TWENTYTWO.
MARLENE || Sirius Shirt liegt achtlos neben uns auf dem Boden, meine Beine sind um seine Hüfte geschlungen, während ich mich auf dem Tisch abstütze. Doch irgendwann in den letzten Sekunden haben wir aufgehört, vergessen zu wollen und stattdessen begonnen, uns zu erinnern. Es ist so seltsam, so fernab der Realität und nicht das, was wir eigentlich vorhatten.
Aber es fühlt sich richtig an. Alles mit Sirius Black fühlt sich richtig an, das Schweigen, die Küsse, stundenlange Unterhaltungen, die niemand außer uns beiden verstehen würde.
Es macht mir Angst.
„Ich konnte gestern Nacht nicht schlafen", murmele ich.
Sirius lacht leise. „Musstest du an mich denken?"
„Höchstens in meinen Alpträumen", entgegne ich trocken und hoffe, dass er nicht merkt, wie nah er der Wahrheit damit kommt.
„Nein, ich habe über die Weihnachtsferien nachgedacht und den Ball und dann ist mir irgendwie was eingefallen, was ich in den letzten Wochen verdrängt habe."
Sirius Hände fahren über meinen Rücken, doch es ist nichts Erregendes dabei, vielmehr einfach das Gefühl, dass ich meine Worte gefahrlos fliegen lassen darf.
„Erinnerst du dich an den Abend, nachdem Miss Potter uns rausgeschmissen hat?"
„An dem wir in dem Pub waren? Gefolgt von wirklich gutem Sex?"
Ich haue ihm gegen die Schulter. „Genau den Abend meine ich. Könntest du bitte mal ernst bleiben?"
„ich bin ernst", grinst er und klaut sich einen Kuss. „Aber du musst zugeben, der Sex war wirklich wirklich gut."
Gegen meinen Willen muss ich Lachen. „Ich werde eher sterben, als das zuzugeben."
„Ich weiß. Aber das heißt nicht, dass es nicht stimmt." Sirius Mundwinkel zuckt nach oben. „Und jetzt erzähl, was ist mit dem Abend?"
„Mister Potter ist kurz nach Mitternacht bei mir Zuhause aufgetaucht. Hat mit meinem Vater geredet."
Sirius Lächeln verrutscht und wird ersetzt durch das Stirnrunzeln, kaum merkbar, was er immer aufsetzt, wenn er sich wirklich konzentriert. Er blinzelt zweimal, leicht nach oben schauend, so unauffällig, dass er niemandem auffällt, der ihn nicht wirklich kennt. Aber im Laufe der letzten Monate habe ich gelernt, ihn wirklich zu durchschauen.
„Worüber haben sie geredet? Was hast du gehört?"
„Nicht viel. Sie haben sich gestritten. Ich habe nur Bruchstücke mitgekriegt", antworte ich.
Sirius Hände verkrampfen sich in meinen Oberschenkel. „Ging es um das Amulett?"
„Vielleicht. Ich weiß es nicht." Ich seufze. „Aber als Mister Potter gegangen ist, hat er mich so komisch angesehen. Ich musste ihm versprechen, dass ich auf mich aufpasse."
Er sieht aus, als müsste er sich jeden Augenblick übergeben und ich wünschte, ich könnte ihm helfen, könnte die Sorgen wie Seifenblasen platzen lassen. Doch alles, was ich tue, ist mich furchtbar hilflos zu fühlen.
„Also geht es um das Amulett. Wahrscheinlich."
„Vielleicht", murmele ich, doch innerlich habe ich mich längst damit abgefunden, dass es mit dem Amulett zu tun hat. Dass ich in meinem Schlafsaal vielleicht den Gegenstand verstecke, den der dunkle Lord am meisten ersehnt. Mein Leben ist schon lange keine sichere Linie mehr, sondern ein Laufen auf einem Scherbenhaufen, jeden Augenblick bereit, mich bluten zu lassen.
