Das Drachenfeuer
»Feuer knistert, Funken sprühen,
Von Baum zu Baum Flammen glühen.
Nichts bleibt verschont, alles vergeht.
Es brennt, Rauch steigt, heißer Wind weht.
Plötzlich, rot wie ein Feuersturm,
Brüllt aus dem Brand ein Flammenwurm.
Leuchtende Augen, Schuppenhaut,
Flügel wie Riesen, Fels der taut.«
DRITTE UND VIERTE STROPHE DES GEDICHTS
»KÖNIG ZEFALO, HERZOG DER LÜFTE«
Der Wald flog nur so an Tara vorbei. Sie nahm nichts wahr außer dem Donnern der Hufe auf der Erde und den kaum erkennbaren Weg vor ihr. Nebar hatte ihr eigentlich befohlen im Lager zu bleiben, weil es zu gefährlich für eine so unerfahrene Kriegerin wie sie war, ins Verbotene Tal aufzubrechen und dort vielleicht sogar gegen einen Drachen kämpfen zu müssen. Doch ein Gedanke hatte sie dazu getrieben, trotzdem aufzubrechen. Ein Gedanke, der ihr keine Ruhe gelassen hatte, seit diesem Tag, an dem sie in dem Haus des Heilers aufgewacht war und dieser ihr gesagt hatte, dass ihre Eltern tot waren.
Tara wurde fast von dem Rappen abgeworfen, als dieser über einen umgefallenen Baumstamm sprang und kurz danach um eine Kurve preschte. Hier wurde der Wald schon lichter. Verkohlte Äste und trockenes Laub lagen auf dem Boden und knirschten bei jeder Berührung laut auf. Ab hier war es nicht mehr weit bis zum Verbotenen Tal.
Soll ich vielleicht lieber absteigen und den Rest des Weges zu Fuß gehen?, überlegte sie kurz, entschied sich dann aber doch dagegen. Wenn die anderen auch hier abgestiegen wären, hätte ich ihre Pferde gesehen.
Dennoch zügelte die junge Frau den schwarzen Hengst, der überrascht den Kopf zurückwarf und laut schnaubte. Sein Atem ging schnell und Schweiß bedeckte das Fell an seinen Flanken. Es war noch ein sehr junger Rappe. Eigentlich hätte Tara ihn gar nicht als Reittier nehmen dürfen, da er nicht einmal eingeritten war, aber sie hatte keine andere Wahl gehabt. Er war das einzige Pferd gewesen, das noch auf der Koppel gestanden hatte und nicht mit den Jägern ausgezogen war. Sie kannte nicht einmal seinen Namen.
Beruhigend strich Tara dem Rappen über dem Hals, während sie ihn nun im Schritt immer weitertrieb. Mittlerweile lag der Geruch von verbranntem Holz in der Luft. Kleine Ascheflocken flogen ihr entgegen, als ein Windstoß ihr die Haare aus dem Gesicht wehte.
Ich muss jetzt auf der Hut sein. Irgendwo hier ist ein Drache. Er hat meine Eltern getötet und die Hälfte des Waldes abgebrannt. Niemand weiß, wozu er sonst noch in der Lage wäre. Sie erschauerte. Vielleicht weiß er sogar schon, dass ich in der Nähe bin.
Die junge Frau überprüfte nochmal ihre Ausrüstung. Sicherheitshalber hatte sie alle Wurfmesser mitgenommen, die sie besaß. Insgesamt elf Stück. In ihrem Pfeilköcher hatte sie zwei Dutzend Pfeile – die besten, die sie jemals geschnitzt hatte. Wenn Tara erstmal die Augen des Drachen getroffen hatte, konnte er sie nicht mehr sehen. Dann musste sie nur noch leise sein und genau zwischen die Schuppen zielen, die sein Herz abschirmten.
Aber bestimmt wird es nicht so leicht sein, mutmaßte Tara und zog ihren Gürtel straffer. Er durfte ihr im Kampf auf keinen Fall abhandenkommen. Nebar hatte ihr grausige Geschichten von Kriegern erzählt, die während des Gefechts gestorben waren, weil sie den Dolch an ihrem Gürtel nicht erreichen konnten, nachdem ihnen das Schwert abhanden gekommen war. So wie sie verstanden hatte, war dieser Kampf vor genau zehn Jahren gewesen und der König von Alarchia selbst war darin verwickelt gewesen. Jedenfalls würde ihr Mentor es nicht gut heißen, dass sie alleine losgezogen war. Wenigstens hatte er sie nicht bemerkt, als sie den schwarzen Hengst von der Koppel geholt und ihn gesattelt hatte.
Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Brüllen, das der jungen Frau durch Mark und Bein ging. Ximou! Der Rappe, auf dem sie saß, legte die Ohren an, blieb stehen und ging einige unsichere Schritte zurück.
»Nein, komm schon«, zischte Tara und trieb den Hengst weiter vorwärts. Dieser warf aber den Kopf zurück, schüttelte die Mähne und schnaubte. Als auch noch ein zweites Brüllen ertönte, ging er vollkommen durch und stieg auf die Hinterbeine.
Die Jägerin schrie auf, ließ vor Schreck die Zügel los und kam hart auf dem Waldboden auf. Sie schnappte entsetzt nach Luft und sah auf. Der Rappe hatte sich umgedreht und preschte in vollem Galopp zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Zurück zum Lager.
Tolles Pferd, dachte Tara wütend und rappelte sich stöhnend auf. Zum Glück hatte sie in ihrer Ausbildung gelernt, richtig zu fallen. Sonst hätte sie sich noch alle Knochen gebrochen. So war sie gerade noch so mit einer Schürfwunde am Handgelenk davongekommen. Die junge Frau nahm ihren Wasserbehälter und tröpfelte etwas von der kühlen Flüssigkeit auf die Wunde. Dann riss sie einen Streifen Stoff von ihrem Unterhemd ab und wickelte es darum.
Hoffentlich riecht Ximou das Blut nicht, dachte Tara, bevor sie sich kurz orientierte und weiter in Richtung des Verbotenen Tals ging. Es wunderte sie etwas, dass sie immer noch keine Anzeichen der anderen Wolfsleute gesehen hatte. Allmählich müssten doch wenigstens die Pferde von ihnen auftauchen. Und der Drache war auch wieder verstummt.
Auf einmal raschelte etwas links von ihr im Gebüsch. Sofort wanderte Taras Hand zu den Wurfmessern an ihrem Gürtel und sie blieb kampfbereit stehen. Als jedoch kein weiteres Geräusch ertönte, trat sie ein paar Schritte auf den Busch zu, von wo das Rascheln hergekommen war.
Was die Jägerin zuerst für die normale Färbung der Pflanze gehalten hatte, entpuppte sich als rotes Blut. In dem Busch lag einer der Jäger, der mit Limac losgezogen sein musste, um Hattac zurückzuholen. Sein Name war Unar gewesen. Sie kannte ihn nicht so gut, wie einige andere, doch er war es gewesen, der ihr das Schnitzen von Pfeilen beigebracht hatte. Und nun lag er hier. Tot.
Aber warum hat es dann geraschelt? Taras Blick huschte über das Dickicht um sie herum. Nichts war zu sehen, und dennoch: Etwas musste hier gewesen sein. Vorsichtig ging sie an Unar vorbei und schaute tiefer in den Wald hinein. Einen kurzen Moment lang meinte sie einen Schatten zu sehen, der zwischen zwei Bäumen hin und her wogte und dann verschwand. Die Jägerin bekam eine Gänsehaut und wandte sich ab.
Da gehe ich besser nicht hin, dachte sie sich und betrat wieder den schmalen Wildpfad, der zum Verbotenen Tal führte. Noch einmal schaute sie hinüber zu dem Busch, in dem die Leiche von Unar lag. Kann ich ihn wirklich hier zurücklassen? Er wird doch bestimmt von den Wölfen oder Bären geholt werden.
Tara biss sich kurz auf die Lippen; wie jedes Mal, wenn sie nicht wusste, was sie tun sollte. Dort draußen war ein Drache, der ihre Eltern getötet hatte und hier lag einer ihrer Kameraden, der ihren Schutz brauchte.
»Verflucht«, flüsterte die junge Frau leise und ging wieder zu Unar. Behutsam nahm sie seine Arme und legte sie überkreuzt auf seine Brust. Dabei musste sie darauf achten, dass ihr nicht schlecht wurde, wenn sie gezwungenermaßen auf die grässliche Wunde an seinem Hals gucken musste. Langsam schloss sie dem Jäger die Augen und erhob sich dann wieder.
