Etwas
»Einer verbirgt sich vor allem Bösen.
Einer sieht so weit wie ein Adler.
Einer kann so gut kämpfen wie der Starke.
Einer ist so klug wie der Denker.
Einer kann das Kommende sehen.
Einer kann Geschöpfen ihren Willen nehmen.
Einer kann das Vergangene sehen.«
AUS DEM HEILIGEN BUCH
»DIE CHRONIKEN DES LEBENS«
Tara befand sich in einer Art Traumwelt. Sie fühlte sich vollkommen frei von Ängsten und anderen Gefühlen. Nicht mal ihr Körper war noch da. Als sie ihre Hand hob, erkannte sie nur einen gräulichen Schatten. Sie sah sich um.
Die Jägerin schien sich auf einer weiten weißen Ebene zu befinden, die unendlich weiterging, bis sie am Horizont an den Himmel stieß. Der Boden war unnatürlich gerade, als wäre er durch einen Messerschnitt entstanden. Keine Wölbungen waren darin, keine Dellen, nicht mal ein Sandkorn lag darauf. Alles war in vollkommener Harmonie und erst jetzt realisierte Tara die leichte Melodie, die in der Luft hing. Wie ein Windhauch segelte die Musik an ihr vorbei und tatsächlich fühlte sie, wie ihre Haare sich leicht bewegten, obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass sie gar nicht da waren.
»Kleines Kind der Welt,
sag mir, was dich hält.«
Die Stimme war eins mit der Melodie. Ja, sie schienen sogar zueinander zu gehören. Tara schwebte dem Windhauch nach und konnte spüren, wie die Entschlossenheit, ihn zu erreichen, immer stärker wurde.
»Kleines Kind der Welt,
antworte, Alarchia fällt.«
Alarchia fällt? Die Jägerin hielt inne und sah sich um. Erneut jagte der Windhauch zusammen mit der Melodie und der Stimme an ihr vorbei. Ein leises Schluchzen ertönte, bevor sich die Luft vor ihr zu verdichten schien und eine Gestalt freigab. Eine Frau. Ihre Haut war blass und ihr Haar so weiß wie die Ebene, auf der sie stand. Sie trug ein leichtes Kleid, das aus keinem ihr bekannten Stoff bestand, sondern allein durch die Luft entstanden war. Ein leichter Eisschimmer lag darüber und an den Schultern der Frau war das Kleid mit ihrer Haut verschmolzen. Die Ohren waren spitz und erst jetzt verstand Tara, wer vor ihr stand: Eine der sieben Luftfeen der Goldenen Welt. Eine Nymphe. Als sie die Jägerin mit ihren eisblauen Augen ansah, standen Tränen darin.
»Alarchia fällt, mein Kind.
Handle schnell wie der Wind.
Kleines Wesen der Welt,
was ist es, das dich hält?«
Ihre Stimme klang genauso schön wie vorhin und auch jetzt übermannte Tara ein unglaubliches Glücksgefühl. Diese Stimme schien nur aus Luft zu bestehen, denn das war es, was Nymphen nunmal waren und dennoch... Etwas Magisches haftete ihr an.
»Kleines Kind,
antworte geschwind!«
»Ich...« Die Jägerin stockte. Ihre Stimme war so grob, zu grob für diese Traumwelt. Dennoch musste sie weitersprechen. Die Nymphe sah sie erwartungsvoll an. »Ich wollte nicht hier sein.«
»Aber Kind, wo ist hier?
Du bist allein, nur mit mir.
Du hast mich gerufen.
Ich bin, wie die Winde mich schufen
allein mit dir in diesem Weiß.
Und nun, Kind, schließe den Kreis.
Alarchia fällt, so ist es nun
Doch was kann ich für dich tun?«
»Ich habe dich nicht gerufen«, entgegnete Tara verwirrt und schämte sich erneut für ihre Stimme. Sie störte die Harmonie. Ihr Blick fiel auf das Windkleid der Fee und sie sah, wie es sich langsam auflöste. Die Nymphen mochten es nicht, in ihrer sterblichen Gestalt zu erscheinen.
