Epilog

„Man ist, was man tut. Ein Mann definiert sich durch seine Taten, nicht durch seine Erinnerungen."

Total Recall

Die Aufbauarbeiten liefen im vollen Gange und allmählich erstrahlte Alexandria in seinem alten Glanz. Die Häuser, die zum Teil abgebrannt waren, standen wieder und die, die damals noch nicht bewohnbar waren, wurden fertig gestellt.

Der Zaun wurde an den Stellen, wo die Granaten eingeschlagen hatten, wieder ausgebaut und es wurden noch weitere Wachtürme errichtet, mit denen man in alle vier Himmelsrichtungen sehen konnte.

Trotzdem schaffte ich es, dass zumindest Rick und Carl endlich eine Pause einlegten. Und auch andere schienen mitbekommen zuhaben, das hier gerade etwas bedeutendes ablief. Zumindest bedeutend für Rick, Carl, Judith und mich.

Michonne saß ebenfalls mit Judith auf dem Sofa und beobachtete belustigt, wie ich unruhig von einem Ende des Wohnzimmers zum anderen lief. Ich war kurz davor Auszuflippen. Eugene werkelte seit einer gefühlten Ewigkeit an dem scheiß DVD Player rum und versuchte ihn zum Laufen zu bringen.

„Lexi. Was soll das? Wir haben noch-"

„Viel zu tun. Ja ich weiß.", unterbrach ich ihn genervt und ignorierte seinen Amüsierten Blick, den er mit Carl austauschte.

Seit einer Woche versuchte ich das Scheiß Ding zum Laufen zukriegen, doch es funktionierte nicht. Jemanden rausschicken, um einen Neuen zu besorgen wollte ich nicht. Nicht nur weil es wichtigeres zu tun gab, sondern auch, weil einige kleine Beißer-Herden um Alexandria und Hilltop streiften, die von dem Lärm der Schlacht immer noch angelockt wurden. Auch Sanctuary hatte noch mit den Beißern und dem zerstörten Zaun Probleme. Es war unfassbar, aber Dwight sorgte zusammen mit Aaron, Jesus und ein paar anderen Kämpfern, für die Säuberung. Sie halfen einander. WIR halfen einander.

Trotzdem war es für mich von aller größter Bedeutung, den Player zum Laufen zubekomme. Jede freie Minute, die ich entbehren konnte, in der ich nicht auf der Krankenstation war oder mit Rick zusammen die Streuner an den Zäunen beseitigte, versuchte ich das Gerät anzuschließen. Doch leider schien etwas an der Elektronik defekt zu sein. Mit Organen kannte ich mich aus. Platinen und Kabel waren mir jedoch ein Rätzel.

Eugene musste mitbekommen haben, dass mich ein Technisches Problem quälte, denn gestern hatte ich den DVD Player aus dem, zum Glück, offenen Fenster geschmissen. Genau vor Eugenes Füße. Er hob ihn einfach auf und fragte, mit seiner gewohnt monotonen Stimme, weswegen ich hier so offensichtlich randalierte, um meiner Wut Ausdruck zu verleihen. Seine Worte, nicht meine.

Fast den Tränen nahe, was allerdings an meiner Wut lag, erklärte ich ihm von der Dringlichkeit diesen Scheiß Player zum Laufen zu bringen. Natürlich war dies nicht mehr möglich, da das Gerät, den Wurf nicht überlebt hatte. Zu meinem Glück war Eugene ein Sammler, allermöglichen Gerätschaften, so auch von einigen Fernsehern und DVD Playern. Deswegen kniete er auch gerade vor dem Fernseher, der ein tatsächlich funktionstüchtiger Plasma war, und fummelte an dem neuen DVD Player herum, der einfach nicht angehen wollte.

„Soll ich Popcorn machen?", hörte ich Daryls Stimme, der das Wohnzimmer betrat. Sein Amüsierter Blick streifte mich und ich streckte ihm die Zunge raus, was ihn nur grinsen lies.

„Verarsch mich nicht!", schnaubte ich und wand mich an Eugene, der ein Heureka von sich gab.

Mit gerunzelter Stirn, sah ich auf den Mann vor mir, während Carl versuchte sein Lachen zu unterdrücken.

„Hat er gerade echt Heureka gesagt?", fragte Daryl sichtlich Amüsiert und trat neben mich, ich jedoch sah weiter auf Eugene, der sich endlich erhob und mir die Fernbedienung in die Hand drückte.

„Es war eine Überspannung der Platinen ich musste nur-„

„Danke.", unterbrach ich ihn schnell, da ich wusste wie lang seine Erklärungen sein konnten, „Du bist ein Genie."

„Da du das offensichtliche ansprichst, kann ich dir da kaum wiedersprechen."

