Die drei Boten
»Ich sehe dich.
Ich sehe dich, wie du mich anblickst
durch die eisernen Stäbe meines Gefängnisses.
Die Dunkelheit hinter dem Lichtschein deiner Fackel,
sie wächst.
Noch merkst du es nicht,
doch bald werden die Schatten meiner Herrin kommen.«
DER WOLF,
TIERGEIST IN DEN KERKERN DES GOLDENEN PALASTES,
KURZ NACH DER ERMORDUNG DES ERSTGEBORENEN PRINZEN
»Du hast es nicht geschafft, den Auftrag auszuführen, den ich dir gegeben habe!« Die Worte waren wie eine Schwertklinge, die in sein Herz gestoßen wurde. Der Dachs zuckte zusammen, obwohl er sich eigentlich geschworen hatte, standhaft zu bleiben. »Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«
Er hob zögerlich seinen Blick und starrte in tiefschwarze Augen. Der Zorn, der aus ihnen sprach war zu erdrückend, als dass er ihrem Blick länger standhalten konnte. Der Dachs musste all seine Kraft aufwenden, um nicht zu winseln und die Ohren anzulegen. Die Macht, die seine Herrin ausstrahlte machte ihn zu einem Nichts, einem willenlosen Geschöpf. Der Schatten, der bis zuletzt an seiner Seite gewesen war, hatte ihn nun ebenfalls verlassen. Die verfluchte Klinge blitzte dicht neben dem silbernen Thron seiner Herrin auf.
»Ich flehe Euch um Verzeihung an, meine Herrin«, flüsterte er und duckte sich unter den Worten der dunklen Königin wie unter einer Peitsche.
»Ich habe dir verziehen, als du den Elfen im Silberwald nicht töten konntest. Ich habe auch Gnade walten lassen, nachdem er dir im Goldenen Palast entwischt ist. Was soll ich nun tun? Du hast auch deine dritte Chance vertan.« Einer der silbernen Ringe, die sie an ihren Fingern trug, knirschte über die Armlehnen des Throns. Der Rubin funkelte im Licht des roten Mondes Keo. »Die Hälfte der Nadgore, die ich dir mitgegeben habe, um den Silberwald von den Baumgeistern zu befreien sind zu Nichts geworden. Der Rest lungert verloren im Perlenwald herum. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass die dunklen Schatten sich von Furcht ernähren?«
Seine Herrin nagelte ihn mit ihrem Hass am Boden fest. Er konnte sich nicht rühren und war ihrer Wut voll und ganz ausgeliefert. Die Königin erhob sich von ihrem Thron und kam die sechs Stufen zu ihm herab. Die Kälte, die mit ihr kam, stammte von dem Schatten. Die schwarze Gestalt huschte treu neben ihr her, immer bereit, immer wachsam.
»Ich bitte Euch...« Der Dachs leckte sich ängstlich über die Lippen. »Ich werde den Elfen finden und töten. So wie Ihr es gewollt habt. Seine Leiche werde ich zu Euch bringen. Wie Ihr es verlangt habt. Ich...« Kaltes Metall schmiegte sich an seine Kehle und er unterdrückte ein leises Knurren. Er wusste tief in sich drinnen, dass der Schatten ihn verraten würde, doch er hätte nicht erwartet, dass es auf diese Weise geschehen würde. Seine Herrin blieb vor ihm stehen. Ihre Hand legte sich auf seine Brust und ihre Finger krümmten sich, als würden sie sein Herz herausreißen wollen.
»Du weißt, was ich mit denjenigen tue, die meine Befehle nicht ausführen.« Ihre Stimme war kalt wie das Eis, mit dem die Flüssigkeit im Eisenwasser-Brunnen von Ilasnar überzogen war. Der Atem Des Dachses stand ihm in weißen Wolken vor seinem Mund. »Auch als Tiergeist hast du keinen Nutzen mehr.« Er keuchte auf, als ihre Finger sich in sein Fleisch gruben und sein pochendes Herz umklammerten, das immer schneller schlug. »Du bist nutzlos«, zischte sie voller Hass.
Eisige Klauen bohrten sich wie die Zähne eines Frostwolfes in sein Innerstes. Langsam aber sicher gefror das Blut in seinen Adern und Eis knisterte auf seinem Fell. Flehend blickte Der Dachs seiner Königin in die schwarzen Augen, die keine Gnade kannten. Ihre roten Lippen kamen auf ihn zu, als wolle sie ihm einen tödlichen Kuss geben, doch plötzlich hörte er ein leises Flüstern an seinem Ohr.
