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„Ich bitte euch alle um eure Aufmerksamkeit!" Meine Lehrerin hebt ihre blonden Haare, die sie zu einem strengen Zopf zusammengebunden hat, und ihre braunen Augen schauen uns alle mit einem bestimmten, aber auch zumutenden Blick an. Ich erkenne an ihren leicht zuckenden Mundwinkeln, dass sie nervös wirkt. In diesem Augenblick bin ich froh, ihre Aufgabe nicht erledigen zu müssen. Das muss bestimmt anstrengend sein, 23 Jugendliche auf einer Klassenreise zu begleiten. Doch ihre Stimme verbirgt ihre Nervosität, denn sie klingt laut und deutlich, so wie immer, sodass sie jedes Nebengeräusch meiner Mitschüler übertönt.
Meine Klasse wird stiller und die meisten richten ihre Aufmerksamkeit auf Frau Lessing. Fordernd fängt sie an, unserer Gruppe zu erklären, wie es als Nächstes weitergehen würde. Während sie erzählt, geht sie vor dem Doppeldecker-Schulbus hin und her, sodass sie dabei von dem dicken Busfahrer einen genervten Blick kassiert.
„Also, sind alle denn schon da? Marie Knallkopf, bist du anwesend?" Ich schaue automatisch zu Marie rüber, während sie nach einer frechen Antwort sucht, ruft Frau Lessing ein weiteres Mal ihren Namen.
„Marie Knallkopf?"
„Äh ja, ich bin da, aber auf dem Weg wieder nach Hause, denn hier ist es ja schlimmer als ein Döner für 10€." erwidert sie sarkastisch. „Wir sind hier nicht bei Wünsch dir was. Obwohl ein Döner wäre schon geil." antwortet Tom.
Einige Mitschüler lachen los und mein Bauch rumort, da ich vergessen habe, zu frühstücken.
„Wenn ihr die kommende Woche mit mir und Herrn Dorn überleben wollt, dann rate ich euch, die Klappe zu halten, bis ich mit der Namensliste durch bin." Sofort wird es wieder ruhig.
„Jan Orion Petersen, bist du anwesend?"
„Ja", sagt Jan gelangweilt und flüstert nebenbei Tom etwas ins Ohr. Beide lachen. Ob die über mich reden? Nachdem Frau Lessing die Namensliste durchgegangen ist, melde ich mich.
„Wo ist eigentlich Herr Dorn? Ich sehe nur Sie und Mr. Busfahrer." Suchend schaue ich durch die Menschenmenge, doch ich erkenne ihn nicht. Hoffentlich ist er krank, denke ich im Stillen, denn mit ihm überlebt man auf keinen Fall eine Klassenreise.
„Hier bin ich schon." Wenn man vom Teufel spricht. Genervt lehne ich mich an meinen Koffer und ich kann einige Schweißperlen auf seiner nassen Stirn erkennen. Auf Herrn Dorns Stirn bilden sich Falten und er schaut nicht gerade glücklich aus, sondern eher etwas gereizt. Trotzdem funkeln seine türkisen Augen wachsam, während er jeden einzelnen Schüler betrachtet. Er trägt eine rote Herbstjacke und eine graue Jogginghose zusammen mit seinen schwarzen Nike-Schuhen.
„Was glaubst du?" flüstert Marie mir zu. „Ist das Schweiß oder Wasser auf seiner Stirn?"
„Keine Ahnung", antworte ich.
„Hoffentlich Wasser! Die letzten Male hat er ja wie Sau gestunken."
Ich kichere und Marie lacht lauthals los. Sofort bekommen wir einen bösen Blick von Herrn Dorn. Er schaut uns so an, als würde er wissen, dass wir über ihn reden. Unschuldig lächle ich ihn von weitem an und er gibt mir und Marie eine „Ich behalte euch im Auge"-Geste.
„Na schön, jetzt hat er uns auf dem Kicker", fauche ich Marie an.
„Willst du etwa damit sagen, dass es meine Schuld ist?", fragt sie empört.
„Wer hat hier denn angefangen, so laut zu lachen, du oder ich?"
Bevor Marie und ich uns gegenseitig hochschaukeln, kommt meine Mutter dazwischen.
„Reißt euch mal zusammen. Ihr benehmt euch wie Drei und ihr seid schon in der 8. Klasse."
Sofort werde ich still, denn ich habe großen Respekt vor meiner Mutter. Ich beobachte den Mr. Busfahrer, wie er den Frachtraum des Schulbusses öffnet.
„Bitte stellt euch in einer Reihe auf, sodass der Busfahrer eure Koffer unterbringen kann", weist uns Frau Lessing an und alle Leute, die sich versammelt haben, tun nach und nach ihre Koffer zu Mr. Busfahrer.
