04 | Ragucci
Nachdem ich jetzt erstmal eine Viertelstunde geweint habe, weil mir geteilteliebe so ein geiles Cover gebastelt hat (danke dafür!!!), gibt es also das neue Kapitel. Ich bin gespannt, wie es euch gefällt. Vielleicht erfahrt ihr ja schon etwas mehr über die Vergangenheit von Edita und Raf. Das Kapitel möchte ich heute übrigens twerk_dirtytome widmen.
Ich versuchte all die quälenden Gedanken aus meinem Kopf zu verdrängen, als ich am Abend nach Hause kam. Vergeblich.
Vor meinem ersten offiziellen Arbeitstag war ich sowieso schon nervös genug gewesen. Dann hatte mir völlig unerwartet Raphael gegenübergestanden und – wie es eben seine Art war – alles nur noch schlimmer gemacht.
Eigentlich war ich aber selbst schuld. Offensichtlich hatte ich mich nicht eingehend genug mit meinem neuen Arbeitgeber beschäftigt, denn sonst wäre mir schon viel früher aufgefallen, dass Raf Camora, der dort gemeinsam mit einem gewissen Bonez MC unter Vertrag stand, niemand Geringeres als Raphael Ragucci war.
Völlig schockiert von dieser Erkenntnis hatte ich angefangen, ihn zu googlen; und war dabei fast vom Bürostuhl gefallen. Es fühlte sich an, als hätte ich die letzten Jahre musikalisch unter einem Stein gelebt. Ich hatte wirklich nichts von seiner Karriere mitbekommen, was vermutlich vor allem daran lag, dass ich privat ganz andere Musik hörte.
Dass er mit seiner „Kunst" offensichtlich dermaßen erfolgreich war, dass er höchstwahrscheinlich gut davon leben konnte, beeindruckte mich trotzdem nicht. Musiker hin oder her – für mich blieb er das arrogante Arschloch von damals. Ein heißes, arrogantes Arschloch.
Noch immer spürte ich den Schauer, der meinen Körper überrollt hatte, als er mich aus seinen braunen Augen ansah. Unter anderen Umständen könnte ich ihn ja vielleicht anziehend finden, aber so?
Ich verbot mir selbst jeden unangebrachten Gedanken über Raphael und betrat meine Wohnung im fünften Stock. Sie lag um die Ecke vom Alexanderplatz in einem Gebäude, in dem überwiegend junge Menschen wie Studenten und Auszubildende wohnten und war dementsprechend so billig wie winzig, aber für mich allein vollkommen okay.
Gegen Gebühr konnten die einzelnen Mietparteien die Waschmaschine und den Trockner gemeinschaftlich nutzen. Außerdem gab es im Keller Fahrradabstellplätze und einen großen Spind für alles, was nicht mehr in die Wohnung passte. Es gab einen Aufzug in sämtliche elf Etagen und einen Discounter direkt neben dem Haus. Außerdem gab es weitere Shopping-Möglichkeiten wie das Alexa-Center in unmittelbarer Umgebung.
Die Wohnung lag wunderbar zentral, sodass ich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in wenigen Minuten in Friedrichshain-Kreuzberg oder Prenzlauer Berg war. Bis zur Arbeit brauchte ich mit dem Auto acht Minuten, mit der Bahn zwanzig. Für mich also optimal gelegen.
Mein neues Apartment hatte einen Laminatboden, eine luxuriöse Fußbodenheizung, große Fenster und einen verschwindend kleinen Balkon. Besonders groß war es mit 23 Quadratmetern nicht, aber ich gelangte schnell zu der Schlussfolgerung, dass das irrelevant für mich wäre.
Ich schloss die Tür hinter mir und atmete tief durch. Auf eine Garderobe hatte ich aufgrund der geringen Wohnungsgröße komplett verzichtet. Da ich noch kein Schlüsselbrett angebracht hatte, schob ich den Schlüssel bloß von innen ins Schloss. Meine Blouson-Jacke hängte ich an den einzig existierenden Kleiderhaken, direkt an der Wohnungstür. Anschließend streifte ich mir die hohen Pumps von den Füßen und atmete erleichtert aus. Es tat gut, nach einem langen Tag von diesen mörderisch hohen Absätzen herunterzukommen.