»Zum Glück habe ich erfahren, dass der Elf bei der Schlangenfrau ist.«
Sie zog ihre Hand zurück und der Schatten ließ seine verfluchte Klinge wieder in den umherwirbelnden Schwaden der Schwarzen Magie verschwinden. Der Dachs brach kraftlos in sich zusammen. Alle seine Sinne schrieen nach Wärme, obwohl er wusste, dass er sie an diesem Ort nicht finden konnte. »Bei der Schlangenfrau?«
Die dunkle Königin nickte wortlos und stieg die sechs Stufen erneut hoch. Ihre schwarzen Haare wogten bei jedem Schritt wie der Schleier einer Stummen Schwester und die Absätze ihrer schimmernden Schuhe klirrten.
»Die Schlangenfrau lebt noch?«, keuchte Der Dachs und riss sogleich entsetzt die Augen auf. Sie ist eine der ältesten Dienerinnen der Herrin! Natürlich lebt sie noch! Wie kann ich nur so etwas fragen? Seltsamerweise lächelte sie nur und winkte mit ihrer Hand jemanden heran, der anscheinend schon die ganze Zeit in der Dunkelheit neben dem Thron gewartet hatte.
Es war nicht nur einer, der vortrat, sondern gleich zwei. Beide Tiergeister, Schwestern. Der Dachs kannte die Geschichten über sie. Sie gehörten zu den treuesten und hingebungsvollsten Dienern der Herrin. Bei keinem ihrer Aufträge hatten sie versagt, führten sie mit äußerster Präzision und Diskretheit aus. Er wunderte sich, dass sie hier, in Ilasnar, waren, wo die dunkle Königin doch so viele unerledigte Dinge hatte. Oder waren sie aufgestiegen? War das der Grund dafür, dass ihnen die Ehre geschenkt worden war, neben dem Thron zu stehen? Der Dachs musste sich zusammenreißen, um den Schwestern keine hasserfüllten Blicke zuzuwerfen. Mit ihnen sollte man sich besser nicht anlegen. Besonders, wenn sie wirklich zu den engsten Vertrauten der Herrin aufgestiegen waren.
»Du bist der dritte Bote, den ich in letzter Zeit empfange.« Das Lächeln der dunklen Königin war eher beunruhigend als ermutigend. Der silberne Ring mit dem Rubin funkelte im Licht des roten Mondes. »Der erste war Die Schneeeule.«
Der Dachs zuckte bei dem Namen zusammen und war froh, dass seine Herrin das nicht gesehen hatte. Sie starrte nachdenklich in die Ferne jenseits des Throns, vor dem sie stehen geblieben war. Doch eine der Schwestern hatte es bemerkt. Die mit dem schmalen Gesicht und den schmutzig braunen Haaren. Sie grinste ihn gehässig an und ließ dabei ihre schiefen, gelben Zähne sehen. Wenn Der Dachs sich vorher nicht sicher gewesen war, welche der Schwestern welche war, so war er sich nun vollkommen sicher, dass es Die Ratte war, die seine Schwäche bemerkt hatte. Er versuchte, nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn die Herrin erfuhr, dass er Der Schneeeule einen Wunsch schuldete, und zwang sich dazu, seine gesamte Aufmerksamkeit auf die dunkle Königin zu richten.
»Die Schneeeule?«, fragte er möglichst neutral.
»Sie erzählte mir von ihrer Flucht aus dem Goldenen Palast«, fuhr seine Herrin fort und drehte sich nun langsam zu ihm um. Ihre schwarzen Augen waren wie eisige Pfeile, bohrten sich direkt in sein Herz und ließen es erfrieren. »Sie hat ihren Auftrag zwar nicht ausgeführt, mir jedoch eine Botschaft der Schlangenfrau überbracht. Der Elf ist bei ihr im Perlenwald. Sie bildet ihn aus. Und er hat ihr den Namen der kleinen Seherin verraten. Tara.«
Tausend Fragen wirbelten in seinem Kopf umher, doch er wagte es nicht, auch nur eine von ihnen zu stellen. Die Herrin betrachtete ihn. Nachdenklich, abschätzend. Das rote Licht Keos schien auf ihre blasse Haut und ließ sie aussehen, als hätte sie in Blut gebadet. Die schwarzen Haare waren ein trostloses Leichentuch.
