Zowuza

»Das Wappen jeder Stadt sagt etwas über sie aus.

Das Wappen von Katho:

Eine weiße Waage auf dunkelblauem Grund.

Das Wappen von Jami:

Eine schwarze Karawane auf gelbem Grund.

Das Wappen von Gol-Gabur:

Zwei überkreuzte weiße Äxte auf grauem Grund.

Das Wappen von Zowuza:

Ein goldenes Schiff auf dunkelblauem Grund.«

AUS DEM WERK

»STÄDTE DER GOLDENEN WELT«

Drei Tage waren vergangen, seit sie den Stillen Fluss durchquert und am Horizont den abstürzenden Rußadler gesehen hatten. Yatepa hatte sich nach und nach von seinen Verletzungen erholt und konnte nun schon, wenn nötig, ohne zu Humpeln längere Strecken gehen. Wahrscheinlich hatte er das vor allem den Kräuterkenntnissen des Wolkenlesers zu verdanken, doch auch diese gingen ihnen allmählich zu Neige. Hier, im Flachland, wuchs nur Gras und ab und zu giftgelbe Blumen, die einen verführerischen Duft verbreiteten. »Rührt sie auf keinen Fall an«, hatte Cor ihnen jedoch eingeflößt. »Berührt ihr die Blütenblätter, fallt ihr sofort tot um.« Beria wusste nicht, ob das wahr war, aber vorsichtshalber hielt sie sich daran und auch Yatepa wies sie immer wieder darauf hin, Kanesso in eine andere Richtung zu lenken.

Die Dryade sah zum Himmel. Er war genauso klar wie vor drei Tagen und nur am Horizont waren einige Wolken zu sehen. Taras Fieber war aus unerklärlichen Gründen gesunken, obwohl sie immer noch in ihrer Art Trance geblieben war. Wie ein erlegter Hirsch lag sie auf dem Rücken von Cabricho, Cors braunem Hengst, und murmelte ab und zu etwas vor sich hin. Den Bogen und den Pfeilköcher hatte der Wolkenleser sich aus Platzmangel selbst umgeschnallt und seinen Stab aus weißem Holz hielt er fest in der rechten Hand, während er mit der linken lenkte.

Die Dryade trieb Kanesso näher zu Cabricho heran und hörte Yatepa hinter sich nach Luft schnappen, als der Rappe einen Satz über eine der gelben Blumen machte. Offenbar hatte der schwarze Hengst schon verstanden, dass er sich von diesen Pflanzen fern halten musste. »Wie viele Tage müssen wir noch reiten, bis wir endlich bei dieser Stadt ankommen. Ich zweifle sogar allmählich daran, dass es sie überhaupt gibt. Hier ist ja nicht mal ein Weg oder ein getrampelter Pfad.«

»Es gibt sie«, wandte Yatepa ein. Seine Reittechnik hatte sich während ihrer kleinen Reise entscheidend verbessert, aber immer öfter seufzte er resigniert auf. Wahrscheinlich tat ihm das ewige Sitzen auf einem harten Pferderücken ohne Sattel weh, was bei seiner groben Lederhose nicht erstaunlich war. Mit der Zeit hatte er eben durch jene Einfachheit und Natürlichkeit ihre Sympathie gewonnen, was Beria nie erwartet hätte. So fiel es ihr allerdings auch leichter, Cors Anweisung zu folgen und dem Menschenmann genauso freundlich zu begegnen wie die Tage zuvor. Sie konnte immer noch nicht glauben, dass ein Geist aus Schwarzer Magie von ihm Besitz ergriffen hatte.

