ONE.
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MARLENE || Mit viel Fantasie kann der Fleck auf meinem Boden als Kopie des Nimbus 1001 durchgehen, zumindest wenn ich die Augen ein wenig zusammenkneife. Da es mir an realitätsfernen Gedanken noch nie gemangelt hat, fällt es mir leicht, den Besen vor meinem Auge über den Boden schweben zu lassen, hinab zur Decke und dann hinaus aus dem Fenster, vor dessen Glas das Fluggerät dann in den Himmel verschwindet.
Wenn es doch auch im echten Leben so einfach wäre zu verschwinden, wäre die Welt um einiges schöner. Doch als ich die Augen schließlich wieder aufschlage, befinde ich mich immer noch auf dem hölzernen Boden, den Fleck vor meinen Augen.
Seufzend nippe ich an meinem Kakao, so sehr mit Marshmallows gesüßt, dass mein bester Freund James die Lippen verziehen würde, könnte er mich so sehen. Ich kann ihn in meinen Gedanken direkt vor mir sehen, mit ekelerregtem Gesichtsausdruck und funkelnden Augen, wie immer voller Lebenslust.
Das letzte Mal habe ich meinen besten Freund vor fast zwei Monaten gesehen, doch in all den Jahren, die wir bereits so viel miteinander geteilt haben, ist er mir vertrauter als alle Bewohner dieses Hauses, in dem ich gerade feststecke.
Meine Fingerspitzen malen die Umrisse des Kakaofleckes auf dem Holzboden nach, vorsichtig, mit sanften Berührungen, während ich den illusionierten Besen auf seine nächste Flugreise schicke. Ein großer Teil von mir würde am liebsten direkt mit ihm in den Himmel verschwinden, hinaus in die Welt, hin zu all den Orten, die ich in meinem Leben nie sehen werde.
Nicht wenn es nach meinen Eltern geht, denen ihr Ruf und ihre Kinder das Wichtigste im Leben sind. Zumindest solange diese Sprösslinge nach ihren Regeln spielen. Manchmal komme ich mir deswegen vor wie eine austauschbare Pappfigur, eine zweidimensionale Marlene McKinnon, der ein Lächeln ins Gesicht gemalt wurde. Diese Marlene spielt den Kampf schon sehr viel länger, als sie überhaupt die Regeln kennt. Mein Leben lang habe ich bereits die Figuren verrückt, mein Lächeln ins Gesicht gepflastert und dem entsprochen, dass meine Eltern sich von mir wünschen.
Wahrscheinlich sollte ich deswegen nicht einmal böse sein, wie könnte ich auch, wenn ich weiß, dass viele andere Kinder der altehrwürdigen Reinblüter es sehr viel schlimmer in ihrem Leben haben. Mich und meine Brüder hat es gut getroffen, mit Eltern, die nichts von Gewalt als Züchtigung halten und uns in den schlechtesten Moment behandeln, als wären wir bloß ein Lufthauch.
Heute jedoch sehne ich mich nach der Freiheit der Welt, dem Universum, so nah vor mir und doch so unendlich weit entfernt. Vorsichtig lege ich meine Fingerspitzen an das kühle Fensterglas, strecke mich, bis ich es wirklich erreichen kann und sehe hinaus in die Ferne, die mir immer fremd sein wird.
Meine Augen streifen über den Weiher vor meinen Augen, in dem man in den Sommermonaten hervorragend Schwimmen gehen kann, wenn man es denn schafft, sich davonzustehlen. Weiter hin zu dem angrenzenden Wald, der eine hervorragende Bühne fürs Quidditchtraining bietet und mich immer daran erinnert, wie ich als Kind mit James durch die Bäume gestreift bin.
Damals als ich noch nicht verstanden hatte, wie viel die Familie meines besten Freundes sich von der meinen unterscheidet.
Damals als ich die warnenden Worte meiner Eltern ignorierte, die mich an meine Familientraditionen erinnerten.
Damals als das Leben noch so einfach und unschuldig war.
„Die Realität zu ignorieren, wird auch nichts bringen", flüstere ich, meine Worte eine sanfte Warnung auf dem kalten Fensterglas, das kurz beschlägt und dann wieder einen klaren Blick erlaubt. Nichts hält ewig, alles ist in stetiger Wandlung.
