TWENTYFOUR.

MARLENE || Der rotgoldene Schal ist fest um meinen Hals geschwungen, dennoch ist mir kalt. Teils liegt es an dem bitterkalten Wind, der trotz des eigentlich angekündigten Frühlings um uns herumwirbelt, einzelne Schneeflocken vom Himmel trägt und wirr auf den matschigen Weg fallen liegt. Teils sind die momentanen Zeiten Schuld, denn Sirius und ich sind eine der wenigen, die sich hinunter in das Dorf wagen und nicht das Wetter ist der Grund dafür. Ich habe in den letzten Tagen einige Unterhaltungen mitgekriegt, in denen Schülern von ihren Eltern verboten wurden, das Schloss zu verlassen. Viele trauen sich auch einfach nicht aus den sicheren Gemäuern Hogwarts nach draußen.

Deswegen fühlt es sich nicht so an wie sonst, es fehlt das fröhliche Gemurmel, das Gedränge, während sich alle ins Dorf stürzen. Ein Gutes hat es jedoch, denn als wir im Honigtopf ankommen, ist es das erste Mal, dass man in dem Gedränge nicht aufpassen muss, die Schokofrösche neben einem vom Regal zu reißen.

„Wie viele sollen wir mitnehmen?", frage ich Sirius.

Er sieht stirnrunzelnd auf die Liste, auf denen die Wünsche unserer Freunde aufgedruckt sind. Wir sind zum inoffiziellen Süßigkeit-Lieferanten ernannt worden, eine Aufgabe, die Sirius so ernst nimmt, dass er tatsächlich jegliche Gegenstände mit einer Strichliste sowie Preisen versehen hat.

„Vierzehn."

Ich starre ihn an. „Vierzehn?"

„Vierzehn. Remus hat zehn bestellt und die wird er auch brauchen nächste Woche, wenn... Er isst einfach gerne Schokolade."

Noch vor Monaten wäre mir das kleine Zögern nicht aufgefallen, doch mittlerweile stolpere ich darüber, kenne all seine Eigenarten, das kurze Stocken seines Atems, bevor er eine Lüge in Wahrheit verwandelt. Die Art, wie sein rechter Zeigefinger sich ein wenig verkrampft, während er den unschuldigsten Blick in seine Augen legt. Das verknoten seiner Finger zu einer Faust, in Momenten, in denen er eigentlich entspannen sollte, doch ein Teil von ihm steht immer unter Strom.

„Wir sollten noch eine extra Packung für Remus mitnehmen", beschließe ich und werfe sie kurzerhand in den Korb, der mittlerweile bereits überplatzt. „Er ist ein bisschen blass um die Nase. Hoffentlich wird er nicht krank."

„Wahrscheinlich diese Grippe, die momentan kursiert", murmelt Sirius und schiebt sich dann eilig weiter durch die Gänge. „Was brauchen wir noch?"

„Ein paar Bohnen und James hat gesagt, dass er zwei Packungen Drops will, aber die kaufen –"

„Wir ihm nicht, weil er letztes Mal danach gekotzt hat", ergänzt Sirius lachend. „Das tue ich mir nicht nochmal an. Unser ganzer Schlafsaal konnte danach einer Grundreinigung unterzogen werden."

„Weil ihr ja sonst so ordentlich seid", ziehe ich ihn auf. „Euer Schlafsaal sieht sowieso immer aus, als hätte jemand eine Bombe explodieren lassen."

„Aber das ist nicht mein Kram. Ich bin ordentlich, Mar."

„Weil du es wirklich bist oder weil du es sein musstest?", frage ich, so leise, dass nur er mich verstehen kann.

Ein dunkler Schatten legt sich in seine Augen und sofort bereue ich die Frage. „Weil ich es sein musste. Meine Mutter hat immer gerne ein paar Bestrafungen verteilt, wenn wir irgendwo unseren Kram im Haus haben liegen lassen und irgendwie kann ich es mir nicht wieder abgewöhnen."

Ich nicke stumm, weil ich mir so etwas schon gedacht hatte. „Ist bei mir nicht anders gewesen."

