14 | Lara

Meine Lieben, ich kann momentan keine Kommentare schreiben, weder als Antwort, noch bei euren Geschichten. Ich hoffe, dass es später wieder geht :( bis dahin viel Spass mit dem neuen Kapitel. Love you all.

Meine Absätze klackerten über den Boden, als ich als eine der ersten viel zu früh das große Bürogebäude betrat. Dabei war ich viel müder als ich aussah. Das lag vor allem am kaschierenden Make-Up, mit dem ich die schlimmsten Spuren der vergangenen Nächte so gut es ging beseitigt hatte.

Seit meinem mehr oder weniger unfreiwilligen Abendessen in Raphaels Studio hatte ich nur wenig geschlafen. Mir schwirrten viel zu viele Gedanken im Kopf umher. Nicht nur mein letztes Gespräch mit Raphael beschäftigte mich. Ich hatte es immer noch nicht geschafft, all meine Aufgaben zu erledigen. Unter anderem wartete Jamaal nach wie vor auf eine wichtige Projektplanung und eine Präsentation dazu.

Ich freute mich sehr über die ganze Arbeit, die er mir anvertraute, doch sie war in der vorgegebenen Zeit selbst mit dem besten Willen und dem herausragendsten Organisationstalent nicht zu schaffen.

Normalerweise hätte ich mich gar nicht weiter darüber aufgeregt, aber ich wollte einen guten Eindruck bei meinem Chef hinterlassen. Ich hatte mich ganz bewusst auf die Stelle beworben und jetzt wollte ich mich auch beweisen. Mein verfluchter Perfektionismus hatte mich im Leben schon häufiger eingeschränkt, auch wenn er erst während meiner Berufsausbildung das erste Mal aufgetreten war. Ich biss mich oft an Dingen fest und ließ nicht los, bevor ich nicht zu 150 Prozent zufrieden war.

Also wollte ich zumindest versuchen, heute so viel wie möglich zu erledigen. Deshalb begann ich meinen Bürotag möglichst früh und beendete ihn entsprechend spät. Ein angenehmer Nebeneffekt war, dass ich weniger an Raphael denken musste.

In den Räumlichkeiten war es noch ruhig. Die meisten kamen frühstens eine Stunde später, also horchte ich in die angenehme Stille hinein, bevor ich die Bürotür hinter mir zudrückte, mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen ließ und den Computer einschaltete. Ich öffnete die Präsentationsvorlage und fing an zu arbeiten, vertiefte mich in die Materie und vergaß dabei alles um mich herum.

Erst das Klingeln meines Telefons riss mich kurz vor der Mittagspause aus meiner Konzentration. Abwesend drückte ich die Lautsprecher-Taste, statt abzunehmen.

„Ich nehme den Salat mit Putenbrust und Balsamico-Dressing", sagte ich beiläufig, ohne einen Blick auf das Display zu werfen.

„Der Besuch für Jamaal ist da. Kannst du ihn eben abholen?"

Ich erstarrte in meiner Bewegung, als ich wider Erwarten nicht die Stimme von Sabrina, sondern die unserer Empfangsdame Martina hörte. Hektisch klickte ich mich in Jamaals Kalender. Hatte ich einen seiner Termine vergessen? Ich hatte keinen Besprechungsraum vorbereitet. Jamaal hatte keinen Termin für ein Meeting in seinen Kalender eingetragen. Da sonst höchstens ich noch dafür verantwortlich war, seine Termine zu verwalten, hatte er es vermutlich selbst vergessen oder mir nichts mitgeteilt. Oder hatte ich ihn etwa überhört?

„Klar, ich komme sofort", gab ich zurück und drückte die rote Taste, um das Gespräch zu beenden. Dann steckte ich meinen Kopf durch den Türspalt zu Jamaals Büro. Er schien in etwas auf dem Computerbildschirm vertieft zu sein. „Dein Besuch ist da. Ich gehe gleich runter."

„Hmm", murmelte er abwesend, „Danke."

Auf dem Weg nach unten machte ich einen kleinen Umweg durch die Küche. Ich griff nach der Kaffeekanne der Kaffeemaschine, die eine der Kolleginnen eigentlich für die anderen Kollegen aufgesetzt hatte, und goss den Inhalt in eine der herumstehenden großen Kannen. Vermutlich nicht der netteste Schachzug, den Kollegen ihren Kaffee zu stehlen, aber es musste schnell gehen und ich konnte schließlich im Anschluss neuen aufsetzen. Ich platzierte die Kanne, ein paar Kaffee-Services, Zucker und Milch auf einem Tablett und trug es durch den Flur zu den Besprechungsräumen am Ende des Ganges. Dort schaute ich nach einem freien Raum, bevor ich schließlich alles ordentlich auf dem Tisch positionierte. Ich stellte noch ein paar kleine Flaschen Mineralwasser, Säfte und Limonaden dazu, dann machte ich mich zufrieden auf den Weg ins Foyer. Als ich aus dem Treppenhaus in den hellen Empfangsbereich trat versuchte ich, völlig entspannt auszusehen.

