Pick me boy meets pick me girl



„Ich wollte nur eine Red-Bull-Dose haben. Marie hat mir ein Video geschickt, wie du einige weggeknallt hast", antworte ich ihm nach einer kurzen Pause. Verwirrt schaut er mich an, doch nun erinnert er sich langsam.
„Ach so, ja. Marie filmte mich, während ich mir welche gönnte. Ich hätte mir denken müssen, dass du deswegen zu mir kommst. Schließlich habe ich ja nichts Interessantes an mir." Warum sagt er sowas? Erst tut er so cool und jetzt so „pick me". Ich verstehe ihn nicht.

Er nimmt etwas Abstand von mir, um sich wieder auf seinen Sitzplatz zu setzen.
. „Na ja, du hättest da noch deine Red-Bull-Dosen", sage ich verführerisch während ich mich auf den leeren Sitz neben ihm Platz nehme. Er holt eine Redbull-Dose heraus, doch er gibt sie mir nicht. Er hält sie mir nur hin. Verwirrt schaue ich auf die Dose und dann zu ihm.
„Du musst schon dafür zahlen, sonst bekommst du sie nicht", antwortet er mir.

„Ich überweise es dir bald auf PayPal, aber ich brauche jetzt die Dose, sonst komme ich noch um vor Durst."
„Das war nur ein kleiner Witz, natürlich musst du nichts dafür zahlen." Er reicht mir die Dose, und ich ergreife sie schnell, bevor er doch noch seine Meinung ändert. Erleichtert atme ich auf, während ich die Red-Bull-Dose öffne.

Während ich trinke, schaue ich nach draußen. Draußen ziehen kleine Häuser und Büsche an uns vorbei. Es fühlt sich so sicher an, neben ihm zu sitzen und aus seiner Dose zu trinken, die er mir geschenkt hat. Jetzt meldet sich mein schlechtes Gewissen, dass ich ihn vorhin aufgezogen habe. Ob er sauer ist? Ich streiche mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr zurück.
„Jan?"
„Mmh?"

„Magst du lieber Cat Noir oder Ladybug?" Wie zum Teufel komme ich jetzt auf eine Kinderserie? Der denkt bestimmt, dass ich einen Knall habe. Fuck. Jetzt interessiert er sich bestimmt erst recht nicht mehr für mich. Kurz räuspert er sich, bevor er antwortet:
„Cat Noir." Überrascht schaue ich ihn an, denn ich habe nie damit gerechnet, dass er Miraculous Ladybug schaut.

„Cat Noir?"
„Wieso überrascht es dich, dass ich Miraculous Ladybug schaue? Ich finde, das kann man sich gut abends ansehen, so zum Einschlafen." Wie süß.

„Ich habe eben nicht damit gerechnet, dass du so etwas schaust. Und wenn ich ehrlich bin, finde ich das voll cool von dir."

„Du findest das also cool von mir, dass ich das schaue?" fragt er mich mit einem herausfordernden Unterton in seiner Stimme, während er mit seinem Gesicht noch dichter an meines kommt.
„Äh... ja... total", stottere ich. Mein Herz schlägt etwas schneller, und ich halte mich an seiner Stuhllehne fest, um Halt zu gewinnen. Er ist mir so nah gekommen, sodass wir die selbe Luft atmen, wir sind kurz davor uns zu küssen.
„Wieso wirkst du plötzlich so nervös? Kann es sein, dass du mich magst?" sagt Jan. Irritiert schaue ich ihn an. War ich etwa so offensichtlich?
„Ich bin nicht nervös. Ich bin nur... Ach, vergiss es", beende ich abrupt meinen Satz.

Jan legt seine Hand auf meine. Ich spüre erst jetzt durch seine große, warme Hand, wie kalt meine ist, doch seine Berührung fühlt sich alles andere als unangenehm an.

„Was tust du da?", flüstere ich. Unter seiner Hand spüre ich, wie meine nervös zu zucken beginnt. Doch bevor er antworten kann, werden wir beide von Clara unterbrochen. Reflexartig ziehe ich meine Hand schnell weg, bevor Clara es mitbekommt.

Der Bus bleibt plötzlich stehen, sodass Clara das Gleichgewicht verliert und direkt auf Jan Orions Schoß fällt.
„Der blöde Busfahrer! Er hätte ja mal sagen können, dass er bremst, bevor ich auf die Fresse falle," schimpft sie. Jan schaut mich hilfesuchend an, denn er ist sichtlich überfordert. Er hebt die Arme hoch, um seinen Rucksack mit den Red-Bull-Dosen in Sicherheit zu bringen.

„Wir machen jetzt eine kurze Pause an der Tankstelle. Ihr könnt gerne die Zeit nutzen, um euch etwas zu kaufen oder auf die Toilette zu gehen. In 20 Minuten fahren wir weiter," sagt der Busfahrer laut durchs Mikrofon.

