Prolog

"Know the world in yourself. Never look for yourself in the world, for this would be to project your illusion." - (Ancient egypt temple proverb)"


Gedankenverloren starrte Eleanor Ebertz in die ferne Weite, ihre Augen suchten dort bereits seit einer langer Zeit nach einer Art Anker. Raue Felsen, gewaltig hoch in die Luft ragend, ruhten kaum zehn Meter von ihrem Standort entfernt und umrandeten dabei das brach liegende Tal wie eine halb verfallene Schutzmauer.

Loses Geröll, wohl von launischen Winden über die karge Ebene hinweg getragen, fiel hier und mit einem leisen Klackern auf den sonnenverbrannten Boden nieder. Güldene Dünen glitten wie erstarrte Wellen durch die nahe Umgebung, vereinten sich in ihrer Gesamtheit zu einem endlosen Meer aus Sand und ewigen Schweigen.

Vereinzelte Sträucher, verdorrte Zeugen eines einst lebendigen Landes, klammerten sich derweilen verzweifelt an die kläglichen Reste ihrer bedrohten Existenz. Ein Skorpion, kaum größer als ihre Handfläche, huschte derweilen flink über den Boden, ehe er unter einem kleinen Felsstapel auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Aber auch das flüchtige Leben konnte trotz bestem Bestreben nicht über die alles durchdringende Stille hinweg täuschen - ein Ort der Toten, an dem selbst das Echo der Vergangenheit nur noch mit dem leisen Flüstern der herab fegenden Winde wider hallte.

Obgleich die fast untergegangene Sonne bereits in ihren letzten Zügen lag, fühlte sich ein Spaziergang über den Sand nichtsdestotrotz wie ein Spießrutenlauf über glühende Kohle an.

Mit einem Seufzer der Bewunderung auf den Lippen beobachtete Eleanor nun das verwaschene Farbenspiel aus Blau und Orange am Himmel, welches schon bald einer pechschwarzen Dunkelheit weichen würde. Und trotz der allgegenwärtigen Einsamkeit, die jedes Fleckchen hier Erde umgab, fühlte sich die junge Frau nicht im Mindesten allein gelassen.

Ganz im Gegenteil.

Robert Ebertz, einer ihrer Lieblingsonkel, pflegte stets folgende Floskel zum Besten zu geben: "Die Wüste lebt und lässt einen nie wirklich allein. Du musst nur richtig hinsehen, dann kannst du ihren pulsierenden Herzschlag erkennen."

Manchmal glaubte Eleanor sogar einen wabernden Schimmer am Horizont erspäht zu haben, sicher wähnte sie sich bei der Beobachtung allerdings nicht. In den gefährlichen Gefilden der Wüste durfte man keinesfalls seinen Augen über den Weg trauen, denn Fata Morganas, trügerische Luftspiegelungen, wussten durchaus eine unbescholtene Seele in den Abgrund oder gar in seinen eigenen Wahnsinn zu treiben.

Erschöpft tupfte sich Eleanor mit einem feinen Tuch ein paar glitzernde Schweißperlen von der Stirn, ehe sie den beschmutzten Stoff wieder in ihre geöffnete Ledertasche, die am Saum ihres Kleides schwang, hinab gleiten ließ. Eigentlich ein einfacher Akt, doch in diesem Augenblick schien selbst die kleinste Bewegung von der unbarmherzigen Hitze der Wüste geprüft zu werden.

Momentan hielt die junge Frau ihr langes, kastanienbraunes Haar mithilfe eines geflochtenen Zopf gebändigt, während ein brauner Hut mit Krempe den Kopf und ihre weißblasse Haut vor Überhitzung beschützte. Am restlichen Leibe trug sie lediglich ein hochgeknöpftes, schwarzes Gewand und einen luftigen Schleier, den sie vor einigen Tagen auf einem bunten Basar in Kairo erworben hatte.

Ihre Damenschuhe versanken dagegen halb im Sand, während die fleißigen Männer, die wie zu groß geratene Hummeln um sie herum wuselten, mit geeigneteren Stiefeln oder Sandalen durch die Gegend trabten. Und nicht zum erstem Male an diesem Tag verfluchte Eleanor in Gedanken die Damenmode der 1920er Jahre, der sie bereits unter viel einfacheren Umständen kaum etwas Nützliches abzugewinnen vermochte.

