3. Verloren in einer fremden Welt


"I can control my destiny, but not my fate. Destiny means there are opportunities to turn right or left, but fate is a one-way street. I believe we all have the choice as to whether we fulfil our destiny, but our fate is sealed."


Auf der Stelle zuckte Eleanor zusammen, als hätte ihr jemand gerade einen Kübel eiskaltes Wasser über den Kopf gegossen. Mit einem heftigen Ruck drehte sich die junge Frau um, doch auf die Schnelle konnten ihre umher huschenden Augen nichts Verdächtiges in dem felsigen Raum entdecken. Keine unerwartete Bewegung. Keine sprechende Gestalt.

Und dennoch... schien etwas oder jemand hier zu sein.

Obgleich sich ihre Kehle mittlerweile anfühlte, als wäre sie mit Sand randvoll gefüllt, zwang sich die junge Frau dazu, sich vorerst nicht von ihrer wachsenden Besorgnis leiten zu lassen und stattdessen folgende Frage in den verlassenen Saal hinein zu werfen. Fast dröhnend laut hallte der Ruf durch die bleierne Stille.

»Onkel Robert? Onkel Ansgar? Rafik?«

Keine Antwort.

Erneut glitt Eleanors rastloser Blick durch den Raum, sprang von schweren Säulen zu zerfallenen Krügen, über die verstreuten Relikte bis hin zu den unheilvollen Winkeln der vergessenen Kammer. Nicht nur war es ihr, als würden die hiesigen Schatten jetzt tiefer als zuvor hängen, auch jeder Moment der Ruhe drückte allmählich schwerer und schwerer auf Leib und Seele nieder.

Nur wenige Augenblicke später nahm die Abenteuerin ganz zufällig davon Notiz, wie sich ihre Finger um den Dolch in ihrer Hand verkrampft hatten. Obwohl die verrostete Schneide gefährlich nah an ihrer Haut lag, wagte die junge Frau es nicht, den Griff auch nur für eine Sekunde frei zu geben. Im Falle einer bösen Überraschung würde ihr bloß diese eine Klinge zur Verteidigung dienen, daher ging sie lieber auf Nummer sicher.

Angespannt lauschte Eleanor in die trostlose Stille hinein, die weiterhin wie ein bedrohliches Damoklesschwert über ihrem Kopf schwebte. Beunruhigt tigerte die junge Frau immer wieder an Ort und Stelle ab, während ihre erhobene Öllampe zur gleichen Zeit leicht hin und her schwankte. Obgleich die Helligkeit durchaus etwas Licht ins Dunkle brachte, blieb das ungute Gefühl in ihrem Inneren weiterhin bestehen.

Ein paar Minuten vergingen, ehe die Brünette erleichtert aufatmen wollte, als die gruselige Tonfolge ein weiteres Mal erklang. Wie eine unsichtbare Windböe fegte der unheimliche Klang durch die Luft, es war, als würde das Gestein in einer unbekannten Zunge sprechen und ihr dabei eine kaum begreifbare Botschaft ins Ohr flüstern wollen.

Sofort hielt Eleanor inne. Von überall und nirgends kam das seltsame Flüstern her, umschlang ihr Selbst wie eine unsichtbare Ranke und ließ sie nicht mehr in die Ferne entfliehen. Nur mit halbem Bewusstsein bemerkte die junge Frau, wie sich die Kälte der Angst in ihrem Nacken sammelte. Ein kühler Hauch des Todes, der ihr viel zu nahe schien.

»Ansgar, hör sofort auf mit dem Unsinn!«, rief Eleanor ein weiteres Mal aus, ihre Stimme brach sich dabei deutlichst zwischen Trotz und Sorge. »Wenn du denkst, das hier ist lustig, dann... dann irrst du dich aber gewaltig!«

Doch die Finsternis blieb ihr weiterhin eine Antwort schuldig.

Zögernd trat die junge Frau einen Schritt voran, wagte dann sogar einen weiteren. Ihr Atem ging mittlerweile flach, während sich ihre Brust immer wieder verzweifelt hob und senkte. Obwohl jede Faser ihres Körpers lauthals schrie, stehen und unsichtbar zu bleiben, wollte sich ein mutigerer Teil von ihr nicht so leicht ins Bockshorn jagen lassen.