„Dir wird nichts passieren, Mar", flüstert Sirius, so leise und bestimmt und flüchtig. Eine Lüge, die wir beide für das Erkennen, was sie ist. Ein Wunschkonzert der Wahrheit, die wir nie werden beeinflussen können. Die Zeiten der Sicherheit sind vorbei, abgelöst durch Dunkelheit.
Ich ziehe ihn ein bisschen näher an mich, sodass ich seine Wärme, sein schnell klopfendes Herz fühlen kann. Es erinnert mich, dass wir noch am Leben sind. Solange wir Atmen, werden wir kämpfen.
„Sie haben sich gestritten, Mister Potter und mein Vater. Darüber auf welcher Seite meine Eltern sind" erzähle ich, meine Stimme leise, als könnte ich den Worten damit ihre Schärfe nehmen. Doch sie bohren sich trotzdem direkt in mein Herz. „Meine Eltern... Ich weiß, dass ist schwer zu verstehen, aber meine Eltern... Sie sind keine schlechten Menschen."
„Sie sind furchtbare Eltern", stößt Sirius aus.
Ich lache tonlos. „Ja, das sind sie. Aber furchtbare Eltern sind nicht unbedingt schlechte Menschen. Ich sage nicht, dass sie viel Gutes in sich haben. Die meisten, Merlin, die allermeisten ihrer Ansichten sind so falsch, dass ich kotzen könnte, all das Gerede über Reinblüter, Blutsverräter und Schlammblüter."
Einen Moment lang ordne ich meine Gedanken, suche die Wahrheit in all den Schlieren und Sirius lässt mich, gibt mir die Stille, die ich brauche, so wie er mir seit Wochen alles gibt, was ich brauche. Alles abgesehen von der Liebe, die ich mir mehr als alles andere wünsche.
„Aber trotz allem glaube ich nicht, dass mein Vater mit dem dunklen Lord durch die Straßen laufen und Leute umbringen würde. Das kann ich einfach nicht glauben", murmele ich. „Sirius, meinst du, dass ich verblendet bin? Dass das einfach nur sinnlose Hoffnungen sind, weil ich meine Eltern nicht so sehen will, wie sie wirklich sind?"
Er schüttelt den Kopf, den Ansatz eines Lächelns im Gesicht. „Ich glaube, dass du an das Gute in den Menschen glaubst. Und ich glaube, dass man Menschen nicht in Schubladen stecken kann. Nicht jeder ist nur böse oder nur gut, es gibt so viele Grauzonen dazwischen. Und zwischen dem Grau meiner Eltern und dem von deinen liegen ganze Welten. Du kennst deinen Vater besser als ich und wenn du sagst, dass du dir das nicht vorstellen kannst, dann wird das wohl stimmen. Dann glaube ich dir."
Ich schlinge den Arm um ihn. „Danke."
„Wofür?"
„Dafür dass ich mit dir reden kann, ohne dass du mich verurteilst", flüstere ich.
Sirius küsst mich, so zart und sanft, dass ich innerlich zerbreche. Es sind nicht die leidenschaftlichen Küsse, die mich innerlich verbluten lasse, sondern diese hier. Die sich anfühlen, als wäre mehr zwischen uns, als es wirklich ist. Diese kurzen Momente voller Süße und Schmerz, die mich immer wieder daran erinnern, dass all das niemals Wirklichkeit werden wird.
Ich presse meine Lippen auf seine, fest, so fest, dass es beinahe schmerzhaft wird und verwandele unseren Kuss in sanfte Seufzer. In Verlangen, denn das ist es, mit was ich umgehen kann.
„Ich schätze, du hattest eigentlich andere Pläne, als meinen wirren Gedanken zu lauschen?", frage ich außer Atem, als wir schließlich wieder Luft holen.
„Ich hatte definitiv andere Pläne." Das Grinsen verschwindet langsam aus seinem Gesicht. „Aber wenn du reden willst, dann ist das auch okay. Wir sind Freunde, Mar. Und wenn du mich brauchst, einfach nur zum Zuhören oder Luft ablassen, dann bin ich für dich da."
Seine Augen sind so warm, so ehrlich, dass ich merke, wie meine eigenen feucht werden. Ich presse sie zusammen, so fest, dass es wehtut. Dann öffne ich sie wieder und lasse meine Hände über seinen Rücken fahren, die Muskelstränge fest unter meinen Fingern.
