13 | Die Wahrheit tut weh

Die Woche war lang. Aber heute ist endlich wieder Upload-Tag. Ich wünsche euch viel Spaß :) Heute widme ich das Kapitel hellotherereedabook

Ich strich müde über mein Gesicht und drückte die Zigarette aus. Ich hatte die vergangenen Nächte wie immer zu wenig geschlafen und langsam das Gefühl, dass sich das bemerkbar machte. Aber ich hatte viel im Studio zu tun.

Also verbrachte ich meine Nachmittage, Abende und Nächte hier, produzierte für John und mich unser kommendes Album und war dankbar, dass ich überhaupt keine Zeit hatte, über Edita und unsere letzte Begegnung nachzudenken.

John war gestern mit Cassie nach Hamburg zurückgekehrt. Schon in ein paar Tagen würde er allein wiederkommen und wir würden am Album weiterarbeiten. Bis dahin würde ich bis in die frühen Morgenstunden hierbleiben und im Morgengrauen müde ins Bett fallen, um mir ein paar Stunden Schlaf zu gönnen.

Ich lehnte mich entspannt zurück und spielte den Beat noch einmal ab, an dem ich die letzte Stunde gearbeitet hatte. Er gefiel mir noch gar nicht. Doch bevor ich herausfinden konnte, was mich am meisten störte, riss mich die Klingel aus meiner Konzentration.

Ich erwartete niemanden, aber wenn mein Wagen vor der Tür stand, war es für niemanden ein Geheimnis, dass ich hier war. Also stand ich auf und warf vorsichtig einen Blick aus dem Fenster.

Dort stand ein Kleinwagen, der meinen komplett zugeparkt hatte. Es war Editas Wagen. Ich hätte ihn auch ohne aufs Nummernschild zu schielen allein am Parkstil erkannt. Sofort kehrten die Erinnerungen an unsere letzte Begegnung und die Gefühle zurück, die unser Kuss sowie ihre Zurückweisung in mir ausgelöst hatten.

Tief in meinem Inneren ärgerte ich mich über mein großes Ego. Noch immer hatte ich ihren sehnsüchtigen Blick nicht vergessen, kurz bevor ich sie einfach geküsst hatte. John hatte Recht. Keine andere Frau schaffte es, derart meine Aufmerksamkeit zu erregen und mich so aus der Reserve zu locken wie Edita. Was machte sie hier?

Eigentlich gab es nur eine Antwort auf diese Frage: Sie wollte sich bei mir dafür entschuldigen, dass sie mich einfach so stehengelassen und beinah überfahren hatte. Um mir vorzuwerfen, dass ich sie geküsst hatte, würde sie sicherlich nicht hier auftauchen.

Kurz dachte ich sogar darüber nach, sie einfach vor der Tür stehen zu lassen, doch als ich nicht reagierte, klingelte sie ein weiteres Mal. Ich verwarf den Gedanken, sie zu ignorieren, und stand auf. Gespannt auf ihre Entschuldigung öffnete ich die Tür zum Studio und betätigte den Summer, um ihr die Haustür zu öffnen. Dann verschränkte ich demonstrativ meine Arme vor meiner Brust und setzte einen gleichgültigen Gesichtsausdruck auf.

„Hey..."

Ich ließ meinen Blick an ihrem Körper hinab gleiten, als sie auf mich zukam. Sie trug eine Jeans, eine Bluse, Pumps und darüber einen offenen Trenchcoat. Ihre Haare fielen offen über ihre Schultern. Sie war wirklich hübsch. Sie musterte mich kurz unschlüssig und vergrub ihre linke Hand in der Hosentasche ihrer Jeans. In der rechten Hand hielt sie einen großen, braunen Umschlag.

„Ich sollte dir den hier vorbeibringen", sagte sie kühl und reichte mir den Umschlag. Er war von Jamaal und an mich adressiert. „Danke."

