Tortuga

Kai verblieb nicht ewig beim Hauptmast. Stattdessen lehnte sie sich gegen die Reling und betrachtete den Horizont.

Hin und wieder beobachtete sie auch Sparrow, wie der Seile und Knoten überprüfte. Sie war endlich aus Port Royal raus und auch wenn sie sich Sorgen um ihre Schwester machte, hatte nichts in ihrem Leben bisher so Spaß gemacht, wie ein Schiff mit einem Piraten zu kapern.

Kai war so tief in ihren Gedanken versunken, dass sie den Anfang von Will und Jacks Gespräch gar nicht mitbekommen hatte.

Doch als Jack zugab Wills Vater gekannt zu haben wurde sie hellhörig. Kai stieß sich von der Reling ab und ging langsam auf das erhobene Deck zu, wo Jack wieder das Steuer übernahm.

„Ich kannte deinen Vater. Einen der wenigen, die ihn als William Turner kannten. Alle anderen nannten ihn einfach nur Stiefelriemen Bill."

Kai kniff ihre Augen zusammen, bei den Namen Stiefelriemen. Wer wurde bitte so genannt?

„Guter Mann. Guter Pirat. Ich schwöre du siehst genauso aus wie er."

Will verzog wütend sein Gesicht und widersprach: „Das ist nicht wahr! Er war bei der Handelsmarine. Ein guter respektabler Mann, der das Gesetz achtete!"

Jack rollte mit den Augen und entdeckte Kai unten bei der Treppe. Er konnte ihren Blick nicht deuten, weswegen er sich wieder zu Will umdrehte.

„Er war ein verdammter Pirat, ein Taugenichts!"

„Mein Vater..." Will zog sein Schwert und richtete es auf Jack. „War kein Pirat!"

„Will...", warnte Kai und trat auf die erste Treppenstufe, aber Jack deutete ihr, dort zu bleiben.

„Steck das weg, Junge. Es hat keinen Sinn, du wirst wieder geschlagen."

Kai bewunderte, wie gelangweilt Jack sein konnte, während er mit einem Schwert bedroht wurde.

„Du hast mich nicht geschlagen. Du hast die Regeln verletzt. In einem fairen Kampf würde ich dich töten."

Die Ironie mit einem Piraten über Regeln und Fairness zu diskutieren, zog an Kai nicht vorüber. Auch Jack deutete Will darauf hin, indem er sich zu ihm umdrehte und fragte: „Lohnt es sich dann für mich fair zu kämpfen, Mr. Turner?"

Will hatte nicht die Möglichkeit zu antworten, da Jack ruckartig das Ruder herumriss und der Mast vom Segel gegen Will prallte.

Kai zuckte zusammen und sprintete die Treppe nach oben.

Will hing nun am Mast über dem Meer und versuchte verzweifelt nicht loszulassen. Jack nahm ganz ruhig Wills Schwert in die Hand, welches dieser fallen gelassen hatte und stellte sich an die Reling. Kai wollte schon zum Ruder rennen, doch Jack packte sie am Handgelenk und zog sie zu sich heran. Sein Griff war nicht fest, doch wusste sie nicht, ob er nicht grober werden würde, falls sie sich wehrte. Dafür kannte sie Jack noch nicht gut genug.

„Da du gerade sowieso nur rumhängst, hör gut zu. Die einzige Regel, die nämlich wirklich eine Rolle spielt, ist folgende. Was ein Mann kann und was ein Mann nicht kann."

Will warf Jack einen verzweifelten Blick zu, doch der sprach ganz ruhig weiter: „Zum Beispiel. Du kannst dich damit abfinden, dass dein Vater ein Pirat oder ein guter Mann war, oder du kannst es nicht. Der Pirat steckt in deinem Blut, Junge. Das wirst du wohl eines Tages einsehen müssen."

Jack ließ Kai los und umgriff das Steuerrad, wandte seinen Blick aber nicht von Will ab.

„Ich zum Beispiel, kann dich absaufen lassen. Aber das Schiff nur allein mit dem Schätzchen hier nach Tortuga bringen, das kann ich nicht, klar soweit?"

Kai gab ein ersticktes Geräusch von sich, als Jack einen Arm um ihre Taille schlang und an sich drückte, um sie aus der Gefahrenzone zu bringen. Danach riss er das Ruder wieder herum und Will landete am Deck. Jack entfernte sich von Kai und richtete Wills Schwert gegen ihn.

