SEVENTEEN.

MARLENE || Meine Füße rutschen über den weißen Boden, auf der Suche nach Halt, nie wirklich gegeben, während ich einen Blick über die Schulter werfe.

Mein bester Freund, hat ein breites Grinsen im Gesicht, während seine Hände den Schneeball formen.

„Ich warne dich, Jamie", rufe ich. „Wag es nicht, das wirst–"

Er erwischt mich mitten im Rücken und ich gehe fluchend auf ihn los, während Sirius lachend dabei zusieht, wie wir uns im Schnee wühlen.

„Waffenstillstand", prustet James irgendwann grinsend und zieht mich wieder auf die Füße.

Ich mustere ihn einen Augenblick, denn bei meinem besten Freund kann man sich nie sicher sein, dass er sich an Abmachungen hält. Er kann einen unschuldig ansehen und im nächsten Augenblick mit dem nächsten Schneeball erwischen. Doch ich bin nach Jahren der Freundschaft geübt darin, ihn zu lesen.

„Waffenstillstand", stimme ich zu.

James schlingt einen Arm um meine Schulter und schüttelt seine Haare, sodass mir kalter Schnee auf die Wange prallt. „So schnell wie du gerade noch rennen konntest, hätten wir vielleicht noch länger trainieren können, Marlie. Vielleicht sollten wir noch einmal zurückgehen und –"

„Nein!"

Das Wort könnte aus meinem Mund stammen, vielleicht auch aus dem von Sirius oder aus beidem. Mir ist es völlig gleich, solange James nicht auf gefährliche Ideen kommt.
„Die nächsten zwei Wochen ist Quidditchpause, Prongs." Sirius funkelt ihn an, während wir uns zu Dritt auf den Weg zum Schloss machen, unsere Umhänge triefend voller Schnee nach zwei Stunden Training. „Es ist ohnehin absolut überflüssig gewesen, heute nochmal zu trainieren."

Insgeheim stimme ich ihm zu, denn heute vor Morgengrauen aufzustehen, um noch eine Einheit einzulegen, bevor der Zug sich heute Nachmittag auf den Weg nach London macht und uns alle in die Weihnachtsferien entlässt, ist nichts, was uns dem Quidditchpokal deutlich näher bringt. Doch James ist immer noch fest entschlossen, uns in jeder freien Minute zu quälen, um uns zu Bestleistungen anzuregen. Bei jedem Wind und Wetter.

„Ich glaube, ich spüre meine Finger nicht mehr", fluche ich.

„Ich würde sie dir ja wärmen, aber dafür müsste ich meine Füße in deine Richtung bewegen können und die sind schon tot", klagt Sirius ebenso theatralisch.

James schnaubt. „Man sollte echt meinen, dass ihr beiden härter im Nehmen seid. Wieso gebe ich mich überhaupt mit euch ab?"

„Weil du meinen Charme und mein absolut himmlisches Gesicht sonst nicht in deiner Nähe hättest", grinst Sirius und klopft im aufmunternd auf den Rücken. „Meint ihr, wir erwischen noch etwas vom Mittagessen, bevor wir uns auf den Weg zum Bahnhof machen müssen?"

„Ich hoffe es", murmele ich, denn alleine der Gedanke an etwas Essbares versetzt mich in andere Welten.

Endlich erreichen wir die rettenden Türen des Schlosses und ich seufze glücklich, als meine Finger anfangen zu kribbeln. Manchmal sind es die kleinsten Dinge im Leben, die einen erfreuen. Eine Wärmequelle am kältesten Wintertag, ein ordentliches Stück Fleisch zum Mittagessen oder ein Tritt in die Weichteile des besten Freundes, nachdem er einen mal wieder beim Sport gequält hat. Da Punkt Drei leider rausfällt, muss ich mich mit den ersten beiden Optionen zufriedengeben.

„Essen." Sirius hebt theatralisch die Hände und dreht sich einmal um die eigene Achse, wobei er beinahe über seine Füße stolpert. „Gebt mir essen."

Lachend folgen wir ihm in Richtung der großen Halle und wollen gerade eintreten, als Dorcas zu uns kommt.

„Hier", meint sie keuchend und drückt James einen Brief in die Hand. „Der ist für dich angekommen. Wir sehen uns gleich, ich muss noch ein bisschen packen."

„Ein bisschen packen ist untertrieben", rufe ich ihr grinsend hinterher. „Als ich vorhin gegangen bin, sah unser Zimmer noch aus, als wäre etwas explodiert."

„Geordnetes Chaos, Mar", schreit Dorcas, während sie bereits die Treppen wieder hocheilt.