»Aber wenn Die Schneeeule Euren Auftrag nicht ausgeführt hat...« Der Dachs biss sich auf die Zunge. Es war grundsätzlich keine gute Idee, einen Satz, der an die dunkle Königin gerichtet war, mit ›aber‹ zu beginnen. Erst recht nicht, wenn sie ihn erst kurz zuvor begnadigt hatte. Er warf Der Ratte und ihrer Schwester, Der Maus, einen raschen Blick zu. Erstere wirkte durch und durch amüsiert, während letztere Mitleid mit ihm zu haben schien. Sie war kleiner als ihre ältere Schwester, hatte ein rundes Gesicht und eine feine Nase. Auch trug sie keine Kriegerrüstung, sondern ein einfaches Gewand aus gelblich braunem Stoff, das von der gleichen Farbe wie ihre kurzen Haare war. An ihrem Gürtel hing ein elfenbeinfarbener Maneco-Stab. Der Dachs wusste, dass der magiebegabte Tiergeist mit diesem Stab einst dreiunddreißig Verräter an der Herrin hingerichtet hatte. Die Maus war nicht zu unterschätzen.
»Ein Dachs bleibt immer ein Dachs, nicht wahr?« Anhand der Kälte in der Stimme seiner Herrin war es unmöglich zu sagen, ob es eine belustigte Bemerkung oder ein Vorwurf sein sollte. »Immer darauf bedacht, für sich selbst das Beste zu haben. Wenn andere versagen, freut er sich. Um deine Frage zu beantworten: Die Schneeeule lebt, denn der zweitgeborene Prinz ist nicht mehr im Goldenen Palast, wo der König ihn beschützen könnte. Er ist freiwillig zu mir gekommen. Zusammen mit einer Schar Himmelskrieger und Adlerreiter.«
Der Dachs schluckte. Gibt es wirklich einen Verräter unter ihren Dienern? Wie konnte der Prinz sonst herausfinden, dass wir uns in Ilasnar sammeln? Und woher sonst hätte die Nixe aus dem Silberwald damals von der Waffe wissen können? Denkt sie... Denkt sie, ich bin der Verräter? Er presste die Klauen so fest gegen den harten Boden, dass es schmerzte. Er musste standhaft bleiben, durfte keine Schwäche zeigen. Der Schatten weiß, dass ich sie nicht verraten habe. Ich hätte vor ihrem Zorn fliehen können, aber ich habe es nicht getan. Ich bin ihr treu ergeben. Treu ergeben. Mehrmals wiederholte er die Worte in seinem Kopf, bis er selbst vollkommen davon überzeugt war.
Seine Herrin schaute ihm direkt in die Augen. Der Mondstein an ihrer Kette leuchtete rot im Licht Keos. »Ich weiß, dass du mich niemals verraten würdest, oder? Nicht nach all dem, was ich für dich getan habe. Erinnerst du dich an damals?«
Er erinnerte sich. Er erinnerte sich allzu gut. An die Jahre auf der Straße. Was er getan hatte, um zu überleben. Die Blicke der Vorbeigehenden. Ihre Verachtung und gleichzeitig, bei einigen, Eifersucht. Dabei wussten sie nicht, was er durchgemacht hatte. Seine Gedanken schweiften wieder ab. Hin zu... Der Dachs verzog seine Lefzen zu einem boshaften Grinsen. Rache. Sie hat mir Rache an all jenen versprochen, die die Schwächeren ausnutzen. Und nicht nur das. Sie hat mir Sicherheit gegeben. Ein neues Zuhause. Ein Ziel im Leben. Er liebte das Leben nicht, aber er hing an ihm wie ein Süchtiger am Adramelech.
»Ich weiß, dass du dich daran erinnerst«, sagte die dunkle Königin kalt. »Du bist kein Verräter. Aber wisse, ich werde ihn finden. Oder sie.« Urplötzlich richteten ihre schwarzen Augen sich auf die zwei Schwestern. Sie zuckten nicht zusammen, starrten ihr nur erhobenen Hauptes entgegen. Die Ratte zeigte ihre gelben Zähne und stieß Der Maus ihren Ellenbogen in die ungeschützte Seite, woraufhin der rundgesichtige Tiergeist leicht lächelte und den Maneco-Stab aus dem Gürtel zog. Die Maus malte einige Linien in die Luft, die für wenige Augenblicke als gelbe Flammen zu sehen waren, bis sie mit einem Mal verpufften. Statt ihnen schwebte nun ein Pergamentfetzen vor den zwei Schwestern. Die Ratte zupfte ihn aus der Luft und reichte ihn mit einer Verbeugung ihrer Herrin. Die dunkle Königin hielt ihn hoch, sodass das rote Licht Keos es beleuchtete. Der Dachs konnte drei Wörter in der Dunklen Sprache erkennen. Nur drei.
