Die Tochter der See
»›Die Ausstrahlung einer Fee,
wie ist sie?‹
›Es ist, als wärst du ein Eisberg
und sie die Sonne.‹
›Warum ein Eisberg?‹
›Weil du schließlich noch lebst,
wenn du länger als einen Augenblick
vor ihr stehst, mein Sohn.‹«
AUS DEM KINDERMÄRCHEN
»EINOBI, DER WEISE«
Der Dachs spürte die Gegenwart des Schattens noch bevor er auftauchte. Eine schwarze Gestalt, nur eine dunkle Form im Hellen. Sofort wurde der Umgebung sämtliche Wärme entzogen und die Grashalme unter ihm überzogen sich mit Frost. Klirrende Kälte machte sich breit. Trotzdem blickte Der Dachs mit stolzem Blick zu dem Schatten auf. Ein düsteres Zischeln kam aus der Richtung, wo sich der Mund befinden musste.
»Dar Gosch me hezdil.« Die Stimme war pure Dunkelheit und dort, wo sie erklang, verfärbte sich alles für einen kurzen Moment aschgrau. Auch Der Dachs erschauerte. Die dunkle Sprache war sehr machtvoll, das wusste er, doch es war nicht gut, sie zu leichtfertig zu verwenden. Sie war voller Schwarzer Magie und Hass.
Die Nadgore im Silberwald schienen die Gegenwart des Schattens nun ebenfalls gespürt zu haben. Sie flossen um die Baumstämme herum und zuckten zurück, sobald ein Lichtstrahl sie traf. Wut und Enttäuschung überwältigte Den Dachs, doch er schüttelte unwillig den Kopf und blendete die Nadgore aus.
»Warum ist der Elf geflohen?«, fuhr er den Schatten an und knurrte. »Die Schneeeule sollte erst in der Nacht zuschlagen. Ich dachte, sie wäre die perfekte Meuchlerin. Wie kann es sein, dass sie ihn fliehen gelassen hat?«
»Naz hrot Zamilar, hrot Gasch.«
Diesmal erschauerte Der Dachs nicht, sondern sah den Schatten fassungslos an. »Welche Elfe?« Als er nicht antwortete, hob er drohend seine Klaue. »Antworte mir, welche Elfe? Was hat irgendeine Elfe damit zu tun? Meine Herrin hasst Elfen! Sie hat noch nie welche in ihre Reihen aufgenommen!«
»Azgha mish ithar razgal Gasch.«
»Es ist unwichtig, wer oder was sie war! Der Elf ist uns entwischt, verstehst du das!« Seine Stimme zitterte vor Anspannung. Er wusste, dass er Angst hatte und die Nadgore hinter ihm aufgeregter wurden. Er durfte diese Angst nicht zulassen. Angst machte ihn schwach. Er musste stark bleiben. Stärker als die anderen, wenn er weiterhin so hoch in der Gunst seiner Herrin bleiben wollte. Es war nur ein Auftrag, doch er machte ihm so zu schaffen, wie keiner vor ihm.
»Hrot Gasch zahi morlur nedre Gonmor zeh lohdr.« Der Schatten kräuselte sich voller Genugtuung. Ein dunkler Schleier verfehlte Den Dachs nur um Haaresbreite und er fühlte die Schwarze Magie darin so wie einen Windstoß auf seinem Fell.
»Wie ist ihr Name? Wie ist der Name von dieser verdammten Elfe!«, fragte er wütend. »Sie wird es noch bereuen, mir in die Quere gekommen zu sein!«
»Zishta.«
Dachs fletschte die Zähne. »Traum? Die Elfe heißt Traum? Das ist doch kein Name!« Er grub die Krallen frustriert in die Erde. Bestimmt ist das irgend so ein verdammtes Wortspiel der Elfen!
»Ulor Wemuro?«, zischte der Schatten und streckte gierig einen Fetzen Magie nach ihm aus. Der Dachs wich zurück und kämpfte seine Angst nieder. Wie konnte seine Herrin nur Gefallen an diesen Kreaturen finden?
