10 | Bittersüße Küsse

Ja. Der super kitschige Titel ist ein Spoiler. Mir egal. Ihr habt es euch verdient. Das Kapitel ist super lang. Viel Spass damit. An der Stelle noch mal Danke an meine liebe Beta Leserin Saelamju 🖤

Ich war hin- und hergerissen, als ich vor dem kleinen Spiegel stand und mich darin betrachtete. Ich trug ein weißes Tanktop, einen knielangen, türkisfarbenen Rock und High Heels, die meine Beine noch ein wenig optisch verlängerten. Normalerweise hätte ich nicht weiter über das Outfit nachgedacht, aber ich wollte einfach nicht wie eine billige Schlampe rüberkommen.

Schlimm genug, dass ich wirklich darüber nachdachte, Raphaels Aufforderung zu folgen und zu dieser Party zu gehen!

Dabei ging es aber nicht nur darum, ihm zu geben, was er wollte. Es ging um all die fremden Leute auf dieser Party – seine Freunde – die ich nicht kannte. Ich war einfach nicht gut darin, locker mit Fremden umzugehen. Auch, wenn ich nach außen tough wirkte, fiel es mir schwer, neue Bekanntschaften zu knüpfen. Also war dieser Abend eine doppelte Herausforderung für mich.

Unter anderen Umständen hätte ich mich definitiv ferngehalten, doch Raphaels Anruf hatte mich nachdenklich gemacht. Er hatte sich für sein Verhalten entschuldigt und damit über seinen Schatten gesprungen. Ich wusste nicht, ob es richtig war, aber wenn er versuchen konnte, ein Zeichen zu setzen, konnte ich das vielleicht auch.

Er hatte mir vor einer halben Stunde seinen Standort per WhatsApp geschickt und ich suchte seitdem nach einem passenden Outfit.

Seufzend fiel ich auf mein Bett und stützte mein Gesicht in meine Hände. Ich strich mein Haar nach hinten und zupfte am Saum des Rockes herum. Er war nicht zu kurz und wirkte auch nicht billig. Aber ich kannte niemanden auf dieser Party. Ich wollte einfach nicht wie eines von Raphaels Groupies aussehen und falsche Signale aussenden.

Ich wollte ihn einfach nur sehen und schauen, ob wir vielleicht doch eine gemeinsame Basis finden konnten; so wie im Restaurant. Raphael musste einfach damit aufhören, sich in meiner Gegenwart so selbstverliebt aufzuführen und sein riesengroßes Ego raushängen zu lassen.

Auf der anderen Seite hatte er eine große Anziehungskraft auf mich, war intelligent und hatte einen tollen Humor. Er hatte definitiv auch noch eine andere Seite. Ich hoffte, dass ich mich nicht in etwas verrannte.

Ich zog den Rock aus und schlüpfte in eine Röhrenjeans, in der ich mir schon viel besser gefiel. Ich wechselte zu einem dunklen Paar High Heels, dann schaute ich ein letztes Mal in den Spiegel und überprüfte mein notdürftiges Make-Up. Ich hatte es dezent gehalten; ein wenig Eyeliner, Mascara und ein wenig Rouge. Meine Haare trug ich offen.

Ich strich ein wenig durchsichtiges Lipgloss auf meine Lippen, griff mir meine Handtasche und schnappte mir meine dunkle Lederjacke, dann verließ ich meine Wohnung.

Es war ein komisches Gefühl, einfach so zu einer Party zu fahren, auf der ich niemanden kannte. Schließlich hatte mich nicht mal der Gastgeber selbst eingeladen, sondern Raphael. Andererseits kannte ich in Berlin noch niemanden, also war es vielleicht ganz gut, um ein paar neue Leute kennenzulernen.

Als ich mein Ziel erreichte, sah ich Raphaels Wagen bereits am Straßenrand stehen. Da ich keinen anderen Parkplatz finden konnte, stellte ich meinen Wagen in eine schmale Lücke zwischen seinem Wagen und einem Flaschencontainer.

Ein mulmiges Gefühl beschlich mich, als ich den Knopf der obersten Klingel herunterdrückte. Ich hoffte, dass ich meine Entscheidung nicht bereuen würde. Es dauerte einen Moment, bis ohne Rückfrage der Summer ertönte. Ich folgte der leisen Musik durchs Treppenhaus, bis ich eine offen stehende Wohnungstür erreichte.