Ein leichter Wind weht durch die Welt und es wird nicht lange dauern, bis sich die Blätter des Waldes bunt verfärben. Ein Zeichen des stetigen Kreislauf des Lebens, der wieder auf dem Weg des Vergehens ist, doch ich sehe nichts lieber. Bedeutet es doch, dass meine Zeit in Hogwarts langsam näher kommt. Die Tage sind gezählt, bis ich endlich wieder in die Schule für Zauberei entschwinden darf.
Ohne Vorwarnung wird meine Zimmertür aufgeworfen, sodass ich zusammenzucke und panisch auf den Fleck neben mir starre.
„Was machst du dort auf dem Fußboden?", fragt meine Mutter mit gespitztem Mund, als sie wie ein Wirbelwind in mein Zimmer stürmt.
Schuldig schiebe ich schnell meinen Fuß über den Kakaofleck und schenke meiner Mutter ein Lächeln, das hoffentlich genauso unschuldig und kalt wirkt, wie ich es mir vorstelle.
„Nichts", entgegne ich.
Ihr hellblondes, lockiges Haar, meinem mal so ähnlich und mittlerweile von einigen grauen Strähnen durchzogen, sieht aus wie gerade frisch frisiert und wenn man ihr Outfit betrachtet, könnte man denken, sie wäre auf dem Weg zur nächsten Festivität. Für meine Mutter sind Begriffe wie Pausieren oder Entspannung Fremdwörter.
„Wir tun nicht Nichts, das gehört sich nicht." Sie schürzt die Lippen, wobei der rote Lippenstift wie eine Warnung leuchtet. „Solltest du nicht längst im Ballsaal sein, Marlene? Du hast eine Tanzstunde mit Regulus. Er wartet schon seit einer Weile in der Eingangshalle und es gehört sich nicht für eine Dame, seinen Besuch warten zu lassen."
Ich verkneife mir einen spitzen Kommentar, dass der jüngere Black Bruder sicherlich nicht mein Gast ist und ich ihn deswegen warten lassen kann, solange ich will, weil ich weiß, dass meine Mutter keine gute Laune hat. Ein Blick auf ihre verkrampften Schultern verrät mir mehr, als sie mich wahrscheinlich wissen lassen möchte. So wie es aussieht, ist mein Vater gestern Abend wieder einmal nicht nach Hause gekommen und treibt sich irgendwo in Little Irwing herum.
„Bis zum Weihnachtsball sind es noch fast vier Monate", erwidere ich also bloß.
„Und damit gerade noch genug Zeit, um deine Tanzschritte zu üben, junge Dame. Wir wollen doch nicht, dass du uns am gesellschaftlichen Abend blamierst, nicht wahr?"
Ich verziehe das Gesicht zu einem spöttischen Lächeln. „Das wird in euren Augen doch ohnehin geschehen. Ich bin doch eine wandelnde Katastrophe."
Meine Mutter erwidert nichts, beobachtet mich bloß aus ihren eisblauen Augen und ihr Schweigen trifft mich direkt ins Herz. Nach all den Jahren sollte ich daran gewöhnt sein, dennoch schmerzt es immer noch wie am ersten Tag. Als ich mit elf Jahren nicht wie alle anderen der McKinnons nach Slytherin eingeteilt wurde, habe ich den Stempel Versager aufgedrückt bekommen und ich bezweifele, dass sich das je ändern wird.
Ich bereue meine stille Rebellion gegen die Familienehre nicht, mein Leben macht es jedoch alles andere als einfacher.
„In den Tanzsaal mit dir", meint meine Mutter und zieht mich auffordernd vom Boden hoch, wobei sich ihre langen Fingernägel in meinen Unterarm bohren. „Regulus wartet."
„Ich habe beim Tanzen zwei linke Füße, das wissen wir doch beide", protestiere ich.
Sie schiebt mich durch die Zimmertür und ich kann gerade noch einen wehmütigen Blick auf meinen imaginären Besen werfen, bevor sich die Tür knallend hinter uns schließt.
„Ein Grund mehr, dass du bis zum Weihnachtsball üben solltest", erwidert meine Mutter. „Es ist doch wirklich nett, dass sich Regulus angeboten hat, dich zu unterrichten."