Beim Betreten der Wohnung stand ich bereits halb in meiner kleinen, giftgrünen Einbauküche, die sich einem links offenbarte. Sie war bei meinem Einzug schon drin gewesen und in gutem Zustand, deshalb hatte ich sie nicht ersetzt. Es war wirklich nur eine Mini-Küchenzeile, bestehend aus einem Unterschrank, einer Spüle, einem Zweiplattenherd, einem Oberschrank links und einer integrierten Mikrowelle rechts. Der Kühlschrank befand sich im zweiten Unterschrank, der eigentlich keiner war.
Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich das weiß gekachelte Bad mit Dusche und Toilette. Es war gerade groß genug, dass ich mich einmal um mich selbst drehen konnte. Allerdings musste ich dabei darauf achten, nicht den Föhn von der Wand zu reißen.
Für welche protzige Bleibe gab Raphael wohl sein Geld aus? Mein Badezimmer passte bestimmt fünfmal in das dieses Arschlochs. Glücklicherweise würde ich ihm aller Wahrscheinlichkeit nach nicht sehr häufig über den Weg laufen. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass er wie ein beschissener Fluch war, den ich einfach nicht mehr loswurde.
Ich hoffte vielmehr, dass es mir gelungen war, mir den Sturm, der in mir tobte, nicht anmerken zu lassen, als ich plötzlich Raphael gegenüberstand. Sein düsterer Blick, der auf mir geruht hatte, hätte mich beinah wahnsinnig werden lassen; sowohl im negativen als auch im positiven Sinn. Doch ich war professionell geblieben, hatte ihm die Hand gegeben - so, als wären wir uns vorher noch nie begegnet. Seine raue Haut zu berühren, hatte so dermaßen gemischte Gefühle in mir ausgelöst, die ich bis jetzt nicht wirklich fassen konnte.
Meine Finger hatten sofort angefangen, unangenehm zu brennen. Gleichzeitig hatte ich mich danach gesehnt, richtig von ihm berührt zu werden. Schon möglich, dass das idiotisch von mir war.
Schwer seufzend trat ich ins Wohn- und Schlafzimmer. Es war gerade mal so groß, dass an der rechten Wand mein weißes Holzbett einen Platz gefunden hatte. An der linken Wand stand ein ebenfalls weißer, passgenauer Kleiderschrank. Ich durchquerte den Raum und warf einen Blick aus den bodentiefen Fenstern, die auf den kleinen Balkon führten, auf den lediglich ein schmaler Messingtisch, eher ein Tischlein, und zwei kleine Holzstühle passten.
Ich strich mir durch die Haare, dann sank ich erschöpft aufs Laminat und zog einen der letzten zwei Umzugskartons zu mir heran. Obwohl ich nicht viel mitgenommen und Monika mir geholfen hatte, waren noch ein paar übriggeblieben. Das lag vor allem daran, dass wir uns schlussendlich verquatscht hatten, statt weiter Zeug auszuräumen. Da wir uns eine lange Zeit nicht sehen würden, hatte ich den Umstand einfach akzeptiert, die Zeit mit Monika genossen und mich darauf eingestellt, die restlichen Kartons stattdessen heute Abend auszuräumen. Nach meiner unverhofften Begegnung mit Raphael kam mir das durchaus gelegen, um mich von meinen rund um ihn kreisenden Gedanken abzulenken.
Ich klappte die Pappkiste auf und wischte mir über übers Gesicht. Meine Mutter hatte immer zu mir gesagt, dass alles irgendwann wie ein Boomerang zu einem zurückkam. Ich hoffte inständig, dass dieser Boomerang Raphael ziemlich hart und unerwartet am Hinterkopf treffen würde!
Völlig neben der Spur von meiner Begegnung mit ihm am Vormittag, trug ich den Karton, den ich mir vornehmen wollte, in die Küche und versuchte dort, meine wenigen Habseligkeiten im kleinen Oberschrank zu verstauen.