Das Grinsen in meinem Gesicht verrutscht, als ich merke, dass James wie festgefroren auf dem Marmor steht und den Brief in seiner Hand anstarrt.

„Jamie? Ist alles in Ordnung?"

„Er ist weg. Es ist Weihnachten und er ist weg und ich weiß nicht warum", murmelt er.

Sirius beißt sich auf die Unterlippe. „Wer ist weg?"

„Mein Vater."

Ich reiße ihm den Brief aus der Hand.

James,

Ich hatte gehofft, dir diesen Brief nicht schreiben zu müssen. Doch weiter kann ich es nicht aufschieben, Sirius und du solltet es wissen, bevor ihr später nach Hause kommt.

Dein Vater ist vor ein paar Wochen von Dumbledore auf Mission geschickt worden. Er hätte letzte Woche bereits wiederkommen sollen, doch bisher haben wir noch nichts von ihm gehört.

Macht euch keine Sorgen, ich bin sicher, es geht ihm gut. Es passiert nicht selten, dass diese Missionen in letzter Zeit einfach länger dauern.

Ich freue mich auf euch und kann es nicht erwarten, euch gleich fest zu drücken..

Mum

„Ich bin sicher, es geht ihm gut", flüstert Sirius und zieht James in eine feste Umarmung. „Es ist nicht die erste Mission, die er in letzter Zeit erledigt hat."

Ich sollte auch etwas sagen, sollte meine Worte nutzen, meinen besten Freund zu trösten. Ihn beruhigen. Sollte Sirius helfen, für den Mister Potter mehr ein Vater ist als sein eigener. Stattdessen kann ich einfach nur dastehen, mitten im Lärm von Hogwarts, während die Geheimnisse mich ersticken.

Ich fange an zu zittern, merke zum ersten Mal wirklich, wie meine Welt zerrissen wird, während ich verzweifelt versuche, sie mit meinen Fingerspitzen zusammenzuhalten. Doch ich finde keinen Halt, die Risse werden größer, immer größer. Ich frage mich, wie lange es dauert, bis das Leben, das wir kennen, endgültig explodiert.

„Marlene? Marlene. Marlene!"

Ich blinzele und sehe in Sirius graue Augen, die mich mustern.

„Ich...Alles gut."

„Du warst völlig weggetreten."

James steht die Besorgnis ins Gesicht geschrieben und es ist das letzte, was er gerade gebrauchen kann. Ich muss mich zusammenreißen, statt ihm noch mehr zu Kummer zu bereiten.

„Es geht schon wieder", versichere ich. „Wirklich."

Sirius legt seine Hand an meine Wange, so federleicht, so warm, dass ich erneut blinzeln muss.

„Bist du sicher?"

„Ich ..." Ich räuspere mich. „Ja, ich bin mir sicher."

James mustert mich einen Augenblick, dann einen weiteren, bevor er beschließt, dass meine Verfassung ausreichend ist. Dann reißt er mir den Brief geradezu aus der Hand und sieht uns auffordernd an.

„Es wird Zeit, dass wir Dumbledore einen Besuch abstatten."

„Bitte?" Ich starre ihn an.

„Er muss uns ein paar Fragen beantworten", meint Sirius.

Die beiden laufen los, die Schritte groß und bestimmt, dass ich kaum hinterherkomme.

„Wie wollt ihr...Ihr könnt doch schlecht einfach bei Dumbledore ins Büro spazieren?", meine ich außer Atem.

„Können wir nicht?" James sieht mich an, doch seinem Grinsen fehlt der übliche Witz, er ist von Sorgen erstickt.

„Ich glaube kaum, dass Dumbledore euch einfach in sein Büro marschieren lässt. Wisst ihr überhaupt, wo das ist?"

Sirius und James ignorieren meine Worte gekonnt, während ich ihnen hinterhetze. Schließlich bleiben sie vor einer Gargoyle-Statue stehen, die an Hässlichkeit kaum zu überbieten ist. Wenn mich nicht alles täuscht, blinzelt sie einmal kurz.

„Zitronensorbee."

Ich sehe Sirius an, als hätte er den Verstand verloren. „Wieso bitte willst du jetzt ein Zitronensorbee?"

„Sehe ich aus, als würde ich Zitronensorbees mögen? Mar, ich bin enttäuscht von deiner Menschenkenntnis."

Ich blinzele. „Du magst also kein Zitronensorbee?"

„Wer mag schon Zitronensorbee?" Sirius schenkt mir ein kleines Lächeln und feuert dann weiter jegliche Speisen ab, sodass ich langsam verstehe, dass es sich um ein Passwort handelt.