„Wirklich nett von dem perfekten Regulus", entgegne ich verbissen.
„Marlene Ophelia McKinnon, du wirst dich zu benehmen wissen." Eisblaue Augen verbrennen mich und wie immer bin ich die erste, die den Blickkontakt unterbricht. „Haben wir uns da verstanden?"
„Natürlich, Mutter", murmele ich tonlos.
Mit schnellen Schritten laufe ich die hölzerne Treppe herunter, die angeblich schon meinen Ur-Ur-Großeltern gehört hat. Ganz glauben kann ich das nicht, denn mit all dem Krach, den sie in all den vergangenen Generationen der McKinnons bereits ertragen musste, hätte ich an Stelle der Treppe bereits nach einigen Jahren den Geist aufgegeben.
„Dein Freund wartet unten auf dich", meint mein Bruder Gregory, als ich an ihm vorbeieile.
Ich strecke ihm als Antwort den Mittelfinger entgegen, was ihm ein leises Lachen entlockt.
„Geh lieber weiter deine Plakette polieren", rufe ich ihm zu und nicke in Richtung des ohnehin schon blitzblanken Abzeichens, das ihn für das nächste Schuljahr als Schulsprecher ausweist.
„Ich nehme meine Aufgaben ernst, im Gegensatz zu anderen Familienmitgliedern", murmelt er beleidigt und lässt einen weiteren Redeschwall folgen, den ich jedoch bereits nicht mehr höre, weil ich das Erdgeschoss erreiche.
Regulus Black steht steif neben dem Schirmständer und gibt auf dem schwarzweißen Fußboden ein bizarres Bild ab, erinnert er doch ein wenig wie eine Schachfigur, die jemand vergessen hat.
Seine grauen Augen mustern die Haustür, als würden sich dort draußen in der Welt tausend Geheimnisse vor ihm verstecken und seine verkrampften Finger erinnern mich auf bestürzende Weise an seinen Vater. Während beide der Black Brüder das gute Aussehen ihres Vaters geerbt haben, wirkt es bei dem jüngeren oft so, als müsste er erst noch in die Züge hineinwachsen.
Es gab Zeiten, in denen ich das sympathisch fand, seine etwas zu schlaksigen Beine und die grauen Augen, die mittlerweile jedoch bereits seit Langem ihr Strahlen verloren haben. Diese Zeiten sind jedoch längst vorbei.
Wir sind Fremde, die vergangene Jahre ihres Lebens miteinander geteilt haben.
Ich räuspere mich, was ihn dazu bringt, sich in meine Richtung zu drehen. „Regulus."
„Marlene", erwidert er mit einem kleinen Nicken.
„Wollen wir dann loslegen?"
Graue Augen durchbohren mich, kalt und unnahbar. „Gerne."
Stumm folge ich dem Jungen in den Ballsaal, der sicherlich das halbe Erdgeschoss einnimmt. Wer auch immer gedacht hätte, dass dies eine gute Idee sei, lag eindeutig falsch. Der Raum wird kaum genutzt und dient meiner Mutter höchstens, um sich über all die häusliche Arbeit zu beklagen, die sie dadurch aufgehalst bekommt.
Die Kerzen an den hohen Wänden werfen schaurige Schatten auf den Boden, doch ich habe bereits vor Jahren gelernt, mich nicht vor der Dunkelheit zu fürchten. Die wahren Schrecken des Lebens verstecken sich hinter kalten Lächeln und bemüht gleichgültigen Mienen, die sich die Lügen des Lebens erzählen, bevor sie es erwürgen.
Schatten sind einfach nur Schatten. Menschen allerdings tragen die wahre Schwärze des Universums in sich.
Langen Finger legen sich auf meinen Unterarm, überraschend sanft, während Regulus mich in seine Richtung dreht. Das Kerzenlicht schimmert gespenstisch in seinen Augen, vergeblich bemüht, die Kälte zu vertreiben.
„Wiederholen wir noch einmal den Langsamen Walzer?", schlägt er vor, nachdem wir einen Augenblick geschwiegen haben. „Den könnten wir nach der letzten Stunde noch ein wenig perfektionieren."
