24 | Schatten der Vergangenheit
Ich wünsche euch viel Spaß bei dem neuen Kapitel. Ich hoffe, es gefällt euch.
Mein Blick glitt durch die großen Fensterscheiben des Cafés nach draußen. Es war kühl geworden, der Sommer war vorbei. Die Blätter an den Bäumen waren inzwischen bunt und fielen nach und nach zu Boden. Das schwindende Tageslicht strahlte in einem Hauch von Orange. Es ging auf den Winter zu.
Meine Gedanken wanderten zu Edita. Ich lächelte automatisch.
Wir waren inzwischen über ein halbes Jahr zusammen und hatten uns ein paar Wochen nicht gesehen. John und ich waren in den letzten Zügen für das neue Release und es hatte uns wahnsinnig viel Zeit gekostet, alles nach Plan umzusetzen; die Fotos, das Artwork, die Box, die Videos. Es war, als würde sich gerade wieder einmal mein gesamtes Leben überschlagen – und genau das liebte ich.
Doch heute hatte ich mir endlich die Zeit genommen, mich mit Edita zu treffen. Ich schaute auf die Uhr. Eine Stunde hatte ich noch, bis sie Feierabend machte. Also bestellte ich mir einen Espresso und vertiefte mich im Display meines Smartphones.
Ich beantwortete ein paar E-Mails, postete eine Story auf Instagram und sah kurz auf, als mir die nette blonde Kellnerin meine Bestellung an den Tisch brachte.
„Hey, was machst du denn hier?"
Überrascht fuhr ich zu der leisen Stimme hinter mir herum und schaute in ein mir vertrautes, braungrünes Augenpaar.
„Hey...", begrüßte ich die Brünette und versuchte, einen bemüht neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Schließlich waren wir nicht als Freunde auseinander gegangen. Doch das mit uns war zu lang her, als dass ich mich darüber noch aufregte.
„Schön, dich zu sehen", lächelte sie, dann fiel ihr Blick auf den leeren Stuhl mir gegenüber.
„Bist du allein hier?", hakte sie neugierig nach. Ich seufzte lautlos, antwortete jedoch nicht, da es offensichtlich war; sowohl, dass ich allein war als auch, dass sie sich zu mir setzen wollte.
„Ich gehe gleich wieder", meinte ich deshalb möglichst abweisend.
Sie setzte sich trotzdem. Mürrisch trank ich meinen Espresso in einem Zug aus; ich hatte wirklich keinen Bock auf eine Unterhaltung mit ihr.
„Du bist immer noch sauer auf mich", stellte sie fest und musterte mich prüfend. Ich hielt ihrem Blick stand.
„Nee, ich bin nicht mehr sauer auf dich. Du bist mir egal, Lara", erwiderte ich, ohne meinen Blick von ihr abzuwenden, und stellte dabei die Mokkatasse zurück auf die kleine, weiße Untertasse. Beleidigt schob die Unterlippe vor.
„Ich weiß, dass es ein Fehler war", räumte sie leise ein.
Ich schüttelte den Kopf.
„Lass uns bitte nicht davon anfangen. Wir haben uns getrennt. Jeder geht seinen Weg. Wenn wir uns auf irgendeiner Veranstaltung begegnen, können wir uns grüßen. Mehr nicht", stellte ich klar.
„Rafi", sagte sie leise und legte ihre Hand auf meine. Sofort begannen meine Finger zu brennen. Ich zog meine Hand weg.
„Du fehlst mir", sagte sie leise.
„Ich meine das so, Lara. Du hast dich entschieden. Für deine Karriere. Vor Jahren schon. Jetzt hast du keine, aber ich habe meine", sagte ich, dann warf ich einen Fünfeuroschein auf den Tisch und ließ Lara allein zurück.
Als ich eine Stunde später die Klingel herunterdrückte, hatte ich die Begegnung mit meiner Exfreundin schon wieder vergessen. Als sie sich vor ein paar Jahren von mir getrennt hatte, um an ihrer Karriere zu arbeiten, hatte es sehr weh getan; schließlich hatte ich Lara wirklich geliebt. Dabei waren wir gerade mal eineinhalb Jahre zusammen – und doch hatte sie es geschafft, diese Gefühle für sie in mir zu wecken, die ich nach ihr für keine andere Frau mehr zugelassen hatte. Genau deshalb hatte mich die Erkenntnis auch so gefickt; ich hatte ihr alles gegeben, was ich zu geben hatte; all meine Zuneigung, meine Unterstützung und meine Energie. Ich hatte nahezu alles für sie getan; meine Liebe zu ihr war bedingungslos gewesen. Aber als sie mich und meine Gefühle mit Füßen getreten hatte, hatte ich mir geschworen, mich nie wieder auf eine so enge Beziehung mit einer Frau einzulassen. Dass sie ihre Karriere mir vorgezogen hatte, hatte mich damals zerstört. Doch die Zeit heilt alle Wunden. Ich hatte mit ihr abgeschlossen.