»Komm aus deinem Versteck! Wer auch immer du sein magst!«

Als Eleanor schließlich aus dem entdeckten Raum heraus trat, sah sie sich schnell zu allen Seiten um. In Windeseile kletterte die gedämpfte Helligkeit an den kargen Felswänden empor, bevor sich die Strahlen in einem gewebten Spinnennetz der Düsternis verfingen. Lange dauerte es nicht, bis eine absolute Einsamkeit in ihr pochendes Herz vor drang und darin fröstelnde Eiskristalle verstreute.

Zögernd brachte sich die Dunkelhaarige in eine seitliche Stellung, so als gedachte sie im Falle eines drohenden Kampfes ein imaginäres Schwert aus der dazu gehörigen Scheide zu ziehen. Allerdings schien der Gang fortwährend leer, nicht einmal mehr aus weiter Ferne ließ sich ein anderer Lampenschein erspähen.

Und dann, ganz unerwartet, schlug jene mysteriöse Kraft ein drittes Mal mit voller Wucht zu.

Am Anfang war es der jungen Frau gewesen, als hätte ihr diese zuckersüße Tonfolge regelrecht Honig um das Maul zu schmieren versucht. Doch jetzt quälte die schrille Tonfolge ihr Gemüt bis aufs Äußerste, es schien, als offenbarte die säuselnde Kraft ein ganz und gar hässliches Antlitz. Kreischendes Lachen echote jetzt lautstark an den umliegenden Wänden wider, so als hielt sie sich gerade in einem unheimlichen Spiegelhaus auf und nicht in einem unterirdischen Tunnel.

Obwohl Eleanor folgende Tatsache nur über ihre Leiche zugegeben hätte, stieg nun doch blanke Panik in ihrer Seele auf, verhakte sich dort und trieb ihre Dornen auf schmerzhafte Art und Weise in Blut und Fleisch hinein. Mittlerweile schwitzte sogar ihr Körper um die Wette, ganz so, als litte auch er an einem fürchterlichen Fiebertraum.

Wie von Sinnen stolperte Eleanor auf einmal von dannen, achtete dabei kaum auf den eingeschlagenen Weg. Jeder einzelne Schritte hallte fast unnatürlich laut durch den endlosen Korridor, ein gespenstisches Echo, das ganz fürchterlich an ihrem angespannten Nervenkostüm zerrte.

Mittlerweile lief ihr der Schweiß in kalten Bahnen über die Schläfen, salzige Tropfen, die sich wie ein öliger Film über ihre Haut spannten. Mit jedem Atemzug brannte die Luft in ihrer Kehle lichterloh, während das eingesetzte Seitenstechen sein Übriges tat und ebenfalls keine Linderung verschaffte.

Trotz aller Beschwerlichkeiten blieb die Dunkelhaarige allerdings zu keiner Zeit stehen, denn eine Tatsache schien ihr mehr denn je gewiss: Stillstand bedeutete wohl oder übel den Tod.

Doch ein anderer, schrecklicher Gedanke grub sich sogleich wie ein grober Splitter in ihr Bewusstsein: Jagte sie wirklich einen Geist? Oder jagte der Geist sie?

Nun ahnte Eleanor, wie sich ein armer Fuchs, gehetzt von bellenden Hunde und aufgeputschter Jäger, fühlen musste und verabscheute sich jetzt umso mehr dafür, solch gesellschaftlichen Ereignissen einst aus freien Stücken beigewohnt zu haben.

Nein, nie nie wieder werde ich diese widerlichen Treffen besuchen. Schande über mich, dass ich erst jetzt den Schmerz und die Panik des auserwählten Tieres verstehe.

Hier und da vernahm die Abenteuerin aus naher Ferne die raunende Melodie, die sie weiter und weiter in ihr gesponnenes Spinnennetz hinein trieb. Ein sadistisches Raubtier, das genüsslich mit seiner Beute spielte und sich hörbar an seiner empfundenen Todesangst ergötzte.

