TWENTYTHREE.
MARLENE || Es gibt Tage, die ziehen sich wie Kaugummi. Und dann gibt es Tage, die fliegen an einem vorbei, so bedeutungslos, so gleich, so dunkel, dass man nicht mehr weiß, wo einer aufhört und der andere anfängt. Die Zeit nach dem Angriff fühlte sich an wie letzteres, Schüler schlichen durch die Gänge, langsam kehrte das Lachen wieder ein, doch es war alles gedrückter, ernster, als wäre auch den Jüngsten bewusst, dass das Leben, was wir kannten, sich nun wirklich für immer geändert hatte. Dass der dunkle Lord nicht verschwinden, sondern nur immer stärker werden würde.
Es dauerte vier Wochen, bis die Schüler, die Angehörige bei dem Angriff verloren hatten, wieder in das Schloss zurückkehrten. Sie alle hatten sich verändert.
Peter, vorher schon kein großer Redner, ist nun so still, dass ich manchmal vergesse, dass er überhaupt mit uns unterwegs ist. In den Augenblicken in denen ich mich wieder erinnere, umfängt mich eine so feste Trauer, eine so stille Wut auf alle, die uns einen Freund genommen haben. Wir versuchen ihn mit einzubinden, versuchen ihm zuzuhören, doch das ist nicht einfach, denn um zuzuhören braucht es Worte. Und Worte sind es, die Peter gestohlen wurden.
Alice' Veränderung ist subtiler. Sie lacht mit uns beim Quidditch-Training, ist mit ihren Freunden unterwegs und versichert allen, dass es ihr gut geht. Doch in den Momenten, in denen sie sich unbeobachtet fühlt, sinken ihre Schultern herab und ihren Augen fehlt der frühere Glanz. Doch was sich bei Peter in Stille verwandelt hat, tritt in Alice in Wut und Bissigkeit zu Tage.
„Du musst heute noch nicht zum Unterricht kommen", murmelt Lily in Alices Richtung, ein trauriges Lächeln im Gesicht. „Das hat Peter gestern Abend erzählt."
Alice haut ihre Gabel in das Ei, so sehr, dass ich Angst habe, dass der Teller zerbrechen wird. „Wer weiß, ob wir morgen noch hier sind. Wir müssen das Beste aus der Zeit machen, die wir haben. Alles andere ist Verschwendung. Wir sehen uns gleich in Zauberkunde."
Schwungvoll schiebt sie den Teller von sich und stapft aus der großen Halle. Einen Augenblick lang kann ich ihr nur hinterhersehen, ein wenig erstaunt, ein wenig stolz darauf, wie stark sie ist.
Mutig zu sein ist einfach in Zeiten, in denen Mut nichts bedeutet. Aber erst nach echter Trauer zeigt sich, wer wir wirklich sind. Und Alice Brown ist vielleicht die Stärkste von uns allen.
„Was gibt es Neues?", fragt James Remus, der im Tagespropheten blättert.
Jeden Tag wird die Zeitung dicker, jeden Tag werden die Meldungen düsterer und es ist kein Ende in Sicht.
„Ich weiß gar nicht, ob ich es überhaupt hören will", murmelt Sirius, so leise, dass wahrscheinlich nur ich ihn verstehen kann.
„Ein weiterer Mann ist den Verletzungen nach dem Angriff in der Winkelgasse erlegen", meint Remus. So monoton, so gedämpft, wie wir alle mittlerweile auf die ständigen Nachrichten reagieren. Der Schock verliert an Bedeutung, wenn man ihm immer wieder neu ausgesetzt wird. Man passt sich an, verliert sich ein wenig mehr und macht dann weiter mit dem Leben.
James zieht die Zeitung zu sich. „Lestranges Vater ist gefunden und nach Askaban gebracht worden. Genauso wie..."
„Cygnus und Druella Black. Habs schon gesehen." Sirius nippt an seinem Orangensaft. „Aber nach Askaban zu kommen, ist natürlich kein Grund, um vom Teppich gebrannt zu werden."
Sein Tonfall ist so trocken, so sarkastisch und dennoch erkenne ich den stillen Schmerz in seinen Augen. Zögerlich strecke ich meine Hand nach seiner aus, erwartete fast, dass er sie wegzieht und die Berührung zwischen uns kappt. Doch er verschränkt bloß unsere Finger miteinander, unsere Hände auf seinen Oberschenkel gelegt und isst in aller Ruhe weiter.
„Sonst haben sie noch keinen geschnappt. Und es gab noch zwei weitere Angriffe, einer davon mittlerweile auch in Schottland, wo sich die Todesser anscheinend versammeln." Remus schlägt die Zeitung zu. „Zumindest sind das die Vermutungen des Ministeriums."
