09 | Entschuldigung
Es ist Sonntag. Also kommt heute endlich das neue Kapitel. Ich bin gespannt, wie es euch gefällt. Schreibt es in die Kommentare :)
Ich grinste Edita hinterher, als sie wutentbrannt aus dem Studio stürmte. Doch innerlich tobte in mir ein Sturm. Es machte mich wütend, dass sie sich mir auf diese Art widersetzte. Außerdem nervte es mich, dass sie – nachdem wir uns bei diesem Abendessen locker gemacht hatten – jetzt auf einmal wieder unnötig rumzickte.
Wahrscheinlich war es aber genau das, was mich gleichzeitig an ihr reizte. Sie ließ sich nicht einfach von mir herumkommandieren und gab mir nicht das Gefühl, sie jederzeit haben zu können. Sie gab mir trotzige Widerworte und zeigte ihr Temperament. Das gefiel mir!
Mindestens genauso gut gefiel mir das Feuer, das gerade in ihren Augen gelodert hatte. Edita zog mich an wie Motten das Licht. Ich wollte sie um jeden Preis!
Kaum zu glauben, dass die dicke Edita von damals mit raspelkurzen Haaren und Brille eine so attraktive Frau geworden war!
Ich konnte ihr nicht einmal wirklich verübeln, dass sie mich auf Distanz hielt und mir derart aufmüpfig gegenübertrat. Schließlich hatte die Klasse Edita immer wegen ihres Äußeren gehänselt – und ich war der Schlimmste von allen gewesen.
Jeden Tag hatte sie in jeder freien Sekunde ätzende Sprüche von mir ertragen und sich vor der gesamten Klasse demütigen lassen müssen. Jeden Tag hatten wir ihr neue Spitznamen gegeben, bis ich schließlich zusammen mit einem damaligen Freund Fotos von ihr in der gesamten Schule aufgehängt hatte. Ich hatte sogar gewusst, dass ich zu weit ging, aber ich hatte es trotzdem getan. Ich war wirklich ein Arschloch gewesen! Kurz nach diesem Vorfall, durch den ich erst einmal für ein paar Wochen vom Unterricht suspendiert worden war, hatte Edita die Schule gewechselt. Ab und zu hatte ich sie damals noch auf der Straße getroffen, aber sie hatte – wie ich heute fand verständlicherweise – die Flucht ergriffen und war mir aus dem Weg gegangen.
Manche Dinge hatten sich also nicht wirklich geändert, Abendessen hin oder her.
„Oh, ist deine Freundin schon weg?"
Cassies Stimme ließ mich herumfahren. Ob sie Editas Abgang mitbekommen hatte?
„Sie ist nicht meine Freundin", erwiderte ich, während Cassie in einen der Drehstühle im Studio fiel. Ich hielt Ausschau nach John.
„Er telefoniert immer noch", klärte Cassie mich auf, als sie meinen Blick bemerkte, „Dein Mädchen wirkte ein wenig überrascht über meine Anwesenheit."
„Sie ist nicht mein Mädchen", knurrte ich. Cassie musterte mich amüsiert.
„Sie hat auf jeden Fall mehr Interesse an dir als an John."
Ich ließ mich ihr gegenüber in den anderen Drehstuhl fallen und versuchte, ein ernstes Gesicht aufzusetzen.
„Woher willst du das wissen?", fragte ich neugierig. Sie grinste.
„Der Blick, als sie dachte, ich wär deine Freundin."
Ich lachte auf.
„Ich habe es direkt aufgeklärt, damit sie nicht auf diesen Gedanken kommt."
„Warum tust du das, wenn sie nicht deine was-auch-immer ist?"
Cassies Fragen machten mich wahnsinnig. Ich mochte sie sehr. Sie passte super zu John. Ich freute mich für die beiden, dass sie bereits so lang zusammen waren. Aber sie war manchmal auch einfach nur eine Frau, die lästige Fragen stellte. Aber ich wusste, dass sie es nett meinte, also ließ ich es zu und grinste.
„Damit sie nicht auf die Idee kommt, John anzumachen."
Cassie lachte auf.
„Ach, dann wolltest du also bloß mir einen Gefallen tun, ja?"
Sie strich ihre Haare nach hinten und griff nach einer Wasserflasche, die auf einem der Beistelltische stand.
„Ganz genau", gab ich gönnerhaft zurück. Sie legte ihre Hand auf meinen Unterarm und grinste.
„Was würde ich nur ohne dich tun?", grinste sie, dann schraubte sie ihre Wasserflasche auf. „Ich weiß auch nicht", gab ich zurück.
„Mein Insta stalken, bis du tot umfällst."
John betrat frech grinsend den Raum.
„Arschloch", grinste Cassie, bevor er sich zu ihr herunterbeugte, um sie zu küssen.
„Du weißt, Babe, meine wilden Zeiten sind vorbei", versicherte er ihr. Sie lachte.