Ein junger Mann mit dunklen Haaren und Augen stand mir gegenüber und musterte mich neugierig. Ich setzte ein strahlendes Lächeln auf.

„Hi, ich bin Edita. Ich suche Raphael. Er hat mich eingeladen", sagte ich, als sei es das Normalste auf der Welt für mich, fremde Partys zu crashen. Der Fremde reichte mir seine Hand und erwiderte mein Lächeln.

„Ich bin Joshi."

Er ließ mich herein, führte mich dann durch einen schmalen Flur.

„Raf ist draußen", erklärte er, als wir das Wohnzimmer erreichten. Die Jungs im Wohnzimmer warfen mir kurz einen fragenden Blick zu. Ich warf ein aufgesetzt sicheres Lächeln in die Runde, dann schob Joshi eine große Tür auf und ich trat vor ihm ins Freie. Noch während ich mich bei Joshi bedankte, fiel mein Blick auf Raphael. Er saß in einem weißen Plastikstuhl und erhob sich, als er mich sah.

„Hey Edita."

Kurz standen wir uns etwas unschlüssig gegenüber.

„Hey."

Ich warf einen kurzen Blick in die Runde.

„Hi Edita."

John saß mit seiner Freundin auf dem Schoß auf einem der Plastikstühle, grinste und zog an einem Joint. Ich lächelte.

„Hi."

Mehr bekam ich einfach nicht raus. Dabei machte John nichts falsch. Ich kannte ihn einfach zu wenig.

„Alles gut?", fragte John.

Ich nickte ein wenig unbeholfen.

„Ja, danke, bei dir auch?"

„Ja, alles cool", sagte er, zog noch einmal und lächelte zufrieden.

„Ich wollte gerade Zigaretten holen. Kommst du mit oder wartest du hier?"

Ich biss mir auf die Zunge, als ich in Raphaels Augen schaute. Im Dämmerlicht, das aus dem Inneren der Wohnung auf den Balkon fiel, funkelten sie geheimnisvoll. Die Vorstellung, ohne ihn bei seinen Freunden zu sitzen, war seltsam für mich.

„Ich komme mit", sagte ich also, bevor Raphael die Tür wieder öffnete und mir den Vortritt ließ. Nur kurz darauf liefen wir nebeneinander her durch den kaum beleuchteten, ruhigen Wohnblock. Ich kannte mich nicht aus, hoffte aber, dass der Automat nicht so weit entfernt lag. Es hatte sich abgekühlt und ich begann in meiner Lederjacke ein wenig zu frösteln.

„Wie war deine Verabredung?"

Raphael musterte mich aufmerksam.

„Ganz okay", log ich.

Ich fühlte mich schlecht dabei, ihn anzulügen.

„Was habt ihr gemacht?"

„Nur gequatscht", sagte ich.

„Hast du viele Freunde in Berlin?"

Eigentlich gar keine.

„Ein paar."

Ich wollte schließlich nicht blöd dastehen.

Raphael blieb stehen. Erst jetzt sah ich den Zigarettenautomaten. Er lag nur ein paar Häuser von Joshis Wohnhaus entfernt. Raphael zog ein Päckchen Zigaretten, dann machten wir uns auf den Rückweg.

„Freunde würde ich sie aber auch nicht nennen", sagte ich irgendwann, als Raphael mich schweigend von der Seite betrachtete.

„Ich habe nicht viele Freunde", fuhr ich fort und strich durch meine Haare.

„Ich auch nicht. Also keine richtigen."

Seine Augen flackerten seltsam und das erste Mal hatte ich das Gefühl, dass ich wirklich in sie hineinschauen konnte.

„Mit dir würde ich auch nicht so gern befreundet sein wollen", schmunzelte ich. Raphael lachte, verpasste mir einen sanften Schubser. Ich lachte ebenfalls. Wir liefen noch ein paar Meter, dann erreichten wir schon wieder das Haus, in dem Joshi wohnte. Doch anstatt zu klingeln, blieb er stehen. Ich schaute ihm kurz erwartungsvoll ins Gesicht.

„Cool, dass du doch noch vorbeigekommen bist", sagte er.

Ich lächelte.

„Cool, dass du dich bei mir entschuldigt hast."

Er erwiderte mein Lächeln.

„Lass uns ein wenig reden, ganz ohne Gesellschaft", schlug er vor und deutete auf eine kleine Mauer am Hauseingang. Es gefiel mir, dass er nicht ganz so fordernd mit mir sprach wie sonst. Diesmal wirkte es zwar auch wie eine Aufforderung, aber viel weniger bestimmend. „Okay."

