Kapitel 4: Türkis (Yoongi)
Kapitel 4: Türkis, wie die andere Seite des Monsters (Yoongi)
Meine Finger hoben sich sacht von der Bettdecke ab, nur um wenige Augenblicke später dumpf wie Regentropfen herabzufallen und das Spiel von Neuem zu beginnen. Mein Kinn lehnte schwerfällig auf der Brust, während ich auf der Kante des Bettes saß und mich vor einer Entscheidung sah. Aufstehen, den Schritt wagen und diesen Raum verlassen oder mich zurücklehnen und die Augen vor der Wirklichkeit verschließen. Seit mehreren Stunden wartete ich bereits darauf, dass mir die Antwort zufliegen würde. Seit mehreren Stunden wartete ich auf eine Rettung, die mir diese Qual nehmen konnte. Aus den Kopfhörern über meinen Ohren schallte immer wieder die selbe Melodie, die selben Töne, im selben Takt.
Mein letzter Versuch die Schreie verstummen zu lassen.
Ich fühlte mich gefangen. Ein Raubtier, das in seinem winzigen Käfig die ewig gleichen Kreise zog, während die Menschen an den Glasscheiben standen und mit großen Augen dessen Bewegungen bestaunten – ohne zu verstehen, dass dessen Augen vor Schmerz überquollen. Ich hasste das Gefühl gefangen zu sein. Wahrheit oder Lüge? Lüge oder Wahrheit? Die Gitterstäbe hinderten die Antworten daran, meinen Körper zu erreichen. Das seichte Wispern ihrer Stimmen ließ mich wissen, dass sie warteten.
Das Lied begann von Neuem. Von Neuem. Von Neuem.
Die Botschaft der gesungenen Worte hatte langweilige Züge angenommen und mein Gehirn forderte höhere Ansprüche, um zu vergessen wie sehr es an seiner Gefangenschaft litt. Wie sehr es die Freiheit vermisste. Der Bildschirm des Smartphones blendete meine lichtempfindlichen Augen und brachte mich einige Male zum Blinzeln, bevor ich Worte erkennen konnte. Unsanft bohrte ich meinen Fingernagel in das Display und betätigte die 'Stopp'-Taste des MP3 Menüs. Stille breitete sich aus, beanspruchte jede meiner Nervenzellen und ließen den Kopf schmerzen. Die Krallen der Bestie kratzten über den seidigen Stoff der Decke, verschonten ihn allerdings vor der Zerstörung. Andere Dinge sollten an seiner Stelle leiden.
Wie in Trance umfasste ich erneut das Mobiltelefon, zog mir in einer unendlich langsamen Bewegung die Hörer vom Kopf. Einen kurzen Moment wiegt ich sie in meinen Händen, bevor ich das Kabel aus der Verankerung löste und es neben mich legte. Sie hatten nichts Falsches getan, immerhin hatte es versucht mich zu retten, mir Träume von weiten Ebenen und den Duft der Freiheit geschenkt. Mein Blick hob sich von dem technischen Gerät und heftete sich an ein äußerst bekanntes Bild, welches mir mit leicht geöffnetem Mund entgegenblickte. Diese unverwechselbaren grünen Haare, die ihm ins Gesicht hingen und die erschöpften, brauen Augen verdeckten. Das Gesicht meines Spiegelbildes verzog sich zu einem schiefen Lächeln. Beinah konnte ich hören, wie es etwas flüsterte. „Hallo Tiger." Ich rutschte ein kleines Stück vor, sodass ich drohte vom Bett zu fallen, erwiderte das Grinsen meines Gegenübers. Die Muskeln in meiner Hand krampften sich zusammen und hoben das Handy an.
Ein ohrenbetäubendes Klirren, besser als jede Musik, hallte durch den Raum. Scherben fielen wie glänzende Tränen zu Boden, breiteten sich zu einem See an meinen Füßen aus. Ein ersticktes Lachen kam über fremde Lippen. Das Glas hätte längst zerschlagen werden müssen.