Dann fiel mein Blick auf Jamaals Besuch, der inzwischen im Wartebereich Platz genommen hatte. Zwei junge Frauen, vielleicht in meinem Alter, saßen dort und schienen beide in ihre Smartphones vertieft.

Ich durchquerte den Raum und schaute auf die beiden herab. Die Brünette in gelbem Top, blauen Skinny Jeans, dunklem Blazer und Stiefeletten hielt ihren Blick auf das Iphone in ihrer Hand gerichtet und würdigte mich keines Blickes.

Dafür schenkte mir ihre dunkelhaarige Begleiterin in weißer Wickelbluse, Blumenjeans, cremefarbenem Cardigan und weißen Sneakers ein hübsches Lächeln, bevor sie aufstand und mir die Hand entgegenstreckte. Sie hatte eine beneidenswerte Figur und gefühlt unendlich lange Beine. Ihre blauen Augen strahlten aufrichtig, als sie sich mir vorstellte. „Hallo, ich bin Sharina, aber alle sagen Sherry. Freut mich, dich kennenzulernen."

Ich fand sie vom ersten Augenblick an nett. Erst, als ich mich ihr vorstellte, sah die Brünette vom Iphone in ihrer Hand auf und erhob sich aus dem Loungesessel. „Lara."

Unglaublich, aber sie konnte anscheinend sprechen!

Ihr Händedruck war trotzdem unterkühlt. Sie wirkte vom ersten Augenblick an wie ein kleines, bockiges Mädchen. Ich wusste nicht, was genau ihr Problem war, hatte aber auch keine Lust, das herauszufinden. Stattdessen setzte ich ein professionelles Lächeln auf und führte die beiden nach oben in den Besprechungsraum.

„Ich kann Lara auch nicht leiden", sagte Sabrina, als wir nach der Arbeit gemeinsam beim Essen saßen. Ich hatte ihr gerade von meiner unangenehmen Begegnung mit Lara erzählt und auch Sabrina schien meine Abneigung ihr gegenüber zu teilen.

„Ich kann nicht einmal beurteilen, ob sie sich zurecht so viel auf ihr Gesangstalent einbildet. Ich habe noch nie einen Song von ihr gehört", räumte ich ein und schob den leeren Teller von mir.

„Ihre Stimme ist ganz okay. Aber das war's dann auch. Nichts Besonderes. Und sie bringt auch kein wirkliches Star-Appeal mit. Ihr Debut-Album kam vor einer gefühlten Ewigkeit, aber der gewünschte Erfolg ist ausgeblieben", sagte sie und legte ihr Besteck auf den geleerten Teller zurück.

„Okay, das erklärt, weshalb selbst Jamaal genervt von ihr war", stellte ich fest und nahm einen Schluck aus dem Wasserglas. Sabrina winkte ab.

„Jamaal möchte sie die ganze Zeit schon loswerden, aber der Vertrag läuft noch. Er ist froh, dass wir gerade nach einem geeigneten neuen Kollegen suchen, der ihm ein paar seiner Künstler abnehmen und ihn entlasten kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass Lara eine der ersten ist, die er ihm dankend abtritt. Ihre Allüren sind wirklich unerträglich. Aber wer weiß, vielleicht gelingt es dem neuen Kollegen ja, sie irgendwie erfolgreich damit zu vermarkten. Aber dafür müsste sie wirklich an ihrer Ausstrahlung arbeiten."

„Verstehe", erwiderte ich, lehnte mich entspannt zurück und lächelte zufrieden.

Auch, wenn Sabrina und ich bisher nur über die Arbeit sprachen und ich sie sonst auf Distanz hielt, tat es gut, über meinen eigenen Schatten zu springen und mich um soziale Kontakte zu bemühen.

„Lass dich also von ihrem affektierten Getue nicht aus der Ruhe bringen. Die ist nur frustriert, dass sie schon so lang an einer Karriere arbeitet, aber nicht wirklich etwas passiert", ergänzte Sabrina.

„Glaub mir, eine wie die bringt mich nicht aus der Ruhe. Da habe ich schon schlimmere Härtefälle überstanden", versicherte ich ihr. Sabrina lachte. „Jamaal zum Beispiel."

Ich runzelte die Stirn.

„Warum meinst du?"

„Naja, er ist als Chef schon sehr speziell, oder?"

Ich setzte ein Lächeln auf, doch eine innere Stimme in mir riet mir, vorsichtig mit meiner Antwort zu sein. Schließlich kannte ich Sabrina noch nicht besonders gut und konnte ihr nur ins Gesicht, aber nicht in den Kopf schauen. Auch, wenn wir uns oberflächlich auf beruflicher Ebene gut verstanden, bedeutete das noch lang nicht, dass ich ihr vertrauen konnte.