„Ich glaube, wir haben genug geredet für heute Abend", flüstere ich.
Und dann küsse ich ihn richtig.
Immer wieder finden sich unsere Lippen, während unsere Hände die Wunder des anderen erkunden. Immer wieder fliegen wir nach oben, um schmerzhaft wieder auf dem Boden zu landen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, vielleicht bloße Minuten, vielleicht auch Stunden, doch irgendwann halten wir uns einfach fest, die Haare völlig durcheinander und ein breites Lächeln auf unseren Lippen.
„Das war so gut", murmelt Sirius gegen meine Lippen.
Ich lache. „Das sagst du jedes Mal."
„Weil es jedes Mal irgendwie noch besser wird." Er grinst. „Immer wenn ich denke, wir können das letzte Mal nicht übertreffen, tun wir es doch."
Ich schlucke, weil seine Worte direkt in mein Herz treffen. Sie sind für uns beide wahr, für mich jedoch auf viel grausamere Weise. Jedes Mal, wenn ich mit ihm schlafe, verliebe ich mich ein Stück mehr in ihn. Inzwischen bin ich so tief gesunken, dass es mich in jedem Augenblick schmerzt, wenn ich wieder in der Wirklichkeit aufwache und diese stillen Momente Traum wieder verlassen muss.
Einen Augenblick schweigen wir, in den Armen des anderen gefangen, nackte Haut auf nackter Haut. Dann lasse ich ihn los, bevor es zu schmerzhaft wird.
„Hier, ich glaube, das ist deine." Ich drücke ihm seine Hose in die Hand und suche dann meine Kleidung zusammen.
Wir schweigen, während wir uns anziehen. Dann sehen wir uns an, nicht richtig, weil unsere Blicke miteinander kämpfen und nicht zu lange in der gleichen Gegenwart überleben.
„Wir sollten..." Sirius Worte verlieren sich in der Stille der Nacht, bevor sie sich erneut in die Freiheit kämpfen. „Wir sollten zurückgehen."
„Sollten wir", stimme ich zu und öffne die Tür des leeren Klassenzimmers, in das wir uns nach dem Abendessen geschlichen haben.
Sirius Finger streifen meine, während wir durch die Gänge gehen, fast so als wären sie auf der Suche nach mir. Ich ertrage es nicht, ihn zu berühren, also bringe ich einen Meter Abstand zwischen uns.
„Mar..."
„Wir sollten leise sein", murmele ich und beschleunige einen Schritt.
„Warum..."
Ich werde nie erfahren, was er sagen wollte, denn in diesem Augenblick kommt Lily Evans mit einer der beiden Ravenclaw Vertrauensschülerinnen in unsere Richtung gestapft.
„Es ist Ausgangssperre", Lily funkelt uns an. „Die gilt auch für euch beide, auch wenn ihr das augenscheinlich vergessen habt. Merlin, treibt in eurer Freizeit meinetwegen was auch immer miteinander, aber Abends habt ihr im Gryffindorturm zu sein. Zehn Punkte Abzug für Gryffindor."
Ich starre sie an. „Wir sind im gleichen Haus, Lily!"
„Regeln sind Regeln", erwidert sie. „Es werden keine Ausnahmen gemacht, auch für Freunde nicht."
Sirius zieht einen Mundwinkel hoch. „Ist es eigentlich möglich, dass Punkte ins Negative gehen, Lily?"
„Wenn du und der Idiot, der mein Freund ist, so weiter machen, werdet ihr es schon noch herausfinden."
Lily stapft davon, wobei die unterdrückte Wut ihre Schritte knallend auf dem Boden widerspiegelt und ich kann ihr einen Augenblick lang nur hinterherstarren.
„Wow", meine ich dann langsam. „Was bitte hat James angestellt?"
„Er hat ihr heute Morgen gesagt, dass ihre Schwester eine Schreckschraube ist."
Ich seufze. „Das hätte er vielleicht lieber sein gelassen."