Zu ihrer Erleichterung durften Frauen mittlerweile Hosen tragen, aber da sie aus einer sehr traditionsbewussten Familie stammte, ließ sich dieses Privileg für ihrer Selbst leider nicht so leicht einfordern. Blöderweise war die letzte Zeit, zugegeben, auch keine einfache gewesen, denn sie hatte bereits im trauten Schoße ihrer Verwandten viel Wind aufgewirbelt.

Auf Knien hatte sie damals ihre Eltern angefleht, dass die doch ihre beiden Onkel bitte auf deren geschäftlichen Reise nach Ägypten begleiten dürfte. Bevor sich die stählernen, kaum abnehmbaren Ketten der Ehe für immer um ihre Handgelenke schlossen.

Schlagartig rutschte Eleanors Laune in die Tiefe hinab, denn der bloße Gedanke, in einem halben Jahr mit dem jungen Grafen von Eysenreich vor den Traualtar treten zu müssen, schmeckte ihr nicht nur wie bitteres Gift auf ihrer Zunge, sondern ließ auch ihr Gemüt vor Zorn erbrennen.

Unweigerlich machte sich ein unangenehmes Gefühl in ihrer Bauchgegend breit, so als hätte sie gerade eben eine scharfe Scherbe verschluckt, die sie nun von innen heraus auf das Blutigste aufschlitzte.

Mit ihren fünfundzwanzig Jahren befand sich Eleanor zweifelsohne im heiratsfähigen Alter und musste natürlich so schnell wie möglich an einen vermögenden Mann gebracht werden, bevor sie als alte Jungfer verendete und sich somit als Schande für ihre überaus noble Blutlinie herausstellen würde.

Höchst attraktiv schien der betroffene Aristokrat allemal, jener Umstand ließ sich wahrlich nicht leugnen. Zudem entsprang der Alleinerbe einer alten Adelsfamilie, reichlich gesegnet mit Macht, Geld und Einfluss. Bestimmt hätte so manche Frau für ihre Position getötet, doch Eleanor wollte im Grunde doch nichts lieber tun als selbst über ihr Schicksal zu entscheiden.

Wenigstens haben Vater und Mutter mir mein Studium der antiken Weltgeschichte gestattet. Aber sie haben mir ja am Ende auch nur die Reise erlaubt, nachdem ich der Verlobung zugestimmt habe. Quasi ein gnädiges Abschiedsgeschenk, bevor ich einem untreuen, chauvinistischen Frauenheld übergeben werde. Wohl bekommt's.

Schnaubend wandte Eleanor den Blick vom Himmel ab und konzentrierte sich stattdessen lieber auf die großflächige Ausgrabungsstätte, die in einer recht zentral gelegenen Position vor ihr lag. Nicht weit weg von zahlreich gesprengten Grabeingängen und doch auch nah zu den angebunden Kamelkolonnen.

Mich kriegt ja niemand mehr so schnell auf diese sturen Tragetiere. Da geh ich lieber mit nackten Füßen durch die Wüste. All meine Muskeln schmerzen fürchterlich. Tja, hätte ich doch besser reiten gelernt als meine Nase stets in Bücher zu stecken. Wie meine werte Mutter doch immer so schön zu sagen pflegt.

Im Hier und Jetzt, umgeben von der rauen Schönheit der Wüste, wollte Eleanor allerdings nicht über die dunklen Schatten nachdenken, die fortwährend über ihrer Zukunft hingegen. Stattdessen ließ sie ihre tristen Gedanken zu jenem Aspekt wandern, der ihr Herz seit jeher erfüllte: Nämlich die Geheimnisse der Ägyptologie.

Schon als Kind hatte sie eine unerschütterliche Begeisterung für die antike Welt entwickelt, eine Leidenschaft, die sie mit ihren Onkeln Robert und Ansgar teilte. Beide Männer hatten ihr diese besondere Liebe zur Geschichte nicht nur nahegebracht, sondern auch genährt und kultiviert. Insbesondere mit faszinierenden Geschichten und Büchern über längst untergegangene Zivilisationen.

Endlich bin ich frei ... wenn auch nur für die kommenden Wochen. Aber solange ich hier bin, will ich nicht in Schwermut suhlen. Sondern das Abenteuer meines Lebens aus vollen Zügen genießen.