»Es ist nicht mehr weit«, meinte Cor und deutete mit seinem Stab nach vorne. Hinter dem Hügelkamm eröffnete sich ihnen der Blick auf Zowuza. Die Stadt war kreisförmig aufgebaut und von einer hohen Stadtmauer umgeben. Ein einzelner gepflasterter Weg zog sich von den Ausläufern des Gion-Gebirges bis zu den hohen Steinwänden. Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten konnte Beria erkennen. In den Schießscharten und Fenstern zu den Wehrgängen funkelten ab und zu gut polierte Schwerter und Rüstungen auf. Das hohe Stadttor wurde von mehreren Soldaten in schweren Rüstungen bewacht, die durch die Reihen von Neuankömmlingen schritten und ihre Sachen nach gefährlichen Waffen und Schmuggelwaren durchsuchten. Vier hohe Türme erhoben sich über die Mauerzinnen und auf ihren Spitzen wehten Fahnen mit dem Wappen Zowuzas: Ein goldenes Schiff mit weißen Segeln vor dunkelblauem Hintergrund.

Südlich der Stadt war das Meer, das in einem Becken voller Schiffe bis an die Hafenmauer heranreichte, die wie ein Halbkreis in Richtung des Wassers angelegt war. Handelswaren aus verschiedenen Orten Alarchias oder sogar aus den anderen Ländern der Goldenen Welt wurden von Bord geladen oder unter Deck verstaut. Alles geschah unter den wachsamen Augen der Soldaten. Einer von fünf hatte in seiner Hand eine Fahnenstange, deren Flagge ebenfalls mit dem Wappen der Stadt bemalt war. Doch im Gegensatz zu den Bannern auf den Türmen war hier mit silbernen Fäden ein siebenzackiger Stern eingestickt worden, der wahrscheinlich für die sieben Nymphen stand, die über die Goldene Welt wachten.

Die Dryade lächelte leicht. Wenigstens die Luftfeen werden noch mit dem Respekt behandelt, der ihnen zusteht. Alle anderen hingegen... Sie erinnerte sich an die erschrockenen Gesichter der Menschen vom Schneevolk. Nach ihrem Auftritt in der Arena musste wohl auch der Letzte verstanden haben, dass sie eine Fee und kein Götterkind war. Aber statt ehrfurchtsvoll den Kopf vor ihr zu neigen, hatten sie sie einfach nur voller Furcht angestarrt. Als ob ich eine Bedrohung für sie wäre...

»Wollen wir absteigen?«, fragte Yatepa hinter ihr und Beria sah zu Cor hinüber, der immer eine Antwort auf alles hatte.

»Es wäre besser«, meinte er und ließ sich von Cabrichos Rücken gleiten. Der braune Hengst schnaubte erleichtert und schüttelte seine schwarze Mähne. Der Wolkenleser strich ihm beruhigend durch das Fell und wandte sich dann an die Erdfee und ihren Begleiter, die mittlerweile ebenfalls abgestiegen waren.

»Aus Erfahrung weiß ich, dass die Wachen an den Toren der Stadt sehr grob sein können«, erklärte er Beria flüsternd. »Meistens sind es Männer, die seit Monaten keine Frau gesehen haben. Deshalb solltest du dich verhüllen.« Er nahm die Wolldecke, die ihm als Sattel gedient hatte, vom Pferd und reichte sie ihr.

Die Dryade nahm sie entgegen, konnte ein Murren jedoch nicht unterdrücken. »Warum sollte ich mich verhüllen? Das sind alles nur Menschen. Sie können mir nichts anhaben. Ich kann schon auf mich selber aufpassen!«

Cor schüttelte den Kopf. »Darum geht es nicht. Feen haben eine besondere Ausstrahlung, an die man sich zuerst gewöhnen muss. Was denkst du denn, warum ihr immer nur alleine oder in kleinen Gruppen unterwegs seid?«