„Kannst du unter dem Kommando eines Piraten segeln?" Jack warf das Schwert in die Luft und fing es an der Klinge auf. Der Griff nun bei Will. „Oder kannst du es nicht?"

Will griff zögernd nach seinem Schwert, machte aber keine Anstalten Jack anzugreifen.

„Tortuga?"

Ein Grinsen breitete sich auf Jacks Gesicht aus. „Tortuga."

~~~

Tortuga war definitiv nicht so wie Will es sich vorgestellt hatte. Auch Kai hatte es schwer dem ganzen Geschehen zu folgen, doch sie schaute eher neugierig als angewidert.

Will musterte sie kurz besorgt. Ihm war nicht entgangen, dass seine Freundin dem ganzen viel zu positiv gegenüber eingestellt war. Er würde lügen, wenn er nicht sagen würde, dass die letzten zwei Tage aufregender gewesen waren als die gesamten acht Jahre zuvor, aber er versuchte wenigstens sich nicht auf den Rausch einzulassen.

Kai hingegen stolzierte neben Jack, wie, als wäre dies ein Wochenendtrip.

Jack beugte sich leicht zu Kai hinunter, verkündete aber laut genug, so dass auch Will ihn hören konnte: „Es wäre ein trauriges Leben, wenn man nie einen tiefen Atemzug von diesem süßen wuchernden Duft Tortuga reingezogen hätte, klar soweit?"

Jack klaute einem vorbeigehenden Mann einen Gehstock und drehte sich dann ganz zu Will und Kai.

„Was sagt ihr dazu?"

Will beäugte einen Betrunkenen und verzog dann das Gesicht. „Er wird anhaften"

Kai gluckste und boxte Will leicht gegen die Schulter.

Jack musste nicht Kais Antwort abwarten. Er hatte schon vor zwei Tagen bemerkt, dass in dieser Frau mehr steckte, als man am Anfang zu sehen vermochte.

Deswegen drehte er sich ganz zu Will, um ihn mehr von Tortuga zu überzeugen. „Ich sage dir mein Freund, wenn jede Stadt auf dieser Welt wäre wie diese, hätte kein Mann das Gefühl nicht begehrt zu sein."

Kai rollte mit den Augen und bemerkte erst recht spät den Rotschopf, der wütend auf die kleine Gruppe zu gestapft kam.

Jack erkannte sie auch und begrüßte sie mit einem freudigen „Scarlet!". Im nächsten Moment hatte die Frau ausgeholt und Sparrow eine gescheuert. Jacks Kopf wurde zu den anderen beiden nach hinten geschleudert, die ihn mit erhobenen Augenbrauen anstarrten.

„Die hab ich nicht verdient.", grummelte Jack und drehte sich wieder um.

Die nächste Frau hatte sich vor ihnen aufgebaut. Diesmal eine Blondine, die Jack gleich mit „Giselle." ansprach.

„Wer war das?"

„Wer?", kam Jacks blöde Antwort und sein Kopf wurde das zweite Mal herumgeschleudert. Die Blondine verschwand wieder und Jack gab mit zusammengebissenen Zähnen zu, dass er die zweite Ohrfeige vielleicht verdient hatte.

Kai schaute den zwei Frauen nach und lachte leicht, bevor sie sich wieder Jack zuwandte. „Ich weiß nicht, ob man das als begehrt bezeichnen kann?"

Jack richtete sich auf und grinste leicht: „Schauen wir einmal, wie du nach unserem kleinen Abenteuer denkst, Schätzchen."

Kai hob herausfordernd ihre Augenbrauen und hielt Jacks Blick stand.

Will räusperte sich hinter den beiden und erwähnte etwas anklagend: „Sie ist verlobt."

Jack verzog nach der Erinnerung das Gesicht und entfernte sich etwas. Wie jemand sich auf so etwas wie eine Ehe einlassen konnte, war ihm ein Rätsel, doch er konnte interessiert feststellen, dass auch Kai das Gesicht verzogen hatte.

„Kommt mit.", befahl Jack und führte seine zwei Begleiter durch Tortuga.