„Das wüsste ich aber, Mister ‚Ich werfe Fake-Scheine auf dicke, nackte Weiberärsche im Strip-Club in L.A'"
Nicht nur hübsch, sondern auch schlagfertig. Ich konnte verstehen, wieso John ihr schon vor Jahren verfallen war.
Kurz dachte ich darüber nach, mit John oder Cassie ernsthaft über Editas seltsames Verhalten zu sprechen, weil es mich wirklich beschäftigte. Doch ich behielt es erstmal weiter für mich. Cassie wusste sowieso schon zu viel und auch John hatte vor ein paar Tagen angefangen, Fragen zu stellen. Warum ich Edita gegenüber immer so abgehoben tat, zum Beispiel. Er kannte mich gut genug um zu wissen, dass ich eigentlich nicht so überheblich war, wie ich mich Edita gegenüber gab.
Es war einfach eine schlechte Eigenart einer Frau gegenüber, die mir wirklich gefiel. Ich wollte Situationen gern kontrollieren. Ich wusste genau, was ich wollte und nahm es mir. Aber wenn ich ehrlich zu mir selbst war, war das Edita gegenüber nicht fair – nicht nach der Vorgeschichte, die wir miteinander teilten.
Wenn sie das Recht hatte, einem Mann gegenüber abweisend zu sein, dann bei mir. Schließlich war ich mit dafür verantwortlich, dass ihre Jugend so beschissen verlaufen war. Ich wollte herauszufinden, was sie nach ihrem Schulwechsel noch hatte durchmachen müssen. Ich schämte mich inzwischen für mein damaliges Verhalten. Vermutlich wäre es richtig, mich bei ihr zu entschuldigen – auch, wenn inzwischen so viele Jahre vergangen waren.
Je länger ich in der folgenden Nacht darüber nachdachte, desto klarer wurde es mir: ich hatte mich wie ein Idiot verhalten; früher, aber auch heute. Das bedeutete nicht, dass ich weniger entschlossen ihr gegenüber auftreten wollte – aber eine Entschuldigung für meine ignorante Art ihr gegenüber verdiente sie trotzdem.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen fuhr ich erst ins Training, bevor ich nach einer heißen Dusche auf die helle Couch in meinem Wohnzimmer fiel und schließlich versuchte, Edita anzurufen. Ich rechnete nicht damit, dass sie nach ihrem Abgang am gestrigen Abend mit mir reden würde, aber ich glaubte zumindest, dass sie so erkennen würde, dass ich einen Schritt auf sie zumachte und über mein Verhalten nachgedacht hatte.
Ich wollte gerade auflegen, als es nach einer gefühlten Ewigkeit schließlich doch noch Editas Stimme hörte.
„Hallo..."
„Ich bin's, Raf."
„Was willst du?", fragte Edita abweisend. Sofort begann es in mir zu brodeln. Auch, wenn ich sie aus Reue angerufen hatte, nervte es mich, wenn sie in diesem Tonfall mit mir sprach.
„Mich entschuldigen."
Eine unangenehme Stille entstand. Ich fuhr mir mit der flachen Hand über den Kopf. Sekunden wurden zu Stunden. Wieso tat ich das? Klar, ich hatte mich gestern uncool verhalten und dumme Dinge gesagt, vor allem das mit dem Masturbationsfinger, aber ich hatte sie auch nicht aufs Übelste beschimpft. Außerdem war ich ihr genau genommen gar nichts schuldig, ganz egal, ob ich mich so fühlte. Schließlich hatten wir gar keine richtige Beziehung zueinander und-.
„Wofür genau?", unterbrach ihre kühle Stimme meine Gedanken.
„Ich hab ein paar Dinge gesagt, die nicht cool waren", versuchte ich möglichst vage, aus der Sache herauszukommen.
„Stimmt."
Dass Edita nur das Nötigste sagte, machte mich wahnsinnig, doch ich bemühte mich, nicht die Beherrschung zu verlieren. Schließlich wollte ich das Gespräch noch in eine gute Richtung lenken.
„Heißt das, du nimmst meine Entschuldigung an?"
Wieder dieses Schweigen! Sie machte das doch jetzt absichtlich!
„Hör auf, für mich Entscheidungen zu treffen", sagte sie irgendwann. Ihre Stimme war noch immer ernst, aber nicht mehr ganz so kühl. Das konnte ich ihr nicht versprechen, dafür war diese ganze Fremdbestimmung viel zu tief in mir verankert.
„Was hast du heute Abend vor?", fragte ich also, statt auf ihre Forderung einzugehen. Sie wusste vermutlich genau, was ich jetzt hören wollte.
„Ich bin verabredet", sagte sie jedoch stattdessen. Ich seufzte lautlos und versuchte meine aufsteigende Wut darüber zu kontrollieren. „Okay, dann hab einen schönen Abend."