Beria schürzte unwillig die Lippen. Aber das würde wenigstens das seltsame Verhalten der Menschenmänner erklären, denen ich schon begegnet bin. Sie dachte zurück an die Geschichte in Jami, über die sie nicht redete. Nur Rassou wusste von dem, was damals geschehen war. Ihre Lehrerin hatte geschworen, stillschweigen zu bewahren. Den Tag darauf war sie verschwunden und die Leiche des Mannes wurde schrecklich entstellt im Keller seines eigenen Hauses gefunden. Beria hatte nie gewagt, Rassou zu fragen, ob sie ihn getötet hatte. Bestimmt nicht. Das verstieß gegen die Aufgabe, die Jeovi allen Feen aufgetragen hatte. ›Wacht über meine Welt, die Goldene Welt, und achtet darauf, dass niemand eurem Element schadet.‹ Jeder Fee kannte diese Worte der Göttin und befolgte sie ohne Nachzudenken. Warum also hätte ausgerechnet ihre Lehrerin dagegen verstoßen sollen?

Seufzend warf Beria sich die Wolldecke über die Schulter und zog sie sich dann wie eine Kapuze über den Kopf. Dabei achtete sie darauf, auf keinen Fall ihre Ohren offen liegen zu haben. Eine weitere Begegnung wie die mit Eleasar und Maia wollte sie um jeden Preis vermeiden. Als sie fertig war, drehte sie sich verbittert zu Cor und Yatepa um. Der Wolkenleser nickte und sie machten sich auf den Weg, während der Menschenmann sich an Kanessos Flanke abstützte. Seine Verletzung am Bein konnte es nicht sein, die ihn dazu drängte – also wohl sein gereiztes Gesäß.

Das letzte Stück des Weges legten sie ohne Probleme zurück. Beria fiel auf, dass die gelben Blumen hier nicht mehr wuchsen. Das einzige, was sie wirklich störte, waren die braunen Pferdehaare, die in der Wolle festhingen und ihre Haut kitzelten. Mehrmals musste sie niesen, bevor sie den gepflasterten Weg betraten, ihm einige Schritte folgten und schließlich das Ende der langen Schlange erreichten. Vor ihnen stand ein junges Pärchen, vermutlich Bauern, die eine weiße Ziege an der Leine hielten. Sie meckerte erschrocken auf, als Cabricho mit seinen Zähnen nach ihr schnappte.

»Und was jetzt?«, fragte Beria gereizt. Das Pärchen drehte sich erstaunt nach ihr um, doch das war ihr egal. Sie wusste, dass sie immer noch mit dem fremden Akzent des Schneevolkes sprach.

»Wir warten«, antwortete Cor ruhig und hielt seinen braunen Hengst davon ab, ein weiteres mal nach der Ziege zu schnappen. Er lächelte das junge Paar entschuldigend an. »Verzeiht. Mein Hengst ist nicht der zahmste unter dem Schneevolk.«

Die Dryade starrte den Wolkenleser entgeistert an, doch es war schon zu spät.

»Ihr kommt aus den Bergen?«, fragte der Bauer, nachdem er den ersten Schock angesichts von Cors Gesicht überwunden hatte. Ungläubigkeit schwang in seiner Stimme mit. Seine Haare sowie sein Bart waren dunkelblond und leicht gekräuselt. Die dunklen Augen verschwanden beinahe hinter den buschigen Augenbrauen. Beria bemerkte, dass ihm an der linken Hand ein Finger fehlte. Vermutlich ein Unfall beim Holz hacken.

»Ich und meine drei Kinder kommen aus Otequ in der Nähe des Nebelsees. Jedoch treiben wir Handel mit dem Schneevolk und den anderen Völkern des Gion-Gebirges.« Der Wolkenleser erzählte die Lüge so selbstverständlich, als würde es stimmen. Dabei veränderte er seine Stimme so, dass sie denselben Akzent wie Berias besaß. »Mein Name ist Vasic, Vasic nan Monar. Und darf ich Euch vorstellen: Meine erstgeborene Tochter Yudra«, er legte ihr seine Hand auf die Schulter und deutete dann auf Yatepa, »mein Sohn Sayap und meine Zweitgeborene Lipsy.«

Yatepa öffnete ebenfalls den Mund, um etwas zu sagen, doch Beria trat ihm schnell auf den Fuß, sodass er ihn wieder schloss. Cor warf ihr einen anerkennenden Blick zu. Wenn Yatepa auch nur ein Wort sagte, würde dem Pärchen sofort auffallen, dass an ihrer Geschichte etwas nicht stimmte. Den Akzent der Perlenwald-Stämme konnte er nicht verbergen.