Nun überkamen mich die schrillen Schreie der Worte, auf die ich schon so lange gewartete hatte. Die einzige mögliche Antwort, natürlich, wie konnte ich es vergessen? Ruckartig erhob ich mich von meinem Platz, ein stumpfer Schmerz fuhr in meine Füße. Was für ein armseliges rhetorisches Mittel. Barfuß über Scherben? Aber Blut schrien die Worte, die einzige Lösung um zu entfliehen. Keine Musik, keine Versprechen, niemand könnte den Verlust der Freiheit rückgängig machen.
Ein Klopfen. „Yoongi? Alles in Ordnung?" Manchmal vergaß auch der klügste Jäger, dass seine Taten nicht unbeachtet blieben. Immerhin war dieses nicht nur mein Revier, sondern auch seines. Aber ich wollte nicht, dass er hinein kam. Er könnte mich auch nicht retten. Er würde durch die Scheibe starren und bewundern, wie hübsch ich doch war und wie wunderbar ich alles meisterte. Er würde das Rot nicht sehen, er würde das verdächtige Schimmern nicht bemerken. Meine Gefühle blieben ihm verschleiert, bis er mit eigenen Augen sehen würde, wie ich den letzten Schritt über den Abgrund wagte. „Verschwinde Jungkook." Meine Stimme war tiefer als gewohnt, bedrohlicher, denn etwas anderes hatte sich in mir gelöst. Die Trauer war nicht mehr allein, tatsächlich hatten die Tränen des Spiegels mit ihren Antworten recht gehabt. Kochend heiße Wut verglühte auf meiner Haut.
Die Tür öffnete sich zögerlich. Im Spalt war Jungkooks schwarzer Haarschopf zu erkennen, während sein Blick neugierig und gleichzeitig besorgt das Zimmer absuchte. Seine Hände um die Klinke verkrampften sich, als er meine krumme Haltung bemerkte. „Hyung?" Das Zögern löste sich nicht auf, als er den Raum betrat und langsam auf mich zu kam.
Lauf Jungkook, lauf.
Seine Schritte knirschten auf den silbernen Scherben. „Hyung, was...?" Seine Frage konnte nicht zu einem Ende gebracht werden, da ich ihn am Kragen seines roten Pullovers packte und gegen die nächste Wand warf. Erschrocken über meine Handlung, schnappte er keuchend nach Luft, umfasste in Panik meine Handgelenke. „Yoongi, hör auf!" Oh nein, nicht wenn du hier bist um dir meine Lügen anzuhören. Nicht wenn du hier bist um mir deine Lügen zu erzählen. Ein Schrei kam über seine Lippen, als meine Faust ihn ins Gesicht traf. Durch den schrillen Ton getroffen, taumelte ich zurück und fasste mir an den schmerzenden Kopf. Ich drohte nach hinten zu kippen, als plötzlich zwei zarte Hände meine Schultern umfassten. Die Stimme des Jüngeren erschien vor mir. „Yoongi! Hör auf! Du musst das nicht allein überstehen! Jin..." Klick. Die Sicherung war mit einem Schlag vollkommen verbrannt und sprang nutzlos heraus. „Wie kannst du es wagen seinen Namen zu nennen!" Mein Knie traf seinen Bauch, sodass er mit einem schmerzerfüllten Keuchen rückwärts fiel. Seine wärmenden Hände verließen ihren Platz. Die Scherben bohrten sich mit jedem Schritt in meine Fußsohlen, als ich auf den Schwarzhaarigen zuging, der sich Halt suchend an die Wand lehnte. Doch bevor ich weiter handeln konnte, sprang er auf mich zu und schlang seine Arme um meinen Körper. „Bitte Hyung! Wach auf! Wach auf!" Schlief ich denn? Warum war da sonst das Pochen meiner Füße, das Brennen an meinen Fingerknöcheln? War es besser zu Schlafen? Kurz suchte ich mit meinen Augen sein Gesicht ab. Blut quoll aus der aufgeplatzten Lippe, weiteres der roten Flüssigkeit bahnte sich einen Weg aus seiner Nase. Die Pupillen waren gefüllt mit Angst und Besorgnis, die vielen Gefühle verliehen ihnen einen vertrauten Ausdruck. „Tut mir Leid.",hauchte er, bevor mich ein Schlag seinerseits ins Gesicht traf. Ich wurde aus seinen Armen geworfen und landete im Rahmen des Spiegels. Einige der letzten Scherben, die sich tapfer an der Halterung hielten, fielen zu Boden. Die Schmerzen wurden immer leiser, stattdessen breitete sich ein Piepen in meinen Ohren aus. So würde das nicht Enden. Jetzt rannte ich auf den Jüngeren zu, schleuderte ihn gegen das Bett. Seine Füße suchten auf den glitschigen Scherben nach Halt, verloren ihn und nun stürzte er die Klippe hinab. Ein dumpfes Keuchen war zu hören, als er mit der Seite auf das Holz fiel und schließlich benommen liegen blieb.