Ohne einmal Halt zu machen lief Eleanor weiter und folgte wie ein Bluthund auf der Hatz dem eingeschlagenen Weg. Zitternd umklammerte eine Hand den fest gehaltenen Dolch, während sich die andere weiterhin um die schwankende Patroleumlampe kümmerte.

Nur wenige Minuten später stieß die Brünette urplötzlich auf einen weiteren, rechts verlaufenden Grabeingang. Gedankenlos stolperte ihr Körper über die Schwelle, ungelenk wie eine an unsichtbaren Fäden gezogene Puppe.

Im ersten Moment glaubte Eleanor, nichts als trostlose Leere vor sich zu haben. Kein Sarkophag, keine Grabbeigaben, keine Statuen, die das Grab eines Pharaos hätten schmücken sollen. Doch als der zitternder Lampenschein über die umliegenden Wände wanderte, enthüllte er tatsächlich in Stein gemeißelte Geschichten - überraschend gut erhaltene Erzählungen von Göttern und Monstern, von Königen und Sklaven.

Ihr Blick wanderte schnell über die antiken Fresken, während zur gleichen Zeit ein unheimliches Gefühl unter ihre Haut kroch. Beinah war es ihr, als würden die Abbilder auf sie herab starren, lebendig und doch unbeweglich. Doch dann, nur wenige Augenblicke später, traf Eleanors Sicht auf ihn.

Unterhalb der Darstellung eines majestätischen Pharaos, der Krummstab und Geißel hielt, starrte ihr ein in der Wand eingesetzter Rubin entgegen. Der faustgroße Stein schimmerte so rot wie frisches Blut, doch am Ende fesselte sein innerliches Pulsieren ihre vollständige Aufmerksamkeit.

»Sawf yataghayar masiruk qariban 'iilaa al'abad«

Obgleich ein Teil von Eleanor es besser wusste, konnte sie sich der anziehenden Aura und dem betörenden Geflüster des Steins keinesfalls erwehren.

Wie eine Motte, die stets das Licht aufsuchte, näherte sich die junge dem wertvollen Fund mit zaghaften Schritten an. Es war ihr, als hätte eine fremde Macht mittlerweile von ihr Besitz ergriffen und leitete nun ihren Körper ohne Zustimmung in Richtung des funkelnden Objekts.

Vollkommen dem bezirzenden Bann erliegend, stellte die Dunkelhaarige schon bald ihre Öllampe auf den Boden ab und ließ dabei auch den rostigen Dolch durch ihre Finger gleiten. Sobald Eleanor das prächtige Juwel erstmals mit einer freien Hand umfasste, nahm die Katastrophe bereits ihren Lauf.

Im Nu verstärkte sich das Pulsieren des Rubins, wurde stärker und schneller, bis er sich mit dem verzweifelten Schlagen ihres Herzens vereinte.

Unwillkürlich brach ein blendendes Licht aus dem Stein hervor, begleitet von einem ohrenbetäubenden Knall. Eleanor schrie aus vollem Halse, während sich ein unsäglicher Schmerz in ihrem Kopf breitmachte. Schon bald drohten auch ihre Beine nach zu geben, ihr erschütterter Körper rang buchstäblich nach Haltung und Luft.

Gerade als die junge Frau auf ihre zitternde Hand starrte, fiel ihr auf, dass die hervor tretenden Adern und Venen nicht mehr in ihrem üblichen Blau schimmern, sondern nun die gleiche, blutrote Farbe des festgehaltenen Steins aufwiesen. Als ob diese alleinige Beobachtung nicht schon schrecklich genug wäre, ging augenblicklich auch ein pulsierender, alles verzehrender Schock durch ihren Leib.

Bevor die Abenteuerin in eine betäubende Bewusstlosigkeit versank, spürte ein Teil ihrer Selbst, wie sich der Stein in ihrer Hand verflüssigte und durch Fleisch, Blut und Knochen sickerte. Dann wurde ihr, im wahrsten Sinne des Wortes, schwarz vor Augen.