»Sayap ist leider stumm«, erklärte der Wolkenleser daher schnell.

»Was ist denn mit Eurer Tochter Lipsy?«, wollte die Bäuerin wissen und beugte sich neugierig zu Tara hinüber. »Ist sie krank?«

»Das ist der Grund, weshalb wir hier sind«, sagte Cor und zeigte dann auf Kanesso und Cabricho. »Wir wollen unsere edlen Rösser verkaufen, um genug Geld für Heilkräuter zu haben. Ich habe gehört, dass hier sehr viel für ein Pferd des Schneevolks geboten werden kann.«

Der Mann nickte zustimmend. »Das stimmt. Für jedes Vieh mit vier brauchbaren Beinen kann man in Zowuza manchmal sogar fünfzig Arc bekommen. Meine Frau Gitte und ich wollen hier unsere Ziege verkaufen, um uns dann für unseren Hof ein Paar neue Hühner zu holen. Die letzten hat uns ein hungriger Wolf aus dem Perlenwald gerissen, der sich offensichtlich verirrt hat.« Er streckte Cor freundlich die Hand aus. »Mein Name ist übrigens Gecoma nan Rima. Aber alle nennen mich nur Gec.«

»Freut mich, Euch kennenzulernen«, entgegnete dieser und schüttelte Gec die Hand. »Ein Wolf, sagtet Ihr?«

Diesmal war es Gitte, die antwortete und wild mit dem Kopf nickte, während sich Strähnen ihrer blonden Haare aus dem lose zusammengebundenen Zopf lösten. »Ja. Obwohl die Spuren nicht ganz gepasst haben. Sie sahen eher aus wie die eines großen Hundes, aber kein Hund hat so große Pfoten und schafft es, zehn Hühner in einer Nacht zu töten.«

Die Schlange vor ihnen bewegte sich einige Schritte voran und die kleine Gruppe folgte ihnen. Wieder versuchte Cabricho nach der Ziege zu schnappen, doch sie sprang gerade noch rechtzeitig zur Seite. Beria schmunzelte amüsiert.

»Vor fast sieben Tagen ist das passiert«, fuhr Gec fort und nahm den Strick der Ziege in die andere Hand. »Die armen Tiere waren so verunstaltet, dass es weh tat, sie auch nur anzusehen. Daraufhin haben wir uns sofort auf den Weg nach Zowuza gemacht und den Hof unserem Knecht überlassen. Zum Glück hat ein Händler uns den Weg bis hierher auf seinem Karren mitgenommen. Er hat das Stadttor allerdings schon passiert. Händler mit so kostbaren Waren kommen schneller in die Stadt.«

»Wo befindet sich Euer Hof denn?«, wollte Cor wissen. Beria meinte, so etwas wie Besorgnis in seinen Augen zu sehen. Dabei verstand sie nicht wirklich, warum er sich Sorgen um ein Bauernpärchen machte, das absolut nichts mit ihrem Ziel zu tun hatte.