„Es ist die Wahrheit!"
„Und manchmal ist es besser, die Wahrheit nicht auszusprechen."
Sirius sieht mich an, die Augen plötzlich schwarz. „Ja, vielleicht ist das besser. Vielleicht endet es sonst nur in gebrochenen Herzen."
Den Rest des Weges legen wir schweigend zurück, einen Meter Abstand zwischen uns und doch nie genug.
„Argania Spinosa", meint Sirius zur fetten Dame, die daraufhin kommentarlos das Portrait aufklappt.
Zu dieser späten Stunde rechne ich mit einem ausgestorbenen Gemeinschaftsraum, stattdessen scheint sich ganz Gryffindor in dem Zimmer aufzuhalten. Gedrückte Stimmen fliegen durch die Luft, leise, als hätten sie Angst, dass Lautstärke sie in Wirklichkeit verwandeln würde. Überall sitzen kleine Gruppen zusammen, vereinzelt sind Schluchzer zu hören und während wir auf der Suche nach unseren Freunden durch den Raum gleiten, blicke ich in so viele blutleere Gesichter, dass ich weinen könnte.
Dorcas und Remus sitzen nebeneinander auf einem der Sofas, wirken viel zu verloren auf dem riesigen Ungetüm, als würde der Stoff sie verschlucken. Sie halten sich an den Händen, so unschuldig und unsicher, dass mir alleine der Anblick das Herz bricht.
„Was ist passiert?", fragt Sirius, sobald wir sie erreichen.
Ich schlucke, weil ich weiß, dass es eines dieser Augenblicke ist, die dein Leben für Immer verändern werden. Ich weiß es bereits, bevor Dorcas die Worte ausspricht.
„Es gab einen weiteren Angriff. Gerade eben erst in der Winkelgasse. Sie haben das Konzert von Revalie überfallen. Die Auroren haben einige retten können, aber nicht alle. Sechsundzwanzig Leute sind tot."
Remus starrt in das Feuer vor uns. „Peters und Alice' Eltern..."
Er bleibt stumm, als könnte er die Worte nicht aussprechen, als würden sie eine Lüge bleiben, solange wir sie nicht zu hören bekommen. Doch so läuft das Leben nicht. Es ist nicht sanft, es ist brechend und schwer.
„Peters und Alices Eltern waren dort", flüstert Dorcas, die Augen vor Tränen glitzernd. „Alices Mutter ist im Sankt-Mungos. Ihr Vater und Peters Eltern... sie haben es nicht geschafft."
Ich bin froh, dass Sirius mich in diesem Augenblick in seine Arme zieht, weil ich sonst nicht mehr stehen könnte. Ich presse mein Gesicht an seine Schulter und schließe die Augen, so fest, als könnte ich mich damit überzeugen, dass alles nur ein Traum ist. Doch das ist es nicht. Es ist die bitterste, schmerzhafteste Realität.
Ich weiß nicht wie lange wir da stehen, während ich stumme Tränen weine. Irgendwann hebt Sirius mich vorsichtig hoch und setzt sich auf die Couch, mich immer noch in seinen Armen haltend.
Ich atme durch, einmal, zweimal, dreimal. Noch ein weiteres Mal, dann öffne ich die Augen wieder und ergebe mich der Wirklichkeit. Verliere den Kampf des Vergessens.
Dorcas sitzt neben mir, ihre Wangen so eingefallen, die Augen rotgeweint. Ich strecke meine Hand nach ihrer aus und sie drückt sie so fest, als könnten wir unseren Schmerz somit vergiften.
„Ich verstehe es einfach nicht", murmelt Remus. „Ich verstehe es einfach nicht."
Sein Gesicht ist so weiß, dass ich kurz Angst bekomme, dass er umkippt. Doch sein Blick ist fiebrig und wach, während er die Hände zu Fäusten ballt und einmal auf das Sofa einschlägt. „Warum Peters Eltern? Warum Alices? Sie sind Reinblüter."
„Das interessiert sie nicht." Sirius Stimme klingt tonlos. „Alles, was sie wollen, ist Chaos. Solange sie ihre Ziele erreichen, ist ihnen alles egal."