~~~

Kai hatte Gibbs erkannt, noch bevor sie die Eimer mit Wasser befüllt hatten. Er war älter und verdreckter, keine Frage, doch selbst nach acht Jahren sah er noch immer so aus wie früher.

Und seine Reaktion mit Wasser aufgeweckt zu werden, überraschte Kai auch nicht wirklich.

Fluchend und mit einem Messer gezückt, schreckte Gibbs hoch, doch seine Wut verschwand so schnell wie sie gekommen war, als er Jack erkannte.

„Mast und Schotbruch, Jack!" Gibbs steckte sein Messer weg und lachte leicht. „Du solltest das Wissen, dass man einen Mann nicht weckt, wenn er schläft. Das bringt Unglück!"

Kai war sich nun sicher. Dies war immer noch der alte Gibbs.

„Ahh. Glücklicherweise weiß ich wie ich das bekämpfen kann.", grinste Jack. „Der Mann, der geweckt hat, spendiert dem der geschlafen hat einen Drink." Jack kniete sich vor Gibbs und erklärte weiter. „Der Mann, der geschlafen hat, trinkt, während er sich von dem Mann, der ihn geweckt hat, einen Vorschlag anhört."

Gibbs musterte Jack zuerst etwas verwirrt, doch als er endlich aus Jacks Worten Sinn machen konnte, grinste er und ergriff Jacks ausgestreckte Hand.

„Aye. Dem wäre dann genüge getan."

Sobald Gibbs stand, entleerte Will noch den zweiten Kübel über Gibbs und Kai stolperte etwas zurück, um nicht auch nass zu werden.

„Verflucht, ich bin doch schon wach!", schrie Gibbs, doch Will blieb ganz ruhig.

„Das war gegen den Gestank."

Gibbs schaute noch immer etwas angesäuert, jedoch nickte er schließlich ergeben. Sein Blick wanderte schlussendlich zu Kai und sie lächelte leicht.

„Hallo, Mr. Gibbs."

Ihre zwei Begleiter musterten sie verwirrt, als sie Gibbs mit seinem Namen ansprach, obwohl Jack ihn bisher nicht erwähnt hatte.

Doch Kai beachtete die jüngeren Männer nicht. Ihr Blick ruhte auf Gibbs und sie konnte den genauen Moment erkennen, wo er verstand wer sie war.

Mit aufgerissenen Augen fragte er: „Kaileena? Kaileena Swann?"

Sie nickt leicht und machte eine Handbewegung die abwinkend wirken sollte. „Kai reicht völlig."

Er trat einen Schritt auf sie zu und musterte sie einmal, bevor er lächelte und ihre Schulter tätschelte. „Du bist groß geworden."

Kai schnaubte belustigt und drehte sich zu den anderen beiden um. Sie nickte Richtung Will und grinste leicht: „Den da habt ihr damals aus dem Wasser gezogen."

Nun starrten sich Will und Gibbs verdattert an, doch Jack unterbrach den Anstarrwettbewerb und zog Gibbs hinter sich her. Schließlich schuldete er Gibbs einen Drink.

„Du kennst die beiden?", fragte Jack dann auf halbem Weg. Die Neugier hatte ihn übermannt.

„Die Kleine besser als den Jungen. Bin vor acht Jahren mit ihr gesegelt."

