Der Dachs und der Schatten
»Streif deine Haut ab, wenn sie dir nicht passt.
Selbst, wenn sie dich kaltblütig nennen.
Und wenn sie deinen Wachstum aufhalten wollen,
dann öffne deinen Kiefer
und schnappe nach ihrer Kehle.«
DIE VIPER ZU DER NATTER,
528 DGW
Im Schatten der Bäume fühlte er sich geschützt. Die Dunkelheit dort gab ihm Kraft. Von ihr erlangte er auch die Magie, die er brauchte, um seine Zauber aufrecht zu erhalten. Schwarze Magie. Er war zwar nicht einer der Nadgore, doch er war mindestens genauso gefährlich.
Schon seit der Nacht der drei Monde beobachtete er den seltsamen Elfen, der sich als erster seiner Art freiwillig in den Silberwald gewagt hatte. Natürlich, die Lieder der Baumgeister waren verlockend, aber die meisten Spitzohren fürchteten sich vor ihnen. Selbst der ehemalige Fürst Ilasnars, der einzigen Stadt am Ostufer des Sees der Leidenschaft, war dem Ruf der Baumgeister nicht gefolgt, obwohl er als sehr mutig gegolten hatte. Fürst Nimeshall ar Geram, der Trolltöter von Ilasnar, so hatte er geheißen. Ein ewig langer Name, den er sich nur gemerkt hatte, weil er es ulkig fand, wie die Elfen und Menschen so viel Aufhebens um ihre Titel machten. Doch diese Gestalt auf dem Felsen war eindeutig ein Elf. Seelenruhig starrte er auf das Meer hinaus und ahnte nicht, wer ihn beobachtete.
Der Dachs knurrte. Wenn er in seiner menschlichen Gestalt wäre, hätte er diesen Elfen schon lange getötet. Gierig leckte er sich die Lippen. Er wollte Blut, das Blut dieses Elfen. Wie sehr er doch die Zeiten vermisste, als er seine Beute noch zerfleischen und ihr Blut trinken konnte. Es hatte ihn gestärkt, so wie alles, was mit dem Tod zu tun hatte. Jetzt konnte er es aber nicht machen. Nicht jetzt, wo die Herrin seine Dienste benötigte.
Sie hatte ihm befohlen, diesen Elfen zu töten. Nur zu töten, nicht zu fressen und zu zerfleischen. Wiederwillig hatte er gehorcht und die Nadgore auf ihn gehetzt. Doch sie waren zurückgewichen. Dieser Elf war von Liebe durchdrungen, was wie ein Gift für sie gewesen war. Er sollte Angst bekommen, so große Angst, dass er die Liebe vergaß. Nur ein kurzer Augenblick hatte gereicht. Es war der Moment gewesen, in dem die Baumfrau gestorben war.
Es war dumm von den Baumgeistern gewesen, genau sie zu schicken, um den Elfen zu den Hüterinnen des Wassers zu bringen. Denn Der Dachs wusste, wie sie hieß und wo ihr Baum stand. Er hatte den Nadgore befohlen, ihren Baum sofort zu töten, was sie normalerweise nie taten. Die dunklen Schatten ernährten sich nämlich von der Angst der Baumgeister, denen diese Bäume gehörten. Doch Der Dachs hatte schnell handeln müssen, sonst wäre der Elf ihm entkommen. Denn er selbst konnte ihn nicht töten. Diese blöden Baumgeister hatten eine Dornenhecke mitten im Silberwald gepflanzt, die alles Böse fern hielt. Nur die Nadgore nicht.
Der Dachs leckte sich mit der Zunge über seine Lefzen. Es war einfach nur Pech gewesen, dass die beiden Schicksalsschwestern dem Elfen geholfen hatten. Normalerweise taten sie das nie; daraus hatte er geschlossen, dass er etwas Besonderes war.
Er hatte zwar nochmal versucht, die dunklen Schatten auf ihn los zu schicken, aber auch das hatte nicht geklappt. Diese verbannten Nixen hatten etwas mit ihm angestellt. Er war nur so von Liebe durchdrungen. Seltsam.
Der Dachs knurrte wieder. Sollte er seine Herrin fragen, was er tun sollte? Nein. Sie wollte nicht gestört werden, das hatte sie selbst gesagt. Und er wollte sie nicht enttäuschen, indem er ihr von seinem Versagen berichtete. Es war ohnehin schon ein Glück, dass sie persönlich mit ihm redete, weswegen er von vielen beneidet wurde. Nur mit ihren engsten und gehorsamsten Gefolgsleuten sprach sie direkt und in Gedanken.