Ich Lächelte anhand von Eugenes monotonem Ton, da ich diesen schon in den letzten Wochen kennen lernen durfte und ich musste zugeben: Ich mochte Eugene. Er war intelligent und offensichtlich ein totaler Nerd/ Sonderling, aber er hatte das Herz am rechten Fleck und fuck, er hatte den Scheiß DVD Player zum Laufen gebracht.

Er war mein Held des Tages.

Nervös ging ich an ihm vorbei und kramte den Pinguin aus meiner Hosentasche. Der Fernseher war an und auf dem Bildschirm war das Menü des Players zusehen. Ich hatte ganz vergessen, was diese Dinger alles konnten. Mein Blick fiel auf Rick, der kurz nickte, ehe ich den Körper des Pinguins in den USB-Port steckte.

Ich betätigte die Fernbedienung, als mein USB Stick als Dateiordner angezeigt wurde.

„Meint ihr wir können auch Film-Abende machen?"

Tara kam herein gestiefelt und sah fragend zu Eugene, der neben Daryl stehen geblieben war. Ich schmunzelte leicht und biss mir auf die Lippe um nicht aufzulachen. Ich hatte nämlich offensichtlich alle mit meiner Nervosität und Vorfreude, der verdammten Neugier, ob der Stick noch funktionierte, angesteckt.

„Kingdom veranstaltet regelmäßig Kinoabende, hat mir Carol erzählt.", meinte Carl und ich hielt den Atem an, als ich durch die vielen Ordner scrollte. Gott, wie viel Scheiß hatte ich bloß auf dem Ding gespeichert. Damals benutzte ich den Stick für Videos und Bilder, die ich Lori oder meinen Eltern zeigen wollte. Auch befanden sich einige Videos meiner Mitbewohnerin darauf. Als die Seuche langsam ausbrach und klar war, ich würde Kings Country bald verlassen, um in die Atlanta Innenstadt zu gehen, hatte ich das nötigste aus meiner Wohnung mitgenommen. Damals auch meinen Laptop, der während meiner Reise, dabei Kaput ging, als ich damit einen Beißer niederschlug. Der Stick, der damals in dem Laptop steckte, nahm ich mit, in der Hoffnung, es hätten die Daten überlebt. 12 Gigabyte voller Erinnerung ließ man nicht zurück.

„Scheiße.", entkam es mir und mein Neffe schreckte auf.

„Was ist. Sind sie-„

„Nein. Keine Panik.", lächelte ich und sah ihn kurz an, „Hab nur vergessen wie viel Scheiß ich auf dem Stick habe. Sind sogar ein paar Videos von Ricks alter Cam."

Nun schien auch Rick endlich interessiert und mein Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. Unsere Eltern hatten Rick zu seiner Hochzeit mit Lori eine Digi-Cam geschenkt, mit der Absicht so viel Baby Material wie möglich zu sehen, da sie einige Autostunden von uns entfernt wohnten. Natürlich borgte sich seine, damals 18 Jährige Schwester, die Cam oft aus, um irgendwelchen Scheiß zu filmen. So zum Beispiel ihre Abschlussfeier an der Uni oder ihre aller erste Operation als Assistenzärzten.

Fuck, wenn ich daran dachte wie viel ich einem Kollegen zahlen musste, damit er sich auf die Galerie stellte, um so unauffällig wie möglich, die Operation zu filmen.

Ich klickte durch einige Dateien, die meisten davon waren nur mit Nummern und Buchstaben betitelt, bis mir einige ins Auge fielen, die ich in weiser Voraussicht umbenannt hatte. Bei Summer_06.mkv blieb ich stehen, überlegte kurz und klickte drauf. Kurze Zeit passierte nichts, in der mein Herz vermutlich aufhörte zu schlagen, als der Bildschirm schwarz wurde.

Dann erschien ein Bild auf dem Bildschirm das sich ruckelnd in Bewegung setzte. Rauschen drang ebenfalls an mein Ohr. Ich erinnerte mich, dass der Ton der Cam immer schon, beim Außendreh, miserabel war.

„Lass den Scheiß, Shane.", hörte ich meine eigene Stimme und erschien einen Moment später im Bild. Ich sah jünger aus. Meine Haare waren heller und auch hatte ich ein paar Kilos mehr auf den Rippen. Ich war zwar schlank, aber die Apokalypse ließ einen schnell abmagern. Es war Sommer, offensichtlich und ich hatte nur eine kurze Jeans Short und ein Bikini Oberteil an. Wir standen in Ricks und Loris Garten vor einem Pool und ich erinnerte mich, dass er gerade erst vollgelaufen war. Wir warteten, das das Wasser nicht mehr so scheiße kalt war. Rick hatte gerade die Poolheizung angestellt, die aber wie jedes Jahr nicht funktionierte.