»Deinen Lohn bekommst du später.« Er sah hoch zu den Schwebenden Inseln. Er würde erneut Kontakt zu Der Schneeeule aufnehmen müssen. Aber würde sie ihm helfen, wenn sie schon hatte, was sie wollte? Einen Wunsch hatte er ihr versprochen. Närrisch... Jetzt würde sie alles daran setzen, seine Bitte zu erfüllen, um ihn sich auch wirklich zu verdienen. Nein, von ihr konnte er nichts mehr erwarten. Er selbst konnte den Goldenen Palast jedoch nicht betreten, um mehr herauszufinden. Zu oft hatte er seine Tiergestalt angenommen. Den Palastangestellten würde sofort auffallen, was er war. Der Dachs versuchte sich daran zu erinnern, wann er das letzte Mal seine Menschengestalt angenommen hatte und gab es sogleich wieder auf. Zu lange war es her.
Die Nadgore hinter ihm wurden unruhig. Er sah auf, bemerkte, dass der Schatten verschwunden war, und blickte zum Silberwald. Nahe des seichten Flussufers war eine Gestalt aufgetaucht. Die Haare klebten der Nixe in nassen Strähnen am Hals und auf den Schultern. Grüne Algen hatten sich darin verfangen und betonten ihre violette Farbe. Der Dachs kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Er kannte sie nicht. Sie war keine der Schicksalsschwestern, von denen er eine ermordet hatte.
»Wer bist du?«, rief er ihr zu und wartete auf eine Antwort, die jedoch nicht kam. Stattdessen schwamm die Wasserfee zum Ufer und stützte sich darauf mit den Armen ab. Kleine Tropfen schillerten in bunten Farben auf ihrer entblößten Haut. Dem Dachs lief das Wasser im Mund zusammen. Ich muss mich beherrschen!
»Wer bist du? Antworte!« Wieder gab die Nixe keine Antwort. Frustriert ging er auf sie zu, während die Nadgore vor ihm zurückwichen und im Wald verschwanden. Je näher er der Fee kam, desto unruhiger wurde er. Sie hatte etwas aufreizendes an sich, das sein Blut zur Wallung brachte. Dabei war er in Tiergestalt. Er unterdrückte ein verärgertes Knurren.
Der Dachs blieb stehen und starrte die Wasserfee grimmig an. Ihre Augen waren ungewöhnlich groß und hellblau wie der Himmel über ihnen. Zwischen ihren Wimpern hatte sich ein Stück Alge verfangen, das sie jetzt wegwischte. Sie blinzelte.
»Was willst du?«, fuhr er die Fee barsch an. »Verschwinde, wenn du hier nichts zu suchen hast!«
Die Nixe zeigte keine Regung. Kein einziger Muskel bewegte sich. Nur ihre Augen musterten ihn von oben bis unten und schienen jedes Stück seines Körpers in sich aufzunehmen. Der Dachs fluchte innerlich. Mit Feen sollte man sich nicht näher befassen. Niemand verstand sie und er selbst wollte sie auch nicht verstehen. Sie waren zu seltsam, wie von einer anderen Welt. Er wollte sich gerade wieder umdrehen, als sie etwas von sich gab. Ein Wort nur, doch dieses eine Wort ließ ihn erstarren. Ein eisiger Schauer fuhr ihm durch den ganzen Körper.
»Woher weißt du davon?«, fragte er mit zitternder Stimme. Das ist unmöglich! Hüterinnen des Wassers sind an ihr Element gebunden! Sie kann es unmöglich gesehen haben! Nicht einmal ich habe das! Die Herrin verlangt höchste Geheimhaltung! Jetzt darf nicht so eine dämliche Nixe daherkommen und alles verraten! Selbst der Elf macht mir schon zu große Probleme!
Die Wasserfee antwortete nicht, sah ihn nur amüsiert an. Schließlich blinzelte sie und streckte sich aufreizend weit aus dem Fluss hinaus. Mit ihrer Hand fuhr sie durch sein schwarz-weißes Fell. »Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten«, flüsterte sie und zog sich wieder zurück. »Aber das Wasser ist überall. Es ist mein Element. Alles, was ich weiß, habe ich dadurch erfahren. Durch das salzige Wasser des Meeres, die Wassertropfen der Wolken, das gefrorene Wasser des Schnees, das Wasser im Blut aller Geschöpfe und das Wasser im Saft der Bäume. Alle sagen, Wasser ist das ruhigste Element, doch das stimmt nicht. Es ist das stürmischste!«
Der Dachs rang nach Worten, konnte jedoch nichts sagen. Die Nixe lächelte. Sie wusste, dass er jetzt nicht umkehren konnte. Nicht jetzt, wo sie von der größten Waffe seiner Herrin erfahren hatte. Aber hat sie es wirklich nur durch ihr Element erfahren? Oder versteckt sich ein Verräter in den Reihen der Herrin? Er war sich nicht sicher.