Da ich mir die Wohnung vorher schon angeschaut hatte, hatte ich probiert, so wenig wie möglich, aber so viel wie nötig aus Wien mit hierher zu nehmen. Scheinbar war mir das ganz gut gelungen, denn keiner meiner wenigen Schränke wirkte überfüllt. Stolz überblickte ich mein logistisches Meisterwerk. Ich war erwachsen geworden und kümmerte mich hervorragend um mich und meine Bedürfnisse.
Ich war nicht mehr das kleine, dumme Mädchen ohne Selbstbewusstsein. Ich würde nicht zulassen, dass mich jemand noch einmal so zu Boden brachte wie Raphael damals. Rasch schenkte ich meinem Spiegelbild in der Scheibe der Mikrowelle ein selbstsicheres Lächeln. Sollte Raphael mir irgendwie blöd kommen, würde er schnell merken, dass ich mich verändert hatte und gern bereit war, ihm alles zurück zu zahlen. Wenn er es drauf anlegte, würde Raf Camora mich so richtig kennenlernen.
Was war das überhaupt für ein Name? War das jetzt sein Weg, sein bemitleidenswertes Ego aufzuwerten? Mit einem lächerlichen ... ja, was war das, ein Spitzname, ein Künstlername?
Ich lächelte spöttisch. Abgeleitet von Camorra, einer mafia-ähnlichen, kriminellen Struktur in der italienischen Region rund um Neapel. Glaubte er wirklich, dass ihn das bedrohlich erscheinen ließ? Er gehörte ja nicht einmal zu ihnen, nicht einmal ansatzweise!
Als ich bemerkte, dass ich schon wieder über ihn nachdachte, schüttelte ich seufzend den Kopf. Was machte er nur mit mir? Ich verstand nicht, wie er nach all den Jahren überhaupt noch einen Einfluss auf mich ausüben konnte.
Einmal mehr an diesem Abend schüttelte ich Raphael aus meinem Kopf, nahm die restlichen Gläser aus dem Umzugskarton und räumte sie ein. Anschließend widmete ich mich dem letzten Karton, der ein paar wenige Deko-Artikel wie Windlichter und Muscheln für mein kleines Badezimmer enthielt. Die Muscheln hatte ich selbst gesammelt, als ich meine Großmutter das letzte Mal in meiner Heimat Kroatien besucht hatte. Ich legte sie in die kleine Ablage über dem Waschbecken und versuchte, mein Bad notdürftig wohnlich und warm zu dekorieren. Dann gab ich der Orchidee, die auf der Fensterbank neben der Balkontür Platz gefunden hatte, ein wenig Wasser, bevor ich mich schließlich umzog und erschöpft in die weichen Kissen meines Bettes fiel. Ich fühlte mich sogar zu müde, um den kleinen Flachbildfernseher einzuschalten, den mir einer der netten Studenten aus dem vierten Stock fachmännisch mit einer Hängevorrichtung unter der Decke montiert hatte. So nahm der Bildschirm keinen Platz weg.
Frustriert biss ich mir auf die Zunge, als ich meine Augen schloss und die von Raphael automatisch wieder vor mir sah. Ich war hin- und hergerissen dazwischen, ihm das Leben zur Hölle zu machen und ihn zu ignorieren. Mein Verstand sagte mir, dass ich nicht Gleiches mit Gleichem vergelten musste, aber die von Schadenfreude gekrönt Vorstellung, das Arschloch irgendwie auflaufen zu lassen, konnte ich nicht komplett vertreiben. Es war einer dieser Momente, in denen sich eine gestandene Frau wie ein gekränkter Teenager fühlt. Aber ich hatte ja auch noch bis morgen Zeit, mir zu überlegen, wie ich mich verhalten wollte. So, wie ich mich kannte, würde das alles in einem riesigen Chaos enden.
Ihr seht also, die Beziehung der beiden ist auf jeden Fall ein wenig vorbelastet. Edita hat jedenfalls nicht wirklich Bock auf ihn. Aber ob das berechtigt ist? Was glaubt ihr, ist da zwischen den beiden vorgefallen? Schreibt es in die Kommentare.
An der stelle ein fettes Dankeschön an alle Leser, Voter und Kommentar-Schreiber für die unglaubliche Resonanz auf Gotham City. Habe nicht damit gerechnet.
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