„Ich komme ganz gut mit ihm zurecht", antwortete ich also.

„Ich finde ihn schrecklich selbstgefällig und sein Humor ist auch ziemlich gewöhnungsbedürftig", kommentierte sie.

„Sollen wir bezahlen? Ich wollte mir noch ein Fitness-Studio anschauen", sagte ich, statt auf ihre Meinung einzugehen. Sie ließ ihren Blick kurz über meinen Körper gleiten. „Nicht, dass du das nötig hättest – bei deiner Figur", lächelte sie versonnen. Ich erwiderte es.

„Das wirkt nur so, in Wirklichkeit verstecke ich es nur gut", grinste ich. Sie stieß ein leises Seufzen aus und grinste. „Als ob. Kein Wunder, dass Jamaal dir so ungeniert auf den Hintern starrt. Der ist echt der Wahnsinn."

Ich winkte ab.

„Den kannst du auch haben. Wirklich. Alles eine Sache der Disziplin."

Sabrina lächelte verlegen.

„Ich glaube, genau da liegt mein Problem", antwortete sie, dann gab sie einer der vorbeihuschenden Kellnerinnen ein Handzeichen.

Als ich etwas später aus dem Auto stieg, war es bereits dunkel. Nach dem Abendessen mit meiner Kollegin hatte ich mich in einem Fitness-Studio um die Ecke über die Preise informiert. Die Gewissheit, dass ich bald wieder ins Training einsteigen würde, gab mir ein Gefühl von Gewohnheit und Normalität. Doch auch, wenn ich mich langsam in Berlin einlebte, vermisste ich Wien. Meine Eltern und meine Freundinnen.

Dank WhatsApp und unzähligen Sprachnachrichten war zumindest Monika nur eine Nachricht entfernt. Wir tauschten uns jeden Abend über unseren Tag aus und gaben uns Mühe, regelmäßig zu telefonieren.

Heute hatte es endlich geklappt. Während ich die Wohnungstür hinter mir zudrückte, plapperte sie am anderen Ende der Leitung munter weiter. Es tat wirklich gut, Monikas Stimme zu hören. Sie gab mir das Vertraute, das mir in Berlin sonst noch etwas fehlte.

Ich erzählte ihr von meinem Abendessen mit Sabrina und ihrer seltsamen Bemerkung über Jamaal, während ich mein Bürooutfit gegen einen gemütlichen Jogginganzug tauschte, mir einen Tee kochte und müde im Schneidersitz auf mein Bett fiel.

„Ja, ich glaube, ich würde bei ihr auch vorsichtig sein. Es kann sein, dass sie nur nach Gemeinsamkeiten sucht, aber vielleicht will sie dich auch aushorchen und plappert es bei der nächsten Gelegenheit aus", pflichtete Monika mir bei.

„Genau. Und du weißt ja, dass ich mir sowieso schon damit schwertue, fremden Menschen zu vertrauen", erinnerte ich sie. „Obwohl du da wirklich Fortschritte machst. Noch vor ein paar Jahren hättest du dich lieber zuhause eingeschlossen, als mit einer Arbeitskollegin zu essen oder allein in ein Fitness-Studio zu gehen."

Ich lächelte. Das Lob meiner Freundin tat mir gut. Ich war tatsächlich auf einem guten Weg und ich wusste das. Erst jetzt fiel mir ein, dass ich ihr auch noch von einer anderen Sache erzählen wollte; meinem Wiedersehen mit Raphael. Denn auch diese Entwicklung zählte zu meinem persönlichen Fortschritt.

Gerade, als ich ansetzte, es ihr zu erzählen, klingelte es. Ich runzelte misstrauisch die Stirn und warf einen Blick auf das Display meines Smartphones, um die Uhrzeit zu checken.

„Erwartest du jemanden?", fragte Monika.

„Nein. Bleib kurz dran", antwortete ich, legte das Handy ab, krabbelte aus dem Bett, strich einmal durch meine Haare und schob die Jacken zur Seite, die an der Wohnungstür hingen, um einen Blick durch den kleinen Türspion zu werfen. Doch dort stand niemand.

Ich wollte gerade zurückgehen, als es ein zweites Mal klingelte. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Ich kannte niemanden, der wusste, wo ich wohnte und der lebensmüde genug war, mich überraschend um diese Uhrzeit zu besuchen. Ich nahm den Hörer der Sprechanlage ab.

„Hallo?"

„Ich bin's."

Raphael!

Woher zur Hölle wusste er, wo ich wohnte?

Und was wollte er hier?

Ich weiss. Wieder mal ein fieser Cut. Aber ich verspreche euch, dass ihr dafür entschädigt werdet 🤓

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