Ich brauche ein Seil, dachte Tara und sah sich kurz um. Als sie jedoch keines entdecken konnte – wo denn auch – sammelte sie schnell einige große Blätter einer stark duftenden Pflanze am Wegesrand und legte sie über den Leichnam. So würden die wilden Tiere ihn nicht so schnell wittern.
Eine Weile stand sie noch vor dem mit Blättern bedeckten Jäger und malte ein Schutzzeichen in die Luft, von dem sie eindeutig wusste, dass es in irgendeiner Verbindung mit den Göttern stand. Wie Cor hatte sie nicht viel Verständnis für die Wolfsleute, die jeden Abend eine Götterstatue anbeteten. Trotzdem respektierte sie diese Menschen, zu denen auch Semal zählte, und hatte sich mit der Zeit einige Segenszeichen und Gebete gemerkt. »Mögest du eine gute Reise zu den Göttern haben und in den Sternenpalast einziehen, wo nur Helden hinkommen«, sagte Tara die rituellen Worte, die vor jedem Begräbnis gesprochen wurden, und betrat dann wieder den Weg.
Plötzlich ertönte erneut das Brüllen von Ximou, gefolgt von einem lauten Aufschrei und einem kräftigen Donnern, das den Boden zum Beben brachte. Die Jägerin sah hoch. Über den Baumwipfeln konnte sie ein grelles Licht ausmachen, das sich an den Blättern der Bäume festsetzte. Es war ein Feuer, das Drachenfeuer. Der Wald brannte und die Flammen sprangen von Baum zu Baum, bis Tara nur noch die Hitze und den heißen Wind spürte, der ihr entgegen kam.
Entsetzt starrte sie auf die großen Silhouette, die sich in den Himmel erhob und einen riesigen Schatten auf den Wald warf. Ximous Schuppen waren kaum zu erkennen, doch Tara wusste genau, dass sie die Farbe des Blutes hatten, das der Drache schon zu oft vergossen hatte. Die Jägerin ballte wütend die Fäuste.
Erst, als ein brennender Schmerz durch ihren Oberarm fuhr, wurde ihr bewusst, dass rings um sie herum der Wald in Flammen stand. Die Hitze schien alle Luft zu vertreiben, sodass Tara nicht atmen konnte. Sie hustete und rannte dann los.
Ich muss hier raus! Sofort! Die junge Frau konnte an nichts anderes mehr denken, als diese fünf Wörter. Alles andere war unwichtig, sie wollte nur hier raus. Mittlerweile hatten die Flammen sie schon fast eingeholt und leckten gierig an ihrem Pfeilköcher und dem Bogen. Er geriet in Brand. Mein Bogen, meine Pfeile... Aber heil aus dem Brand herauszukommen, war wichtiger.
Hastig löste Tara den Schultergurt, der den Köcher hielt und lief weiter. Mehrmals wäre sie fast gestolpert, konnte sich aber jedes Mal gerade noch rechtzeitig fangen. Ascheflocken segelten durch die Luft und ließen sich auf ihrer Haut und der Brandwunde am Oberarm nieder. Sie schrie auf. Teilweise aus Wut auf sich selber, weil sie ohne Erlaubnis losgezogen war, und teilweise aus Verzweiflung.
Plötzlich erhaschte die Jägerin einen Blick auf eine große Gestalt, die sich parallel zu ihr hinter einer Flammenwand bewegte. Jemand hat überlebt! Dieser Gedanke machte ihr Hoffnung und sie lief noch schneller. Doch plötzlich stolperte sie, strauchelte und fiel hin. Tara wollte sich sofort wieder aufrichten, aber ein brennender Schmerz an ihrem Rücken ließ sie aufschreien. Mit Tränen in den Augen kroch die junge Frau weiter.
Aus dem Augenwinkel sah sie die große Gestalt durch die Flammenwand kommen und ihren brennenden Umhang abwerfen. Starke Hände packten sie an ihrer Hüfte und hoben sie hoch. Die Jägerin schrie noch einmal auf, als die Wunde an ihrem Rücken rauen Stoff berührte. Dann wurde ihr schwarz vor Augen und sie verlor das Bewusstsein.
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