Vor ihr lag immerhin das atemberaubende Tal der Könige ausgebreitet, im Altägyptischen auch Sechet-aat genannt. Eingebettet zwischen dem Westufer des Nils bei Luxor, versteckt hinter der Felswand Deir el-Bahari und zu Fuße des pyramidengleichen Berg el-Qurn schlummerte die wohl berühmteste Nekropole der antiken Welt. Ein ewiges Ruhebett für die Gräber jener Herrscher, die in der 18. bis zur 20. Dynastie regiert hatten.

Doch bevor sich Eleanor erneut ihren grübelnden Gedanken ergeben konnte, ertönte wie aus heiterem Himmel ein knallendes Geräusch. Instinktiv zuckten ihre Schultern vor Schreck zusammen, ehe das logische Denken wieder die Oberhand über die verspürte Angst gewann. Eigentlich sollte sie gerade diese spezielle Geräusch schon zur Genüge kennen. Zu einer fast hundertprozentigen Sicherheit musste wohl ein weiterer Eingang ins verborgene Innenleben der umliegenden Felswände gesprengt worden sein.

Allerdings schien bei diesem Mal etwas vollkommen anders zu sein, denn nur wenige Momente später eilten bereits zahlreiche Arbeiter, braun gebrannt und in weiße Tuniken gehüllt, an ihr vorbei. Laut knirschte der Sand unter abgewetzten Sandalen auf, doch die schnaufenden Tagelöhner ließen sich kaum von dem schwerfälligen Gefilde beeindrucken.

Wie tüchtige Ameisen passierten die Einheimischen in aller Schnelle den Ausgrabungsbereich, der mindestens auf fünfzig Zelte kam. Immer wieder stolperten die tüchtigen Männer über ihre eigenen Füße, es grenzte beinah an ein Wunder, dass niemand mit dem Gesicht nach vorne auf den heißen Boden fiel.

Heulend fegte der Wind vom Gestirn herab, so als würde die Himmeslgöttin Nut ihnen allen eine kaum verständliche Botschaft ins Ohr flüstern.

Verdammt, es muss etwas passiert sein ... Ob gut oder schlecht kann ich noch nicht sagen...Aber ich muss dies unbedingt in Erfahrung bringen, dachte sich Eleanor entschlossen, ehe auch sie sich in rasche Bewegung setzte. Geradezu auf undamenhafte Art und Weise raffte sie ihr Kleid und tat es den Vorläufern gleich. Was schickt mich schon Anstand, wenn es so viel Spannendes zu erfahren und erleben gibt?

Laut keuchend bahnte sich die Abenteuerin einen Weg durch die Menge, kassierte dabei allerdings immer wieder bitterböse Blicke ein. Denn es war kein wohl behütetes Geheimnis, dass die meisten Männer, egal ob einfache Arbeiter oder gebildete Forscher aus dem Westen, ihre weibliche Anwesenheit ganz und gar nicht schätzten.

Scheinbar verstand die Mehrheit des maskulinen Geschlechts nicht, warum eine Frau ohne ihren lieben Ehegatten oder beschützenden Verlobten in ein solch mysteriöses Gebiet reisen wollte. In den letzten Tagen musste sich Eleanor, die sich weigerte, ihr eigenes Licht angesichts verletzter Eitelkeiten unter dem Scheffel zu stellen, versteckten Beleidigungen oder sogar offen präsentierten Feinseligkeiten stellen.

Emanze war hierbei noch das netteste Wort, welches ihr von lästernden Forscher ins Gesicht geschleudert wurde.

Rasch näherte sich die junge Frau dem Quell ihrer Neugier an, nur noch wenige Meter trennten sie noch von ihrem erreichten Ziel.

Mittlerweile schien sich dort eine großen Menschentraube gebildet zu haben, die hierbei die Form eines krummen Halbkreises einnahm. Im Handumdrehen ging ein ehrfürchtiges Raunen durch die versammelten Arbeiter, viele Kerle schlugen sich vor Demut die Hände vor den Mund oder verdeckten gar mit ihren Fingern die nieder geschlagenen Augen.

Und dann bahnte sich Eleanor entschlossen ihren Weg zum Ziel.

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