Das ist seine Art, mir höflich mitzuteilen, dass wir uns die Tanzstunde letzte Woche auch direkt hätten sparen können und entgegen meines Willens legt sich ein leichtes Grinsen auf meine Lippen. Es sollte mich nicht amüsieren, doch gleichzeitig habe ich schon lange gelernt, all die kleinen Gelegenheiten des Spaßes in diesem Gebäude zu nutzen, da dieser ohnehin rar gesät ist in den vier Wänden meines Elternhauses.
Mein kleiner Bruder Alec ist die willkommene Ausnahme, doch mir bangt es jetzt schon vor dem Tag, an dem in ihm die Freude erlöschen wird. Der unnachgiebige Lauf der Zeit, ein Fluch der McKinnons, der mich an manchen Tagen ebenfalls überwältigt.
„In Ordnung", stimme ich Regulus Vorschlag zu, der ebenso gut ist wie alle anderen Alternativen. „Beginnen wir mit dem Langsamen Walzer. Wie genau ging der noch gleich?"
Regulus legt meine Hand an seine Hüfte und führt mich dann durch die Grundschritte, während ich ihm mit verkniffenem Gesichtsausdruck zu folgen versuche. Durch die Lüfte zu fliegen und dem Schnatz hinterherzujagen, damit habe ich kein Problem. Sinnlose Schrittfolgen durchzuführen, die keinem Ziel dienen, ist dagegen ein Grauen und ich wünschte, dass ich mich einfach aus dem Haus gestohlen hätte, als ich heute Morgen die Gelegenheit gehabt habe.
„Das liegt wirklich nicht an dir. Du bist ein guter Lehrer", versichere ich Regulus mit einem entschuldigen Lächeln.
Das lässt seinen Blick ein wenig wärmer werden und eine Sekunde lang ist er wieder der Junge, mit dem ich seit meiner Kindheit jede Ferien verbracht habe, bevor unser Kontakt über die Jahre hinweg eingeschlafen ist. Ich ging vor ihm nach Hogwarts und als er schließlich folgte, sorgten unsere unterschiedlichen Häuser dafür, dass wir uns irgendwann einmal nichts mehr zu sagen hatten.
Manche Freundschaften sind einfach nicht für die Ewigkeit gemacht. Dennoch vermisse ich den Jungen, der Regulus einmal gewesen ist, bevor die Dunkelheit begann, ihn mit sich zu ziehen.
Unauffällig werfe ich einen Blick auf seinen Unterarm und bin erleichtert, als ich keine Tätowierung auf ihm entdecken kann. Laut Sirius wird es nicht mehr lange dauern, bis sich sein Bruder den Fanatikern anschließt, die dem Dunklen Lord Folge leisten, doch noch scheint dies bisher eine unausgesprochene Warnung zu sein.
„Hast du dich bereits entschieden, in welchen Fächern du deine UTZ ablegen möchtest?", erkundigt sich Regulus, während er mich geduldig durch die nächste Tanzfigur führt.
„Die meisten meiner Fächer stehen. Zaubertränke, Kräuterkunde, Verwandlung, Zauberkunst und Verteidigung gegen die dunklen Künste." Ich stolpere mühsam weiter über das Parkett und verschweige wohlweißlich, dass ich ebenfalls Muggelkunde belegen werde, denn sollte das zu meinen Eltern durchdringen, wird das kein gutes Ende nehmen. „Wie sieht es mit dir aus? Hast du Angst vor den ZAGs?"
Regulus dunkles Lachen durchdringt den Ballsaal, während er mich zur Seite schwingt und dann wieder auffängt. „Nur Versager haben Angst vor den ZAGs."
Ich beiße mir auf die Lippe, um mich daran zu hindern, Wörter in die Luft fliegen zu lassen, die ich bereits eine Sekunde später bitter bereuen würde. Stattdessen schweige ich und tue so, als würde ich Regulus Erklärungen über seine Unterrichtsfächer folgen.
„Wie geht es Sirius?", erkundige ich mich höflichkeitshalber, als uns die Gesprächsthemen ausgehen.
Regulus hat für meine Frage nur ein Achselzucken über. „Wie geht es denn deinem Bruder Maximus? Ich habe gehört, er ist für einige Monate im Ausland tätig?"