Seine Finger streifen meine, so federleicht, dass ich einen Augenblick brauche, um die Berührung einzuordnen. So ist es immer mit Sirius Black und das ist es, was mich wahrscheinlich am meisten überrascht. Wirkt er sonst so voller Selbstbewusstsein, ist er in diesen Momenten so vorsichtig, so unsicher. Es ist eine Seite von ihm, an die ich mich erst gewöhnen musste, doch jedes Mal, wenn er wieder stumm einen Versuch startet, lächele ich innerlich. Als seine Hand erneut wie beiläufig an meiner entlangfährt, verschränke ich unsere Finger miteinander und ziehe ihn zur Kasse herüber, an der sich trotz der momentanen Situation eine kleine Schlange gebildet hat. Ich schätze, dass selbst Katastrophen den Hogwarts Schülern nicht ihren Appetit auf Süßigkeiten versauen. Wenn man sich Remus und Lily anschaut, hat es sogar eher den gegenteiligen Effekt.

„Ich zahle", meine ich hastig, als wir schließlich an der Reihe sind und Sirius in seinem Mantel nach seinem Geldbeutel kramt.

Seit James mir vor einem Monat gesteckt hat, dass Sirius es vermeidet, das Verließ der Blacks zu betreten, wenn es irgendwie möglich ist. Bis zu dem Augenblick habe ich nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, einfach weil ich es nicht gewöhnt bin, überhaupt über Geld nachzudenken. Es ist einfach immer da.

So wie es für ihn immer dagewesen ist. Bis es ihm schließlich genommen wurde.

Sirius trägt es mit Fassung, hat noch nicht einmal mit irgendwem darüber geredet und hätte James es mir nicht gesagt, wäre es mir nicht einmal aufgefallen. Doch seitdem bin ich bemüht, zumindest dafür zu sorgen, dass er nicht andauernd sein letztes Geld für mich oder unsere Freunde ausgibt.

„Wohin jetzt?", frage ich, als wir den Honigtopf wieder verlassen, um einiges armer und bepackt mit drei vollen Tüten Süßigkeiten.

Sirius Wangen sind vor Kälte gerötet, was ihn jünger wirken lässt und das Lächeln auf seinen Lippen wird unbekümmert, als hätten wir für die nächsten Stunden keine Sorgen. Als wäre die Dunkelheit durch die Freude des Tages erstickt worden.

„Lass uns was trinken gehen."

Ich lasse mich von ihm durch die Straßen ziehen und blinzele überrascht, als wir an dem Drei Besen vorbeigehen, um stattdessen Madam Puddifoots Café zu betreten.

Einen Augenblick lang bin ich von Pink erschlagen, dem man nicht entkommen kann. Die Bänke, die Tischdecken, selbst das Geschirr leuchtet in den Farben, gemischt durch aufwendige Blumenmuster. Es fühlt sich ein wenig an, als in einen Alptraum gesperrt zu werden, dem man nicht entkommen kann.

„Setz euch, setzt euch", ruft uns eine beleibte Dame zu, während sie zwischen den Tischen herumeilt. „Einfach einen Platz aussuchen."

Sirius sieht mich fragend an. „Wo willst du sitzen?"

Ich blinzele, weil ich immer noch von all dem Kitsch erschlagen bin. „Wie wäre es mit einem Tisch ganz in der Ecke?"

Wir setzen uns und einen Augenblick studiere ich die Speisekarte, bis ich meine Gedanken nicht mehr ignorieren kann. „Ist im Drei Besen irgendwie die Pest ausgebrochen oder warum sind wir hier?"

„Wir sind immer im Drei Besen. Ich dachte, wir sollten mal was anderes machen."

Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Und hier...gefällt es dir?"

„Es soll nicht mir gefallen, sondern dir." Sirius runzelt die Stirn. „Und das tut es nicht, oder?"

„Ich meine, es gibt bestimmt Mädchen, die sowas mögen. Aber ich kriege von dem ganzen Pink Augenkrebs."

Kurz habe ich Angst, dass er mir böse ist, doch stattdessen bricht er in Gelächter aus.

„Merlin, Mar, Danke. Ich dachte, ich wäre der Einzige, der einen Besuch hier als Folter empfindet. Willst du lieber ins Drei Besen?"

„Wenn wir schon mal hier sind, können wir auch den Kuchen probieren", beschließe ich. „Der soll nämlich wirklich gut sein."

„Okay", stimmt er zu. „Aber lass mich zumindest zahlen."

„Wenn du dein Geld für überteuerten Kuchen ausgeben willst, sage ich bestimmt nicht Nein."
Es dauert nicht lange, dann haben wir beide etwas zu Essen vor uns. Eine ausgefallene Erdbeertorte für mich und einen stinklangweiligen Zitronenkuchen für Sirius, der ihn anschaut, als wäre er das Highlight seines Lebens. Ich grinse, als ich seine Begeisterung sehe.