»Südöstlich von Otequ nahe der ersten Ausläufer des Gion-Gebirges. Der Nebelsee grenzt direkt an eine unserer Weiden«, antwortete Gec. »Warum fragt Ihr?«

»Nun, Ihr sagtet, dass Ihr diese Ziege verkaufen wollt. Ich glaube nicht, dass Ihr Euch von Eurer einzigen Ziege so leichtfertig trennen würden. Demnach müsstet Ihr noch weitere Tiere haben. Ich habe überlegt, ob ich bei Euch nicht Ziegenkäse kaufen könnte. Regelmäßig. Mein Bruder arbeitet in Zowuza bei einer größeren Schiffshandelskette mit und könnte Eure Waren dort mit einfließen lassen.«

Die Augen des Paares fingen an zu leuchten. Gitte keuchte völlig überwältigt und hielt sich eine Hand aufs Herz. »Das wäre hervorragend! Bei Jel und Lih! Ihr wisst nicht, wie glücklich Ihr uns soeben gemacht habt!«

Auch Gec lächelte und drückte seine Frau fest an sich, die angefangen hatte, vor Glück zu weinen. »Wie kann ich Euch nur danken, Vasic?«

»Das braucht Ihr nicht«, entgegnete Cor freundlich. Dann kräuselte er jedoch nachdenklich die Stirn. Sein Blick wanderte zu Yatepa, der unmerklich nickte. »Wie ich vermute, kennt Ihr Euch in Zowuza besser aus als wir«, hob er an. »Wir suchen einen Mann mit dem Namen Nurov.«

»Nurov?« Gitte wischte sich die Tränen weg und sah nachdenklich zum Himmel. Hilfesuchend sah sie zu ihrem Mann. »Ist das nicht der nette Herr, der in der Bibliothek arbeitet? Nurov Femi?«

»Stimmt«, pflichtete Gec ihr bei. »Warum sucht Ihr ihn?«

»Er ist der Bruder, von dem ich gesprochen habe«, antwortete Cor schnell. Offenbar war das Pärchen nicht besonders schlau, denn beide nickten lächelnd. Nur Gitte sah ihn etwas schief an.

»Ich wusste gar nicht, dass er bei einer Handelskette arbeitet?«, sagte sie unsicher, winkte dann jedoch schnell ab. »Wahrscheinlich weiß ich auch nicht alles über ihn.«

Die Schlange setzte sich erneut in Bewegung. Das Bauernpärchen hatte sich wieder nach vorne gewandt und beachtete sie nicht weiter. Darin sah Beria die Gelegenheit, sich zu Cor rüber zu lehnen. »Was sollte das?«, zischte sie ihm zu. »Du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass ihnen nicht auffällt, dass das eine Lüge war, die du ihnen da erzählt hast? Sie werden merken, dass keine Handelsschiffe zu ihnen kommen und ihren verdammten Ziegenkäse abholen!«

Der Wolkenleser schüttelte unmerklich den Kopf. Die Dryade dachte, er würde sich rechtfertigen, doch stattdessen sagte er nur: »Jetzt habe ich vergessen, sie nach einem Quay-Tätowierer zu fragen.«

Die Erdfee schnaubte genervt. »Wir müssen eine Möglichkeit finden, unser Versprechen zu halten!«

»Warum?«

»Weil es richtig ist? Ein Versprechen ist etwas Heiliges! Man darf es nicht brechen! Du hast doch gehört, dass Gitte«, sie sprach den Namen leise aus, damit die Bäuerin sich nicht angesprochen fühlte, »zwei Götternamen ausgesprochen hat. Zwar gibt es Jel und Lih nicht, aber allein die Tatsache, dass sie daran glaubt, macht das Versprechen heilig.«

Der Wolkenleser sah sie überrascht an und blinzelte. »Du bist anders, als die anderen Feen, denen ich begegnet bin.«

Beria seufzte und wandte sich von ihm ab. Mittlerweile war die Schlange weiter fortgeschritten und das Pärchen vor ihnen wurde von zwei Soldaten in die Stadtregeln eingewiesen und durchsucht. Ein Mann in einer dunkelblauen Tunika stand daneben und notierte etwas. Wahrscheinlich ihre Aufenthaltsgenehmigung und der Grund ihres Besuchs. Er sah sichtlich gelangweilt aus.

