SIXTEEN.

MARLENE || Sirius Haare kitzeln meinen Hals, aber ich bin noch nicht bereit dazu, ihn loszulassen. Wieder Abstand zwischen uns zu bringen und die Realität mit einem Gewittereinbruch über mich einstürzen zu lassen.

„Sirius?"

„Hm?"

„Wie hast du mich gefunden?"

„Regulus."

Ein Name, der wie der Untergang zwischen uns durch die Luft schwebt, bevor er sich langsam ins Nichts auflöst. Ich schweige, damit er seine Gedanken sortieren kann. Damit er die Worte finden kann, die er letztendlich in die Freiheit entlassen will.

Im Laufe der letzten Monate habe ich gelernt, dass man Sirius Black in manchen Situationen am besten zum Reden bringen kann, in dem man ihm die Stille als Freund zugesteht.

„Reg hat mich gesucht", meint er schließlich, die Stimme sanft und sehnsuchtsvoll und so voller Verzweiflung, dass ich nicht weiß, ob ich es nicht gerade bin, die ihm in diesem Augenblick durch unsere Umarmung Trost schenkt. „Er hat drei Erstklässler zusammengeschrien, bis sie in den Gryffindor-Gemeinschaftsraum gekommen sind und mir gesagt haben, dass mein Bruder mit mir reden will. Reg war völlig durch den Wind, hat andauernd irgendetwas von Jackery und dir geredet und es hat einen Moment gebraucht, bis ich verstanden habe, was er mir sagen will. Dann habe ich mir die Karte genommen und bin losgerannt, sobald ich deinen Namen darauf gesehen habe. Wenn ich es eher kapiert hätte, dann wäre ich vielleicht noch rechtzeitig –"

Ich kralle meine Hand in seinen Rücken. Viel zu fest, doch Sirius zuckt nicht einmal zusammen, als wäre er es gewohnt, vom Leben erwürgt zu werden.

„Du hast alles getan, was du konntest, okay? Ich bin einfach froh, dass du gekommen bist."

„Ich hätte eher kommen sollen. Ein bisschen schneller rennen und vielleicht ein bisschen schlauer..."

„Sirius." Ich bringe ein paar Zentimeter Abstand zwischen uns, sodass ich in seine gewittergrauen Augen schauen kann, die von schwarzen Wimpernschatten umfasst sind. „Es war nicht deine Schuld. Nichts davon ist deine Schuld."

Er weicht meinem Blick aus und ich lege meine Hand sanft unter sein Kinn, damit er mich wirklich ansieht.

„Es. Ist. Nicht. Deine. Schuld", wispere ich. „Komm schon, sag es. Ich muss es von dir hören."

Er presst seine Lippen aufeinander, eine Sekunde, zwei weitere, bis die Anspannung sich endlich aus seinen Schultern löst. „Es ist nicht meine Schuld."

Dann lacht er, rau und herzhaft und so laut, dass ich nicht anders kann, als mitzulachen.

„Was ist so witzig?", frage ich, als wir uns wieder beruhigt haben.

„Ich weiß es selbst nicht." Er lächelt und steht dann langsam auf, mich immer noch in seinen Armen, bevor er mich vorsichtig auf die Füße stellt. „Aber ich weiß, was wir beiden jetzt machen werden."

Neugierig sehe ich ihn an. „Und das wäre?"

„Wir werden diesen Idioten hier liegen lassen, bis ihn jemand findet und er hoffentlich mit ordentlich Kopfschmerzen aufwacht", meint Sirius mit einem Blick auf Jackery, die Abscheu in seinen Augen nicht zu übersehen. „Und dann werden wir beiden einen Ausflug machen in die Küchen und uns mit Kuchen vollstopfen, bis uns schlecht wird."

„Das...Das klingt nach einem guten Plan."

Sirius lacht. „Kling nicht so überrascht, McKinnon. Manchmal habe sogar ich gute Ideen."

Unsere Hände finden sich, stumm, ohne weitere Bedeutung und ich bin überrascht, wie gut sie ineinanderpassen. Keiner von uns verliert ein Wort darüber, aber als ich meine Finger leicht drücke, bekomme ich den gleichen Druck zurück. Sirius schenkt mir ein schnelles Lächeln, dann zieht er mich bereits durch die Gänge des Schlosses.

Nicht fest, nicht hastig sowie Jackerys Griff, als er mich vorhin ins Klassenzimmer gezerrt hat. Nein, Sirius Hand in meiner ist sicher und beruhigend, wie ein Anker zwischen Realität und Traum, der nicht sein darf. Doch heute Abend lasse ich die Wirklichkeit ertrinken und erlaube es mir, noch ein wenig weiter in diesem gefährlichen Winterwunderland zu versinken. Die Seifenblase um uns herum noch ein wenig zu genießen, bis das Leben sie zum Platzen bringen wird.