Plötzlich ging alles ganz schnell. Wenige Minuten später stehen nur noch ich draußen vor dem Bus mit meiner Mutter und Herrn Dorn, der ungeduldig mit seinem Schlüssel raschelt, während Mr. Busfahrer schon am Beifahrersitz Platz genommen hat.
„Sind denn alle so weit?" fragt Mr. Busfahrer, während ich beobachte, wie sich unsere Eltern verabschieden und anschließend gehen. Bevor meine Mutter geht, nimmt sie mich in den Arm.
„Dein Koffer ist schon im Gepäckraum. Hast du deine Wasserflasche eingepackt?"
„Ja, Mama", antwortete ich ein wenig genervt.
„Und deine Brotdose? Ihr werdet bestimmt nicht bei McDonald's eine Pause einlegen."
Ich drücke sie leicht von mir weg, sodass ich in ihr besorgtes Gesicht schauen kann. Sie sieht aus, als würde sie gleich weinen, obwohl ich nur eine Woche weg bin.
„Es ist alles in meinem Rucksack." Ich präsentiere ihr meinen schwarz-grauen Rucksack und sie lässt nach.
„Also gut. Ich werd dann mal losfahren nach Hause. Der Abwasch wäscht sich nicht von alleine." Schmunzelnd drückt sie noch leicht meine linke Schulter und verschwindet.
„Tschüss, Mama, ich hab dich lieb", denke ich und ich hoffe innerlich, dass sie das hört. Ich lächle, denn ich bin glücklich und nervös zugleich, denn ich weiß nicht, was mich auf dieser Klassenreise erwartet.
Zusammen mit Herrn Dorn steige ich die Treppen nach oben und ich spüre die warme Klimaanlage durch meine dünnen schwarzen Leggings. Herr Dorn nimmt sich den Platz neben Mr. Busfahrer und ich schaue durch den Bus. Dummerweise sind alle Plätze besetzt und einige Schüler haben unverschämt ihre Rucksäcke neben ihren freien Platz getan.
„Hope Thornfield, du kannst zu mir kommen", höre ich Frau Lessing fröhlich durch den Bus rufen. Einige Schüler werfen mir Blicke zu, die ich nicht so gut einordnen kann.
„Muss Frau Lessing auf die kleine Hope aufpassen, da sie sonst Mist bauen könnte?" kommentiert Tom mit einem neckischen Unterton.
„Halt die Fresse, Tom", antworte ich ihm genervt.
Jan Orion, der neben Tom sitzt, kichert, doch ich ignoriere ihn, da ich meinen Stolz bewahren möchte.
„Hope, es reicht", mischt Frau Lessing sich ein und ich werde zunehmend wütend, da ich ja nichts getan habe. Lustlos setze ich mich neben Frau Lessing, die nur zwei Schritte von mir entfernt sitzt und zwar direkt hinter Mr. Busfahrer am Fenster.
„Na super, das kann ja lustig werden."
Ich spüre, wie sich die Reifen unter unserem Schulbus in Bewegung setzen.
„Wie schön, dass ihr jetzt alle hier an Bord seid. Ich heiße Henrik Tietje. Bitte schnallen Sie sich an und genießen Sie die Fahrt."
„Ja, ganz bestimmt, nicht!"
„Zur Ostsee brauchen wir von Hamburg aus gute zwei Stunden mit Stau auf der Autobahn. Ohne Stau sind wir spätestens in einer Stunde da."
„Frau Lessing?"
„Ja?" Sie schaut von ihren Notizen hoch. Vermutlich schreibt sie gerade Themen auf für unsere Klassenreise. Ich hoffe so sehr, dass ich mit Marie in ein Zimmer komme, denn sonst ist die Klassenreise nur halb so schön. Ich will Frau Lessing fragen, ob sie den Sitzplatz neben mir tauschen möchte, da ich nicht so gerne am Gang sitze. Außerdem will ich in Ruhe Musik hören und aus dem Fenster schauen.
„Können wir den Platz tauschen?"
„Äh, ja klar."
Wir nehmen beide unsere Sachen und tauschen die Plätze. Ich hole mein Handy aus meiner Jackentasche und durchsuche meine Sachen nach den Kopfhörern.
„Wo sind die?" Leider sind die nicht auffindbar.
„Was suchst du denn?" Frau Krill schaut von ihren Notizen zu mir auf.
„Meine Kopfhörer. Die liegen vielleicht noch zu Hause rum."
Nervös klopfe ich mit meinen Fingern leicht an meiner Sitzlehne von meinem Stuhl.
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