„Stört es dich?", fragt Sirius irgendwann.

Ich runzele die Stirn. „Was soll mich stören? All das Pink? Für den Kuchen ist das zu verzeihen, denn der ist echt himmlisch."

Er lacht leicht. „Nein, das meinte ich nicht. Sondern Gideon und Liona."

Ich drehe mich in meinem Stuhl um und merke erst jetzt, dass Gideon mit seiner neuen Freundin überhaupt im Café ist. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Gideon freiwillig in diesem Laden aufschlagen würde, aber so wie es aussieht, haben wir alle ungeahnte Tiefen.

„Nein, es stört mich nicht. Ich freue mich für Gideon und es war nicht so, als wäre das mit uns beiden je irgendwas Ernstes gewesen." Ich zucke mit den Achseln. „Außerdem bin ich mit dir hier. Also gewinne ich wahrscheinlich."

Statt zu lachen wie ich gedacht hätte, runzelt Sirius die Stirn und sinkt ein bisschen auf seinem Stuhl zusammen.

„Was ist los?"

„Warum bist du mit mir hier? Und nicht jemandem wie Gideon? Denn sind wir mal ehrlich, wir wissen beide, dass ich eine absolute Katastrophe bin", murmelt er leise. „Meine Familie ist ein absolutes Desaster, ich habe momentan nicht mehr als einen Koffer Klamotten und wohne bei meinem besten Freund, weil ich Zuhause rausgeworfen wurde. Außerdem denkt halb Hogwarts, dass ich bei den Slytherins besser aufgehoben wäre und wahrscheinlich bereits dem Dunklen Lord folge."

Ich lege meine Hand auf seine. „Wir können uns unsere Familie nicht aussuchen. Glaub mir, ich wäre nach dir die Erste, die sich direkt eine andere aussuchen würde."

Sein Mundwinkel zuckt nach oben, leicht und fast unmerklich, aber alleine diese kleine Bewegung macht mich froh.

„Du bist keine Katastrophe, Sirius Black."

„Du auch nicht, Marlene McKinnon."

Seine Finger verschränken sich mit meinen, so selbstverständlich, als hätten sie nie irgendwo anders hingehört.

„Du bist alles andere als eine Katastrophe, Mar. Du bist ein Feuerwerk, so strahlend, dass man manchmal Angst hat, sich an dir zu verbrennen. Und ich hoffe, dass du nie aufhören wirst zu leuchten. Für Nichts und Niemanden."

„Feuerwerke leben nicht ewig", murmele ich.

Sirius zuckt mit den Achseln. „Ewig Leben ist nicht wichtig. Solange man richtig lebt, reicht es aus."

„Nicht die Länge, sondern die Momente sind es, die unser Leben besonders machen", flüstere ich und lache dann leicht. „Merlin, wer hätte gedacht, dass das hier in eine Philosophie Stunde ausartet."

Er schüttelt sich so sehr, dass ich richtig in Gelächter ausbreche. „Bloß keine Philosophie mehr. Lass uns lieber noch ein Stück Kuchen essen und ein bisschen über die Slytherins lästern."

Auch wenn wir nicht darüber reden, fühlt es sich an wie ein Date und das ist irgendwie schön. Trotz all dem Kitsch und dem Pink ist es ein guter Nachmittag, einfach weil ich mit Sirius hier bin.

Als es langsam dunkel wird, verlassen wir das Café und laufen durch die Straßen, wobei ich versuche, mich nicht daran zu stören, wie viel leerer es ist als sonst. Kaum jemand geht noch zum Bummeln nach Hogsmeade, die meisten eilen durch die Gassen, erledigen ihre Besorgungen und verschwinden dann wieder, viele mit gehetztem Blick und ständigem Ausschauen nach Gefahr.

„Willst du direkt zum Schloss zurück oder sollen wir noch woanders hin?"

„Wohin denn?"

Sirius grinst. „Das wäre eine Überraschung."

„Okay, ich bin dabei."

Eine Viertelstunde später bereue ich meine Zustimmung, denn er quetscht sich verbotenerweise durch einen Zaun und streckt mir dann die Hand dagegen. „Komm schon."

Ich blicke mit mulmigen Magen den Hang hoch, an dem sich die Heulende Hütte in den Himmel schraubt, das Holz knarrend und wie immer von einem Schauer umgeben. Das leichte Nebelschwaben um die Hütte herumschwirren, lässt mein Unbehagen auch nicht einfach verschwinden. 