„Wo sind sie?", frage ich mit brechender Stimme. „Alice und Peter?"
„McGonnagal ist in unseren Schlafsaal gestürmt. Vor etwa dreißig Minuten. Hat Peter geweckt und uns erzählt, was passiert ist. Sie hat ihn mitgenommen, ihn und Alice. Und Shiwan aus der dritten Klasse, seine Eltern sind auch dort gewesen." Remus sinkt auf dem Sofa herab. „Mehr Infos haben wir nicht. Keine Ahnung, wo sie sind. Ich wünschte, wir wüssten es. Dann könnten wir irgendwas tun. Wenn ich mir vorstelle, dass Peter – Dass er jetzt ganz alleine irgendwo ist. Bei irgendwelchen Leuten, die er kaum kennt. Wir sollten bei ihm sein."
Mein Nacken wir nass und ich brauche einen Augenblick, um zu verstehen, dass es Sirius stille Tränen sind. Er zieht mich fester an sich, so eng, als hätte er Angst, mich loszulassen.
Ich sehe in das Feuer vor uns, weil ich es nicht ertrage, irgendwen anzusehen. Weil ich all die leeren Augen und zusammenbrechenden Leute nicht verarbeiten kann, nicht in diesem Augenblick.
Wir schweigen, der ganze Gemeinschaftssaal, der ansonsten immer so voller Freude ist, wird umhüllt von einer unheimlichen Ruhe, die jeden Augenblick zu platzen droht.
Es dauert Stunden, bis das Gemälde aufschwingt und McGonnagal enthüllt, gefolgt von den Vertrauensschülern der Gryffindors. James hat Lily einen Arm um die Schulter geschwungen und ich kann sehen, dass ihre Augen beide verweint sind, als sie sich stumm vor unserem Sofa auf den Boden setzen. Ich drücke James Schulter, tausche einen stummen Blick mit Lily aus und merke dann, wie mir erneut die Tränen kommen.
„Schon gut", flüstert Sirius, doch seine Stimme klingt hilflos und so verloren wie ich mich auch fühle. „Alles wird gut."
Es ist eine Lüge. Das wissen wir alle.
Professor McGonnagal wartet, bis alle Vertrauensschüler ihren Platz gefunden haben, dann räuspert sie sich. Sofort ist es totenstill.
„Ich wünschte, ich müsste gerade nicht hier stehen. Ich wünschte, der heutige Abend wäre nie passiert." Ihre Stimme klingt sicher, doch auch ihr fehlt alle Lebendigkeit, als hätte auch sie heute Abend so viel verloren. „Das Ministerium möchte nicht, dass wir euch Details geben, doch alle Hauslehrer haben gemeinsam mit dem Schulleiter entschieden, dass wir euch nicht anlügen werden. Ihr mögt Kinder sein, doch in den letzten Monaten habt ihr alle so viel durchmachen müssen. Ich bewundere, wie stark ihr seid. Jeder einzelne von euch. Ich bin davon überzeugt, dass ihr die Wahrheit verdient."
Dorcas drückt meine Hand so fest, als wäre alles in Ordnung, solange wir uns bloß nicht loslassen.
„Es gab einen weiteren Angriff, aber das wisst ihr bereits. Nach meinen letzten Informationen liegt die Zahl der Gefallenen bei Achtundzwanzig. Dreizehn weitere befinden sich momentan im St-Mungos", berichtet McGonnagal und lässt ihren Blick einmal durch die Menge streifen. „Jeder Tote ist einer zu viel und es schmerzt mich besonders, euch sagen zu müssen, dass auch drei Gryffindors heute Abend Familienmitglieder verloren haben. Peter Pettigrews Eltern, Alice Browns Vater und Shiwan Liwons Mutter sind unter den Opfern."