„Maxi ist für einige Zeit im MACUSA angestellt, um die internationalen magischen Beziehungen zwischen Großbritannien und Amerika zu verfestigen", bestätige ich.
„Ich bin sicher, dass er da einige interessante Geschichten zu erzählen hat."
Daraufhin bleibt mir nur ein stummes Nicken als Antwort, denn wirklich geredet hat Maximus schon seit Jahren nicht mehr mit mir. Stattdessen verfolgt er fanatisch die Überzeugungen meiner Eltern und hat für mich stets nur ein gequältes Lächeln über, wenn er mir in den Ferien zwischen den Schuljahren dann doch zufällig einmal über den Weg läuft.
„Jetzt eine Umdrehung links", meint Regulus und führt mich gleich drei Mal durch die Schritte, bis ich sie überhaupt ansatzweise verstanden habe. „An dich ist wirklich keine Tanzbegabung abgefallen, Marlene."
Ich beiße mir auf die Unterlippe. „Was du nicht sagst."
„Wie ich gehört habe, wirst du nächstes Jahr nicht mehr als Treiber, sondern als Sucher unterwegs sein?", meint Regulus.
Ich grinse. „Das neue Schuljahr hat noch nicht einmal begonnen und schon schickt Slytherin seine Späher aus?"
„Ich wusste nicht, dass das ein Geheimnis ist", erwidert er pikiert. „Fragen wird ja noch erlaubt sein."
„Habt ihr solche Angst, nächstes Jahr im Quidditch gegen uns unterzugehen?"
„Wohl kaum." Sein dunkles, arrogantes Lachen ertönt. „Unsere Spione haben ebenfalls behauptet, dass du nur zum Sucher wirst, weil ihr momentan kein besseres Potenzial in euren Reihen habt."
„Interessant, was eure Späher da angeblich alles herausgefunden haben", erwidere ich mit einem süßen Lächeln.
„Also stimmt das Gerücht?"
Ich lache laut. „Denkst du wirklich, dass ich dir das verraten werde?"
„Wir sind Freunde oder nicht?"
„Schon lange nicht mehr", seufze ich.
Stumm führt er mich durch die nächsten Schritte, während wir beide unseren Gedanken nachhängen. Wir sind uns näher als seit Jahren, aber eine unsichtbare Trennlinie wirft uns Welten auseinander.
„Deine Mutter sagte, du hast bisher noch keinen Begleiter für den Weihnachtsball gefunden?", meint er schließlich.
„Oh, ich habe einige gefunden", entgegne ich tonlos. „Nur keinen nach ihrem Geschmack."
„Ich könnte mit dir hingehen, wenn du willst?"
„Willst du dir das Desaster mit mir beim Tanzen wirklich antun?"
Er zuckt mit den Achseln, eine leichte Traurigkeit in seinem Blick. „Ich hätte nichts dagegen. Es wäre schön, mal wieder jemanden zum Reden zu haben."
Aus Versehen trete ich meinem Tanzpartner gegen das Schienbein, was sicherlich unangenehm ist, aber nicht den schmerzverzierten Ausdruck in seinem Gesicht rechtfertigt.
„Ist alles in Ordnung, Regulus?"
Seufzend zuckt er mit den Achseln. „Familienprobleme."
Das Wort ist nichtssagend, reicht aber durchaus, um mir zu verdeutlichen, was er mir eigentlich mitteilen möchte.
„Ich – Soll ich mir das einmal ansehen?", flüstere ich, während wir uns mühevoll durch eine weitere Drehung quälen. „Miss Potter hat mir ein bisschen was übers Heilen beigebracht."
„Nein Danke. Mein Vater hält nichts von Heilern", erwidert Regulus steif und schenkt mir dann eines seiner seltenen Lächeln, die mich daran erinnern, warum wir in unserer Kindheit einmal Freunde gewesen sind. Damals, bevor alles explodierte und wir uns auf zwei Seiten einer Medaille wiederfanden. „Du willst also immer noch Heilerin werden, Marlene?"
„Ja, das will ich immer noch", murmele ich.
Seitdem hat sich nichts geändert und gleichzeitig doch alles. Wir sind erwachsen geworden.