»Sie ist hier«, las die Herrin ihm vor. »Diese Nachricht hat mich vor etwa acht Tagen erreicht. Der zweite Bote, der Falke, der sie mir gebracht hat, kommt aus Zowuza.«
Zowuza! Der Name der Stadt loderte in seinen Gedanken auf wie ein heißes Feuer. Er hatte nicht damit gerechnet, dass der General es wagen würde, wieder Kontakt zu seiner Herrin aufzunehmen. Nicht, nachdem er bei der Rebellion der Zwerge versagt hatte. Warum also...?
»Die kleine Seherin«, beantwortete seine Herrin die Frage, bevor er sie zu Ende denken konnte, »ist in Zowuza. Bei ihm. Nicht mehr bei den Wolfsleuten, was der Elf der Schlangenfrau auch bestätigen konnte. Alle Mühe umsonst. Schade um die Kraft, die meine Diener dafür verschwendet haben, sie alle zu töten, aber das ist jetzt nicht mehr wichtig. Sie ist bei ihm. Du weißt, was das bedeutet?«
»Wie könnt Ihr Euch sicher sein, dass sie wirklich bei ihm ist?«, meldete sich Die Maus zu Wort. Sie hatte den Maneco-Stab immer noch in der Hand, doch seine Spitze zeigte zu Boden. »Der General hat Euch schon ein Mal enttäuscht.«
»Stell das Urteilsvermögen unserer Herrin nicht in Frage!«, zischte Die Ratte ihrer Schwester zu und gab ihr eine schallende Ohrfeige, die den Tiergeist leise auffiepen ließ. Doch schnell hatte Die Maus sich wieder gefangen, schlug die Augen nieder und schwieg. Der rote Handabdruck war auf ihrer Wange deutlich zu sehen.
»Der General kann Zowuza nicht verlassen«, fuhr die dunkle Königin fort als wäre nichts geschehen. »Aber wenn es keine Stadt mehr gibt, die er verlassen kann...« Ihre roten Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln und sie sah Den Dachs erwartungsvoll an. »Zowuza wird vernichtet. Bald sollten die Schiffe aus Gol-Gabur im Hafen der Stadt anlegen. Die Namenlosen werden Zowuza überrollen wie eine Flutwelle. Und sie werden den General und die kleine Seherin Tara zu mir bringen.«
Der Dachs verzog die Lefzen zu einem zufriedenen Grinsen, zeigte die Zähne. »Gewährt mir die Ehre, an dem Angriff teilzuhaben.« Es war gefährlich, Forderungen zu stellen. Besonders, wenn es darum ging, durch die Welt der Magie zu reisen, um ohne Zeitverluste an einen bestimmten Ort zu kommen. Er wusste, dass er nicht genug Magie dafür hatte. Aber seine Herrin schon.
»Ich brauche dich hier«, wies sie seine Bitte grob ab, doch in ihren schwarzen Augen blitzte ein Funken von Zufriedenheit auf. »Eine Schlacht steht bevor.«
Er versuchte, sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Wieder sah er zu den zwei Tiergeistern. Während Die Maus den Blick immer noch gesenkt hatte, starrte Die Ratte ihn mit unverhohlenem Spott an. Ihre langen Finger spielten mit dem Griff eines Wurfmessers herum, von denen sie sich einen ganzen Gürtel voll quer über den Oberkörper geschlungen hatte.
»Es ist mir eine Ehre, an dieser Schlacht teilnehmen zu dürfen«, sagte Der Dachs und verbeugte sich so tief, wie es ihm in seiner tierischen Gestalt gelang. »Gegen wen werden wir kämpfen?«
»Gegen den König«, antwortete seine Herrin. Ihre Hände glitten über die Lehnen des Thrones, sanft, fast zärtlich. Mit einer eleganten Bewegung ließ sie sich auf ihm nieder, überschlug die Beine. Keo stand nun genau so hoch, dass seine rote Scheibe einen leuchtenden Kranz um ihr Haupt malte. Wie eine blutrote Krone. »Zefalo möchte seinen Sohn zurück haben. Er wird kommen. Morgen schon.« Der Schatten tauchte an ihrer Seite auf. Zischte Den Dachs bedrohlich an.
»Ich werde bereit sein«, versprach er und hoffte, dass er damit nicht gelogen hatte.
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