Sirius sieht mich geduldig an, den Kopf leicht schief. „Vertrau mir, McKinnon."

„Ich vertraue dir."

Die Worte kommen mir so selbstverständlich über die Lippen, dass es mich selbst überrascht. Aber sie sind nichts als die Wahrheit. Irgendwann im Laufe der letzten Monate habe ich damit angefangen und nun würde ich Sirius Black mein Leben anvertrauen. Ich hoffe nur, dass es niemals dazu kommen wird.

„Nur dieser Hütte vertraue ich nicht", ergänze ich leise, lasse mich aber von ihm durch den Zaun ziehen.

Sirius lacht dunkel. „Wer hätte gedacht, dass du so ein Angsthase bist?"

„Entschuldige, ich bin nicht diejenige, die beim letzten Quidditch Training geflüchtet ist, nur weil ein Bieber sich aufs Gelände gewagt hat."

„Der hatte aber auch lange Zähne", protestiert er lautstark. „Da ist Vorsicht angesagt."

Lachend sehe ich ihn an. „Na sicher. Ganz gefährlich."

Je näher wir der Hütte kommen, desto langsamer werde ich jedoch und zwinge mich, das Gebäude immer im Blick zu haben, um im ersten Moment des Risikos weglaufen zu können.

„Wir sollten wirklich nicht reingehen", zische ich, als Sirius selbstverständlich das Türschloss aufzaubert und die Angeln sich quietschend öffnen.

„Komm schon, McKinnon." Er sieht mich einladend an und ich stolpere eilig hinter ihm in die Hütte, damit ich ihn zumindest verteidigen kann, wenn uns jemand angreifen sollte.

Sobald meine Füße über das Holz knirschen, fällt die Tür hinter uns zu und ich quietsche auf.

Sirius dreht sich in meine Richtung, die Augen gefährlich funkelnd. „Du glaubst doch nicht wirklich, dass es hier Geister gibt?"

„Irgendwas ist in diesem Haus. Die Gerüchte kommen nicht einfach so", wispere ich.

Er lacht leise. „Ich bin der Geist."

Ich haue ihm gegen den Oberarm. „Kannst du nicht einmal ernst sein?"

„Ich meine es ernst. Ich und die Jungs sind die Geister."

„Ich habe absolut keine Ahnung, was du –"

Blinzelnd starre ich auf die Stelle vor mir, wo gerade noch Sirius Black gewesen ist und nun ein schwarzer, riesiger Hund zu mir hinaufsieht. Er hüpft auf einer Stelle, den Schwanz wedelnd und ich habe einen Augenblick lang das Gefühl, nicht mehr richtig atmen zu können.

„Das ist... Das ist... Wow."

Zum ersten Mal seit langer Zeit bin ich wirklich sprachlos. Der Hund legt mir einmal über die Hand und beim nächsten Blinzeln steht Sirius wieder vor mir.

„Du sagst es doch keinem, Mar?"

Ich lache immer noch überfordert. „Wer sollte mir denn glauben?"

„Bist du böse? Weil wir es dir nicht gesagt haben?"

„Nein", murmele ich und schüttele dann den Kopf. „Du bist ein Hund. Wahnsinn."

„Ich bin kein Hund. Ich kann mich nur in einen verwandeln."

„Also wenn ich jetzt ein Stöckchen werfen würde, würdest du nicht hinterherjagen?"

Sirius lacht. „Wahrscheinlich schon, aber nicht weil ich ein Hund bin, sondern weil ich einfach nicht still stehen kann."

„Ja, das habe ich bereits festgestellt. Was ist James? Ein Faultier?"

Ein Grinsen legt sich auf seine Lippen. „Das wäre gut gewesen, damit hätte ich ihn aufziehen können. Aber er ist ein Hirsch, ein ziemlich cooler sogar. Mit riesigem Geweih. Peter ist eine Ratte. Und Remus... Nun, Remus ist eben Remus. Das ist eine Geschichte, die er dir selbst erzählen muss."

Ich lasse zu, dass er mich an sich zieht, seine Arme an meinem Rücken, warm und sicher und wie das Zuhause, was ich nie wirklich gehabt habe.

„Warum hast du es mir gesagt?", flüstere ich. „Ich hätte es nie im Leben erraten."

Sirius legt seine Lippen auf meine Stirn. „Weil ich nicht möchte, dass es Geheimnisse zwischen uns gibt."

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