„Was ist denn hier los?!" Eine weibliche Stimme durchstach das Piepen. Es war mir komplett egal, wer diese Worte sprach, denn ich hatte nur noch ein einziges Ziel vor Augen. Die Beute war noch nicht erlegt. „Verdammt, Yoongi!" Etwas packte mich am Arm, doch knurrend umfasste ich das zugehörige Handgelenk. Ich würde mich nicht mehr aufhalten lassen. Blitzschnell fuhr ich herum, wobei mein Ellbogen sein anvisiertes Ziel traf. Abrupt ließ die Hand von mir ab, als sie nach hinten taumelte. „Nari?!" Eine weitere Person stürmte in den Raum, hielt inne um mich anzusehen. „Yoongi?!" Die Verwirrung war dem Leader deutlich anzusehen, aber ja: Hier stand ich. Einige Sekunden lang tat keiner von uns eine Bewegung, bevor er sich auf mich stürzte. Es gab immer eine Hyäne, die dem Tiger sein Opfer entriss. Durch einen kräftigen Schlag ins Gesicht verlor ich mein gesamtes Gleichgewicht und stürzte auf die Knie. Glas bohrte sich in meine stützenden Handflächen. Der Blick verschwamm langsam, auch ein mehrmaliges Zwinkern konnte mir die Klarheit nicht zurück bringen. Gab es überhaupt noch einen klaren Blick? Das kreischende Piepen in meinen Ohren wurde lauter, sodass ich mir an den Kopf fassen musste. Auf den Scherben konnte ich nur eines erkennen: Mich. Verunstaltet, blutend und verlassen. Meine Augen flimmerten mir trüb in milchigem Weiß entgegen. War das wirklich ich? Dieses rote Zeug in meinem Gesicht, dieser Ausdruck. Niemals würde so etwas zu mir gehören. Als wäre alles nicht anstrengend genug, veränderte sich das Bild. Statt meines Aussehens betrachtete ich nun ein Anderes. Jin? Das machte alles überhaupt gar keinen Sinn! Verlassen hatte er uns, wie konnte er plötzlich auftauchen?
Das Piepen verschwand. Die trüben Augen erblickten ein klares Bild. Der undurchdringbare Wald aus Gedanken lichtete sich-
Was hatte ich nur getan?
Mit einem einzigen Satz stand ich erneut auf den Füßen. Trotz der Stille prasselten tausende von Fragen auf mich ein und auf keine wusste ich eine Antwort. Diese Gefangenschaft war anders. Als hätte der Tiger versucht durch die Stangen zu kriechen, dabei vergessen wie groß und gefährlich er wa, sodass er nun zwischen seiner Welt und der Freiheit feststeckte. In Panik hatte er Leute verletzt, bis ihm etwas erschienen war, das seine Sicht verändert hatte. Alles an mir zitterte. Die Hände, die Knie. Alles schien mit Kälte überzogen, trotzdem meine Haut unter Feuer brannte. Weg, weg. Ich musste hier weg.