„Jan, könntest du mir bitte beim Aufstehen helfen? Ich fühle mich so kraftlos." Ohne darüber nachzudenken, schubst Jan sie von seinem Schoß herunter. Kurz darauf liegt sie im Gang des Busses. Der Schreck steht Clara ins Gesicht geschrieben. Kurz tut sie mir leid.

Ich sehe, wie einige aus meiner Klasse ihre Handys rausholen, um das Szenario zu fotografieren. Tom, der gegenüber von Jan sitzt, lacht sich kaputt, so wie einige andere Mitschüler auch, doch irgendwie findet Marie das nicht lustig. Sie schaut Tom genervt an, nachdem sie ihn leicht in die Seite geboxt hat.
„Das ist nicht lustig, Tom. Wieso bist du nicht so freundlich und hilfst Clara beim Aufstehen?"

Plötzlich lacht er nicht mehr. Peinlich berührt steht er von seinem Sitz auf, geht an Marie vorbei und reicht Clara die Hand. Entschlossen nimmt sie seine Hand, und er zieht sie hoch.

„Irgendwann fällst du tief, Jan Orion Petersen, und ich werde dir dabei zusehen – mit einer Tüte Popcorn in der Hand," erwidert sie schlagfertig. Einige Mitschüler geben zustimmende Geräusche von sich.

Ohne sich zu entschuldigen, nimmt Jan seinen Rucksack und steht auf, um nach draußen zu gehen. Ich folge ihm nach draußen.

Ich folge ihm durch den fast leeren Bus nach draußen zur Tankstelle. Nachdem ich den Bus verlassen habe, steigt mir der beißende Geruch von Benzin und Zigaretten in die Nase. Zwar sind wir nicht bei einem McDonald's angehalten, aber wenigstens können wir nach draußen in die frische Luft.
„Jan, warte!" Kurz denke ich, dass er mich überhört, da er schon etwas weiter weg ist, Richtung Eingang. Doch nun bleibt er stehen und wartet, bis ich ihn eingeholt habe. Seine braunen Augen funkeln düster mit dem Sonnenuntergang um die Wette. Ein kühler Wind weht durch meine dünnen Klamotten, sodass die Kälte sich in meinen Körper ausbreitet. Ich war so dumm und habe meine Jacke und Fleecejacke neben Frau Lessing vergessen.
„Willst du mich konfrontieren, so wie es Marie bei Tom gemacht hat?" fragt er mich wütend. Zwischen seinen Augenbrauen bilden sich düstere Falten. Jan wirkt auf mich angespannt, denn er steht vor mir mit geradem Rücken, und seine Hände hat er in seiner Jogginghose versteckt, um sie warm zu halten.

„Ich will dich nicht konfrontieren, ich finde es einfach komisch, wie du..." Verzweifelt suche ich nach den richtigen Worten, da mein Kopf wie leer gefegt ist, wie fast immer, wenn ich versuche, ein Gespräch mit den tollsten Menschen auf der Welt anzufangen. Während ich nach den Worten suche, beobachte ich, wie er langsam auf mich zugeht, bis uns nur noch eine Armlänge trennt.
„Du bist heute so komisch drauf, und ich weiß nicht wieso."

„Weißt du, wer gerade komisch ist?" Irritiert schaue ich ihn an, denn ich habe keine Ahnung, was er meint. Er geht einen Schritt weiter auf mich zu, doch nicht auf romantische Art, sondern auf eine wütende. Ich fühle mich von ihm verunsichert, da ich ihn noch nie so aufgebracht erlebt habe.
„N-ein." Antworte ich ihm.

„Du bist komisch drauf." beendet er kalt seinen Satz. Jetzt trennt uns nur noch eine Handbreite. Zunehmend werde ich wütend, sodass meine Unsicherheit langsam vorübergeht.

„Was soll das, Jan? Erst tust du auf Pickme, dann auf der totale Good Boy und gibst mir ein Redbull und dann lässt du einen Klassenkameraden fallen, der auf den Boden hinfällt, davor legst du noch deine Hand auf meine, um was auch immer herauszufinden." Meine Stimme wird langsam wütender, denn auch ich habe langsam keine Geduld mehr.

„Lass es einfach gut sein, Hope. Du bist gerade sehr anstrengend. Du machst ein Problem aus etwas, wo gar keines ist", sagt er genervt, während er etwas weiter zurückgeht. Seine Miene ist unverändert. Ich fühle einen spitzen Stich in meinem Herzen, und seine Worte treffen mich härter als gedacht. Ohne es zu wollen, füllen sich meine Tränensäcke mit Tränen, doch bevor ich anfange, vor ihm zu weinen, gesellt sich Frau Lessing zu uns.

„Gibt es hier ein Problem?"

„Nein, gar nicht. Bei uns gibt es kein Problem." Antwortet Jan ruhig und betont dabei das Wort „kein". Frau Lessing schaut nun auch mich an, und ich beobachte, wie Jan schnell in den Eingang der Tankstelle verschwindet.

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