Ich spürte seinen Blick auf meinem Körper, als ich mich mit den Händen an der Mauer hochdrückte, um mich schließlich zu setzen. Raphael machte einen Schritt an mich heran und blieb vor mir stehen. Unsere Gesichter waren jetzt auf derselben Höhe. Mein Blick blieb kurz an seinen vollen Lippen kleben, bevor er sich neben mich setzte.

„Und, wie gefällt dir deine Arbeit beim Label?", wollte Raphael wissen, zog dabei sein Päckchen Zigaretten aus der Tasche. Er öffnete das Päckchen, nahm eine Zigarette heraus und musterte mich. „Du rauchst nicht, oder?"

Ich schüttelte den Kopf. „Nein."

Er steckte die Zigarette zwischen seine Lippen, zündete sie an und schob dann Feuerzeug und Zigarettenpäckchen in seine Tasche zurück.

„Ich bin ja noch nicht lang da, aber bis jetzt gefällt es mir ganz gut", antwortete ich auf seine Frage. Er zog an seiner Zigarette.

„Wolltest du das schon immer machen? Also bei einem Label arbeiten?"

Ich lächelte.

„Ich habe eigentlich Industriekauffrau gelernt, aber wirklich gelegen hat mir das nie. Ich wollte lieber mein Leben nach meinen Talenten gestalten und etwas machen, was mir Spaß macht. Ich dachte, das kann ich bei einem Label ganz gut", antwortete ich.

„Was sind deine Talente?", hakte er aufrichtig interessiert nach und musterte mich neugierig.

„Ich bin kreativ, organisiere gerne und interessiere mich für Musik und Mode, seit ich angefangen habe, mich optisch zu verändern und damit vermehrt zu beschäftigen. Und ich bin sehr musikalisch, habe ein gutes musikalisches Gehör und spiele selbst Instrumente."

Raphael lächelte. Verdammt, gerade war er wirklich süß!

„Was für Instrumente spielst du?"

„Klavier und akustische Gitarre."

Raphael schüttelte den Kopf, zog an seiner Zigarette.

„Was?", fragte ich.

„Hätte ich dir gar nicht zugetraut. Singst du auch?"

Ich lachte auf.

„Oh Gott, besser nicht. Vielleicht mal unter der Dusche, aber das möchte ich nun wirklich keinem zumuten."

„Also keine Chance, Helene Fischer den Rang abzulaufen?", grinste er frech.

„Helene Fischer?! Also wenn, dann bin ich ja wohl eher Queen Bee!", protestierte ich. Raphael lachte frech, zog erneut an seiner Zigarette und warf sie dann achtlos auf den Boden.

„In pummelig und weniger elegant als die Echte", sagte er trocken und grinste frech. Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt!

Mein Grinsen verschwand sofort. Ich musterte ihn sprachlos. Einerseits bemühte er sich um mich, andererseits verhielt er sich wie ein Idiot. Diese Äußerung zeigte, dass er sich gar nicht bewusst war, was er damals überhaupt angerichtet hatte und wie ernst die Situation gewesen war! Was hatte ich mir nur dabei gedacht, herzukommen?

„Du bist und bleibst ein Arschloch", fauchte ich und rutschte von der Mauer. Erst jetzt verstand auch Raphael den Ernst der Situation. „Hey, warte, es tut mir leid."

Doch ich hörte nicht auf ihn, überquerte stattdessen die Straße in Richtung meines Wagens.

„Edita, warte bitte."

Raphael wirbelte mich etwas unsanft herum, als ich meinen Wagen erreichte. Ich machte mich von ihm los. „Fass mich bloß nicht an!"

Sein Blick wurde düster, als ich ihn erneut zurückwies. Er presste seine Kiefer zusammen und seine Gesichtszüge wurden härter.

„Hör endlich auf damit", knurrte er und machte einen bedrohlichen Schritt auf mich zu. Ich reckte ihm trotzig mein Kinn entgegen und funkelte ihn wütend an. „Mit was?!"

„Das weißt du ganz genau."

Seine Stimme war rau und dunkel geworden und jagte mir einen Schauer über den Rücken. Obwohl er mich so wütend machte, hatte er etwas Anziehendes auf mich. Ich wusste, dass ich gerade mit dem Feuer spielte, aber vielleicht musste ich mich auch endlich an ihm verbrennen, um wieder klar denken zu können!