Wie irre, machte ich auf den Absatz kehrt und rannte in den einzigen Raum, der mir freundlich seine Hand entgegen streckte. Die Tür zum Badezimmer war nur angelehnt, dennoch stieß ich sie mit meinem gesamten Gewicht auf. Kaum war ich in den grauen Raum voller bösartiger Erinnerungen gestolpert, presste ich die Tür zu und warf mich mit dem Rücken dagegen. Das war nicht ich! Dieses Monster war es gewesen! Diese Bestie! Tränen rannen mir in Strömen über die Wangen, tausende Schreie kratzen in meiner Kehle, doch keiner konnte wirklich entfliehen. Ein ersticktes Keuchen war das Einzige, was ich zu Stande brachte. Da war sie wieder, diese Gefangenschaft. Stopp, nein, halt! Ich wollte das nicht mehr. Diese Kreisläufe, dieses Glas, diese Stäbe! Ich wollte Lachen, Atmen, Leben!
In meinem Chaos stürzte ich auf das Waschbecken zu und klammerte mich daran, als würde es mir helfen können. Wasser lief über meine mit Blut überzogenen Fingerknöchel.
„Yoongi?" Schluchzend wandte ich mich der Stimme zu. „Hör auf damit! Du bist doch Derjenige, der mich in diesen Käfig gesperrt hat! Seit Tagen sitze ich darin und flehe um Freiheit!" Ein Seufzen war zu vernehmen. „Glaubst du wirklich, dass ich es war?" Die Lösung lag nahe. „Nein! Ich allein habe diese Zäune gezogen." Es war alles so einfach. „Du hast mich angestiftet. Du bist gegangen und hast mich allein gelassen." Mein Blick klammerte sich an die mir unbekannten, beschmierten Hände. Das Blut war kaum zu lösen. „Jin, das bin ich nicht! Ich wollte das nicht!" Kurz musste mein Satz unterbrochen werden, als ich keine Luft mehr bekam. „Ich wollte doch nur raus! Aber dieses Monster war da und...." Von hinten schlangen sich zwei kräftige Arme um meinen Körper. „Ich weiß, Yoongi. Ich weiß." Eine kurze Pause entstand. „Und ich weiß auch, dass ich dieses Monster habe entstehen lassen." In meinen Bemühungen das Blut und die Erinnerungen abzuwaschen, hielt ich inne. Er sprach weiter: „Aber Yoongi, du bist nicht allein." Jins Stimme war so nah an meinem Ohr, dass ich seinen Atem spüren konnte. „Warum kam Jungkook wohl zu dir? Weil er dir helfen wollte. Warum bin ich hier? Weil du mich brauchst." Die Tränen stoppten. „Denn dieses Monster schreit Namen. Es schreit nach Hilfe. Hörst du es?" Stumm seinen Worten lauschend, nickte ich. „Dieses Vieh bist nicht du, Min Yoongi. Lass es nicht Herr über deine Sinne werden. Sperr es nicht ein, sondern reich ihm deine Hand und nimm es in den Arm. Sofort wird es verstummen." Ein Finger strich vorsichtig über meine Wange, verwischte die glatten Spuren der Tränen. Meine Augen hoben sich. Im Spiegel konnte ich nicht nur mein verunstaltetes Selbst erkennen, sondern konnte auch Jins klare Statur hinter mir. Seine Lippen zierte ein zaghaftes Lächeln. So viel Hoffnung in einer Person. „Und wenn es mir wehtun möchte?" Kurz schienen seine sternenklaren Augen zögerlich zu sein. „Leider wird es dir wehtun. Aber dann sind da Menschen, die dich auffangen, wenn du fällst. Und dann bin da ich, der dich sofort von der Klippe wegzieht." Schlagartig drehte ich mich um und warf mich in seine Arme. Er würde mich nicht verlassen. Niemals würde er das tun.