Die Stimme unserer Hauslehrerin zittert. „Die drei wurden bereits nach Hause geschickt genauso wie alle anderen Betroffenen aus den anderen Häusern. Sie werden auf unbestimmte Zeit nicht wiederkehren nach Hogwarts. Wenn ihr mit ihnen Kontakt aufnehmen wollt, schickt ihnen gerne eine Eule. Ich bin mir sicher, dass sie liebe Worte von ihren Freunden gerade momentan mehr als alles andere gebrauchen können. Doch ich bitte euch, stellt keine neugierigen Fragen und gebt ihnen den Raum zum Trauern, den sie brauchen. Egal wie dieser auch aussieht. Seid da für sie und gebt ihnen das Gefühl, dass sie nicht allein sind."
Lilys leises Schluchzen bohrt sich wie tausend Messerstiche in mein Herz. Ich wünschte, ich könnte ihr helfen. Ich wünschte, ich könnte all meinen Freunden helfen. Doch die bittere Wahrheit ist, dass ich nicht einmal weiß, wie ich mir selbst helfen kann.
„Ich kann euch versprechen, dass es momentan nirgendwo auf der Welt so sicher ist wie in Hogwarts", meint McGonnagal bestimmt. „Solltet ihr oder eure Eltern jedoch trotzdem das Gefühl haben, dass ihr Zuhause besser aufgehoben seid, so steht es euch selbstverständlich frei, den nächsten Zug nach Hause zu nehmen. Morgen werden Listen aufgehängt, in die ihr euch eintragen könnt, wenn ihr das möchtet. Der Unterricht ist für die nächste Woche ausgesetzt. Wenn ihr mit jemandem reden wollt, könnt ihr zu jeder Tages- und Nachtzeit bei mir vorbeischauen. Ich bin mir sicher, dass das auch für alle anderen Lehrer gilt, wenn ihr euch lieber jemand anderem anvertrauen wollt. Ich weiß, es ist schwer, aber es ist Zeit schlafen zu gehen."
Einen Augenblick bewegt sich niemand, dann beginnt sich der Gemeinschaftsraum langsam zu leeren. Lily gibt James einen Kuss auf die Stirn, dann zieht sie mich und Dorcas vom Sofa hoch. Ich werfe einen Blick zurück, zu Sirius, immer zu Sirius, den ich blind in einer Menge finden würde. Er sieht mich ebenfalls an, doch wir wechseln kein Wort, weil jedes Wort zu viel wäre.
Unser Schlafsaal ist von leisen Schluchzern erfüllt, doch irgendwann gleiten Lily und Dorcas in einen unruhigen Schlaf. Ich wünschte, ich könnte auch ein paar Stunden in meinen Träumen verschwinden, die Gedanken abschalten, doch der Schlaf will mich nicht finden. Stattdessen starre ich stumm auf die Vorhänge meines Himmelbettes, die sich sanft im Luftzug des offenen Fensters bewegen und schaurige Umrisse auf die Wände werfen.
„Marlie?"
Ich zucke zusammen und mein Herzschlag beruhigt sich erst, als ich sehe, dass es Sirius ist, der neben meinem Bett steht.
„Wie bist du hier reingekommen?", flüstere ich. „Kein Junge sollte die Mädchenschlafsäle betreten können."
Er sieht mich an, die Augen müde, das Gesicht befreit von seinem sonst so unbekümmerten Grinsen. „Mein Geheimnis."
Unter anderen Umständen hätte ich nachgehakt, unter anderen Umständen hätte er mich aufgezogen. Gerade jedoch rutsche ich einfach ein Stück zur Seite, sodass er sich neben mich setzen und mich in den Arm nehmen kann.
„Was machst du hier, Sirius?"
„Ich konnte nicht schlafen, bevor ich weiß, dass es dir gut geht."
Ich schlucke. „Mir geht es nicht gut."
„Mir auch nicht", murmelt er, sein Gesicht in meinen Haaren vergraben. „Soll ich wieder in mein Zimmer gehen?"
„Nein." Ich beiße mir auf die Lippe. „Du kannst...bleiben, wenn du möchtest. Bleib. Bitte."
Sirius streckt seine Hand nach meiner aus und verschränkt unsere Finger miteinander, einen nach dem anderen, eine unsichtbare Brücke zwischen ihm und mir.
Dann schlafen wir ein.
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