»Ich verstehe nun, was du meinst.
Es war meine Mutter einst,
Jeovi, Erschafferin allen Lebens,
die gab uns die Macht des Gebens.
Dir gab sie die Macht des Sehens,
wie mir die Macht des Säuseln und Wehens.
Du siehst das, was gewesen,
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Feuer und Drache und Staub,
aber, Kind, mit Verlaub:
Deine Kräfte liegen Verborgen,
dies sind all deine Sorgen.«
Die Tränen der Nymphe fielen nicht zu Boden, sondern wurden von einem plötzlich aufkommenden Wind davongetragen. Ihre weißen Haare flatterten leicht hin und her.
»Kleine Seherin ist dein Name,
doch gib acht, junge Dame.
Die Schatten, Wesen der dunklen Nacht,
wissen dies, also gib Obacht.
Wollen dich finden, wollen dich quälen,
Wollen deine Macht dir stehlen.
Doch wisse, es gibt einen Weg,
suche ihn und sei nicht träg:
Der mit dem Segen der Geister,
der mit dem Leser als Meister.
Er wird die Königin ketten.
Er wird Alarchia erretten.
Findest du ihn, so findest du Glück.
Dann bleibt Alarchia ein ganzes Stück.«
Die Nymphe sah Tara durchdringend an und erwartete anscheinend eine Antwort von ihr, doch die Jägerin war zu überwältigt von dem, was sie gerade erfahren hatte. Allmählich wurde der Wind um die Luftfee immer stärker und wirbelte in einem Sturm um sie herum, bis die Gestalt in der Mitte des Wirbels fort war. Noch einmal hörte Tara die sanfte, säuselnde Stimme der Nymphe:
»Warte nicht, Kind.
Kehre zurück geschwind.
Alarchia fällt.
Was ist es, das dich hält?«
Der Windhauch, zu dem die Fee geworden war, streifte für einen kurzen Moment ihre Wange und ein eisiger Schauer fuhr ihr über die Haut. Nach Luft schnappend erwachte sie aus ihrer Traumwelt. Für einen kurzen Moment war sie völlig orientierungslos, bis ihr Yatepa wieder einfiel. Der Bote der Bärenleute war nirgends zu sehen.
Sie lag allein zwischen den knorrigen Wurzeln einer Eiche und war mit einer Decke aus Wolfsfell zugedeckt. Erst dachte sie, es wäre ihr Umhang, bis ihr einfiel, dass sie ihn ja in Cors Hütte zurückgelassen hatte und der Wolf, den sie erlegt hatte, pechschwarzes und kein dunkelgraues Fell hatte.
Hastig zog sie die Decke beiseite und sah sich um. Ein kleiner brauner Hengst weidete nicht weit von ihr auf einer Lichtung mit saftig grünem Gras. Ein Seil, welches an einem Ende an seinem Halsring und am anderen an einem Ast befestigt war, hinderte ihn daran, fort zu laufen. Mittlerweile war es Tag geworden, doch sie konnte sich nicht daran erinnern, ob es noch der gleiche war, an dem die seltsame Stimme aus Yatepas Mund sie ›kleine Seherin‹ genannt hatte, oder ob es ein anderer war.
Tara stützte ihr Kinn auf ihre Knie und dachte nach. Erst, wenn sie ihre Gedanken sortiert hatte, würde sie etwas anderes tun können. So viele Fragen... Die erste Frage wurde ihr jedoch schon beantwortet, als sie eine ihr sehr vertraute Gestalt auf sich zukommen sah.
»Cor!«, rief sie freudig und stand auf, musste sich jedoch sogleich wieder an den Baumstamm stützen und setzte sich schließlich erneut hin. Erst jetzt bemerkte sie auch den Bogen und den Pfeilköcher neben sich, den sie aus seiner Hütte, nun ja, gestohlen hatte. Hastig beugte sie sich zur Seite, um die Schusswaffe zu verdecken, doch dann fiel ihr ein, wie lächerlich das eigentlich war. Wenn Cor mich gerettet hat, hat er es schon lange gesehen.
