TWENTYONE.
MARLENE || Die Tage nach dem Weihnachtsball fühlen sich an wie Kaugummi und wie bloß eine Sekunde zugleich. Ich kann es kaum erwarten, meinem Elternhaus zu entfliehen, wieder nach Hogwarts zu reisen und wieder ich selbst sein zu dürfen. Doch ein Teil von mir wünscht sich, dass die Weihnachtsferien nie enden würden, dass ich für immer mit meinen Freunden um die Häuser streichen und für immer jeden Abend Sirius in meinem Bett hätte.
Wir funktionieren zusammen, so gut, dass es mir manchmal Angst macht. Es ist nur Sex, jedes Mal verschwindet er danach wieder und auch wenn es mein Herz immer und immer wieder bricht, kann ich nicht aufhören, mit ihm in der Holzhütte zu verschwinden. Wie könnte ich auch, sind seine Berührungen die einzige Art der Liebe, die ich überhaupt bekomme. Es ist nicht genug, wird nie genug sein, aber ich nehme die Funken, die er mir gibt, wenn es die Kälte in mir stillt.
Die Zeit steht still, während sie zugleich fliegt und ich kann nichts anderes tun, als mich ihr machtlos zu unterwerfen.
Am letzten Ferientag schlage ich nachmittags bei den Potters auf und lasse meine Finger gegen die Tür klopfen. Ich könnte auch die Schelle nutzen, aber das wäre zu erwachsen und würde mir ein Stück meiner Kindheit stehlen.
Es ist Sirius, der mir die Tür öffnet, ein breites Grinsen im Gesicht. „Lange nicht gesehen."
Ich verdrehe die Augen und drücke mich an ihm ins Haus, wobei ich ganz vielleicht extra auf seinen Fuß trete, um ihm das Grinsen auszutreiben.
„Merlin, Mar, hast du ein Agressionsproblem?", flucht er und hält sich dann so theatralisch am Treppengeländer fest, dass ich nur die Augen verdrehen kann. „Kriege ich als Trost zumindest einen Kuss?"
Ich schnaube. „In deinen Träumen vielleicht."
Sirius Grinsen fällt langsam aus seinem Gesicht. „Wir sollten nach oben gehen. Und sei leise."
„Warum?"
„Darum."
„Das ist doch kein Argument."
„Argumente ziehen bei dir sowieso nicht, McKinnon."
„Sehr erwachsen, Black."
„Wann habe ich behauptet, erwachsen zu sein?", grinst er, nimmt sich meine Hand und zieht mich die Treppenstufen nach oben.
Vor James' Zimmertür angekommen, lässt er wieder los und sofort fühle ich mich leer. Ich hasse es, dass es mir so geht. Und ich hasse es, dass ein Teil von mir all die kleinen Gesten viel zu willkommen heißt. Die Wärme, die schnellen Berührungen, die beiläufigen Blicke. All das, was Sirius nicht tun sollte, wenn es wirklich nur Sex ist. All das, was er trotzdem tut und mich damit in den Wahnsinn treibt. Das Schlimmste ist, dass er es nicht einmal bemerkt.
„Wir sollten Klopfen", meine ich, doch Sirius hat die Tür bereits aufgeworfen und stolziert in den Raum, als wäre er der zweite Mitbewohner.
„Merlin, Prongs." Fluchend sieht James uns an. „Wie wäre es mit Klopfen?"
Sirius wirft einen Blick zu ihm und Lily, die beide auf dem Bett sitzen, zwanzig Blätter Papier vor ihrer Nase.
„Was macht ihr da?" frage ich und schließe die Zimmertür.
„Pläne für die Vertrauensschüler. Nachts soll noch stärker kontrolliert werden", erklärt Lily mir und zieht mich neben sich auf die Matratze. „Wir wollten zeitig anfangen, damit wir direkt am Montag damit starten können."