Heute Abend existieren keine Kriege, keine Kämpfe, keine Kinder, die ihr zuhause verlieren.

Heute Abend existiert keine Dunkelheit, die von allen Seiten näherkommt und uns zu verschlingen droht.

Heute Abend existieren nur wir beide.

Unsere Schuhe vibrieren auf dem Steinboden, werfen Echo an die Wand, während Sirius uns einen Weg durch kleine Gänge und Geheimstraßen bahnt, die ich vorher nicht einmal erahnt hätte. Es begegnet uns niemand, denn eigentlich ist die Ausgangssperre mittlerweile längst in Kraft getreten und die Karte der Rumtreiber hilft uns dabei, in kritischen Momenten schnell eine andere Richtung einzuschlagen.

Wir nehmen die Treppe, die sich hinter einer Tür der Eingangshalle versteckt und bleiben schließlich vor einem Gemälde stehen, dass eine Obstschale abbildet.

„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?", frage ich irritiert.

Sirius sieht mich gespielt entsetzt an. „Sag mir nicht, dass du dich noch nie in die Küchen geschlichen hast."

„Bisher wusste ich nicht einmal, dass das möglich ist."

„James Potter, was bist du nur für ein schlechter bester Freund", meint Sirius und wedelt dann theatralisch mit den Armen durch die Luft. „Marlene McKinnon, hiermit werden sie offiziell eingeweiht in das beste Geheimnis Hogwarts."

„Ich dachte, dass der Geheimgang nach Hogsmead das beste Geheimnis in Hogwarts ist", entgegne ich trocken.

Sirius grinst. „Es gibt mehrere beste Geheimnisse."

„Und wie kommen wir jetzt in die Küchen?"

„Du musst dreimal sagen, wie toll du mich findest."

Ich schnaube. „Netter Versuch."

„Man kann es ja mal probieren."

Er zuckt mit den Achseln und legt einen Finger auf das Gemälde, wo er eine der Birnen kitzelt, bis das Obst anfängt zu kichern und sich in eine grüne Tür verwandelt.

„Nach dir, Marlene." Sirius dreht den Türknopf und winkt mich hindurch, bevor er die Tür hinter uns beiden wieder schließt.

Mit großen Augen sehe ich mich in der Küche um, die selbst zu dieser späten Uhrzeit noch voller Getümmel ist. Mindestens zwei Dutzend Hauselfen laufen mit Töpfen und Geschirr durch die Gänge, so routiniert, dass sie trotz der Hektik nicht ineinanderlaufen.

„Master Sirius", piepst eine Elfe mit großen blauen Augen und bleibt vor uns stehen. „Wie schön, dass Sie uns besuchen kommen. Kann Helga helfen?"

„Ich freue mich auch, dich zu sehen, Helga." Sirius schenkt ihr ein breites Lächeln. „Das hier ist Marlene. Sie braucht wirklich dringend ein paar Stücke Kuchen."

„Aber sicher, aber sicher!" Helga strahlt mich an. „Irgendwelche Wünsche, Lady Marlene?"

„Ich...Einfach was auch immer es gibt. Nur keine Umstände", entgegne ich etwas überfordert.

Helga nickt euphorisch und zieht daraufhin drei weitere Elfen mit sich in den hinteren Bereich der Küche.

„Das hättest du nicht sagen sollen", murmelt Sirius mir zu. „Jetzt kriegst du alles, was auch nur irgendwie an Kuchen erinnert."

„Hör auf zu scherzen."

Sirius lacht. „Das ist kein Scherz, Mar."

Fünfzehn Minuten später muss ich zugeben, dass er Recht hat, denn auf einem der Tische stehen so viele Kuchen, dass gerade noch Platz für zwei Teller bleiben.

„Danke, Helga", meine ich ehrlich und muss lächeln, als ich die Begeisterung der Hauselfe sehe. „Das ist wirklich lieb."

„Nichts zu danken, Lady. Nichts zu danken! Ich freue mich, sie kennenzulernen. Freunde von Master Sirius sind hier immer gerne gesehen. Immer wieder gerne", erwidert sie euphorisch und lässt uns dann alleine.

„Die Hauselfen scheinen glücklich zu sein", meine ich und beginne, mein erstes Stück Kuchen zu verzehren.

Sirius tut es mir gleich und versinkte seine Gabel tief in einer Nusstorte.