„Aber ich habe so viel Schreckliches getan." Meine Verzweiflung klang dumpf an seiner Schulter. „Dann geh da jetzt raus und sag ihnen genau das." Aber würden sie mich nicht verstoßen wollen? „Sie werden..." „...dir verzeihen, genau." Ich vergrub mein Gesicht noch tiefer in Jins weißem Hemd. „Komm geh, ich bin doch bei dir." „Aber nicht so. Nicht... menschlich." Sanft wanderten seine Hände von meinem Rücken auf meine Schultern und drückten mich zurück, sodass ich mich zwangsweise von ihm lösen musste. Seine Augen schimmerten in reinstem Silber. „Was ist überhaupt menschlich, Yoongi? Wenn du nach mir rufst, werde ich da sein. Die Zeit mag den meisten als kaltherzig erscheinen, doch sie gibt mir Freiheiten, von denen ich nie zu träumen gewagt hätte." „Danke." Ein Hauch von Stimme kam aus meinem Mund, brüchig, bereits zerbrochen. Allerdings hatte gerade ein wunderbarer Mensch begonnen Stück für Stück aneinander zu kleben. „Und jetzt geh und sag ihnen, was du so lange verschwiegen hast."
Mit dem Schließen der Tür verschwand auch Jin, jedoch nicht die Hoffnung, die seine Worte in mein Herz gepflanzt hatten. Ich war nicht allein, niemals. Meine blanken Füße hinterließen rote Abdrücke auf dem Parkettboden des Flures. Geräusche drangen aus der Wohnstube zu mir herüber, genauso wie ein warmer Lichtstrahl sich auf dem Boden abzeichnete. Das Tor stand offen, als würden sie auf mich warten. Als würden sie auf den entflogenen Vogel warten, der laut krächzend nach Hause zurückkehrte. Bevor sie mich sehen konnten, hielt ich kurz inne. „Er konnte nichts dafür! Er fand einfach keine Worte für seine Trauer. Gegenüber uns wollte er immer stark wirken, doch auch der stärkste Wolf wird irgendwann müde!" Jungkooks Worte jagten mir eine Gänsehaut über den Rücken. Hätte ich Zweifel an Jins Worten gehabt, so wären diese nun endgültig dahin. „Trotzdem sollten wir ins Krankenhaus und dich untersuchen lassen. Vielleicht ist noch mehr passiert." Namjoon sprach langsam und bestimmt. Natürlich wollte er weiteren Schaden an der Gruppe vermeiden, denn momentan befanden sich von Sieben nur Zwei an ihrem rechtmäßigen Platz. Tief zog ich die Luft in meine Lungen, bevor ich den ersten Schritt wagte um meine Position zurück zubekommen – wenn sie mir verzeihen würden.
„Yoongi!" Der von kalter Besorgnis erfüllte Raum, glänzte plötzlich in farbenfroher Freude. Der Jüngere, der zuvor noch nervös auf der Lippe gekaut hatte, blickte mir mit einem ehrlichen Lächeln entgegen. Nari und ihr Bruder schwiegen- Ich konnte sie verstehen. Niemand würde einem Raubtier glauben, wenn es zuvor tiefe Narben ins Fleisch gerissen hatte. Mit eingezogenem Kopf stellte ich mich vor die Drei, versuchte die blutigen Fingerknöchel irgendwie zu verbergen. „Ich..." Ein Ansatz, der sofort scheiterte. Erneut überkamen mich Tränen, das Zittern kehrte zurück und legte sich wie eine erstickende Decke über mich. Machtlos fiel ich auf die Knie, presste mir die Hände vor das Gesicht. Soviel wollte ich sagen, doch kein einziges Wort überkam meine heftig klappernden Zähne. Ein Arm legte sich sanft, aber dennoch kräftig über meine Schulter. Blind ließ ich mich von ihm leiten und spürte wie mein Kopf an etwas Weiches stieß. Durch das schmerzhafte Keuchen das folgte, wusste ich, dass es nur Jungkook sein konnte. Sein Körper schenkte mir ein wenig Wärme.