Der alte Heiler ging auf sie zu. In der einen Hand hielt er seinen Stab, den er immer benutzte, wenn ihm das Gehen zu schwer fiel. In der anderen hatte er zahlreiche Kräuter übereinander gestapelt. Zwischen den grünen Blättern schauten ab und zu die farbigen Tupfer von Beeren hinaus. Cor ließ sich zu ihrer Überraschung mit einem erleichterten Gesichtsausdruck neben ihr nieder und legte die Pflanzen vorsichtig auf der Erde ab. Er verlor kein Wort über seinen Bogen.
»Tara«, sagte er, als hätten sie sich erst vor Kurzem gesehen. »Endlich bist du wach. Ich dachte schon, du wärst in einen ewigen Schlaf gesunken.«
Die Jägerin schüttelte den Kopf. Für einen kurzen Augenblick meinte sie Neugier in den ungewöhnlichen Augen des Heilers gesehen zu haben, doch der Eindruck verschwand genauso schnell wie er gekommen war.
Sie betrachtete Cor nachdenklich. Nachdem er ihr die Wunde des Drachenfeuers auf ihrem Rücken geheilt hatte, hatte er sich nicht verändert. Er hatte immer noch dieselben Kleider an. Eine weite, braune Hose aus Wolle und ein weites Hemd, das eher an einen Sack als an ein Kleidungsstück erinnerte. Auf den Schulterstücken waren vorne zwei Messingringe befestigt, die dafür sorgten, dass der Stoff seines Umhangs hinten blieb und ihm nicht beim Gehen störte. Cors Umhang war der einzige unter den Wolfs- und Bärenleuten, der nicht aus einem Tierfell bestand, sondern aus einem sehr dünnen Stoff, den keiner richtig zuordnen konnte.
Theresa, die gerne Gerüchte in Umlauf brachte und auf diese Weise dafür sorgte, dass ihre Feinde auch von den anderen gehasst wurden, behauptete, der Umhang bestünde aus der geglätteten Haut von Sumpfleichen. Tara lief ein Schauer über den Rücken. Zwar war der Stoff auf einer Seite etwas grünlich, doch sie weigerte sich, das zu glauben.
»Wie lange habe ich geschlafen?«, fragte sie den alten Heiler. Der sah sie mit seinen durchdringenden Augen an.
»Geschlafen? Du warst ganze zwei Tage bewusstlos. Ich dachte schon, du wärst... fort.« Besorgnis stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er griff nach den Kräutern, die er mitgebracht hatte und hielt ihr ein Blatt entgegen. »Das ist das Blatt einer Fuxa-Pflanze. Hilft gegen Fieber. Ich musste es dir drei Mal am Tag einflößen.«
»Ich habe Fieber?« Die Jägerin legte sich sofort die Hand auf die Stirn, doch sie schwitzte nicht und war auch nicht heiß.
»Hattest du jedenfalls«, erklärte Cor. Seine Augenbrauen zogen sich skeptisch zusammen. Trotzdem drückte er ihr das Blatt in die Hand. »Nimm es dennoch. Man kann ja nie wissen.«
Während Tara die Fuxa-Pflanze betrachtete und sich das Grün dann in den Mund schob, wühlte der Heiler weiter in dem Kräuterstapel herum und brachte schließlich ein weiteres Blatt zum Vorschein. Die Frau verschluckte sich beinahe und starrte Cor überrascht an.
»Du hast die Spur gefunden? Aber wie... Warum bist ausgerechnet du mir gefolgt?« Sie dachte an Nebar und Semal. Bin ich ihnen völlig egal?