»Ich weiß, wo es regnet. Ich weiß, wo Schnee fällt. Ich weiß, wo Tränen geweint und Blut vergossen wird. Jetzt, in diesem Augenblick«, sie schloss die Augen und hob die Arme in die Luft, »weiß ich, dass das Blut eines Elfen auf der Landzunge vergossen wurde. Ich weiß, dass sein Herz noch schlägt.« Sie öffnete die Augen wieder und lehnte sich zu ihm rüber. »Du suchst ihn doch, diesen Elfen, oder nicht?«
Der Dachs versuchte, sich nichts von seiner Panik anmerken zu lassen. Innerlich fluchte er. Zu oft hatte er in letzter Zeit die Hilfe von anderen in Anspruch genommen. Immer noch lastete sein Versprechen an Die Schneeeule auf ihm. »Ja«, krächzte er und bemerkte das kurze Aufblitzten von Stolz in den Augen der Nixe.
»Ich habe dir bereits einen Dienst erwiesen. Wirst du mir auch einen Gefallen tun?«
Der Dachs kniff die Augen zusammen und nickte.
»Ziehe mit deinen dunklen Schatten von hier weg. Lass die Nadgore in anderen Wäldern nach Opfern suchen. Die Baumgeister sind gutmütige Wesen. Lass sie leben, so wie sie es immer getan haben und lass den Silberwald sich erholen.«
»Was gibt dir das Recht dazu, mir Befehle zu geben?«, knurrte er sie wütend an. »Halte dich fern von mir. Das geht dich und dein Volk nichts an!«
Die Nixe machte einen Schmollmund. »Wenn du nicht tust, was ich dir gesagt habe, wird der Elf durch meine Hand sterben. Und sein Tod wird sehr qualvoll und voller Angst sein. Denkst du, die Nadgore werden begeistert davon sein, dass du ihnen die Nahrung stiehlst, die ihnen eigentlich zusteht. Sie ernähren sich doch von Angst?«
Darauf gab Der Dachs keine Antwort. Es schwang eine Drohung in ihren Worten mit, die ihm nicht gefiel. Wenn diese Nixe mithilfe ihrer Macht über das Blut den Elfen töten konnte, könnte sie auf dieselbe Weise auch ihn töten. Er verkniff sich ein verärgertes Knurren. Die Wasserfee hatte seine Schwachstelle erkannt, die eigentlich keine war. Er hing an seinem Leben und hasste den Tod. Er war zu schmerzhaft und unvorhersehbar, voller Ungewissheit. »Ich werde den Silberwald verlassen«, gab er schließlich nach. »Doch ich kann nicht garantieren, dass die Nadgore mir folgen werden. Die Baumgeister sind ein gefundenes Fressen für sie. Sie werden es nicht verstehen.«
»Zieh fort!«, beharrte die Wasserfee. In ihren Augen flammte Zorn auf. »Hier ist kein Platz für euch. Ich werde Stillschweigen bewahren, aber dafür musst du von hier weg.«
Widerwillig nickte Der Dachs und die Wasserfee verschwand im Wasser. Verärgert blickte er der Nixe hinterher. Ihr Schatten bewegte sich stromabwärts wieder in den Silberwald hinein. Ich werde mich zu der Landzunge aufmachen. Hoffentlich gibt es im Perlenwald immer noch genug Leben, dem man Angst einflößen kann. Meine Herrin braucht den Elfen unversehrt. Ich hoffe, dass diese Fee ihr Wort hält, obwohl Wasser unberechenbar ist.
Ich halte immer mein Wort. Überrascht hielt Der Dachs inne. Es war unverkennbar die Stimme der Nixe, doch sie klang älter, viel älter und wie von ganz weit weg. Schließlich bin ich bekannt als Arif, die Tochter der See, geboren aus einer Königsmuschel am Grund des Nixenteichs im Silberwald.
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