„Und wir wissen alle, dass die eigentlich auch nur im Dunkeln tappen", spricht Lily seufzend aus, was wir alle insgeheim denken. „Ich bringe Peter noch ein Frühstück hoch. Vielleicht möchte er auch ein bisschen Saft. Wir sehen uns gleich im Unterricht."
Sie schnappt sich einen Teller, den sie liebevoll angerichtet hat und macht sich auf den Weg. Alleine der Anblick lässt mich innerlich schon wieder bittere Tränen weinen. Seit Wochen versuchen wir Peter irgendwie wieder aufzubauen, doch alles, was wir sehen ist ein Schatten seiner Selbst. Er verblasst jeden Tag ein bisschen mehr. Ich habe Angst vor dem Moment, an dem er richtig verschwinden wird.
„Langsam weiß ich echt nicht mehr, was wir mit Peter machen sollen", seufzt James. „Was ist, wenn er nie wieder er selbst werden wird?"
„Wird er nicht", meint Sirius, leise, als würde den Worten damit die Bedeutung genommen. „So ein Ereignis verändert einen, für immer. Wir können nur versuchen, ihm zuzuhören."
„Und wenn er das nicht will, gemeinsam mit ihm schweigen", seufze ich. „Ich mache mir trotzdem Sorgen. Vielleicht sollten wir nochmal zu Professor McGonnagal gehen."
„Er braucht einen Therapeuten", meint Dorcas und ergänzt dann auf unsere irritierten Blicke hin: „Das sind Muggle-Ärzte, die darauf ausgebildet sind, Personen durch Traumata zu helfen und sie auf ihrem Weg und der Trauerverarbeitungen zu unterstützen."
„Meine Mutter war bei einem. Nach..." Remus stockt und tauscht einen Blick mit Sirius und James. „Nach einem Unfall in unserer Familie. Hat ihr wirklich geholfen. Vielleicht finden wir auch einen für Peter."
„Das muss er aber erst einmal wollen", meint James leise. „Und so wie Peter momentan drauf ist, will er gar nichts."
Ich drücke seine Hand und er schenkt mir ein kleines Lächeln, das so verloren wirkt wie er selbst. Ich wünschte, ich könnte meinem besten Freund mehr helfen. Doch wir schwimmen beide nur knapp über der Oberfläche, warten jeden Augenblick auf den nächsten Wasserfall, der uns vielleicht ertrinken wird.
Dorcas knallt ihre Tasse auf den Holztisch, so fest, dass die Hufflepuffs am Tisch neben uns irritiert zu uns herüber sehen, bevor sie sich wieder ihrem Frühstück widmen.
„Ich hasse es so sehr, dass es immer schlimmer wird." Dorcas schüttelt ihren Kopf, sodass ihre Haare hüpfen. „Und man trotzdem nichts dagegen tun kann."
Remus schiebt die Zeitung von sich, die Stirn in Falten gelegt. „Was ist... wenn wir es könnten?"
„Was meinst du?", frage ich.
„Wir können du weißt schon wen nicht aufhalten, natürlich nicht. Aber wir müssen uns ihm auch nicht einfach ausliefern." Remus Finger gleiten über die schwarzen Buchstaben der Zeitung, die von einer weiteren Trägödie auszeichnen. „Wir könnten... Wir könnten üben. Uns zu verteidigen. Um nicht ganz so hilflos zu sein. Vielleicht auch anderen helfen zu können, die sich selbst nicht wehren können."
James sieht in die Runde, zum ersten Mal seit Wochen wieder mit Feuer in den Augen. „Wir sollten unseren eigenen Orden gründen. Nach dem Unterricht trainieren, vielleicht ein paar Mal die Woche. Ein paar weitere Leute einladen. Vielleicht Ernie und seine Hufflepuffs, Derek aus Ravenclaw ist sicherlich auch dabei, er könnte auch ein paar weitere mitbringen. Wir müssen es natürlich mit unserem Quidditch-Training kombinieren. Aber ja, das sollte funktionieren."
„Es verstößt auch gegen keine Schulregel. Versammlungen und Gruppen in der Freizeit sind erlaubt, da kann auch Dumbledore nichts gegen sagen, auch wenn ich glaube, dass er das gar nicht will", murmelt Sirius nachdenklich.
Ich starre ihn an. „Du hast die Schulregeln von Hogwarts gelesen?"
Er grinst. „Natürlich habe ich sie gelesen. Ich muss sie schließlich kennen, um zu wissen, welche ich brechen möchte."
„Hör nicht auf ihn, Mar. Er hat die Regeln nicht gelesen", meint Remus trocken. „Ich bin der Einzige, der sie gelesen hat und in den letzten Jahren zum inoffiziellen Ansprechpartner geworden, wenn Padfoot und Prongs mal wieder eine brechen wollen."