Sie war für mich nicht mehr als eine Frau, die ich mal kannte.
Ich schob die Gedanken zur Seite und konzentrierte mich stattdessen lieber auf die Frau, die mir gerade die Tür öffnete.
Edita trug eine Jeans und ein schlichtes Shirt, hatte ihre Haare zusammengebunden und lächelte. Ihre grünen Augen strahlten und steckten mich mit diesem Strahlen automatisch an.
„Hey...", begrüßte sie mich.
„Hey...", erwiderte ich, dann folgte ich ihr in ihre Wohnung und schloss die Tür. Erst, als sie hinter mir ins Schloss gefallen war, reckte Edita sich mir entgegen und drückte mir einen Kuss auf. Ich presste meine Lippen auf ihre und legte dabei meine Hände an ihre Hüften.
„Wie geht's dir?", fragte sie, als wir uns voneinander lösten.
„Alles okay, bei dir?", sagte ich kurz angebunden und folgte ihr aus dem winzigen Flur in ihren kleinen Schlaf- und Wohnbereich.
„Geht so", erwiderte sie ebenso knapp und fiel auf ihr Bett. Ich ließ mich neben ihr nieder und lehnte mich an die Kopfstütze an. Eine andere Möglichkeit hatten wir auch gar nicht, doch das fand ich nicht weiter schlimm.
Sie rückte an mich heran und ich legte meinen Arm um sie. Es war ein schönes Gefühl, sie wieder im Arm zu halten und nah bei mir zu spüren.
„Warum nur geht so?", hakte ich nach, wandte ihr meinen Kopf zu und schaute prüfend in ihre Augen. Ihre Miene verfinsterte sich. Sofort war ich beunruhigt. Sie schien einen Moment über ihre nächsten Worte nachzudenken. Das machte mein ungutes Gefühl nicht unbedingt besser.
„Yannic hat mich sexuell belästigt."
Ich brauchte einen Moment, um ihre Worte zu verarbeiten.
„Was?", fragte ich einerseits überrascht, andererseits entsetzt, und rückte ein Stück von ihr ab, um sie besser anschauen zu können. Sie seufzte schwer.
„Auf der Arbeit, in der Küche. Er ist mir ziemlich nah gekommen", fuhr sie fort.
„Was heißt das?", wollte ich wissen.
Noch bevor sie meine Frage beantwortete, begann es in mir zu kochen. Allein die Vorstellung, dass irgendein Typ sie gegen ihren Willen anfasste, machte mich rasend vor Wut.
„Er stand ganz dicht hinter mir und hat mir ins Ohr gestöhnt, dass ich heißer wäre als sein Kaffee", sagte sie angewidert. Sofort spannte sich meine Körpermuskulatur bei der Vorstellung an.
„Als ich weggehen wollte, hat er mich festgehalten, sich zu mir rüber gebeugt und mir gesagt, dass er gern hemmungslos mit mir rummachen will", sprach sie weiter.
„Also hat er dich angefasst", knurrte ich wütend, als ich begriff.
„Nicht richtig, aber er war mir so nah, wie nur du mir sein solltest", versuchte sie, mit so wenig Details wie möglich zu erklären. Es reichte trotzdem, damit sich Bilder vor meinem geistigen Auge abspielten, die mich nur noch wütender machten.
„Hast du schon mit jemandem dort darüber gesprochen?", wollte ich wissen. Sie seufzte schwer und schüttelte den Kopf.
„Nein, er wird am Ende nur die Tatsachen verdrehen und behaupten, dass ich mich an ihn herangemacht hätte. Ich habe einfach Angst, dass mir niemand glaubt und ich am Ende Schwierigkeiten deswegen bekomme", sagte sie.
„Also lässt du das jetzt einfach so stehen?!", platzte es wütend aus mir heraus.
„Denkst du, ich will das so? Ich weiß einfach nicht, wie ich mich jetzt verhalten soll. Der Job ist eine wirklich gute Chance für mich und ich wollte das schon immer machen. Das könnte mir meine gesamte Zukunft in der Branche versauen, wenn die mir am Ende wegen seiner Falschdarstellung irgendein Monica Lewinski Image anhängen, verstehst du?"
Ich seufzte schwer.
„Ich verstehe, dass dir der Job wichtig ist. Aber er darf dich nicht anfassen. Wenn du dich nicht traust, dort mit jemandem darüber zu sprechen, sorge ich dafür, dass er dich nicht mehr anfasst."
Sie wurde unruhig.
„Ich dachte, niemand soll von uns wissen", sagte sie nervös, vermutlich, weil sie – diesmal aus diesem Grund – Angst um ihren Job bekam.
„Lass das meine Sorge sein."
Gut, dass sie es ihm erzählt hat, oder? Was glaubt ihr, hat er jetzt vor? Und findet ihr es gut, dass er Edita nichts von der Begegnung mit Lara erzählt? Oder ist es besser, wenn es nichts davon weiß, weil sie sich sicherlich sowieso nur darüber aufregen würde?
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