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"H-Harry, du... Louis schafft das nicht." Laut knurrte ich meine Mutter an woraufhin Louis etwas zusammenzuckte und leise wimmerte. Er zeigte also noch Reaktionen und war nicht vollkommen weggetreten.

"Gib mir das Skalpell und hole stattdessen die ganzen Materialien zum Blutabnehmen."

Liam? Hier her. Sofort.

"W-Was hast du vor Harry? Du...", flüsterte meine Mutter und sah mich mit Angst in ihren Augen an. Seufzend ließ ich meine Hand sinken und starrte sie an. "Ich will ihn retten und jetzt beeil dich", wies ich sie erneut an, nahm Louis das Handtuch weg und fuhr mit meinen Fingern zu der entsprechenden Stelle, wo ich gleich den Schnitt setzen würde.

Kurz sah ich zu ihm hoch und setzte das Skalpell dann an dieser Stelle an. Bis meine Mutter wieder da war dauerte es einen Moment, doch in der Zeit gab Louis keinen Mucks von sich.

Er war jetzt vollkommen weggetreten, was für ihn deutlich besser war.

Ich überließ das Skalpell meiner Mutter, welche nicht gerade begeistert aber mit geübten Handgriffen meine Arbeit fortsetzte. Ihr Blick war immer noch voller Angst und auch die Panik konnte ich weiterhin riechen.

"Du bist vollkommen wahnsinnig. Ich habe gedacht, dass du nach dem einen Vorfall deine Gefühle nie wieder abschalten würdest. Harry, das ist unglaublich gefährlich."

Mir war es jedoch egal was sie dazu sagte. Wir hatten hier zwei Leben zu retten, da fing ich jetzt nicht an mit ihr über Grundsätze zu diskutieren.

Ich riss das Set, welches mir meine Mutter gebracht hatte, auf und sah zu Liam, welcher gerade zur Tür hineinkam. "Was ist denn- Oh... Harry?!"

"Setz dich", erwiderte ich lediglich und ging zu ihm, als er auf einem der Stühle Platz genommen hatte. "Du hast es also wirklich getan...", stellte er erschrocken fest als er in meine Augen blickte. Im Gegensatz zu meiner Mutter ließ er es aber unkommentiert.

"Arm her und sei still."

Ohne Vorwarnung setzte ich die Kanüle an seiner Armbeuge an und begann damit meinem Beta Blut abzunehmen. "Wie viel brauchst du?" Das war das angenehme an Liam. Er wusste, wann er einfach nur meinen Befehlen folgen sollte.

"So viel wie möglich", erwiderte ich und drückte ihm den Blutbeutel, welcher sich langsam füllte, in die Hand. "Wechseln es aus, wenn es fertig ist." Mir war es egal, dass ich nicht sauber arbeitete. Liam war zäh und konnte das ab.

Schnell ging ich zu Louis und legte meine Hand an seinen Hals. Er war immer noch weggetreten und sein Puls langsam, aber weitestgehend stabil.

"Schaffst du es?", fragte ich an meine Mutter gewandt während ich Louis einen Zugang legte. Bei ihm passte ich deutlich mehr auf und versuchte so präzise wie möglich zu arbeiten. Dank keiner nervenden Gefühle funktionierte das alles auch ohne Probleme.

Vermutlich hätte ich hier sonst weinend mit schmerzendem Herzen gestanden und mich gedanklich schon von ihm verabschiedet.

"Das Baby bewegt sich zu viel und- Ich hab's", murmelte sie und hielt dann plötzlich die Luft an. "Wer war dieser Tommy?"

Ich zuckte mit meinen Schultern, weil es mir vollkommen egal war und ging wieder zu Liam und tauschte dann doch schnell selbst die Beutel. "Ist dir schwindelig?" Da Liam es verneinte kümmerte ich mich nicht länger um ihn, sondern gab Louis Liams Blut.