„Du wolltest zeitig anfangen. Ich hätte es auch im Zug gemacht", zieht James seine Freundin auf, ein breites Lächeln im Gesicht und gibt ihr einen Kuss auf die Stirn.
Es sieht so einfach aus mit den beiden und einen Augenblick lang frage ich mich, warum es bei allen einfach ist, nur nicht bei mir. Dabei gönne ich James und Lily all das Glück der Welt. Zu wissen, dass es niemals meins sein wird, tut dennoch weh.
Ich kann Sirius Blick auf mir spüren und starre auf das knisternde Karminfeuer, weil ich ihn nicht ansehen kann. Nicht hier, nicht heute, nicht jetzt. Nicht wenn ich will, dass er mich in den Arm nimmt und nie wieder loslässt.
Es ist nur Sex, rufe ich mir ins Gedächtnis. Wahnsinnig guter Sex. Aber nur Sex.
„Gibt es irgendwas Neues?", fragt Sirius.
James schüttelt den Kopf. „Ich bin vorhin nochmal bei Dad gewesen, aber er weigert sich –"
„Moment!", rufe ich. „Bei deinem Vater? Was ist mit deinem Vater?"
„Er ist heute früh vor der Haustür appariert. Das ganze Gesicht blau und so viel Blut auf seiner Kleidung, dass meine Mutter fast einen Herzinfarkt bekommen hat", sagt James. „Der Heiler war vorhin da und er kommt wieder in Ordnung. Aber er braucht Ruhe."
Ich funkele Sirius an. „Warum hast du mir das nicht gesagt?"
„Habe ich doch. Ich habe dir gesagt, du sollst leise sein."
„Und das impliziert ‚Hey, Mister Potter ist wieder aufgetaucht und er ist noch in einem Stück'?"
Er zuckt mit den Achseln. „Indirekt. Vielleicht?"
„Absolut nicht", meint Lily trocken und schüttelt dann den Kopf. „Männer."
„Hat er gesagt, wo er war? Was passiert ist? Was ist mit Shacklebolt? Ist die Mission erfüllt oder –"
„Merlin, Mar." Sirius legt seine Hand auf meine Schulter und drückt sie leicht. „Hol mal Luft."
„Frank Longbottom – er war ein paar Jahre über uns, braune Haare, ein wenig schiefe Nase? – war vorhin hier und hat mit Dad geredet", erzählt James. „Sirius und ich haben versucht, Frank ein paar Informationen zu entlocken, aber der hält dicht wie ein Stillezauber. Und Dad sagt absolut gar nichts, flüstert nur hinter geschlossener Tür mit Mum und sobald sie glauben, dass Sirius und ich in der Nähe sind, reden sie plötzlich über das Wetter."
„Charlie hat nicht ein Wort zu irgendwas verraten." Sirius macht eine kurze Pause, den Kopf leicht geneigt. „Ich glaube, er hat Angst, dass James und ich sonst etwas Dummes tun werden."
„Weil das ja auch so absolut realitätsfern ist", kommentiert Lily und ich kann mir nur mit Mühe ein Lachen verkneifen.
„Was soll das denn bitte heißen?", erwidert James.
Ich grinse. „Ihr habt schon eine gewisse Neigung dazu, euch in dumme Ideen zu stürzen."
„Hey." Sirius stupst mich an, bis ich zu lachen beginne und drückt dann meine Hand. „Das ist doch gar nicht wahr."
„Sowas von wahr", protestiere ich. „Nicht wahr, Lils?"
Meine Freundin nickt bestimmt. „Absolut."
Sirius schiebt die Pläne für die Vertrauensschüler zusammen und quetscht sich dann neben mich auf das Bett, so nah, dass ich seinen Arm an meinem spüren kann.
„Was tun wir jetzt?", wirft er in die Runde und sucht James Blick.
„Wir könnten –"
Miss Potter steckt den Kopf durch die Tür, den Blick so funkelnd, dass ich genau weiß, dass sie nicht erst seit gerade dort steht. „Ich sage euch, was ihr jetzt tut. Ihr geht in die Stadt und genießt den letzten Ferienabend und mischt euch unter gar keinen Umständen in Sachen ein, die euch nichts angehen."