„Ist das..." Regulus sieht mich mit kalten Augen an. „Was sagt dein Vater dazu?"
Dieses Mal trete ich ihm extra auf den Fuß. „Wenn du mir jetzt einen Vortrag darüber halten wirst, dass Frauen dazu gedacht sind, hinter dem Herd zu stehen und Kinder zu werfen, dann kannst du das vergessen."
Er funkelt mich an, die Wut in seinen Augen unübersehbar. „Das habe ich nicht gemeint, aber schön zu sehen, wie schnell du zu solchen Anschuldigungen kommst. Du könntest glatt mit meinem Bruder verwandt sein."
„Sirius mag vielleicht ein Idiot sein, aber immerhin jagt er nicht diesen falschen Idealen hinterher", entgegne ich und reiße mich dann aus seinem Griff los. „Wir sind fertig für heute. Danke für die Tanzstunde."
„Mein Bruder ist ein Feigling", spuckt Regulus mir entgegen und schmeißt die Haustür fester als nötig hinter sich zu.
Einen Moment lang starre ich ihm hinterher, während ich mich davon abhalten muss, ihm meine Meinung ins Gesicht zu werfen. Einige Augenblick hatte ich gedacht, dass der Junge von früher immer noch in seiner Haut schlummert, aber in seinen Augen stand pure Verachtung.
„Ist Regulus schon weg?", fragt meine Mutter überrascht, während sie den Kopf aus der Küchentür steckt.
„Ja, er ist gegangen und wenn es nach mir geht, muss er auch nicht wiederkommen."
„Junge Dame, dein Tonfall gefällt mir gar nicht."
Ich schenke meiner Mutter ein süßes Lächeln. „Mir gefällt hier so einiges nicht, aber das interessiert auch keinen."
„Hat Regulus wenigstens mit dir darüber geredet, dass er dich auf den Ball begleiten wird? Er ist so ein lieber Junge."
„Ein wahnsinnig lieber Junge", murmele ich leise und schenke ihr dann ein falsches Lächeln. „Hat er, aber ich habe abgelehnt. Ich habe bereits eine Begleitung."
Überrascht mustert meine Mutter mich. „Wen denn?"
„Das werdet ihr dann Weihnachten sehen."
„Du kennst die Regeln, Marlene", erinnert sie mich. „Schlammblüter sind nicht erwünscht."
„Ich weiß, Mutter", entgegne ich tonlos, während ich innerlich explodiere. „Keine Sorge, ich werde schon jemand mit reinstem Blut abschleppen, mit dem ihr mich dann als Zuchthund verkuppeln könnt."
„Marlene Ophelia, ich warne dich", erwidert sie, ihre Stimme kälter als der herannahende Sturm vor den Fenstern. „Noch ein Wort und ich werde mit deinem Vater darüber reden müssen."
Ich presse die Lippen aufeinander, denn ich kann auf einen weiteren Monolog über das korrekte Verhalten von jungen Frauen wirklich verzichten.
Schweigend laufe ich die Treppe hoch, einen Schritt vor den anderen, bis ich endlich die rettenden vier Wände meines Zimmers erreicht habe. Erst als ich die Tür geschlossen und einen vom Kopfkissen erstickten Schrei von mir gegeben habe, kann ich wieder freier atmen.
Ich werde nur noch fünf Tage aushalten müssen, dann werde ich den Alptraum überlebt haben.
Noch fünf Tage, bis ich den Ort erreiche, der im Laufe der Jahre mein Zuhause geworden ist.
Noch fünf Tage, bis meine Welt wieder in Ordnung ist.
Noch fünf Tage, bis ich wieder in Hogwarts bin.
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Hallo ihr Lieben,
Mit dem neuen Kapitel haben wir dann auch Marlene kennengelernt. Was haltet ihr momentan von ihr? Könnt ihr sie schon einschätzen?
Und was ist mit Regulus? Glaubt ihr, dass er in der Geschichte noch eine Rolle spielen wird?
Ich freue mich übrigens schon sehr darauf, das Kapitel mit dem Weihnachtsball zu schreiben. Denn lasst euch sagen, dass sie äußerst interessant und aufschlussreich werden ;)
Bis zum nächsten Mal!
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