Dorcas Finger klopfen gegen den Tisch. „Also ziehen wir es durch? Gründen unsere eigene Trainingseinheit?"
Einen Augenblick lang sehen wir uns an, stumm und zögernd, dann vibriert die Luft, kaum merklich bloß, doch es folgt ein weiterer Moment, der unser Leben durcheinanderwirft. Ohne die Worte auszusprechen, sind wir uns einig. Wir werden dem Orden des Phoenix angehören. Wenn auch nicht offiziell, weil Professor Dumbledore und James Eltern sich immer noch weigern, uns aufzunehmen, dann eben auf diese Weise.
„Wir brauchen einen Trainer. Jemand der Pläne aufstellt und weiß, wie man Wissen vermittelt. Uns neue Zauber beibringen kann", meint Sirius nachdenklich.
„Lily", antworten wir alle, ohne auch nur einen Augenblick darüber nachzudenken.
„Meint ihr, dass sie es machen würde?", fragt Remus.
Dorcas, James und ich nicken. „Ja."
„Wobei wir ein bisschen Überzeugungskragt anwenden müssen, schätze ich", ergänzt mein bester Freund nachdenklich.
Sirius klopft ihm auf den Rücken. „Das ist dein Job."
Fünf Tage später haben wir einen Trainingsplan ausgearbeitet, der sowohl für Teilnehmer aus Gryffindor, Hufflepuff und Ravenclaw funktioniert als auch für die Quidditch-Mannschaften und die Vertrauensschülermeetings. Wir sind gut zwanzig Leute, die meisten aus dem fünften bis siebten Schuljahr. Einige Vertrauensschüler sind gekommen, ebenfalls ein paar Leute, die wir von den Quidditch-Mannschaften kennen und Personen, mit denen wir gemeinsame Schulstunden haben. Selbst Gideon Prewett ist aufgetaucht mit seinem Bruder und seiner neuen Freundin. Er hat nur ein kurzes Nicken für mich über gehabt und ist dann direkt ans andere Ende des Raumes gestapft, doch immerhin ist er überhaupt erschienen.
Lily, die sich nach einigen Tagen Bearbeitung tatsächlich bereit erklärt hat, uns zu unterrichten, läuft seit einer halben Stunde so selbstverständlich durch das Klassenzimmer, als hätte sie im Leben nie etwas anderes gemacht.
„Mehr Schwung, Arrow. Das muss aus dem Handgelenk kommen", meint sie und zeigt der Vertrauensschülerin, wie es richtig geht. „Genauso. Super. Du hast es drauf."
Arrow lächelt ein breites Lächeln, während Lily schon wieder auf dem Weg zu der nächsten Übungsgruppe ist.
„Expelliarmus", rufe ich aus dem Nichts, den Zauberstab auf James gerichtet, der seinen eigenen direkt verliert und dann grinsend wieder aufhebt.
„Langsam wirst du wirklich schnell, Marlie."
„Das sagst du nur, weil du dich gar nicht richtig anstrengst."
„Tue ich."
„Tust du nicht", seufze ich. „Aber ich kann nichts lernen, wenn du nicht richtig mitmachst, Jamie. Wir wissen beide, dass du meilenweit besser bist im Duellieren als ich. Das hier ist nicht das echte Leben, aber wenn du willst, dass ich wirklich bestehen kann, musst du so tun, als wäre es das."
James, der während der Trainingsabende zu meinem Partner bestimmt wurde, nickt. „In Ordnung."
„Dann leg –"
„Expelliarmus", ruft er und überrascht mich damit so sehr, dass ich einen Meter nach hinten auf einen Haufen Kissen geschleudert werde.
James streckt mir die Hand entgegen und zieht mich wieder hoch. „Du wolltest die echte Simulierung. Im echten Leben wird niemand etwas ankündigen, die Zauber kommen aus dem Nichts."
Ich nicke und umklammere meinen Zauberstab. „Nochmal."
Bei meinem nächsten Versuch erwische ich aus Versehen Arrow statt James, die jedoch nur lacht und mir zuwinkt.
„Hier wird man ja richtig beschossen", grinst sie und wendet sich dann wieder ihrer Freundin, einer anderen Hufflepuff zu, mit der sie seit Anfang der Stunde übt.
„Nach Remus Geschichten über Arrow hätte ich erwartet, dass sie furchtbar anstrengend ist", murmele ich James zu. „Aber sie ist doch eigentlich wirklich nett, nachdem was ich diese Stunde mitgekriegt habe."
„Sie ist mehr als nett. Remus Problem ist, dass sie mehr als Freundschaft von ihm will. Da reagiert er allergisch drauf."