„Okay, also dann...", sagte sie etwas hilflos und strich durch ihre welligen Haare. Ein Teil in mir wollte ihr einfach kommentarlos die Tür vor der Nase zuwerfen, ein anderer Teil wollte sie nicht gehenlassen.

„Hast du mir nichts zu sagen?", fragte ich provokant und sah auffordernd in ihre grünen Augen. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem spöttischen Grinsen.

„Was sollte ich dir schon zu sagen haben?", gab sie zurück und hob eine Augenbraue. Verdammt, ich war ganz vernarrt in ihr Temperament!

„Wie wäre es mit einer Entschuldigung?", fragte ich ernst. Sie lachte auf und machte mich damit nur noch wütender.

„Ich wüsste nicht, wofür ich mich bei dir entschuldigen sollte. Schließlich habe nicht ich dich wie ein Arschloch behandelt, sondern du mich."

„Stimmt, du hast mich ja auch nur beinah umgebracht", gab ich gereizt zurück. Ihre Augen weiteten sich.

„Ich habe was?", fragte sie mit einem breiten Grinsen auf den Lippen. Lachte sie mich gerade etwa aus?

„Wie nennst du es sonst, wenn du mich beinah umfährst?"

„Ich habe dich nicht umgefahren!", gab sie lachend zurück.

„Weil ich zur Seite gesprungen bin!", erwiderte ich ernst. Ihr Lächeln verschwand. Sie musterte mich kurz prüfend. „Echt jetzt?"

„Ja", sagte ich und verschränkte meine Arme erneut vor meiner Brust. Das plötzliche reumütige Funkeln in ihren Augen beruhigte mich.

„Tut mir leid. Ich war einfach so wütend auf dich", sagte sie jetzt kleinlaut. Als sie sich anschließend in ihre Unterlippe biss und mich reumütig anschaute, verrauchte meine restliche Wut. Alles, was zurückblieb, war der Wunsch, sie jetzt einfach zu mir zu ziehen und sie zu küssen. Doch diesmal behielt ich die Kontrolle, denn das letzte Mal hatte mein Gefühlsausbruch immerhin kein gutes Ende genommen.

„Komm rein", bat ich sie stattdessen, ließ entspannt meine Arme sinken und machte einen Schritt nach hinten. Ich wollte mit ihr reden. Wir konnten das nicht einfach alles so im Raum stehen lassen.

Edita sah mich aus großen Augen überrascht an. Ich spürte, dass sie mit sich selbst kämpfte, jedoch nicht sicher war, ob sie mich wirklich ein weiteres Mal zurückweisen sollte. Also folgte sie mir ins Innere des Studios und schloss leise die Tür hinter sich. Neben Unsicherheit lag Sorge in ihrem Blick.

„Du wolltest diesen Kuss mindestens so sehr wie ich", stellte ich ernst fest.

Sie sagte nichts, schaute mich einfach nur an. Sofort wollte ich meine Lippen wieder auf ihre pressen, doch statt die Distanz zwischen uns zu verringern, sie zwischen der Tür und mir selbst gefangen zu nehmen und sie daran zu erinnern, wie gut sich unser Kuss angefühlt hatte, stand ich einfach nur vor ihr und schaute in ihre Augen.

„Das stimmt nicht", widersprach sie.

„Du kannst mir nichts vormachen. Wir wollten es beide und du hast es genauso genossen wie ich", sagte ich.

„Bilde dir das ruhig ein, wenn es dir dann besser geht", sagte sie trotzig. Ich grinste und machte nun doch selbstsicher einen Schritt auf sie zu.

„Fällt es dir wirklich so schwer, zuzugeben, dass du mich auch magst?"

Edita legte den Kopf schief. Ihre Augen funkelten verführerisch.

„Es ist viel vorgefallen zwischen uns", sagte sie schließlich, statt direkt auf meine Frage zu antworten.

„Ich bin nicht mehr der Typ von früher. Du bist nicht die Einzige, die sich verändert hat", gab ich ernst zurück.