Sie mustert James und Sirius, bis diese ein bisschen zusammenzucken.
„Offizielle Anordnung von Charles. Für beide Jungs", fügt sie hinzu. „Und damit auch für dich, Marlie. Lily wird wohl so vernünftig sein, sich nicht auf so einen Schwachsinn einzulassen."
Sie schenkt der Freundin ihres Sohnes ein Lächeln und verschwindet dann wieder.
„Ihr habt sie gehört", meint James und zieht Lily dann ruckartig auf die Beine, bevor er die gleiche Prozedur bei mir und Sirius anwendet. „Ab in die Stadt mit uns."
Ich bin diese Ferien noch nicht einmal in Little Creek gewesen, aber der Ort wirkt nicht anders als in all den anderen Jahren zuvor. Seltsam beständig in dieser viel zu schnellen Welt. Die Pflastersteine vibrieren unter unseren Füßen, verteilen die Regentropfen, die vom Himmel auf uns herabfallen, wahllos in alle Richtungen, bevor sie sich willkürlich in Pfützen sammeln. Trotz des schlechten Wetters wirkt die Stadt einladend mit seinen steinernen Gemälden und den kleinen Geschäften, die langsam alle den Schlussakkord einleiten. Je näher wir der Kingston Road kommen, die eine der wenigen Pubs der Ortschaft beherbergt, desto voller werden auch die Gehwege. Alte Männer, die sich nach dem Feierabend noch auf ein letztes Bier treffen, eine Frauengruppe, die sich abends zum Tanzen trifft und so viele Leute in unserem Alter. Uns so ähnlich und doch so anders, sind doch die wenigsten von uns in die Geheimnisse der Magie eingeweiht.
Die leuchtendrote Eingangstür des Kingsman's ist ein bunter Bruch der sonst so trüben Ansicht und sobald wir in der Wärme des Pubs angekommen sind, atme ich befreit durch.
Lily ist wie immer die Erste, die das Gesuchte findet. „Dahinten ist noch ein freier Tisch."
„Ich hole uns ein paar Runden und finde euch danach", meint Sirius und verschwindet dann in Richtung der Bar.
James und ich folgen Lily durch das Gedränge in Richtung des Tisches in der Ecke, eingezwängt von zwei Gewölbemauern, die so tief sind, dass mein bester Freund den Kopf einziehen muss, bevor er sich setzt.
Lily rutscht selbstverständlich neben James auf die Bank und ich schlucke kurz, weil mir bewusst wird, wer gleich neben mir sitzen wird auf dieser viel zu kleinen Fläche.
Während James und Lily sich über die Vertrauensschülerpläne unterhalten, höre ich nur mit einem Ohr zu. Viel zu abgelenkt bin ich von Sirius, der sich gegen die Bar lehnt, als wäre er Teil der Einrichtung. Er hat ein flirtendes Lächeln im Gesicht, das dafür sorgt, dass die Barkeeperin ihm vor allen anderen ein Tablett mit Bier entgegenschiebt. Sie wirft nicht einmal einen Blick auf Sirius gefälschten Ausweis, sondern zwinkert ihm einfach zu und bedient dann den nächsten Kunden.
Er balanciert unsere Getränke durch die Menge, als hätte er in einem anderen Leben als Kellner gearbeitet und stellt das Tablett dann auf unseren Tisch, bevor er neben mir auf die Bank rutscht. Ich drücke mich unauffällig näher an die Wand, um ein bisschen mehr Abstand zwischen uns zu bringen. Aber selbst so berührt sein Bein das meine und sendet mir wohlige Schauer über den Körper.
Mein Mund ist schneller als mein Verstand. „Kennst du sie?"
„Wen?"
„Die Barkeeperin", murmele ich. „Irgendwie sah es danach aus."