Carl stand neben mir ebenfalls in Badeshorts und lehnte sich über den Rand und fuhr mit seinen Fingern prüfend durch das blaue Wasser.

"Hey, Magret und Peter haben mich darum gebeten, ein paar Schnappschüsse von ihrer einzigen Tochter zu schicken."

Ich zeigte Shane den Mittelfinger, wobei ich penibel darauf achtete, dass Carl mich nicht sah. Lori und Rick hatten mir und auch Shane, ausdrücklich verboten vor Carl zu fluchen oder eindeutige Gesten zu machen. Ansonsten hieß es einen Dollar in die Fluch-Kasse.

Mein jüngeres Ich wand sich gerade an Carl und fragte gerade ob das Wasser endlich wärmer währe. Dieser schüttelte nur den Kopf und ich sah genervt Richtung Himmel.

Scheiße, Carl sah genauso aus wie ich ihn vor dem ganzen Scheiß in Erinnerung hatte und jetzt ihn hier auf der Couch zusehe... Mit seinem freigelegten Auge und Judith auf dem Schoß. Was war nur alles passiert?

Plötzlich rannte Rick auf mich zu hob mich hoch, was ich mit einem schrillten Schrei quittierte und ich flog ins eiskalte Wasser.

Rick und Carl lachten ebenso wie Shane, den man nicht sah, aber im Hintergrund hörte... Genauso wie Lori.

Ich tauchte prustend auf und sah meinen Bruder gespielt wütend an, dann blickte ich zu Carl und packte ihn mit einer schnellen Bewegung. Ich schlang meine Arme um ihn, die vermutlich eiskalt waren und zog ihn ins Wasser.

Ich grinste und mein jetziges Ich ließ sich mit einem leisen „Fuck!", auf die Lehne des Sofas gleiten.

Lori kam ins Bild. Hübsch, wie sie war, in einem schlichten Sommerkleid und stellte sich neben Rick, der einen Arm um sie schlang.

„Lexi, deine Frisur ist verrutscht.", rief Shane und da Carl gerade mit dem Kopf unter Wasser war, zeigte ich ihm den Mittelfinger und formte mit meinen Lippen die Wörter Fickt dich. Lori schüttelte lachen den Kopf, sah zu Carl, der ebenfalls Lachend mit mir im Wasser herumplantschte.

Alle, weder Rick noch Carl, oder die anderen die sich das erste Video, seit gut vier Jahren anguckten, sagten etwas.

Michonne lächelte leicht und auch Tara hatte ein Schmunzeln auf den Lippen. Bei Rick und Carl war dies kurzzeitig verschwunden. Sie sahen sich das Video an, von denen wir früher Hunderte gemacht hatten, da meine und Ricks Eltern, immer wieder darum baten, dass wir ihnen Familienvideos schickten.

Dies taten wir bei jeder Gelegenheit. Es war Tradition, wie vermutlich bei Tausenden von Amerikanischen Familien.

Nun war es Zeit für etwas Neues, dachte ich mir als das Video endete, und das Bild zum Stehen kam. Man sah Lori wie sie gerade Carl aus dem Pool zog. Ich erinnerte mich an diesen Tag und obwohl es wehtat, war ich Dwight unheimlich dankbar, das er meine Tasche mit dem Stick gefunden hatte.

Dies fühlte sich wie ein längst fälliger Abschluss an und ich war mir sicher Rick, genauso wie Carl, fühlte es genauso.

Beide sahen auf den Bildschirm, der ein anderes Leben wiederspiegelte und ich sah zu Judith, die vermutlich noch nicht realisierte, wenn sie da gerade auf dem Fernseher betrachtete.

Es war eine Weile Still, bevor Rick sich erhob, uns einen nach dem anderen ansah und in neutralem Ton, der vermutlich nicht annähernd preisgab was er wirklich fühlte, sagte: „Los... genug in Erinnerungen geschwelgt. Wir haben noch viel Arbeit vor uns."

Alle nickten verstehend und ich war froh, das weder Rick noch Carl, das Video, runtergezogen hatte. Jedenfalls nicht allzu sehr. Beide wirkten, zwar traurig, aber es war die gute Art der Trauer. Die Art von Trauer, die einen nach vorne schauen ließ.

Judith würde wissen, wie ihre Mutter ausgesehen hatte und wir hatten etwas, das uns erinnern ließ, wie es früher war... und bald, dem war ich mir sicher, wieder werden würde.

Ich sah zu meinem Bruder und unsere Blicke fixierten einander. Er lächelte sanft und einen Moment lang, sah ich wieder den alten Rick vor mir. Meinen Bruder.

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