„Du musst nicht Springen, Yoongi. Wenn du möchtest, kann ich dich festhalten."
---- Nari ----
Das Geräusch der sich öffnenden Tür und das Quietschen von Turnschuhen brachten keine Abwechslung. Fast wartete ich schon auf diese typischen Anzeichen, wenn mein Bruder den Raum betrat. „Jungkook geht es gut. Ein paar Prellungen, aber das wird wieder. Habe ihn erst einmal bei Jimin untergebracht." Geräuschlos nickte ich. „Jimin wollte sowieso mit ihm reden. Würde mich mal interessieren was er ihm sagen will." Ging uns das überhaupt etwas an? Jimin war für mich zu einem undurchsichtigen Rätsel geworden, das ich trotz zahlreicher Hilfsmittel nicht zu lösen wusste. Ebenso wie Yoongi. Die Trauer veränderte Menschen – positiv wie negativ. Sie brachte uns zu Boden, damit wir lernten auf die Füße zu kommen. Und die Befallenen mussten sich entscheiden den steinigen Weg dorthin allein oder gemeinsam zu bestehen. Zweiteres war nicht immer die bessere Option. Diese Art der Wahl war für einige schrecklicher als der erneute Aufstieg in das Leben und das hatten wir an Yoongi schmerzhaft beobachten müssen. „Geht es dir auch gut?" Namjoon versuchte meinen abgeschweiften Blick zu deuten und scheiterte kläglich. „Du hast seit heute Morgen kein einziges Wort mehr gesagt." Was sollte ich auch sagen? War nicht bereits alles gesagt worden, nachdem ich Jimin aus dem Tod geholt hatte? Oder nachdem ich einen Schlag von Yoongi abbekam, um Jungkook diese Folter zu ersparen? Für mich war das genug und ich brauchte eine Auszeit von dieser schreienden, kreischenden und plappernden Welt. Wenigstens bei Jin konnte ich in Frieden meinen Gedanken nachgehen. Der junge Mann hielt nichts ahnend meine Hand, während ich über Geschehnisse grübelte, die er zu verhindern gewusste hätte. Wenn er nicht hier liegen würde, an der Grenze zum Tod entlang reiste, wäre nichts von all dem passiert. Ich würde in meiner Schule sitzen und auf Anrufe meines Bruders warten, welcher aufgrund von Zeitverschiebungen nur zu den unmöglichsten Zeiten anrufen konnte. Mal ganz davon zu schweigen, dass er noch sechs andere Schäfchen zu hüten hatte, die unbedingt ein fremdes Land erkunden wollten, allerdings gezwungen wurden ihre Arbeit zu verrichten. Die Sieben wären glücklich auf ihrer Tour in den U.S.A, in Kanada, in Europa unterwegs und verzauberten die Herzen ihrer Fans. Eine Träne quoll aus meinem Augenwinkel.
Selbst wenn wir nicht in dieser Situation gefangen wären, würden wir niemals normale Leute darstellen. Ich vielleicht, doch auch in der Schule kannten mich einige nur als „Die Schwester von Rap Monster." „Nari?" Durch seine weiche Stimme und die Berührung an meiner Wange zuckte ich derartig zusammen, dass ich beinah Jins Hand losgelassen hätte. Mit Erstaunen erkannte ich, das sich rote Striemen daran abzeichneten. Mein Griff war wohl etwas zu fest gewesen.
„Möchtest du erzählen, was du gerade gedacht hast?"
Doch da öffnete sich die Tür von Neuem. Hand in Hand betraten zwei bekannte Personen den Raum und schauten mit hoffnungsvollen Gesichtern zum schlafenden Jin.