Nach kurzem Zögern lasse ich auch ein paar Worte fallen, doch es ist schließlich James, der den Zugang knackt.

„Carnebeys Brausepastillen."

Der Gargoyle wirft uns einen genervten Blick zu. „Wurde auch endlich Zeit, ich habe versucht zu schlafen."

„Tut mir leid", murmele ich und folge den anderen die Wendeltreppe hinauf, die sich so eng um die eigene Achse dreht, dass mir schwindelig wird.  James und Sirius eilen vor mir her, als hätten sie im Gegensatz zu mir keine zwei Stunden Quidditch-Training in den Knochen.

An der letzten Stufe angekommen, bleibe ich stehen und lasse den Raum auf mich wirken. Der runde Raum ist mit unzähligen Fenstern versehen, die das steinerne Gewölbe durchbrechen und helles Licht auf Portraits werfen. Portraits, die die vergangenen Schulleiter von Hogwarts abbilden, wie mir bewusst wird, als ich Sirius Ur-irgendwas sehe, dessen Gemälde auch im Grimauld-Platz hängt. Er hat früher nichts lieber getan, als mich und Regulus zusammenzuschreien, wenn wir zu schnell die Treppe heruntergerannt sind, weswegen ich ihm des Prinzips wegen einen bösen Blick zuwerfe.

„Das ist also Dumbledores Büro", murmele ich langsam, während ich das Gesehene noch auf mich wirken lasse.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hätte. Irgendwie genau das hier, gleichzeitig aber auch verrückte Wandfarben und alte Wandvorhänge.

„Das ist Dumbledores Büro", bestätigt eine Stimme trocken, geprägt von Vergnügen.

Ich brauche eine Sekunde, erst dann entdecke ich den Schulleiter zwischen zwei Bücherregalen, die sich um ihre eigene Achse drehen.

„Miss McKinnon, Mister Black, Mister Potter." Dumbledore schreitet in unsere Richtung, die Schritte bewusst gewählt und lässt seine Brille ein wenig nach unten rutschen. „Wie kann ich ihnen helfen? Ich bin sicher, dass es wichtig ist, denn ansonsten würden sie wohl nicht auf die Idee bringen, mich in meiner Lektüre zu unterbrechen."

„Wissen sie wie verdammt egal mir ihre Lektüre ist?" James pfeffert Dumbledore den Brief entgegen. „Mein Vater ist verschwunden."

„Ahja." Dumbledore nickt. „Möchte jemand ein Brausebonbon? Es lässt sich doch auf vollen Magen viel besser diskutieren."

Uns wird eine Schale Süßigkeiten entgegengestreckt und ich nehme mir eine der Köstlichkeiten, zu perplex, um abzulehnen.

„Ich fürchte, ich kann euch auch nicht mehr Informationen geben, als Misses Potter bereits verraten hat", meint Dumbledore bedauernd. „Alles, was wir wissen ist, dass dein Vater, James, und Shackelbolt vor fünf Wochen aufgebrochen und sich dann vor zehn Tagen nicht am Kontrollpunkt gemeldet haben."

„Das ist alles?", flucht James. „Das kann nicht alles sein."

Sirius nickt bekräftigend. „Wo ist er gewesen? Was haben sie gemacht?"

„Ich befürchte, dass sind Informationen, die ich ihnen nicht geben kann."

„Waren sie in Schwierigkeiten?", ergänze ich eilig.

„Momentan sind wir alle in Schwierigkeiten, Miss McKinnon." Dumbledore seufzt. „Es sind dunkle Zeiten und ich befürchte, dass die Dunkelheit uns noch eine Weile begleiten wird. Wichtig ist es, dass wir uns auf die guten Dinge besinnen."

„So wie mein Vater, der einfach verschwindet? Der sie nicht im Mindesten interessiert?", stößt James aus.

Dumbledore richtet sich auf, der Blick voller Mitgefühl. „Ich weiß, wie schwer das für sie sein muss, Mister Potter. Aber ich kann ihnen versichern, dass wir alles in der Macht stehende tun, um ihnen zu helfen."

„Sie meinen den Orden?", fragt Sirius leise.

Einen Augenblick ist Überraschung im Gesicht des Schulleiters zu erkennen, dann lacht er kurz. „Ja, ich meine den Orden des Phoenix. Mein Fehler, ich hätte natürlich längst damit rechnen sollen, dass Sie Bescheid wissen. Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass sie diese Informationen nicht ganz legal beschafft haben."

