TWELVE.
MARLENE || Mein bester Freund reißt mich aus dem Bett, in dem er meinen Fuß in die Hand nimmt und mich kurzerhand aus dem Bett zieht. So viel zum sanften Aufstehen.
„Ich bringe dich um. Merlin, ich bringe dich um", zische ich in seine Richtung und taste blind auf meinem Nachtisch nach meinem Zauberstab, den ich wutentbrannt auf James richtig.
Er sieht mich vollkommen zufrieden an. „Gut, du bist auch endlich wach, Marlie. Zieh dich an, in zehn Minuten ist Training."
Ich mustere ihn mit aufgerissenen Augen und sehe, dass er tatsächlich den roten Quidditch-Umhang trägt, seinen Besen unter den Arm geklemmt.
„Bist du völlig wahnsinnig geworden?" Fluchend richte ich mich vom Boden auf, was nicht ganz so mühelos gelingt wie sonst, wahrscheinlich habe ich gestern Abend wirklich einen Punsch zu viel gezogen. „Hast du mal aus dem Fenster geschaut, Jamie? Siehst du die Kugel dort am Himmel? Das ist der verdammte Mond! Es ist noch mitten in der Nacht!"
„Man kann nie früh genug mit dem Training anfangen", meint er überzeugt. „Nach der gestrigen Niederlage haben wir es wirklich nötig. Wir können das nächste Spiel auf keinen Fall verlieren.
Ich funkele ihn an. „Das nächste Spiel ist erst in zwei Wochen."
Das Problem ist wie jeher, dass James Potter leider ein verdammter Sturkopf sein kann. Selbst Sirius kann ihm da keine Konkurrenz machen und in diesem Augenblick merke ich mal wieder, warum ich manchmal kurz davor bin, ihn umzubringen.
„Kaum genug Zeit zum Trainieren also, Marlie. Du hast noch neun Minuten, dann bist du unten im Gemeinschaftsraum oder nicht länger Teil der Mannschaft."
Er dreht sich auf den Hacken um und verschwindet dann aus dem Zimmer, während ich ihm tausend Flüche an den Kopf werfe.
„Brauchst du Hilfe dabei, James umzubringen?", meldet sich Dorcas, den Kopf noch halb unter der Bettdecke versteckt. „Denn für diese Aktion bin ich wirklich dabei. Ich wollte einfach nur ausschlafen. Ist das denn wirklich zu viel verlangt?"
Noch im Halbschlaf werfe ich mir meinen Quidditch-Umhang über und suche nach meinem Besen, bis mir einfällt, dass ich diesen gestern in der Besenkammer bei dem Trainingsgrund gelassen habe.
„Dein Umhang ist falsch herum", merkt Lily an, als ich mich gerade aus dem Zimmer quälen will.
Ich zucke müde die Achseln. „Wird mich nicht umbringen. Wir sehen uns dann beim Frühstück in..." Ein Blick auf die Uhr lässt mich stöhnen, denn es ist tatsächlich erst halb Sechs. „Frühestens drei Stunden?"
Als ich in den Gemeinschaftsraum komme, sehe ich, dass dort noch das absolute Chaos herrscht, was bedeutet, dass es selbst für die Hauselfen noch zu früh ist. James ist eindeutig wahnsinnig geworden.
Der Rest der Mannschaft befindet sich bereits dort, die meisten jedoch nur körperlich anwesend. Haymitch, Dave und Alice hängen wie ein Schluck Wasser in der Kurve auf dem Sofa, Sirius lehnt an der Wand und wirkt, als würde er mit offenen Augen schlafen und Oliver scheint tatsächlich auf einem Sessel schon wieder ins Land der Träume verschwunden zu sein.
Einzig James sieht aus wie das blühende Leben, den Besen umklammert und mit grimmigen Gesichtsausdruck nach draußen starrend, als wäre jede Sekunde, die wir warten, eine zu lange.
„Wunderbar, ihr seid alle da. Dann geht es los." James klatscht in die Hände. „Und zieht nicht alle so lange Gesichter. Quidditch ist nicht nur körperliches Training, sondern auch eine Einstellungssache. Wir erzielen bessere Ergebnisse, wenn ihr motiviert seid."