Kurz darauf wurden Gitte und Gec durch das Stadttor gelassen. Die Dryade atmete erleichtert auf. Sie trat einen Schritt vor, hielt sich dabei jedoch stets etwas hinter Cor. Der Wolkenleser nickte den Soldaten grüßend zu, die ihn kurz abschätzend musterten. Beria sah neugierig durch das Tor hindurch und bewunderte die kunstvoll gebauten Häuser von Zowuza. Jedenfalls die, die sie von ihrem Platz aus erkennen konnte.

Das Pärchen stand mit ihrer Ziege vor einem Kuchenstand. Während Gitte sich interessiert die Auslage ansah, bemerkte sie nicht, dass sich ihr Mann umgedreht hatte. Seine dunklen Augen wanderten zu Beria, die bei dem unerwarteten Blickkontakt erstarrte. Gec lächelte sie an. Für mindestens fünf Herzschläge standen sie so da, bis der Bauer von seiner Frau bei der Hand ergriffen und davon geführt wurde. Der Blickkontakt brach ab und die Erdfee atmete erleichtert aus.

»Name, Geburtsort, Wohnort, Zeit des Aufenthalts, Grund des Aufenthalts«, leierte der Mann mit der blauen Tunika währenddessen gelangweilt herunter und machte sich nicht mal die Mühe, aufzusehen. In seinen Händen ruhte ein Stück Pergament, eine in Tinte getränkte Feder und ein flacher Stein, der ihm als Schreibunterlage diente.

»Vasic, Yudra, Sayap und Lipsy nan Monar«, antwortete Cor freundlich und lächelte.

Yudra. Neuer Ort, neuer Name. Wie bei Rassou. Die Dryade ließ ihn sich auf der Zunge zergehen. Er hört sich elfisch an, fiel ihr auf. Wahrscheinlich vorsichtshalber. Damit niemand Fragen wegen meiner Ohren stellt.

»Meine Kinder und ich wurden in den Bergen beim Schneevolk geboren, doch jetzt wohnen wir in Otequ«, setzte Cor hinzu. »Wir werden vielleicht sieben oder acht Tage bleiben und wollen unsere Pferde verkaufen, um Heilkräuter für meine Tochter Lipsy zu erwerben.«

Der Mann hob skeptisch die Augenbraue. Sein Blick schweifte über die kleine Gruppe und blieb kurz bei Yudra hängen, die schnell die Wolldecke enger um sich wickelte. Er räusperte sich. »Wo werdet ihr unterkommen? Wir wollen keine weiteren Bettler auf den Straßen.«

»Bei meinem Bruder Nurov. Er arbeitet in der Bibliothek dieser herrlichen Stadt«, erklärte der Wolkenleser. Übertreib nicht mit den Schmeicheleien!, dachte Yudra, doch überraschenderweise erzielte er damit Erfolg.

»Gut.« Der Mann nickte zufrieden, legte das Schreibzeug weg und winkte den zwei Soldaten zu. »Komc, Rawc, durchsucht sie.« Erneut heftete sich sein bernsteinfarbener Blick auf die Erdfee. »Besonders diese Dame dort. Vielleicht hat sie etwas unter ihrem Gewand versteckt.«

Voller Abscheu starrte Yudra erst den Mann und dann die beiden Soldaten an. Hilfesuchend sah sie zu Cor, der schon beschwichtigend die Hände erhoben hatte. »Werte Freunde, lasst uns nichts überstürzen«, sagte er und warf der Dryade einen warnenden Blick zu. »Meine Tochter lag noch bei keinem Mann und wie es die Tradition verlangt, darf sie dann auch von keinem berührt werden.«