Der Schwarzhaarige Junge hatte es sich auf dem Krankenbett gemütlich gemacht. Die Beine waren lässig überschlagen und nur seine Schulterblätter berührten die Wand hinter ihm. „Geht's?" Tatsächlich war es schwierig eine Position zu finden, in der die Verletzungen nicht schmerzten, doch so war es auszuhalten. Er nickte. „Darf ich mal sehen?" Jungkook vertraute seinem Freund, also wippte er erneut mit dem Kopf. Zu müde war er, um eine Antwort hervorzubringen oder gar selbst seine Arme zu benutzen um den Pullover hochzuschieben. Mental bereitete er sich bereits auf Jimins kalte Hände vor, diese legten sich allerdings überraschend warm an seine Seite. Der Ältere hob vorsichtig das Kleidungsstück an und blickte auf einen blauen, teils grünlichen See aus eingelaufenem Blut, der sich in Jungkooks Haut abzeichnete. Beinah hätte er vor Schreck auf gekeucht. Als Namjoon ihm erzählte, was passiert war, hatte er niemals mit diesem Ausmaß gerechnet. „Wie konnte Yoongi dir das nur antun?",sprach er seine Gedanken laut heraus, riss seinen Blick von den Prellungen hoch und fixierte Jungkooks Gesicht. Auch dort fand er keine Ruhe vor den Verletzungen, denn seine Lippe war auf der rechten Seite leicht angeschwollen und mit Schorf überzogen. „Es war nicht seine Schuld.",ergriff der Maknae nun doch das Wort. „Er hat mich gewarnt, doch wie hätte ich ihn mit seinen Sorgen allein lassen sollen?" Auch Jimin konnte nicht leugnen, dass der Grünhaarige sich immer verschlossener gezeigt hatte. Nun wussten auch alle warum. Er hatte geglaubt, er müsse alles allein ertragen. Er wollte niemandem zur Last fallen und schon gar nicht, nachdem Hoseok und ich ebenfalls mitgerissen wurden. Das Chaos in seinem Inneren war zu groß geworden, bis es ihn wie einen Tsunami überschwemmt hatte und das nach Hilfe schreiende Monster ihn überkam. „Ich konnte nicht noch jemanden gehen lassen." Jungkooks letzte Aussage verwirrte den älteren Koreaner. „Was meinst du damit?" Kurz räusperte er sich, begann seine schmalen Finger in das weiße Lacken des Bettes zu graben. „Wäre ich in dein Zimmer gekommen und hätte dich mitgenommen, dann..." „Gibst du dir etwa die Schuld an dem, was ich getan habe?" Der Schreck in Jimin nahm eine gefährliche Größe an. „Ich hätte es verhindern können, wenn ich auch nur einen Schritt weitergegangen wäre!" Ruckartig setzte sich der Ältere auf und fixierte seinen Gegenüber. „Denk nicht mal an so etwas! Du hast überhaupt gar keinen Grund das zu denken. Du hättest es nicht verhindern können, Jeon Jungkook. Rein gar nichts. Ich war zu sehr gefangen in diesem Netz und niemand, nicht einmal du, hätte die Fäden zerreißen können." Der Kleine öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn allerdings sofort wieder. „Kookie, du hättest nichts tun können. Wirklich. Aber ich werde nie wieder mein Leben absichtlich wegwerfen. Und du wirst schnellstmöglich vergessen, was du dir in deinem Kopf zurecht gesponnen hast." Jimins Mundwinkel zogen sich ein Stück nach oben und zauberten so ein schüchternes Lächeln auf Jungkooks Gesicht. Dieser streckte mit einem Mal die Hand aus und führte sie an den Hals des Anderen. „Schön, das du sie trägst." Seine Finger hinterließen ein warmes Gefühl auf seiner Haut, als er über die Kette strich und dabei Jimins Schlüsselbein berührte. „Warum sollte ich sie nicht tragen? Das ist ein wunderbares Geschenk, Jungkook. Du kannst vermutlich kaum verstehen, wie viel mir das bedeutet." Mittlerweile war ihm auch klar, weshalb der Jüngere ihm das Geschenk nicht selbst überreicht hatte. Die Schuld warnoch zu tief in ihm gewesen. Das Lächeln, welches jetzt seinen Mund zierte, verriet, dass er es überstehen und überwinden würde. „Dankeschön.",hauchte Jimin und nahm Jungkooks Hand fest in seine eigene. Den Jüngeren würde er so schnell nicht mehr aus den Augen lassen. „Du brauchst dich nicht dafür bedanken." Eine kurze Pause entstand, bevor der Maknae fortsetzte. „Tust du mir einen Gefallen?" Ohne überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden, was gemeint sein könnte, nickte der Schwarzhaarige. „Dann geh mit mir zu Jin. Jetzt." Erstaunt über seine Forderung, suchte Jimin in den Augen des Anderen nach einer Erklärung, konnte jedoch nichts dergleichen finden. „Ich war in den ersten Tagen kurz bei ihm und seit dem nicht mehr. Bitte." Jimin nickte und schob seinen Körper vom Bett, ertaste sich seine Hausschuhe. „Na dann, komm." Er hielt noch immer die Hand des Kleinen und würde sie auch den gesamten Weg nicht mehr loslassen.