„Das sind sie. Sie arbeiten alle gerne hier und Dumbledore behandelt sie gut."

„Vielleicht solltet ihr Lily mal hierhin bringen, damit sie das mit eigenen Augen sehen kann. Wenn ich noch einen Vortrag darüber höre, dass Hauselfen von Hogwarts bezahlt werden sollen, weiß ich nämlich nicht, ob ich es ertragen kann."

Er wackelt leicht auf seinem Stuhl, ein Grinsen im Gesicht. „Ich wette, es dauert nicht lange, bis James sie mit in die Küchen nimmt."

„James und Lily", murmele ich. „Wer hätte das gedacht."

„Ich absolut nicht", meint er mit einem breiten Grinsen. „Aber ich freue mich für die beiden. Prongs verdient all die Liebe im Leben."

„Das tut er." Nachdenklich starre ich auf die Torte vor mir. „Das tun wir alle, gerade in Zeiten wie diesen momentan."

Kurz schweigen wir, doch die Stille um uns herum wird durch Klappern von Geschirr durchbrochen, es fühlt sich an wie ein Zuhause, das ich in einem anderen Leben vielleicht gehabt hätte.

„Sirius? Versprichst du mir, dass du niemandem erzählen wirst, was Jackery getan hat?"

Seine Gabel fällt mit einem lauten Knall zurück auf den Teller. „Das ist nichts, was dir peinlich sein muss. Der Einzige, der sich schämen sollte, ist Jackery."

„Ich weiß. Ich schäme mich auch nicht", meine ich, meine Stimme erst zitternd, dann immer fester. „Ich will einfach nicht, dass die anderen es wissen. Momentan passieren so viele schlimme Dinge, ich will nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen machen. James würde garantiert versuchen, Jackery umzubringen."

„Und ich würde ihm direkt helfen", meint Sirius dunkel. „Ich bin selbst so kurz davor, ihm noch eine reinzuhauen. So kurz davor."

„Aber du wirst es nicht tun. Versprich es mir." Ich hole tief Luft. „Bitte."

Einen Augenblick lang ist es still, dann nickt er und die Gegenwart verschiebt sich ein Stück. „Versprochen."

Dunkle Gedanken werden ausgelöscht durch das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit, hier in diesem Raum abseits der Realität.

„Marlene?" Sirius dreht sich auf seinem Stuhl, ein wenig bloß, doch es sorgt dafür, dass ich ihm direkt ins Gesicht sehen kann. „Darf ich dich was fragen?"

„Sicher."

„Warum nimmst du sogar Menschen wie Jackery lieber mit zum Weihnachtsball als mich?" Er atmet kurz ein. „Bin ich wirklich so schlimm?"

„Nein", erwidere ich, meine Worte von leichtem Lachen durchtränkt, das die Absurdität seiner Worte nicht verstehen kann. „Eher das Gegenteil."

Er sieht mich an, abwartend, die Stirn leicht in Falten gelegt. Wartet auf die Worte, die langsam aus den Gitterstäben in meinem Inneren ausbrechen.

„Ich weiß, wie meine Familie, wie alle reagieren werden, wenn ich dich mitbringe", meine ich. „Merlin, wir wissen doch beide, was sie dir alles an den Kopf werfen und wie sie dich behandeln werden. Ich will nicht, dass du dir das antun musst. Das verdient niemand und schon gar nicht einer meiner Freunde."

Einen Augenblick lang ist es still zwischen uns.

„Also, was ist der Plan?", fragt er schließlich.

„Ich werde mit Regulus hingehen."

Sirius nickt langsam. „Das ist vielleicht gar keine so schlechte Option. Regulus...Er ist anders. Ein bisschen Menschlichkeit scheint irgendwo noch in ihm zu sein."

Seine Stimme klingt bitter und so hoffnungslos, so verloren in kalter Trauer um seinen kleinen Bruder, dass sie sich wie tausend Messerstiche in mein Herz bohrt.

Einen Moment zögere ich, dann nehme ich langsam seine Hand in meine und verschränke unsere Finger miteinander.

„Regulus ist kein schlechter Mensch", flüstere ich. „Er ist einfach nur von schlechten Menschen umgeben. Es gibt Leute, die halten das aus und Leute..."

„...die den einfachen Weg wählen. Ich weiß." Sirius setzt ein leeres Lächeln aus, das Sekundenspäter bereits wieder von Dunkelheit erwürgt wurde. „Ich wünschte bloß, er wäre stärker."

„Menschen machen dumme Dinge, wenn sie versuchen zu überleben", wispere ich.