Der Mann in dem blauen Gewand wirkte verwundert, doch dann verzog sich sein Mund zu einem hämischen Grinsen. »Wenn das so ist, werde ich dafür sorgen, dass man das demnächst tun darf.« Er versenkte seine Hand in den Falten seiner Tunika und brachte einen Lederbeutel zum Vorschein, der schwer in seiner Hand lag und prall voller Münzen war. »Wie viel wollt Ihr für sie?«

Der Wolkenleser setzte einen entsetzten Gesichtsausdruck auf. »Yudra ist nicht zu verkaufen.«

»Ach ja?« Der Mann hob eine Augenbraue. Mit einer flüchtigen Bewegung schickte er die zwei Soldaten weg, die sich sofort zu einem benachbarten Einschreibeposten zurückzogen. »Ich verstehe die Sorgen eines dreifachen Familienvaters. Ich habe selber vier Kinder. Jedenfalls glaube ich das. Kann auch sein, dass es mehr sind. Bei vier habe ich aufgehört zu zählen. Mir gehören die besten Hurenhäuser von Zowuza und Eure Tochter hier wäre wirklich sehr geeignet. Da sie noch Jungfrau ist, werde ich Euch auch mehr bieten als normalerweise. Wie viel? Fünfzig Arc?«

Cor schüttelte stur den Kopf. Yudra sah panisch zu dem Wolkenleser. Er wird mich nicht verkaufen! Auf keinen Fall! Ich bin keine Hure! Ich bin eine Fee! Dieser Mensch bekommt mich auf keinen Fall! Lieber sterbe ich!

»Wie viel?«, fragte der Mann erneut. Aus seinem Geldbeutel holte er mehrere kleinere Beutel. Insgesamt sieben. »Siebzig Arc? So viel sind vielleicht Eure beiden Pferde zusammen wert. Gebt mir Eure Tochter und Ihr könnt sie behalten. Sicher braucht Ihr sie noch. Dazu gebe ich Euch kostenlos die Heilkräuter, die Eure andere Tochter braucht.«

»Nein«, beharrte Cor. »Auf keinen Fall. Sie ist nicht zu verkaufen.«

Der Mann seufzte resigniert und steckte sein Geld wieder ein. Er zuckte enttäuscht mit den Schultern. »Wie Ihr meinst.« Mit seiner Hand gab er einem der Wachmänner ein Zeichen. »Ihr dürft passieren. Hier, eure Aufenthaltsgenehmigung, vier Stück.«

Cor wurden vier beschriebene Pergamentfetzen in die Hand gedrückt. Der Wolkenleser neigte dankend den Kopf, klemmte die Genehmigungen unter die Achsel und ging an ihm vorbei in die Stadt. Cabricho folgte ihm treu und auch Yudra setzte sich zusammen mit Yatepa und Kanesso in Bewegung. Aus dem Augenwinkel betrachtete sie den Mann in der blauen Tunika abschätzend und versuchte, sich sein Gesicht zu merken.

Dunkelbraune, krause Haare rahmten sein rundes Gesicht ein und sie konnte Bartstoppeln an Kinn und Wangen erkennen. Er hatte eine gebräunte Haut, was darauf schließen ließ, dass er schon länger in Zowuza oder wenigsten im Süden Alarchias lebte, wo die Sonne ohne Hindernisse direkt auf die Erde fiel. Sie bemerkte eine dünne Kette um seinen Hals, an der ein siebenzackiger Stern hing.

Voller Abscheu wandte sie sich ab. Wie kann so ein Mann es wagen, das Zeichen der sieben Nymphen um seinen Hals zu tragen?

»Seltsam, dass er uns nicht durchsucht hat«, meldete sich auf einmal Yatepa neben ihr zu Wort. Es kam so unerwartet, dass die Dryade überrascht den Kopf hob. »Jetzt darf ich doch reden, oder nicht?«

Die Erdfee lächelte. »Natürlich.«

»Aber es ist doch seltsam, dass er uns nicht durchsucht hat. Erst wollte er es unbedingt tun. Und jetzt...« Er drehte seinen Kopf unauffällig und sah nach hinten. »Der Hurenbock schaut dir immer noch nach«, stellte er fest.