Ein Gefühl der Bewunderung macht sich in mir breit, als ich Jimin und Jungkook erkannte. Eigentlich hatte seit langer Zeit niemand mehr Jin besucht. Hin und wieder waren seine Eltern vorbeigekommen, doch eigentlich waren Namjoon und ich die Einzigen, die ihn bewachten. „Was macht ihr denn hier?",fragte mein Bruder, ihm war das Staunen genauso anzusehen. „Dürfen wir unseren Freund etwa nicht besuchen?" Namjoon hob abwehrend die Hände. „Darüber habe ich nichts gesagt, klar könnt ihr. Nur waren in letzter Zeit nicht so viele Menschen hier." Jimin lachte leise auf. „Aber die Aufmerksamkeit hätte unserer Prinzessin gefallen." Ohne ein Zögern ließ ich Jins Hand frei und fuhr mit Schwung rückwärts vom Bett weg. Plötzlich lag die allgemeine Aufmerksamkeit auf mir und ich lächelte ihr entgegen. Grenzte es nicht an ein Wunder, dass die Person, die uns zerrissen hatte, jetzt erneut versuchte die Gemeinschaft zusammen zukleben?
Lange Zeit saßen wir gemeinsam an seinem Bett und erzählten uns Geschichten. Simple Ereignisse, die schon so oft gehört worden waren und trotzdem den Drang auslösten, offenbart zu werden. Irgendwann, die Sonne hatte sich längst schlafen gelegt, kam eine besorgte Krankenschwester zu uns. Aufgebracht beschwerte sie sich über Jimin, der einfach verschwunden und unauffindbar gewesen wäre. Unter strengen Blicken scheuchte sie ihn zurück auf sein Zimmer, Jungkook tapste völlig übermüdet hinter ihm her.
Die Tür fiel ins Schloss und zurück blieben Namjoon und ich, die sich lächelnd anblickten.
„So fröhlich habe ich die Beiden schon lange nicht mehr gesehen."
In meine Gedanken stahl sich ein trauriger Gedanken und verdrängte die Freude zurück in die Ferne.
„Die Prinzessin versammelt ihre Untertanen für einen letzten Abschiedsgruß."
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Noch einmal der kleine Hinweis: Wem diese Geschichte hier zu traurig, zu poetisch oder auch zu kompliziert ist, kann gern einmal bei meiner anderen Geschichte "Zwischen Buttercreme und Mürbeteig" vorbeischauen. Dort erwatet euch eine viel buntere, kitschigere und humorvollere Welt. Vielleicht auch eine nette Abwechslung für die, die es bis hierher geschafft haben.
Feedback ist wie immer sehr gern gesehen. Sagt mir bitte was euch hier stört, was ihr euch beim Lesen denkt oder auch wie ihr glaubt, dass es weitergehen könnte. :)
Vielen Dank!
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