Jack nickte nachdenklich und linste einmal über seine Schulter. Will und Kai tuschelten hinter ihnen. Kai bemerkte seinen Blick und hob ihre Augenbraue. Grinsend drehte sich Jack wieder zu Gibbs, der den Blickwechsel interessiert verfolgt hatte.

~~~

In der vollen Bar angekommen, holte Jack Gibbs und sich jeweils einen Drink. Will stand etwas weiter entfernt an einem Pfosten gelehnt und Jack hatte Kai aufgetragen, beim Barkeeper nach Zimmern zu fragen.

So konnte Jack in Ruhe mit Gibbs reden, ohne dass einer seiner Begleiter lauschte.

Genervt stand Kai bei der Theke und wartete auf die Antwort des Mannes vor ihr.

„Ob wir freie Zimmer haben?"

Kai nickte und erhob die Stimme, um über die Prügelei im Gasthaus gehört zu werden: „Nur für eine Nacht."

Der Mann drehte sich nachdenklich von ihr weg und Kai kaute ungeduldig auf ihrer Unterlippe. Nebenbei tippte sie, passend zur Melodie, die im Hintergrund gespielt wurde, mit ihren Fingern auf der Holztheke. Sie stoppte ihr Summen, als der Barkeeper sich wieder zu ihr umdrehte.

„Ein freies habe ich. Kostet dir zwei Schilling.", grinste der Barkeeper und legte seine Hände auf der Theke vor Kai ab.

Kai zog aus ihrer Hose einen Schilling und beugte sich leicht nach vorne. Sie fing an über den Arm des Barkeepers zu streichen und fragte mit honigsüßer Stimme: „Ich habe leider nur einen Schilling. Geht das auch?"

Eifrig nickte der Mann und nahm ihr die Münze ab. „Für dich mache ich eine Ausnahme."

Zufrieden richtete sich Kai wieder auf, nahm den Zimmerschlüssel, den der Barkeeper ihr überreichte, zwinkerte ihm noch einmal zu und stolzierte dann zu Will zurück.

Jack und Gibbs standen gerade vom Tisch auf und Kai präsentierte den drei Männern stolz den Schlüssel.

Will beachtete den Schlüssel aber gar nicht sondern musterte Kai vorwurfsvoll. „Hast du gerade mit dem Barkeeper geflirtet?"

Kai rollte mit den Augen und verschränkte ihre Arme. „Soll ich wirklich für ein Zimmer, dass ich mir auch noch mit euch teilen muss, zwei Schilling bezahlen?"

Will sagte nichts dazu, aber Jack klatschte in die Hände und nahm Kai den Schlüssel ab. „Gute Arbeit."

Zufrieden folgte Kai Jack und hörte, dass auch Will ihnen folgte. Kai musterte verwirrt Gibbs der aus dem Gasthaus verschwand, sagte aber nichts.

Die kleine Gruppe ging die Treppen nach oben und Jack öffnete das Zimmer für die Nacht. Sobald alle im Raum waren, sperrte er hinter ihnen ab und musterte einmal den kleinen Raum.

Im Bett könnten zwei Personen schlafen, falls diese zusammenrücken würden. Ansonsten konnte man mit den zusätzlichen Decken, den Boden etwas bequemer machen.

„Wo ist Gibbs hingegangen?", fragte Kai neugierig und ging zum Fenster, um frische Luft reinzulassen.

„Er besorgt uns eine Crew. Nach Sonnenaufgang treffen wir ihn unten am Steg."

Kai nickte bei der Erklärung und linste aus dem Fenster.

Tortuga war immer noch so laut wie vor zwei Stunden als sie angekommen waren. Auch die Schlägerei ein Stockwerk unter ihnen, schallte bis ins Zimmer.

Sie spürte, dass Jack sich hinter sie stellte und auch kurz aus dem Fenster blickte, bevor er sich Will zuwandte.

„Das Bett ist nicht sehr groß. Entweder ihr teilt es euch, oder du und ich, Mr. Turner, schlafen am Boden."

Verwirrt drehte sich Kai um und stemmte die Hände in die Hüften. „Ich kann auch am Boden schlafen."

Jack musterte sie kurz und zuckte dann mit den Schultern. Er fing schon einmal an, mit den Decken den Boden weicher zu machen, während Will protestierend den Mund aufmachte.

„Du schläfst im Bett. Ich nehme den Boden."

Kai war zu müde, um mit Will zu diskutieren und kletterte ergeben ins Bett. Sie beobachtete die beiden Männer, wie sie es sich links von ihr bequem machten.

Kai seufzte einmal und griff dann nach dem extra Kissen, dass sie nicht brauchte. Sie schloss ihre Augen und warf das Kissen noch auf die zwei Männer.

„Danke, Schätzchen."

Kai brummte einmal und drehte Jack und Will den Rücken zu.

Sie brauchte lange, um einzuschlafen. Tortuga war laut, sie verfolgte eine verfluchte Piratencrew, das Bett war nicht so wie sie es gewöhnt war und sie teilte sich ein Zimmer mit zwei Männern. Und trotzdem war nichts davon der Grund, weshalb sie nicht schlafen konnte.

Der wirkliche Grund, warum sie hellwach war, war das Lied von vorhin, dass sie einfach nicht aus dem Kopf bekommen konnte. 

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