»Kann sein«, entgegnete sie. »Lass uns schnell verschwinden. Weißt du, wo die Bibliothek liegt, in der dein Bruder arbeitet?«

Yatepa verneinte. »Sicher hat Cor eine Lösung.«

Er beschleunigte seine Schritte, woraufhin auch Kanesso und Yudra gezwungen waren, schneller zu gehen. Die Dryade sah sich staunend um. Zowuza war wirklich eine schöne Stadt. Hinter den Stadtmauern eröffnete sich eine völlig neue Welt für sie. Mit Rassou war sie bisher immer nur in Dörfern und kleineren Städten wie Jami und Zyra gewesen, doch das hier sprengte all ihre Vorstellungskraft.

Aus jeder Ecke wallten ihr Leckeres verkündende Düfte entgegen. Auf dem großen Platz, den sie gerade betraten, fand eine Versteigerung von Vieh statt und Yudra erhaschte auch einen Blick auf Gitte und Gec, die zwischen den versammelten Leuten standen. Eine Gruppe von Straßenkünstlern führte ihre Kunststücke auf und ein Feuerspucker setzte das Hemd eines reichen Kaufherren in Brand, der fluchend in der nächsten Straße verschwand. Kleine Kinder liefen zwischen den Umstehenden herum und hielten in den Händen verschiedene Süßigkeiten.

Ihr Blick wanderte weiter zu den Häusern und Läden. Vermutlich bestand Zowuza aus mehreren Ringen wie eine Zwiebel, denn hier konnte sie nirgends Wohnhäuser entdecken. Es waren hauptsächlich kleine Gebäude mit nur zwei Stockwerken, die an den Ecken mit kunstvollen Bildern verziert waren. Eine Pfandleihe hatte Fahnen mit verschiedenen Wappen aus ihren Fenstern im zweiten Stock gehängt. Darunter erkannte die Dryade auch das Zeichen des Schneevolks, eine weiße Schneeflocke auf hellblauem Grund. Sofort zog sich ihr Magen zusammen und sie dachte an den Moment, in dem sie Maia getötet hatte. Die Furcht in ihren Augen, als sie den Blitz aus Yudras Ring gesehen hatte.

»Fibas«, flüsterte sie probeweise. Obwohl sie wusste, dass sowieso nichts geschehen wäre, war sie etwas enttäuscht.

Der Blick der Dryade fiel auf ein etwas größeres Gebäude. Die Fenster in den oberen Stockwerken waren mit schwarzen Stofffetzen verhängt und auf der breiten Holzterrasse boten sich junge Frauen zur Schau. Ihre Gesichter waren übertrieben grell geschminkt und ihre Ausschnitte zu tief. Ein gekünsteltes Lächeln aufgesetzt, warf sich eine Frau, die sich die Haare pink gefärbt hatte, einem offensichtlich reichen Soldaten an den Hals. Nur wenige Augenblicke in seinen Armen, gefolgt von einem koketten Wimpernaufschlag und schon verschwanden die beiden in dem Gebäude.

Yudra unterdrückte einen Würgereiz. Sollen alle Huren doch verrecken!, dachte sie und fragte sich gleichzeitig, ob dieses Haus wohl dem Mann in der blauen Tunika gehörte. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihr breit. Etwas sagte ihr, dass es nicht das letzte Mal sein würde, dass sie sich begegneten.

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Solltet ihr am diesem Kapitel noch irgendwo den Namen »Beria« finden, dann sagt bitte Bescheid, damit ich das verbessern kann XD Die Sache mit den sich ändernden Namen der Dryade ist mir nämlich erst bei der vierten oder fünften Überarbeitung eingefallen und es kann sein, dass ich an einigen Stellen vergessen habe, Beria durch Yudra zu ersetzen XD

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