Schon bei seiner Ankunft hatte ich einige Kreuzproben mit seinem Blut und dem Blut der stärksten Wölfe aus unserem Rudel gemacht. So wusste ich wer wem in einem Notfall unterstützen könnte. Würde Liam schlapp machen könnte ich theoretisch noch auf Lori ausweichen.

"Harry hilf mir mal."

Ich ging meiner Mutter zur Hand und nahm ihr das mit Blut verschmierte Mädchen ab. Als ich sie in meinen Armen hielt wurde sie still und hörte auf sich übermäßig zu bewegen. Vorsichtig legte ich meine Finger an ihren Hals und nickte leicht, als ich einen kräftigen Puls spürte.

"Liam, nimm den Beutel ab, häng ihn ebenfalls dran und hilf meiner Mutter. Ich muss das Wunder hier untersuchen. Mama, schaffst du das?"

"Wenn du mich meine Arbeit machen lässt und mich nicht jedes Mal fragst ja", antwortete sie bissig und fauchte leicht.

Ich ging mit dem Mädchen ins Nebenzimmer und wusch sie in dem kleinen Bottich, welchen Eleanor vorbereitet hatte. Sie stand immer noch hier und sah mir bei meiner Arbeit zu. "Wie groß sie ist", stellte sie überrascht fest und strich dem Welpen über den Bauch.

Als ich das kleine Wunder abtrocknete und anfing zu untersuchen griff sie nach meinem kleinen Finger und drückte leicht zu. Sie war besonders stark und auch so machte sie einen unglaublich fitten Eindruck.

Das Louis sie überhaupt so lange unter seinem Herzen tragen konnte...

Bei dem Neugeborenen schien alles in Ordnung zu sein. In meinem Inneren rebellierte alles und der Drang, Gefühle zuzulassen, schmerzte. Doch wenn ich das tat, wusste ich, dass ich nicht mehr so schnell und sorgenfrei handeln konnte.

Ich brauchte diese objektive Sicht.

"Soll ich für Louis eins der Geburtskleider und heißes Wasser, um ihn zu waschen holen?", fragte Eleanor leise und zuckte bei meinem Anblick nicht zurück. Sie wusste, wie es war, wenn man die Gefühle abstellte.

Schließlich war sie an dem Vorfall vor vielen Jahren beteiligt.

"Ja, hole das alles und versorg ihn", erwiderte ich und ging mit dem kleinen Wunder zurück. Vorsichtig legte ich das Mädchen an Louis' Seite und schob das Gitter des Betts hoch, damit sie nicht herunterpurzelte.

Meine Mutter hatte sich mit dem Nähen beeilt damit die Wunde wenigstens eine Chance hatten zu heilen. Tatsächlich halfen die Blutinfusionen und Louis' Wunden schlossen sich so schnell, wie sie es bei Liam immer taten.

Das ich vorher nie auf die Idee gekommen war ihm einfach das Blut eines stärkeren Wolfes zu geben... Vielleicht bräuchte er über die Tage hinweg immer wieder kleine Transfusionen.

Langsam regte sich Louis, weswegen ich mich ihm widmete und durch seine Haare strich. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Der Omega war nur noch am Fiepen und am Weinen, doch ich hatte nichts, um die Schmerzen zu lindern. Es würde erst aufhören, wenn alles vollständig geheilt war und selbst dann würde es noch Tage weh tun.

"H-Harry?", krächzte Louis und tastete mit seiner Hand im Bett herum, weswegen ich seine Hand ergriff. Sobald er meine Hand spürte und fest umschlossen hatte, konnte ich meinen Gefühlen einfach nicht mehr widerstehen.

Das kalte Gefühl verschwand aus meinem Körper und wurde auf den Schlag durch Sorge und Angst aber auch durch Liebe eingetauscht. "Ich bin hier Louis, ich bin hier", wisperte ich und legte meine Lippen auf seine kalte Stirn.