»Ich habe niemandem etwas gesagt«, antwortete er und warf das Birkenblatt weg. »Ich habe nur meinen Stab genommen und bin losgezogen. Vermutlich denken die Wolfsleute schon, ich bin gestorben, was Theresa ja nur recht wäre. Wahrscheinlich hat sie jetzt die Führung im Lager übernommen, so wie ich sie kenne. Um ihre Vermutung zu unterstützen habe ich etwas Kaninchenblut auf dem Fenstersims meiner Hütte und dem Gras dahinter verteilt. Jetzt sieht es so aus, als hätte ein wildes Tier mich geholt. Wäre ja nicht das erste Mal, dass ich meinen Tod vortäusche.« Den letzten Satz sagte der Heiler so leise, dass Tara ihn beinahe überhört hätte.
»Nicht das erste Mal?« Sie versuchte ihm in die Augen zu sehen, doch er wich ihrem Blick aus. »Was meinst du damit?«
»Was weißt du über Wolkenleser, Tara?«, fragte Cor sie mit krächzender Stimme und sah sie schräg an. Das Schwarz seines rechten Auges schien sie verschlingen zu wollen und für einige Herzschläge verlor sie sich in der Tiefe der Dunkelheit. Das Räuspern des Heilers ließ sie aus ihrer Starre erwachen.
»Nicht viel«, sagte Tara leise. »Ich weiß, dass es einst drei von ihnen gab. Uralte Menschen, die Zeichen in den Wolken lesen und die Gefühle anderer an ihrer Aura sehen konnten. Sie sind die ältesten Wesen der Goldenen Welt und sind durch das Große Tor hierher gelangt. Zusammen mit achtundzwanzig Vertreterinnen der Feen und anderen Kreaturen, die Jeovi erschaffen hat. Doch nachdem sie verschwunden sind, haben die sieben Nymphen ihre Herrschaft über die Goldene Welt übernommen.«
»Hast du jemals die Namen dieser Wolkenleser gehört?«
Die Jägerin schüttelte den Kopf, doch langsam begann sie zu verstehen. Konnte es sein, dass Cor, der Heiler der Wolfsleute...
»Die Namen der Wolkenleser waren Raki, der Starke, Jafos, der Denker und Cor, der Wandler«, erzählte er und sah ihr in die Augen. »Tara, ich bin ein Wolkenleser.«
»Aber...«, stammelte sie und starrte ihn voller Erstaunen, aber auch Faszination an. »Aber du bist unser Heiler gewesen. Schon sehr lange. Und du kommst aus dem Norden. Das hast du mir selber erzählt! Jedes Mal, wenn ich dich gefragt habe, woraus dein Umhang gemacht ist, hast du gesagt, dass dieser Stoff nur im Norden hergestellt wird und dass das Material dafür geheim ist! Und...« Sie stockte. »Das heißt, du kannst sehen, was ich jetzt fühle?«
Cor nickte.
»Gut, was fühle ich jetzt?«, wollte sie wissen und dachte an Ximou. Der Drache hatte ihre Eltern getötet und auch sie fast in den Sternenpalast gebracht! Das war doch wohl Grund genug, wütend auf ihn zu sein! Dabei achtete sie genau darauf, keine Gefühlsregung nach außen hin zu zeigen. Sie entspannte ihre Hände und zwang sich dazu, völlig ruhig dazusitzen.
»Du bist wütend«, sagte der Heiler nach kurzem Zögern. »Und voller Trauer um jemanden. Außerdem sehe ich das Grün der Entschlossenheit an dir und den Zweifel. Du zweifelst an mir.«
Tara sah Cor erschrocken an. Respektvoll senkte sie den Kopf vor ihm. Er ist ein Wolkenleser! Bei den Göttern! Es gibt sie wirklich! Und ich hatte mein ganzes Leben lang einen von ihnen um mich herum!