Ich denke an den Jungen, der Regulus einmal gewesen ist.

An den Jungen, der nichts lieber getan hat, als von Pfütze zu Pfütze zu springen.

An den Jungen, der mich stundenlang auf seinem Besen gejagt hat, bis wir lachend vom Himmel gestürzt sind.

An den Jungen, der er einmal gewesen ist und der er nie wieder sein wird.

Ich verstehe ihn so gut wie sonst kaum jemand und gleichzeitig ist er ein Fremder für mich.

Eine Person, die meine Vergangenheit hat leuchten lassen und meine Zukunft in Dunkelheit ertränken wird.

„Kannst du mir den Teller dahinten geben?", bittet Sirius mich und ich brauche einen Moment, bis ich finde, was er möchte.

„Das ist mein Lieblingskuchen", meint er zufrieden und vergräbt seine Gabel.

„Wirklich?" Überrascht sehe ich ihn an. „Ein einfacher Marmorkuchen?"

Sirius nickt. „Bei mir zuhause gab es früher nur die ausgefallensten Torten, alles andere war der Familie Black nicht würdig genug. Ich wusste erst, dass es andere Kuchen gab, als ich mein erstes Jahr in Hogwarts war. Erinnerst du dich nicht mehr, wie James sich immer darüber lustig gemacht hat, wenn ich nur Marmorkuchen zum Frühstück gegessen habe?"

„Nicht wirklich."

Ich lächele leicht, während ich versuche, mir einen elfjährigen Sirius vor einem Berg Kuchen vorzustellen. In meinen Gedanken sehe ich ihn, so unfassbar jung, die schwarzen Haare länger und verstrubbelt, anfangs einen gehetzten Blick in den Augen, als hätte er Angst, jeden Augenblick wieder aus Hogwarts verschwinden zu müssen. Ich habe ihn gehasst, weil er mich so sehr an mich selbst erinnert hat.

„Dafür erinnere ich mich noch daran, wie du die erste Wochen nichts als Muffins gegessen hast, bis dir schlecht wurde und du im Mädchenklo im zweiten Stock gekotzt hast, Mar."

„Danke für diese wundervolle Erinnerung", erwidere ich trocken. „Was bin ich froh, dass du gerade diese Erinnerung von mir so gut im Gedächtnis hast."

Sirius sieht mich an, ein Mundwinkel leicht nach oben gezogen. „Du wärst überrascht, wie viel ich über dich weiß."

„Eine Erinnerung peinlicher und schlimmer als die nächste, da bin ich mir sicher."

„Nein, das ist nicht, was ich meine", murmelt er, das Lächeln auf seinen Lippen fast verrutscht. „Ich habe einige schöne Erinnerungen."

Überrascht sehe ich ihn an. „Hast du?"

„Habe ich." Seine grauen Augen gleiten nachdenklich über das Kuchenstück vor ihm. „Weißt du, du warst irgendwie mein Marmorkuchen. Ich liebe James, wirklich. Er ist wie ein Bruder für mich. Remus, Peter, Dorcas und Lily. All meine Freunde. Aber du bist es gewesen, die mich immer daran erinnert hat, dass Hogwarts nicht nur ein schöner Traum ist und auch Leute wie du und ich hier einen Platz finden können."

„Leute wie ich und du", wiederhole ich leise.

„Du weißt, wie ich es meine", murmelt er. „Wir beide haben unsere Familie irgendwie überlebt und dich zu sehen hat mich so oft daran erinnert, dass ich nicht alleine bin und es wirklich schaffen kann."

Seine Worte fliegen durch die Küche, so leise und doch so laut wie ein Knall.

„Was?", frage ich, als ich Sirius Blick auf mir spüre und drehe mich in seine Richtung.

„Du lächelst." Er sieht mich an, die grauen Augen so voller Wärme, dass ich mich frage, wieso ich das nie gemerkt habe. Leute reden immer darüber, wie warm braune Augen sind und wie wunderschön blaue Augen, doch meine neue Lieblingsfarbe ist grau. „Ich mag es, wenn du lächelst, Marlene."

Einen Augenblick lang ist es still. Nur wir beide, inmitten dem Chaos des Lebens.

Dann dreht die Welt sich weiter.

Sirius räuspert sich. „Wir sollten zurück zum Schlafsaal."

Ich zwinge mich dazu, einen Schritt nach hinten zu machen.

„Ja, das sollten wir wohl."

Während wir durch die Gänge laufen, mit ruhigen Schritten und sein Arm immer wieder meinen streicht, kann ich nur immer wieder daran denken, dass ich eine neue Lieblingsfarbe habe.

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