Ich hatte versucht, meine Stimme so neutral wie möglich klingen zu lassen. Es war mir nicht leichtgefallen, über meinen Schatten zu springen und keine neue Forderung an Edita zu stellen.
„Danke, du auch. Bis dann."
Dann legte Edita auf. Ein wenig verwundert über mich selbst warf ich einen letzten Blick auf das Display. Ich hatte noch ziemlich viel Zeit bis zur Party heute Abend. Also entschied ich mich dazu, ins Studio zu fahren. John machte sich heute einen entspannten Tag mit seiner Freundin, aber ich wollte die Zeit nutzen, die ich hatte.
Wie so oft vergaß ich auch heute die Zeit im Studio. Also erreichte ich den Wohnblock, in dem Joshi wohnte erst, als die Sonne bereits untergegangen war.
Ich lenkte meinen Wagen in eine der letzten freien Parklücken und stellte den Motor ab. Dann stieg ich aus. Während ich zum Eingang des Wohnhauses lief, in dem Joshi wohnte, checkte ich mein Handy nochmal auf Nachrichten. Ich hatte es vor lauter Produzieren nicht geschafft, irgendwelche Texte zu lesen oder sie zu beantworten. Edita hatte mir nicht geschrieben.
Natürlich nicht! Es war schließlich auch erst einmal alles gesagt.
Als ich mich bei den Gedanken an sie erwischte, schmunzelte ich. Es war ihr tatsächlich gelungen, sich irgendwie in meinem Kopf einzunisten – was für ein Miststück!
„Oberste Klingel. Falls du es dir noch anders überlegst...", tippte ich in eine WhatsApp Nachricht an sie. Ohne zu zögern, schickte die Nachricht ab, dann sendete ich ihr meinen Standort.
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, dass ich vermutlich den nächsten Fehler machte, schob ich mein Iphone zurück in meine Hostentasche, drückte die Klingel herunter und wartete. Es dauerte einen Augenblick, bis der Summer ertönte.
Im schmalen Hausflur konnte ich bereits leise Musik hören. Als ich Joshis Wohnung erreichte, erwartete er mich bereits im Türrahmen. Wir begrüßten uns kurz, dann ließ er mich herein.
„Tut mir leid, Bruder, ich hab die Zeit vergessen", entschuldigte ich mich bei ihm, doch ich wusste, dass Joshi es mir nicht übel nahm.
Ich bahnte mir meinen Weg durch den kleinen Wohnungsflur in die rechts abgehende, kleine Wohnküche, in der sich bereits ein paar Gäste tummelten. Ich begrüßte kurz ein paar der Jungs, dann durchquerte ich das Wohnzimmer. Hier spielte sich der Großteil der Party ab.
Ich begrüßte ein paar weitere Leute, holte mir aus der Küche etwas zu trinken und trat mit der Flasche in der Hand auf den kleinen Balkon hinaus, der an Joshis Wohnzimmer angrenzte. Da die Luft draußen mild war, hatten sich auch hier ein paar Gäste versammelt; unter anderem auch John, der entspannt in einem der Plastikstühle saß und einen Joint rauchte. Als er mich sah, lächelte er aufrichtig und begrüßte mich kurz.
„Wo ist Cassie?", fragte ich und schaute mich suchend um. John zuckte mit den Schultern. „Hab sie verloren auf dem Weg auf den Balkon. Hast du sie drinnen nicht gesehen?", entgegnete er und reichte mir den Joint. Ich zog, schüttelte dann den Kopf und blies den Rauch aus. „Nee, Bruder, kein Plan", antwortete ich und zog ein weiteres Mal, bevor ich ihm den Joint wiedergab.
Wir unterhielten uns eine Weile, bis meine Flasche leer war und ich in die Küche ging, um mir eine neue zu holen. Auf dem Weg blieb ich bei ein paar Leuten im Wohnzimmer hängen, rauchte die letzte Zigarette aus meiner Packung, und kehrte schließlich irgendwann zu John zurück. Der erwartete mich mit einem breiten Grinsen. Inzwischen hatte er auch Cassie wiedergefunden. Die saß inzwischen in seinen Hoodie gekuschelt auf seinem Schoß. John hatte seine Arme um ihren Körper geschlungen und seinen Kopf an ihrer Schulter angelehnt.
„Was ist?", fragte ich, als ich sein Grinsen bemerkte.
„Dein Mädchen ist hier."
Meine Mundwinkel verzogen sich zufrieden zu einem leichten Lächeln.
„Sie ist nicht mein Mädchen", sagte ich ernst, dann schaute ich mich suchend nach ihr um. John deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Straße. „Sie hat gerade geparkt."
Wie hat euch das Kapitel gefallen? Wärt ihr an ihrer Stelle hingefahren? Immerhin hat er ja mal gezeigt, dass es ihm leidtut. Schonmal ein kleiner Fortschritt, oder was sagt ihr?
Und wer von euch hat Bock auf eine Geschichte über Cassie & John? :D
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