Sie spürte die trockenen Hände des Heilers an ihrem Kinn. Er hob ihren Kopf wieder und zwang sie dazu, ihm in die Augen zu sehen. »Nur, weil du jetzt weißt, was ich bin, musst du nicht mit den ganzen Förmlichkeiten anfangen. Den Bogen kannst du übrigens behalten. Ich habe mir schon gedacht, dass ich ihn zu schlecht versteckt habe.«
Die Jägerin nickte ergeben und ließ sich erleichtert nach hinten gegen die grobe Rinde der Eiche sinken. Der Wolkenleser lächelte belustigt und erhob sich keuchend wieder auf die Beine. Er nahm die Kräuter auf und brachte sie zu einem Lederbeutel, der nicht weit entfernt von einem Ast herunterhing. Dabei stützte er sich schwer auf seinen Stab.
Tara wandte den Blick von ihm ab und ging wieder ihren eigenen Gedanken nach. Plötzlich fiel ihr erneut der Traum ein, den sie während ihrer Ohnmacht hatte. Was hatte die Nymphe gesagt?
»Doch wisse, es gibt einen Weg,
suche ihn und sei nicht träg:
Der mit dem Segen der Geister,
der mit dem Leser als Meister.
Er wird die Königin ketten.
Er wird Alarchia erretten.
Findest du ihn, so findest du Glück.
Dann bleibt Alarchia ein ganzes Stück.«
Der mit dem Leser als Meister? War damit vielleicht ein Wolkenleser gemeint? Also Cor? Es könnten natürlich auch die anderen beiden sein, doch von ihnen hatte Tara noch nie etwas gehört. Und sollte das dennoch der Fall sein, was sehr unwahrscheinlich wäre, warum sollte eine Nymphe ihr dann eine Botschaft über jemanden überbringen, den sie nicht mal kannte?
Plötzlich ertönte ein schriller Schrei, dann mehrere laute Rufe. Etwas Helles blitzte zwischen den Bäumen auf, die ihr den Blick auf das versperrten, was dort passierte. Schwankend erhob die Jägerin sich auf die Beine und stolperte zu dem Ursprung der Stimmen, wobei sie sich immer wieder an den umstehenden Bäumen abstützen musste.
Vor ihr eröffnete sich eine ungewöhnliche Szene. Eine Frau mit blonden Haaren hatte ihre rechte Hand auf Cor gerichtet. Aus einem ihrer Finger schien ein blauer Blitz zu schießen, der genau in der Mitte zwischen ihr und dem Heiler auf einen weißen Lichtstrahl stieß, der aus dem seltsamen Stein an der Oberseite seines Stabs kam. Dort hatte sich eine eisblaue, leuchtende Kugel gebildet, die immer größer und heller wurde.
»Was...?«, rutschte es Tara heraus, bevor sie etwas dagegen tun konnte. Sofort wandten sich die Köpfe der beiden ihr zu. Der Wolkenleser streifte sie nur mit seinem Blick, doch die Frau riss ihre Augen weit auf. Nur ein Augenblick, in dem sie unaufmerksam war und schon versiegten die blauen Blitze und der weiße Strahl schoss zischend auf sie zu.
Die Frau schrie auf und wurde nach hinten geschleudert. Sie fing sich überraschend schnell und schüttelte den Kopf, sodass Tara einen Blick auf ihre spitzen Ohren werfen konnte. Erschrocken schnappte sie nach Luft.
»Cor! Geh da weg! Sie ist eine Fee! Sie war es, die Yatepa verzaubert hat!« Doch der Wolkenleser schüttelte unmerklich den Kopf. Er hatte seine Augen auf die Fee gerichtet, die sich wieder aufgerichtet hatte und mit vor Erstaunen aufgerissenen Augen die Jägerin betrachtete.
»Du bist Tara!«, sagte sie und diese zuckte zusammen. Woher kannte diese Fee ihren Namen?
Im selben Moment trabte ein schwarzes Pferd aus den dunklen Schatten der Bäume heraus, das sie sofort als Kanesso erkannte. Und zu Kanesso gehörte... Ihr stockte der Atem, als sie Yatepa auf seinem Rücken sah, der sich anscheinend völlig entkräftet an der Mähne des Hengstes festhielt. An seiner rechten Schläfe befand sich eine neue Wunde, die am Rand eine grünliche Kruste gebildet hatte.