„Lauschen ist nicht unbedingt illegal, wenn die Beteiligten nicht gerade leise sprechen", kontert James, der gerade keine Rücksicht auf Verlust nimmt. „Der Orden sucht also nach meinem Vater? Ich will mithelfen."

Dumbledore legt ihm eine Hand auf die Schulter. „Und das ist wirklich bewundernswert, James. Ich bewundere Ihren Mut. Aber momentan ist es noch nicht an der Zeit dafür. Wir können uns noch einmal über den Orden unterhalten, wenn ihr den Schulabschluss habt. Bis dahin allerdings solltet ihr das Leben genießen. Seid erst einmal Kinder."

Ich sehe ihn an und schüttele den Kopf. „Bei allem Respekt, Sir, aber wir sind schon lange keine Kinder mehr."

Die Schultern des Schulleiters sinken herab und zum ersten Mal wirkt er wirklich alt auf mich. Alt und verloren und so klein, das ich einen Augenblick lang Panik bekomme. Denn wenn die momentanen Zeiten selbst Leute wie Professor Dumbledore in die Knie zwingen, wie sollen dann wir anderen überleben.

„Ich verspreche euch, dass ich alles Mögliche tun werde, um Mister Potter zu helfen", meint er leise und schenkt uns ein warmes Lächeln. „Das verspreche ich euch. Und bis dahin versucht die Ferien zu genießen."

Mit diesen Worten werden wir entlassen und Sirius und ich ziehen James mehr oder weniger gewaltvoll wieder die Treppe herunter.

Unten angekommen schnaubt James lautstark. „Die Ferien genießen. Na sicher, mein Vater ist verschwunden und ich soll einfach meine Weihnachtsferien genießen."

„Was bitte ist der Orden des Phoenix?", frage ich schließlich, nachdem wir alle unseren Gedanken nachgehangen haben.

„Eine Geheimorganisation, die den Widerstand gegen Du-weißt-schon-wer organisiert", meint Sirius.

„Meine Eltern sind Mitglied", ergänzt mein bester Freund. „Der Orden wurde letztes Jahr kurz vor den Sommerferien gegründet und Sirius und ich haben unsere freie Zeit genutzt, um Informationen mitzukriegen. Wirklich viel haben wir allerdings nicht rausgefunden."

„Warum habt ihr mir nichts gesagt?" Ich mache einen Schritt nach hinten, fühle mich plötzlich so schrecklich leer. Schluckend sehe ich sie an, meinen ältesten Freund, den ich lesen kann wie mein Lieblingsbuch und den Jungen, den ich so viele Jahre gehasst habe, nun jedoch mit so viel Chaos verbinde, das ich einfach nicht zu ordnen vermag. „Habt ihr es mir nicht gesagt, weil... Hattet ihr Angst, dass ich es meinen Eltern verrate? Informationen weitergebe?"

„Merlin, Nein! Natürlich nicht." James sieht mich geschockt an. „Ich vertraue dir mein Leben an. Es ist nur einfach so viel passiert. Die ganzen Angriffe, dann die Sache mit den Blacks und dann hat das neue Schuljahr angefangen und dann haben wir es einfach vergessen."

„Wir vertrauen dir, Mar." Sirius sieht mich an, sein Blick brennend. „Ich vertraue dir."

Einen Augenblick verschwinden die Sorgen, es bleiben nur er und ich. Dann dreht die Welt sich weiter, so bitterkalt und grausam.

„Wir werden meinen Dad suchen müssen", murmelt James, während er Kreise durch den Flur dreht, gerade groß genug, um nicht die steinernen Wände zu streifen. „Irgendwie werden wir ihn finden müssen.

Sirius legt ihm einen Arm auf die Schulter. „Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Das tun wir alle. Aber wir wissen ja nicht einmal, wo wir mit der Suche starten könnten."

Die Anspannung fällt von James ab, der Kopf fällt nach unten und plötzlich erinnert er mich so sehr an den Zehnjährigen, der er einmal war, so hilflos und einsam und voller Angst vor der Dunkelheit, dass es mir das Herz bricht.

Ich schlinge die arme um ihn und drücke ihn, so fest, so lange, so intensiv wie ich kann.

„Es wird alles gut werden", flüstere ich. „Versprochen."

„Marlie." James vergräbt sein Gesicht in meinem Umhang, seine Worte von gedämpften Schluchzern unterbrochen. „Versprich nichts, was du nicht halten kannst."

Seine Worte sind auf grausamste Weise war.

Die Zeiten für sichere Versprechen sind längst vorbei, geblieben ist eine Dunkelheit, die Alpträume in Wahrheiten verwandelt.

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