„Du hast immer auf meinem Äußeren herumgehackt und dafür gesorgt, dass andere nicht damit aufhören. Wenn du dich mir gegenüber ignorant und respektlos verhältst, fällt es mir schwer zu glauben, dass du jetzt ein anderer bist."

Ihre aufrichtige Antwort beeindruckte mich.

„Ich weiß, dass der Kommentar uncool war. Ich habe mich schon dafür entschuldigt", erinnerte ich sie. „Ja, bevor du dir wie selbstverständlich genommen hast, was du wolltest, ohne auf mich oder meine Gefühle Rücksicht zu nehmen", gab Edita anklagend zurück.

Im Gegensatz zu damals ließ sie sich heute nicht mehr einfach so unterbuttern, sondern steckte ihre Grenzen ab. Obwohl ich mir bewusst war, wie ernst diese Situation gerade war, grinste ich.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich das gesagt habe. Ich habe darüber nicht nachgedacht", sagte ich ehrlich, ohne auf den letzten Teil einzugehen.

Sie musterte mich überrascht.

„Trotzdem verzehrt sich nicht jede Frau nach dir", gab sie zurück.

„Du bist nicht jede Frau."

Sie stutzte. Ich lächelte, weil ich es geschafft hatte, ihre Verteidigungshaltung zu durchbrechen.

„Während du dir überlegst, was du dazu sagen willst, bestelle ich uns eine Pizza. Ich habe Hunger."

„Du tust es schon wieder!", platzte es wütend aus ihr heraus.

Ich hob abwehrend die Hände.

„Okay, okay, du hast Recht. Hast du Hunger? Ich könnte uns Pizza bestellen."

Sie musterte mich einen Moment schweigend, bevor sich ihre Mundwinkel zu einem Schmunzeln verzogen.

Eine Dreiviertelstunde später saßen wir im Studio und aßen unsere Pizzen. Sie hatte eine Vegetarische, ich eine mit Salami, Schinken und Pilzen. Noch vor ein paar Stunden hatte ich diese Situation für vollkommen surreal gehalten.

„Schmeckt wirklich lecker. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich zuletzt eine Pizza gegessen habe", stellte sie fest und schob noch ein weiteres Stück Pizza in den Mund. Ich musterte sie aufmerksam.

„Bist du auf Diät?", fragte ich und hoffte, dass sie meine Frage nicht direkt wieder mit unserer Vergangenheit in Verbindung brachte. Doch sie schüttelte den Kopf und nahm sich ein weiteres Pizzastück.

„Nein, ich achte einfach nur darauf, mich gesund zu ernähren und nicht allzu oft Fast Food zu essen", antwortete sie, bevor sie von dem Pizzastück abbiss. Dass sie das bei ihrer Figur echt nicht mehr nötig hatte, sagte ich vorsichtshalber nicht. Ich hatte inzwischen verstanden, dass ihr Aussehen für Edita nach wie vor ein sensibles Thema war – zumindest, wenn es um mich ging.

„Ich will auch weg vom Fast Food, aber in Phasen, in denen wir am Album arbeiten, ist das gar nicht so leicht", gab ich zurück und aß den Rest meines Pizzastücks auf. „Wieso?", hakte sie interessiert nach und warf mir einen Blick zu. „Wir nehmen uns oft nicht die Zeit, in Ruhe essen zu gehen", erwiderte ich und Edita biss noch einmal von ihrem Pizzastück ab, bevor sie den Rest in den Pappkarton zurücklegte.

„Ich kann nicht mehr", sagte sie, wischte sich ihre Finger mit etwas Küchenpapier ab und lehnte sich zurück. Ich schmunzelte. Hielt sie sich jetzt etwa vor mir zurück?

„Du hast gerade mal die halbe Pizza gegessen", kommentierte ich und schob mir ein weiteres Stück in den Mund.