»Jetzt hast du dir endlich ihren Namen gemerkt«, entgegnete Yatepa mit einem Hauch von Lächeln auf seinen Lippen.
»Ich verstehe immer noch nicht, wie euer Volk sich so sehr an Namen binden kann!«, entgegnete die Fee und zeigte mit der rechten Hand auf Tara. Die Jägerin trat sofort einen Schritt beiseite. Deine Blitztricks werden bei mir nicht funktionieren, dachte sie.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, rief Tara ihr entgegen und versuchte, so aufrecht wie möglich zu stehen. »Du hast ihm diese Wunde zugefügt! Sag es!«
Die Fee schüttelte den Kopf. Eine einzelne schwarze Strähne wirbelte zwischen ihren anderen helleren Haaren herum. »Wie könnt ihr Menschen nur so dumm sein.«
»Haltet ein!«, befahl Cor mit erhobener Stimme und sofort schloss die Jägerin ihren Mund. Dabei hatte sie gerade eine scharfe Erwiderung auf der Zunge gehabt. »Ich war es, der Yatepa verletzt hat. Er hat versucht, Tara zu töten. Es war die einzige Möglichkeit, ihn davon abzuhalten. Er war nicht ganz bei sich. Etwas...«
»Etwas?«, hakte die Jägerin nach und sah zu Yatepa, der bestürzt den Kopf abgewandt hatte. »Hat dieses Etwas dich dazu gezwungen, mich anzugreifen? War es das gleiche Etwas, das du gesehen hast? Vielleicht hast du es ja nicht nur gesehen? Vielleicht hat es dir dabei geholfen, Unar zu töten? Was bist du, Yatepa?«
Der Bote der Bärenleute biss sich auf die Lippen. »Ich weiß es nicht. Ich kann mich an nichts erinnern, was passiert ist, nachdem ich mit dir auf Kanesso geritten bin. Ich habe doch nicht wirklich versucht, dich umzubringen.« Er sah hilfesuchend zu Cor. »Bitte, das kann nicht sein. Ich würde nie...«
»Ich habe dich aufgehalten«, sagte der Wolkenleser emotionslos. Seine Augen hatte er immer noch auf die Fee gerichtet. Etwas an ihr schien ihm zu schaffen zu machen. »Du bist eine Dryade, nicht wahr, eine Hüterin der Erde?«
Die Blonde nickte überrascht. »Ja. Ich weiß, ich hätte es bemerken müssen. Aber ich versichere dir, ich habe nichts Dunkles an ihm gespürt.«
»Was bist du für eine Fee, die keine Schwarze Magie spüren kann, wenn sich direkt in ihrer Nähe befindet? Du hast ihn nicht einmal geheilt.«
Die Dryade senkte niedergeschlagen den Blick. »Ich besitze die Macht über das Heilen nicht.«
»Nicht?« Der Wolkenleser sah sie fassungslos an, ging aber nicht weiter darauf ein. Stattdessen wandte er sich an Yatepa, der sich immer noch in Kanessos Mähne festhielt. Warum tut er das eigentlich?, fragte sich Tara, bis sie bemerkte, dass der Hengst keinen Halsring mehr trug. Ein Wunder, dass die beiden überhaupt so weit gekommen sind.
»Komm her, Yatepa, und ich werde dich untersuchen«, sagte Cor. Doch der Schluss seines Satzes wurde auf einmal leiser. Alles vor Taras Augen verschwamm. Sie hörte nur noch den Schrei der Fee und spürte, wie ihre Hände versuchten, sich an etwas festzuhalten. Stechender Schmerz fuhr durch ihre Finger, als sich ein Holzsplitter in ihre Handfläche bohrte. Eine Welle von Dunkelheit überkam sie und floss mit ihr davon.
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