„Vielleicht solltest du uns dann nicht vor Morgengrauen aus dem Bett schmeißen, Prongs?", merkt Sirius trocken an, seine Stimme rau und dunkel und von Müdigkeit durchzogen.
Ich beiße mir auf die Lippe, als seine Stimme meinen Bauch ein bisschen zu sehr kribbeln lässt und verschließe das Gefühl mit all den Erinnerungen an unseren Kuss gestern Abend ganz weit hinten in meinem Gehirn. An einer Stelle, die ich nie wieder besuchen werde. Denn sonst wartet nur ein Desaster auf mich.
James ignoriert Sirius berechtigten Einwand absolut, kneift Oliver in die Wange, der daraufhin zuckend aus dem Schlaf hochschreckt und scheucht uns mit seinem Besen aus dem Gemeinschaftsraum.
„Warum genau sind wir noch einmal freiwillig in der Mannschaft?", murmelt Alice mir zu, während wir zum Trainingsgelände marschieren, deutlich langsamer als James es von uns will, aber wir sind alle viel zu müde und noch viel zu angetrunken für ein höheres Tempo.
„Glaub mir, das frage ich mich gerade auch", seufze ich.
Den restlichen Weg gehen wir im einträchtigen Schweigen, keiner von uns in der Lage, zusammenhängende Sätze zu bilden und als wir die Umkleide erreichen, fallen wir einfach auf die Bänke, so geschafft, als hätten wir bereits stundenlanges Training hinter uns gebracht. James sadistisch funkelnden Augen nach zu urteilen, steht uns allerdings erst jetzt des schlimmste Training des Jahres bevor.
„Wir müssen ganz dringend unsere Taktik durchsprechen. Da hat gestern einiges nicht gestimmt", startet mein bester Freund.
Ungläubig sehe ich, dass er tatsächlich sieben handbeschriebene Tafeln hinter sich stehen hat, mit seltsamen Motiven und Kreisen, die wohl etwas darstellen sollen.
„Hat er überhaupt geschlafen?", stoße ich hervor.
Sirius neben mir schüttelt den Kopf, ohne diesen von der Wand wegzubewegen, die er als Stütze nutzt. „Er ist die ganze Nacht nicht im Schlafsaal gewesen. Ich dachte, er wäre mit Lily irgendwo verschwunden. Anscheinend ist er hier gewesen."
James sieht uns anmahnend an und wartet, bis wir alle still sind, was nicht lange dauert, denn für viele Worte ist es immer noch viel zu viel.
„Also wie ihr hier sehen könnt, dann..."
„Alles, was ich sehe, sind wirre Kreise", murmelt Alice, die mir gegenübersitzt, allerdings so leise, dass James sie nicht versteht.
Ich verkneife mir mit Mühe ein Grinsen, denn mir geht es nicht anders.
„Slytherin hat gestern vor allem unsere rechte Seite getestet, weswegen..."
Mehr Worte braucht es nicht, um James Stimme in den Hintergrund zu schieben und einfach auf die Wand vor mir zu starren, während ich mir wünsche, jetzt gerade in meinem warmen Bett zu liegen und zu schlafen. Meinetwegen auch nicht zu schlafen und stattdessen einen Jungen neben mir zu haben, das würde ich auch noch akzeptieren, ist das doch der einzige Grund, warum ich vor Morgengrauen freiwillig wach bin.
James steigert sich weiter in seine Tirade hinein und alles, woran ich denken kann, ist, dass Sirius Bein die ganze Zeit meines berührt. Als wollte es mich stetig daran erinnern, warum es absolut keine gute Idee ist, dass wir den Fehler gestern Nacht begangen haben. Einen Augenblick lang vergesse ich allerdings, dass es ein wahnsinniger Fehler ist, denn seine Lippen haben sich viel zu gut angefühlt und so etwas Gutes kann nichts Schlechtes sein, es sei denn, es sind Sirius Lippen.
Es sind Gedanken, die verdammt gefährlich sind.