„Ich weiß, aber ich habe mir angewöhnt, aufzuhören, wenn ich satt bin", erklärte sie. „Von dem Bisschen bist du satt?", hakte ich misstrauisch nach. Ihr Blick veränderte sich nicht.

„Du kannst sie ruhig aufessen. Ich verspreche dir, keinen blöden Kommentar zu machen", versicherte ich ihr und schob mir das letzte Stück Pizza in den Mund, dann wischte ich mir die Finger an etwas Küchenpapier ab.

„Ich bin wirklich satt", wiederholte sie. Ich betrachtete noch einmal den Rest ihrer Pizza. „Okay", sagte ich schließlich.

„Ich hatte früher Bulimie und Magersucht.", platzte es plötzlich aus ihr heraus. Ich starrte sie sprachlos an. Mit einem derart offenen Geständnis hatte ich nicht gerechnet.

„Ich habe eine Therapie gemacht. Jetzt ist alles wieder ziemlich normal, aber ich achte sehr darauf, auf meinen Körper zu hören und nicht in alte Gewohnheiten zurückzufallen."

Ich war überrascht, wie offen sie gerade mir gegenüber mit so einem schwierigen Thema umging. Sie hatte es zwar nicht ausgesprochen, aber ich konnte mir denken, dass ich zumindest mitverantwortlich für ihre Essstörung gewesen war.

Vor dem Hintergrund, dass sie unter anderem meine Hänseleien dazu getrieben hatten, eine verschobene Wahrnehmung ihres Körpers zu entwickeln und praktisch aufzuhören, sich zu ernähren, verstand ich plötzlich sehr viel besser, wieso sie mich so sehr hasste.

Wenn das stimmte, hatte ich dazu beigetragen, ihr damaliges Leben zu zerstören.

Plötzlich verschwand das Selbstbewusstsein in ihren Augen. Edita senkte ihren Blick und begann, nervös mit ihren Fingern zu spielen.

„Weißt du, ich habe dich immer gehasst, weil ich all das durchmachen musste – und auf einmal muss ich ausgerechnet dir immer wieder begegnen. Ich dachte, ich hätte mit all dem abgeschlossen, aber wenn ich mit dir zusammen bin, werde ich an die Vergangenheit erinnert. Es tut weh, weil es so schwer war, wieder in ein normales Leben zurückzukehren. Aber vielleicht sollte ich dir sogar dankbar sein, denn ich habe meinem Körper damit nichts Gutes getan, so viel zu essen und so viel zuzunehmen. Das habe ich mit der Zeit erkannt und fühle mich jetzt viel wohler mit mir selbst. Aber es war ein langer, anstrengender Weg. Du hast Recht. Wir haben uns beide verändert. Aber auch, wenn ich heute so viele Männer kennenlernen könnte, lege ich darauf gar keinen Wert."

Ich hatte es nicht gewagt, Edita zu unterbrechen, während sie mir mit inzwischen zitternder Stimme ihr Herz ausschüttete. Es war irgendwie abgefuckt, dass sie sich ernsthaft gerade irgendwie sogar bei mir für das bedankte, was ich ihr angetan hatte. Ich fühlte mich miserabel. Die Gewissheit, dass sie unter anderem wegen mir so hart für sich selbst hatte kämpfen müssen, machte mich nachdenklich. Ich verdiente sie noch viel weniger, als ich bisher angenommen hatte.

Ich wusste, dass ich etwas sagen musste, aber ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Es gab nichts, das diese Situation für uns beide erträglicher gemacht hätte.

Puh. Wäre euch etwas eingefallen, was er hätte sagen können? Hättet ihr damit gerechnet, dass es so heftig war? Und könntet ihr ihm nach all den Entwicklungen trotzdem eine neue Chance geben?

Ich habe übrigens die Geschichte von Cassie & John "Started from the Bottom" hochgeladen. Ich würde mich freuen, wenn ihr dort vorbeischauen würdet. 

Ich küsse eure Augen.

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