"Es-", keuchte Louis und weinte nur noch mehr. Kurz blickte ich hoch und sah wie meine Mutter durchatmete und leicht lächelte. Sie ging dann Eleanor zur Hand, welche wieder da war und begonnen hatte Louis vom ganzen Blut und auch vom Schweiß zu befreien.

Bei Louis' Anblick schlug mein Herz immer schneller und so wie ich es befürchtet hatte, schmerzte es unglaublich und ich war wie gelähmt.

"Du hast ein wundervolles Mädchen zur Welt gebracht", flüsterte ich ihm zu und lächelte, als er seinen Kopf erschöpft zur Seite fallen ließ und seine Tochter betrachtete.

Vorsichtig strich ich über seine Wange und legte meine Lippen wieder auf seine Stirn. "Du hast es geschafft", wisperte ich und hob seine Tochter vorsichtig hoch. "W-Was?"

"Es ist alles gut Louis, Eleanor wäscht dich nur kurz. Dann riechst du nicht so stark nach Blut", erklärte ich und machte meiner Freundin Platz.

Eleanor arbeitete zügig und unglaublich sorgfältig. Meine Mutter ging ihr zur Hand und wenige Sekunden später war Louis auch angezogen und in einer Decke eingekuschelt.

Nachdem er sich leicht aufgesetzt hatte legte ich ihm seine Tochter auf die Brust und setzte mich neben ihn hin.

Als Louis mit zittrigen Fingern über die Wange seiner Tochter strich und Schwierigkeiten hatte nicht einzuschlafen, stütze ich sie etwas und strich mit meiner anderen Hand durch Louis' Haare. "Kämpfe nicht dagegen an. Ich bin hier und pass auf euch beide auf. Es ist alles gut Louis. Euch passiert nichts."

Louis wollte sich bedanken, doch ihm blieben die Worte im Hals stecken. Als er in den Schlaf gefunden hatte entfernte ich mich von den beiden und rief Eleanor an meine Seite. "Nimm sie ganz vorsichtig hoch. Wir bringen die beiden hier raus. Es stinkt nach Seife, Blut und Fruchtwasser. Die zwei sollen sich wohlfühlen."

El stimmte mir zu und gemeinsam schafften wir es die beiden in das Zimmer, in welches Louis vor ein paar Tagen geflüchtet war, zu bringen. Ich blieb noch einen Moment an seiner Seite bis ich auf Abstand ging und mich vor der Tür auf den Boden setzte. Eleanor leistete mir Gesellschaft und legte ihren Kopf auf meine Schulter.

"Das wir so etwas hektisches nochmal gemeinsam erleben. Wie gut, das wir nicht das von vor 20 Jahren wiederholen mussten", wisperte sie und ich hörte sie schlucken.

"Ich habe schon lange nicht mehr daran gedacht", erwiderte ich und lehnte meinen Kopf gegen ihren. "Denkst du sie sieht aus dem Himmel auf uns herab und verteufelt uns für das, was wir ihr angetan haben?"

"Keine Ahnung. Es war damals alles so hektisch. Vielleicht weiß sie nicht was vor ihrem Tod passiert ist." Eleanor brummte leise, richtete sich auf und sah mich mit ihren braunen Augen aufgeregt an. "Du wirst Lori aber nichts sagen, oder?"

Kopfschüttelnd sah ich sie an, streckte ihr die Zunge raus und atmete dann aber tief durch. "Ich werde ihr nichts sagen. Allerdings kann ich nicht verhindern, dass Lori es irgendwann herausfinden wird."

"Ich will sie nicht verlieren..."

"Wirst du nicht. Sie liebt dich. Lori ist dank dir wieder am Leben." Eleanor nickte leicht und schmiegte sich dann wieder an meine Seite.

"Hättest du ein Leben für Louis eingetauscht und ihn von den Toten zurückgeholt?"

"Natürlich."
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[1640 Wörter 25/04/2021]

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