Mein Kopf muss zu müde sein, das muss der einzige Grund sein, warum ich plötzlich wieder über seine Lippen und den Kuss und seine Seufzer nachdenke. Ich bohre meine Finger in die Oberschenkel, um mich wieder zusammenzureißen und glücklicherweise funktioniert es tatsächlich.
Allerdings bedeutet es, dass ich nun wieder James Stimme wie eine ewig dauernde Schallplatte in meinem Ohr habe.
Nachdem mein bester Freund bereits seit einer Stunde ohne Pause seine Taktikbesprechung hält, sind wir anderen alle gute zwanzig Zentimeter weiter nach vorne gerutscht und bemühen uns sehr, nicht jeden Moment einzuschlafen.
„Wie sehr werden wir Jamie vermissen, wenn er gleich zufällig von den Tafeln erschlagen wird?", murmele ich Sirius schließlich zu. „Ich kenne da vielleicht einen guten Zauber."
Sein raues Lachen ertönt, das sich gerade noch in die Freiheit schleichen kann, bevor er hastig die Lippen zusammenpresst.
James funkelt uns an. „Was ist so witzig? Dieser Spielzug ist aus Qudditch für motivierte Hexen und Zauberer und er hat bei der letzten Weltmeisterschaft hervorragend funktioniert, als die ungarische Mannschaft gegen England gespielt hat."
„Wir sind aber nicht die ungarische Nationalmannschaft", meint Sirius seufzend. „Wie lange geht das hier noch, Prongs? Wenn ich nicht gleich was zu Essen bekomme, verwandele ich mich in einen heißhungrigen Hund."
Seine Worte schaffen es tatsächlich, James zum Grinsen zu bringen und dabei das erste Mal heute Morgen von seinem durchgetakteten Trainingsplan abzulenken.
„Schnappt euch die Besen. Wir werden einige der Übungen jetzt praktisch umsetzen."
Nach der gefühlt tausendsten Übung hängen wir alle nur noch halb über den Besen und Oliver, der ohnehin außerhalb des Trainingsplatzes mit einer Tollpatschigkeit gesegnet ist, die ihresgleichen sucht, wirkt, als würde er jeden Augenblick aus der Luft fallen.
Nachdem mich ein weiterer Klatscher fast im Gesicht trifft und gerade noch von Alice aufgehalten wird, halte ich es nicht mehr aus.
„Jamie? Ich bring dich um, wenn ich nicht gleich endlich was essen darf."
Mein bester Freund öffnet den Mund, zweifelslos um zu protestieren, doch als er mich ansieht, merkt er wohl, dass ich nicht gelogen habe und klappt ihn wieder zu.
Die Pfeife wird geblasen und endlich haben wir die Trainingsstunden überlebt.
In der Umkleidekabine lassen wir sogar die Dusche ausfallen, nur um schneller zum Frühstück zu kommen. Auf dem Weg zur großen Halle ziehen wir eine Schlammspur hinter uns her, die uns direkt fünfzig Punkte Abzug für Gryffindor einfängt, doch in diesem Moment könnte es mir nicht unwichtiger sein. Alles was ich sehen kann, sind kleine fiktive Muffins, die vor meinem Auge tanzen.
Als ich jedoch mit den anderen in die große Halle abbiegen möchte, hält Sirius mich am Arm fest und lässt direkt wieder los, als ich zusammenzucke.
„Können wir kurz reden?" Er fährt sich durch die Haare, die Lippe ein wenig zusammengepresst und wirkt so unsicher, dass ich einen Augenblick schwören könnte, dass er sich nur über mich lustig machen will. Doch seinen grauen Augen fehlt jedes Funkeln, das ansonsten dort zu sehen wäre. „Alleine?"
„Sicherlich", murmele ich und folge ihm ein paar Meter in eine Ecke neben zwei Rüstungen, wobei ich eine davon fast umwerfe, weil ich plötzlich nur noch an gestern Nacht denken kann. An Sirius und diesen verdammten Kuss, der mich viel zu sehr beschäftigt.
Wir sind still, während die Schülerschaft um uns herum lärmend in die große Halle strömt. Ein ununterbrochener Fluss voller Sicherheit, während wir im Risiko schwimmen.