Er zuckt mit den Achseln. „Vielleicht habe ich sie mal gekannt. Flüchtig."
„Mit wie vielen der Mädchen hier im Raum hast du bitte geschlafen?"
Er lässt seinen Blick wandern. „Vier, vielleicht fünf. Sechs mit dir. Und ich muss sagen, dass du die Einzige bist, die mir in bleibender Erinnerung geblieben ist."
„Wenn das ein Kompliment sein sollte, Sirius, dann solltest du nochmal üben", merkt Lily an und ich bin froh über die kleine Unterbrechung, die sie mir gibt. Für die paar Sekunden, die ich kriege, um innerlich zusammenzubrechen und mich wieder zusammenzusetzen.
Es ist nicht so, als hätte ich irgendwelche Ansprüche auf ihn. Auch nicht so, als hätte ich nicht mit mindestens genauso vielen Männern geschlafen. Aber trotzdem tut es weh.
Sirius legt mir einen Arm um die Schulter und beugt sich vor, bis ich seinen warmen Atem auf meinem Gesicht spüren kann. „Das mit Rita ist schon lange vorbei. Ich habe in den letzten Wochen mit niemandem was gehabt außer mit dir. Und du bist die Einzige, die je was bedeutet hat, Marlie."
Ich schlucke und drücke ihn weg, um wieder Atmen zu können.
„Also, wie sieht es aus? Wolltet ihr nicht unser Trinkspiel machen?", frage ich hastig.
„Absolut." James schiebt uns allen unser Bier zu.
„Vielleicht ist das keine so gute Idee", murmelt Lily. Wir ignorieren die Sorgenfalten in ihrem Gesicht gekonnt.
„Es ist kein normales Trinkspiel, Lil." Ich stupse sie an, Fuß gegen Fuß, bis sie mein Lächeln erwidert. „Versprochen. Dabei kann nichts schief gehen."
Sie nickt bestimmt und erinnert mich nicht zum ersten Mal daran, dass sie von uns allen vielleicht diejenige ist, die am besten im Haus Gryffindor aufgehoben ist. Mutig zu sein, ohne wirkliche Sorgen zu haben, ist einfach. Trotz aller Zweifel Mut zu zeigen, ist so viel schwerer.
„In Ordnung. Wie genau geht das Spiel?"
„Du suchst dir eine Person im Pub aus", erklärt James. „Hast du eine? Gut. Dann musst du raten, ob sie ein Zauberer oder ein Muggle ist. Wir beobachten die Person solange, bis wir wissen, ob wir falsch liegen und wenn man falsch rät, muss man trinken, Wenn wir uns nicht sicher sind, dann trinken alle."
„Das ist ein absolut bescheuertes Spiel", stößt Lily aus. „Da wird man doch direkt betrunken."
Sirius zwinkert ihr zu. „Und genau das ist der Sinn."
„Padfoot, wen wählst du?", fragt James.
„Die Tante dort hinten in Grün. Ich sage, sie ist eine Hexe."
Ich schüttele den Kopf. „Muggel."
„Muggel", wählt Lily ebenfalls.
„Zauberer", löst Sirius auf. „Hundertprozentig sicher. Ich habe vorhin gesehen, wie sie sich eine Haarsträhne geradegehext hat. Und los, weg mit dem Bier."
Die nächsten Stunden verbringen wir mit diesem bescheuerten Spiel, was wir schon vor Jahren hätten abschaffen sollen und das dennoch jedes Mal viel zu viel Spaß macht. Mit jedem Glas rutscht Sirius ein wenig näher, bis er irgendwann wie selbstverständlich seinen Arm um meine Schulter legt und mich an heranzieht. Ich hoffe, dass er nicht merkt, wie viel zu schnell mein Herz schlägt.
Einen Abend lang erlaube ich mir, so zu tun, als wäre es echt. Als würde er nichts mehr wollen, als mich festzuhalten und nie wieder loszulassen.
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