Mein Atem hatte sich zusammen mit meinem Herzschlag unter seinem düsteren Blick beschleunigt, doch ich konnte einfach nicht wegschauen. Ich wollte ihm zeigen, dass ich mich durch seine Art nicht einschüchtern ließ und nicht bereit war, mich seinen beschränkten Spielchen um Überlegenheit zu unterwerfen.

Aus dem Nichts baute sich eine unglaubliche Spannung zwischen uns auf. Raphael stand einfach so vor mir und schaute in meine Augen. Mein Blick blieb an seinem Mund kleben. Er hatte so verdammt sinnliche Lippen! Hatte ich das gerade wirklich gedacht?!

Automatisch öffneten sich meine Lippen etwas. Ich zuckte leicht zusammen, als seine Hand meine Taille berührte, wich seinem intensiven Blick aber nicht aus. Er machte einen letzten kleinen Schritt an mich heran. Mein Atem stockte.

Es war plötzlich so still, dass wir eine Stecknadel hätten fallen hören können. Als er seine Hand an meine Wange legte und mich zu sich heranzog, wehrte ich mich nicht dagegen, sondern lehnte mich in die Berührung hinein. Ich wusste nicht einmal, wieso ich seine Berührung zuließ, aber sie löste eine angenehme Hitze in mir aus und fühlte sich unglaublich gut an. Sein Daumen zeichnete den Umriss meiner Lippen nach, bevor er mich ganz zu sich zog und mich endlich erlöste.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich seine Lippen auf meinen spürte. Sie waren so weich, wie sie aussahen, und schmeckten nach einer Mischung als Tabak, Gras und Alkohol. Der Kuss hinterließ ein Brennen auf meinen Lippen. Doch er ließ mir keine Zeit, mich zu wehren. Stattdessen küsste er mich erneut und vergrub dabei seine Hand in meinen Haaransatz, um sicherzustellen, dass ich ihm nicht entkommen konnte.

Sein Kuss war hart und fordernd und als sich seine Zunge selbstbewusst Einlass verschaffte, keuchte ich kurz überrascht in den Kuss hinein. Ein Teil von mir wollte ihn von mir stoßen, doch ein anderer Teil genoss diesen einnehmenden Kuss. Als ich dennoch kurz versuchte, ihm zu entkommen, schlang Raphael seinen Arm um mich und zog mich noch fester an seinen Körper. In diesem Augenblick brach mein Widerstand und ich küsste ihn zurück.

Ich war noch nie in meinem Leben so geküsst worden; fordernd, einnehmend, hart, und trotzdem voller Leidenschaft. Meine Beine fühlten sich plötzlich so schwach an, dass ich meine Arme um seinen Hals schlingen musste, um mich an ihm festzuhalten. Das Brennen war inzwischen in ein angenehmes Kribbeln übergegangen. Raphael lockerte seinen Griff in meinem Haar als er merkte, dass mein Widerstand gebrochen war.

Was machte ich hier eigentlich?! Raphael hatte mir damals das Leben zur Hölle gemacht und noch Jahre später hatte ich mit den Folgen gekämpft! Endlich schaltete sich mein Verstand wieder ein. Wollte ich ihm wirklich noch einmal die Chance geben, mich so kaputt machen zu können wie damals?!

Ich stieß ihn von mir und brachte den nötigen Abstand zwischen ihn und mich selbst.

„Verdammt, Raphael!"

Raphael war zu überrascht, um zu reagieren. Ich nutzte die Situation, zog meinen Autoschlüssel aus der Tasche, öffnete den Wagen und stieg ein. So schnell ich konnte, startete ich den Wagen und lenkte ihn aus der Parklücke.

„Scheiße, Edita!", hörte ich Raphael schreien, doch ich ignorierte ihn und fuhr davon.

Was war da gerade passiert? Warum hatte ich es zugelassen? Es hatte sich wahnsinnig gut angefühlt! Scheiße, das ging überhaupt nicht. Nicht nur, weil es unprofessionell war – auch, weil ich nicht einfach nur eine weitere Eroberung von Raphael werden wollte! Er hatte schon genug Unheil angerichtet. Ich würde auf keinen Fall zulassen, dass er wieder so viel Macht über mich erhielt!

Ich versuchte, alle Gedanken zur Seite zu schieben. Ich wollte gerade einfach gar nichts mehr denken, sondern einfach nur vergessen! 

Tadaa. Wie hat es euch gefallen? Schreibt es in die Kommentare. Liebe euch.

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