„Wegen gestern Abend." Sirius beißt sich auf die Unterlippe. „Das hat nichts zu bedeuten, oder?"
Es sind genau die Worte, die ich eigentlich hören will.
Und gleichzeitig sind es auch genau die Worte, die sich wie tausend Messerstiche in mein Herz bohren.
Rettung und Untergang genug.
Ich zwinge ein Lächeln auf meine Lippen. „Wir vergessen diesen Kuss einfach, okay? Er ist nie passiert."
Sirius nickt, seine grauen Augen wie brennendes Feuer in meinen. Wir sehen uns an, die Sekunden fliegen an uns vorbei und dennoch kann die Stille uns nicht befreien.
Ich blinzele schließlich und reiße meinen Blick mit Gewalt los.
„Okay, super", sage ich langsam. „Dann haben wir das ja geklärt."
Gerade als ich mich umdrehen und verschwinden will, nimmt Sirius meine Finger federleicht in seine.
„Mar?"
„Ja?"
„Können wir vielleicht trotzdem... Freunde sein?"
Ich atme aus. „Sind wir das nicht bereits?"
Sirius erwidert mein Lächeln, ein wenig zu lange, ein wenig zu unsicher, genauso wie ich mich fühle. Er ist mein Spiegel, mein Gegenstück, nachdem ich nie gesucht habe und das ich nie finden wollte. Denn nun, wo ich ihn verstehe, ihn und sein Leben und seine Vergangenheit und seine Zukunft, weiß ich nicht, ob es mich verbrennen wird, einfach sein Freund zu sein.
„Freunde", flüstert er.
Sirius hält meine Hand einen Moment länger als nötig fest.
Dann lässt er los.
Und das Leben hat uns wieder.
Während wir die große Halle betreten und den Gryffindor-Tisch nach unseren Freunden absuchen, achte ich vielleicht ein klein wenig zu sehr darauf, genügend Abstand zwischen uns zu haben. Doch genau das machen Freunde so.
Die Halle ist erfüllt von Gelächter, erfüllt von Gesprächen und nicht zum ersten Mal wird mir der Kontrast zur Trauerfeier noch vor einigen Wochen bewusst, in der Totenstille genau an diesem Ort geherrscht hat. Das Leben ist kurz, so kurz, dass es sich in einem Augenblick verändern kann. Doch die Menschen sind stärker, sind in der Lage, sich in kürzester Zeit an eine neue Realität zu gewöhnen. Es ist vielleicht eine Abwehrhaltung, vielleicht ein Verstecken vor der Wahrheit, vielleicht einfach die Menschheit selbst.
Also werden wir lachen und reden und scherzen, bis uns die Dunkelheit erneut treffen wird.
Uns ist allen klar, dass es geschehen wird. Voldemort sammelt täglich mehr Anhänger, die Nachrichten werden schwärzer und schwärzer, aber bis dahin werden wir uns mit all der Kraft an das klammern, wofür es sich zu leben lohnt.
Freundschaft, Güte und Liebe.
Alles drei Wörter, die ich noch vor einigen Monaten niemals mit Sirius Black verbunden hätte. Heute jedoch...Sichtweisen können sich ändern, auch wenn wir noch nicht bereit dazu sind.
Als ich mich neben Lily auf die Bank fallen lasse, Sirius zu meiner Rechten, drehen sich fünf neugierige Augenpaare in unsere Richtung.
Ich lasse den Muffin sinken, den ich gerade vernichten wollte und seufze lautstark. „Könntet ihr bitte damit aufhören, uns anzustarren? Wir waren betrunken, wir haben uns geküsst, es hat nichts bedeutet und wir haben es abgehakt. Also könntet ihr das bitte auch tun. Ich würde nämlich gerade wirklich gerne diesen Muffin essen."
„Mar und ich sind Freunde, okay?", ergänzt Sirius, während er bereits sein Rührei vernichtet, als hätte er seit Tagen nichts mehr gegessen. „Nicht mehr als das."
James strahlt uns an. „Das sind die allerbesten Nachrichten, die ich je gehört habe."
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