suchte.
„Tut mir leid", sagte sie und kuschelte sich an mich. Ich tippte auf meinem Handy herum.
„Hmmm", machte ich und klickte mich zur Buchung durch.
„Willst du mit?", fragte ich beiläufig, als ich die Anzahl der Passagiere angeben konnte.
Edita antwortete nicht, schaute mich nur nachdenklich von der Seite an.
„Wenn es dir im Moment zu viel ist, dann sag es", forderte ich und schaute in ihre Augen.
„Ich weiß nicht, ich-"
„Okay, ich fliege allein", unterbrach ich sie und widmete mich wieder meinem Handy.
„Das ist es nicht, aber wir haben es unseren Familien bis jetzt noch nicht gesagt."
Ich wandte ihr meinen Kopf zu. Sie hatte Recht.
„Dann erfahren sie es halt jetzt", erwiderte ich und schaute prüfend in ihre Augen.
Ich war der Meinung, wenn sogar ihre Arbeitskollegen davon erfahren hatten, obwohl wir es für uns behalten wollten, dann könnten es auch unsere Familien wissen. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem leichten Lächeln.
„Okay. Dann fliege ich natürlich mit", sagte sie.
Ich lächelte ebenfalls, dann drückte ich ihr einen sanften Kuss auf die Lippen. Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass Edita mich begleitete. Es zeigte, dass wir beide in schwierigen Situationen zusammenhielten und unsere Beziehung stark genug dafür war.
Wir flogen schon am nächsten Morgen. Wir hatten nur das Nötigste eingepackt, also reisten wir nur mit Handgepäck. Weil es einfacher war, hatte ich auch für meine Mutter einen Flug gebucht. Wir würden sie am Flughafen treffen. Ich konnte mir weitaus schönere Anlässe vorstellen, sie wiederzusehen.
Wehmütig dachte ich an den letzten Geburtstag meines Großvaters im vergangenen Januar zurück. Wir hatten trotz der Kälte draußen gesessen und er hatte Mundharmonika gespielt, während ich geraucht hatte.
Als wir den Flieger verließen, war der Himmel blau und die Sonne strahlte am Himmel, doch mich interessierte das überhaupt nicht.
„Vielleicht ist deine Mutter ja schon da."
Editas Stimme brachte mich zum Lächeln. Es tat wirklich gut, dass sie bei mir war.
„Wahrscheinlich", sagte ich, als wir in den kleinen Transferbus stiegen.
„Ich bin irgendwie aufgeregt, sie zu sehen", sagte sie und ließ sich auf einen freien Platz fallen. Ich blieb vor ihr stehen. „Sie wird wahrscheinlich eher überrascht sein, dich zu sehen", sagte ich und schaute auf das Display meines Smartphones.
Meine Schwester hatte mir geschrieben. Sie konnte nicht kommen, aber ich hatte ihr versprochen, sie auf dem Laufenden zu halten. Ich schrieb ihr, dass ich gerade gelandet war und mich später bei ihr melden würde. Als alle Gäste zugestiegen waren, setzte sich der Bus endlich in Bewegung. Die Fahrt dauerte nur ein paar Minuten.
„Kommst du?"
Edita musterte mich aufmerksam und hielt mir ihre Hand hin, als sich die Türen des Busses öffneten. Ich nahm ihre Hand, dann folgte ich ihr und den anderen Fahrgästen ins Freie. Als wir in Richtung Ausgang liefen, hielt ich Ausschau nach meiner Mutter, die zwanzig Minuten vor uns gelandet war.
„Rafa!"
Ich schaute auf. Meine Mutter wartete bereits am Ausgang des Gates und schloss mich herzlich in ihre Arme, als wir sie erreichten. Edita blieb etwas unschlüssig neben uns stehen. Als meine Mutter mich endlich losließ, fiel ihr Blick schließlich auf die unsichere Frau an meiner Seite.
„Erinnerst du dich an Edita?", fragte ich meine Mutter.
Sie schien einen Augenblick nachzudenken, doch dann setzte sie ein herzliches Lächeln auf. Ich hatte nichts anderes erwartet.
„Aus deiner Schule?", fragte sie, bevor sie sich an Edita wandte und hinzufügte: „Du hast dich aber verändert!"
Irgendwie erleichterte es mich, dass auch meine Mutter sie vermutlich auf der Straße ebenso wenig wiedererkannt hätte wie ich.
„Wirsindjetztzusammen", nuschelte ich leise.
Meine Mutter musterte uns kurz überrascht, bevor sie ein Lächeln aufsetzte.
„Das ist aber eine schöne Nachricht", sagte sie fröhlich.
„Hast du noch was von Opa gehört?", fragte ich.
Meine Mutter wurde ernst und ich war sofort wieder unruhig.
„Ihm geht es gut. Aber er muss sich noch ausruhen. Mehr weiß ich nicht."
„Ich kann es kaum erwarten, ihn zu sehen", sagte ich, bevor ich meiner Mutter die Tasche abnahm und wir uns in Richtung Ausgang in Bewegung setzten.
Wie hat euch das Kapitel gefallen? Findet ihr es gut, dass sie sich jetzt erstmal auf andere Dinge konzentrieren? Ich glaube ja, dass sie jetzt endlich zusammenwachsen können.
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