Plötzlich schoss ein sengender Schmerz durch seinen Kopf, als würden tausend glühende Nägel sich in seine Stirn bohren. Der Dachs schnaubte kurz, wagte es aber nicht, seinen Schmerz offen zu zeigen. Die Nadgore um ihn herum würden ihn für einen Schwächling halten, wenn sie ihn so sahen.
Die melodische Stimme seiner Herrin ging ihm durch Mark und Bein. Sie schien ruhig, aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, dass sie furchtbar wütend war.
»Was ist los bei dir? Hast du den Elfen getötet?«, verlangte seine Herrin zu wissen.
Er zögerte. Wenn er ihr die Wahrheit sagte, würde sie dann nicht mehr persönlich mit ihm sprechen? Würde sie einen ihrer Berater für ihn verantwortlich machen?
Schmerz floss durch seinen Kopf und es erschien ihm, als würden Flammen durch seine Adern fließen, und kein Blut. »Ich verlange Antworten! Dieser Elf hat es vielleicht gesehen! Was ist bei dir los, Dachs?« Ihr Tonfall klang nun schon etwas drängender.
»Die Nadgore können dem Elfen nichts antun«, gab er nun nach und bereitete sich auf die Strafe seiner Herrin vor.
»Nichts?« Ihre Stimme überschlug sich, dann war es still. Der Dachs hörte Gemurmel wie aus weiter Ferne, dann meldete sie sich wieder. »Bleib weiter an diesem verdammten Elfen dran. Töte ihn und bringe ihn dann zu mir. Ich brauche seinen Körper. Ganz! Nicht zerfleischen! Wehe dir, wenn er auch nur eine Schramme hat. Ich brauche seinen unverwundeten Körper, dann werden wir das erste Mal einen Spion mit den Eigenschaften eines Elfen haben. Welchem Stand gehört er an? Kannst du das erkennen?«
Der Dachs wusste, dass seine Herrin keinen Widerstand duldete, deshalb sah er nochmal zu dem Elfen. Er konnte keine Narben oder stark ausgebildeten Muskeln an ihm erkennen, also war er kein Krieger, aber auch kein Mann, der sich gerne die Hände schmutzig machte. Seine Kleidung wies auch keine Goldstickereien oder sonstigen Schmuck auf, der ihn als Adligen hervorgetan hätte. Der Dachs besah sich das Notizbuch, das der Elf in den Wald geschmissen hatte. Er hatte es mitgenommen, auch wenn er das Vahisische nicht verstehen und die Seiten nicht umblättern konnte.
»Er scheint ein Wissenschaftler zu sein. Ich habe sein Notizbuch hier vor mir liegen«, sagte Der Dachs und wartete auf die Antwort seiner Herrin, die auch sofort kam.
»Schicke den Schatten mit diesem Buch zu mir und sorge dafür, das dieser Elf gefälligst stirbt. Lass dir was einfallen, wenn die Nadgore nicht helfen.«
Der Dachs spürte, dass sie nun aus seinen Gedanken verschwunden war. Er drehte den Kopf und schnalzte kurz mit der Zunge. Im selben Augenblick verdunkelten sich die Pflanzen und Bäume um ihn herum. Ein kühler Wind strich über sein schwarz-weißes Fell. Kleine Eiskristalle bildeten sich auf den Blättern um ihn herum, die sofort verwelkten. Die Schatten verstanden es, ihren Auftritt respekteinflößend hinzulegen.
Er schaute hoch und blickte in ein schwarzes Nichts, das etwas hinter sich zu verbergen schien. »Die Herrin wünscht, dass du ihr dieses Buch bringst«, sagte Der Dachs und stupste es zu dem Schatten.
Eine schwarze Klaue fuhr hinab und hob das Notizbuch auf. Für einen kurzen Moment erhaschte er einen Blick auf zwei Krummsäbel, die im Licht eines kleinen, verirrten Sonnenstrahls verräterisch aufblitzten.
»Un dar Gosch?«, zischelte eine dunkle Stimme, die eine Wirkung wie ein Peitschenhieb hatte.
Doch Der Dachs schreckte nicht zurück. Er selbst beherrschte auch die Dunkle Sprache, benutzte sie aber nicht gerne. Sie machte einen Knoten in seine Zunge. »Der Elf?«, hakte er nach und sah zu dem Schatten hoch. »Um den werde ich mich kümmern.«
Die schwarze Gestalt zischte noch etwas, was er aber nicht verstand und verschwand wieder so schnell, wie sie gekommen war. Nur die verwelkten Blätter erinnerten noch an das Verweilen eines Schattens im Silberwald.
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