Ich beiße mir auf die Unterlippe, denn das ist etwas, was mich schon seit Jahren beschäftigt. Vielleicht ist es nicht ganz fair, James auszuhorchen, aber letztendlich gewinnt meine Neugierde den Kampf.
„Wie kommt es, dass Remus nie mit irgendwem ausgeht? Steht er...Mag er Mädchen nicht?"
James lacht leise. „Oh doch, glaub mir, er mag Mädchen."
„Was ist es dann?"
Mein bester Freund verdreht die Augen. „Remus hat ein völlig falsches Bild von sich selbst. Er denkt, dass er für jedes Mädchen eine Strafe wäre."
„Das ist doch Schwachsinn", erwidere ich perplex. „Er ist nett, sieht gut aus und man kann Spaß mit ihm haben."
„Absoluter Schwachsinn." James seufzt. „Aus noch viel mehr Gründen, als du ahnst. Aber versuch ihm das Mal zu erklären. Du redest gegen eine Wand an."
„Wenn du –"
„Expelliarmus."
James erwischt mich wieder aus dem Nichts und sieht lachend zu, wie ich erneut umfalle. „Überraschung."
„Ich hasse dich", stöhne ich. „Nochmal."
Die nächste Stunde erwischt er mich so viele Male ohne Vorwarnung, dass ich irgendwann aufhöre zu zählen. Doch je länger wir üben, desto besser werde ich und als Lily die Stunde beendet, habe ich James gleich dreimal hintereinander entwaffnet.
„Ihr habt alle Fortschritte gemacht. Das ist super." Lily lächelt in die Runde, die Wangen vor ehrlicher Freude gerötet. „Wenn wir so weitermachen, werdet ihr alle noch richtig gut. Das nächste Treffen ist am Dienstag. Wir sehen uns dann. Oh und ich würde euch raten, euch zu beeilen beim Rückweg in eure Schlafsäle, in zehn Minuten ist offiziell Ausgangssperre."
„Bestrafst du dich dann selbst?", murmelt James ihr zu und weicht lachend ihrem Stupser aus.
Der Raum leert sich, wobei wir warten, bis alle gegangen sind, damit Lily den Raum abschließen kann, bevor ich mich mit meinen Freunden ebenfalls auf den Weg zum Gryffindorturm mache.
Sirius zieht mich schwungvoll zurück, als die restlichen unserer Freunde um die Ecke verschwinden. „Warte."
„Ich bin wirklich nicht in Stimmung für –"
„Das will ich auch gar nicht."
Ich sehe ihn skeptisch an, bis er zu lachen anfängt.
„Wirklich nicht, Mar. Also ich meine, ich hätte nichts dagegen, aber darum geht es nicht."
Seine Hände wandern über meine Arme, so selbstverständlich, so selbstständig, dass er es selbst nicht einmal bemerkt. Mich jedoch setzt die Berührung in Flammen.
„Nächstes Wochenende ist Hogsmeade Wochenende."
„Und wir wollten es ausfallen lassen", erinnere ich ihn. „James, Lily und Remus haben das Meeting mit den Vertrauensschülern über die neuen Sicherheitsregeln. Dorcas gibt Nachhilfe. Und Peter..."
Sirius seufzt. „Ich glaube nicht, dass Peter es überhaupt mitgekriegt hat. Wir kriegen ihn momentan schon kaum aus dem Schlafsaal raus, Hogsmeade würde ihn total überfordern."
„Wahrscheinlich", murmele ich und denke mit Bedauern daran, dass Peter bei unserem letzten Abend im Gemeinschaftsraum andauernd zusammengezuckt ist. Jedes Geräusch, sei es noch alltäglich, lässt ihn tausend Alpträume durchleiden.
„Ich habe nachgedacht."
Ich grinse. „Ach, das kannst du?"
Er erwidert mein Grinsen unbekümmert. „Ab und an Mal habe ich auch meine guten Momente. Ich glaube, wir sollten doch nach Hogsmeade. Einfach mal was anderes sehen. Wir beide."
„Wir beide", wiederhole ich. Langsam, um die Worte auf der Zungenspitze auszukosten.
Am liebsten würde ich mich auf die Möglichkeit stürzen, denn ein Tag alleine mit Sirius Black ist genau das, was mein Herz möchte. Egal ob es danach bitterlich zerbricht. Aber ein Funken Vernunft ist mir doch noch geblieben.
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Glaubst du, dass das eine so gute Idee ist?"
„Komm schon Mar. Das wird guttun. Einfach mal ein bisschen auf andere Gedanken kommen."
„Kaufst du mir eine heiße Schokolade?"
Sirius lacht. „Absolut."
„Dann bin ich dabei."
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