Eine gefühlte Ewigkeit verstrich, bevor sich die Schleier des Nebels in Eleanors Kopf erstmals wieder zu lichten begannen - wie die ersten Sonnenstrahlen, die durch den Rauch eines verbrannten Waldes brachen. Allerdings handelte es sich hierbei um keinen alleinigen Moment der Klarheit, sondern eher um einen schleichenden Prozess, bei dem die Schatten der Traumwelt widerwillig dem kalten Griff der Realität weichen mussten.

Schwerfällig wälzte sich die Dunkelhaarige von einer Seite auf die andere, jeder Versuch, ihren Körper zu bewegen, fühlte sich an, als würde ihr Geist durch zähen Schlamm waten. Doch schon bald flatterten ihre Lider wie die Flügel eines Schmetterlings, der gegen eine unsichtbare Barriere schlug- ein stummer Kampf, der sich schließlich doch dem unvermeidlichen Erwachen beugte.

Und nur wenige Sekunden darauf kehrte Eleanors Bewusstsein endlich wieder in das Reich der Lebenden zurück.

Wie ein Hammerschlag, der lautstark auf einen Amboss traf, prallten ihre Erinnerungen erbarmungslos auf ihr Gemüt nieder. Klirrende Funken der Verwirrung sprühten in alle Himmelsrichtungen auf, ehe die Blitze hart auf dem Boden der Wirklichkeit aufschlugen.

Was ist nur mit mir passiert? Bin ich jetzt vollkommen verrückt geworden? Reif für ein Sanatorium? Oder hat mich einfach nur meine Müdigkeit in einem schwachen Moment überwältigt?

Mit einem Ruck setzte sich Eleanor auf. Instinktiv tastete ihre Hand den kompletten Hinterkopf ab, suchte nach einer Wunde, nach Blut - doch zum Glück ließ sich weder das eine noch das andere ausfindig machen.

Lediglich ihr schwarzes Kleid wies hier und da ein paar dreckige Flecken auf, doch dieser Umstand störte die junge Frau kein Stück. Sie war nie eine Frau gewesen, die großartigen Wert auf das äußere Erscheinungsbild legte. Dafür würde Onkle Robert, ein Mann mit einem ausgesprochenen Sinn für Ordnung und Perfektion, diese Nachlässigkeit umso mehr nicht gut heißen.

Ein schiefes Lächeln huschte sogleich über Eleanors Lippen hinweg, ein schwacher Trost inmitten des allgegenwärtigen Chaos. Doch als ihr Blick schließlich auf leere Hände fiel, erstarb das leichte Schmunzeln auf der Stelle. Rasch erhob sich die junge Frau vom Boden und wischte dabei, mehr schlecht als recht, die sandigen Hände an ihrer Garderobe ab.

Hastig ließ sie ihren Blick durch die Kammer gleiten, doch kein Erfolg.

Der prachtvolle Rubin schien wie vom Erdboden verschluckt.

Verwirrt kräuselte Eleanor die Stirn, ehe ihr sogleich eine weitere, besorgniserregende Tatsache auffiel. Merkwürdigerweise zierte nicht eine Hieroglyphe die umliegenden Wände, es war, als hätten die bildlichen Erzählungen zuvor nur in ihrer Vorstellungskraft existiert.

Blank und leer starrten ihr die rauen Felswälle entgegen, ein Spiegel ihrer eigenen, momentanen Gefühlswelt. Unweigerlich kroch ein flüsternder Zweifel durch ihren Geist, schlüpfrig und unerbittlich, wie eine Schlange, die sich würgend um ihr Herz wand.

Was mache ich hier überhaupt? Wie bin ich hierher gekommen? Warum fühlt sich mein Kopf so an, als wäre dieser mit zähen Honigsträngen verdickt? Verdammt, ich sollte wohl besser gleich zu meinem Zelt zurück kehren. Hoffentlich macht sich der Rest der Gruppe keine Sorgen um mich.

Auf zitternden Beinen schleppte sich Eleanor mühselig durch den Eingang hinaus, ehe sie wie angewurzelt an Ort und Stelle stehen blieb. Von irgendwoher drangen Stimmen zu ihren Ohren vor, erst leise, dann immer deutlicher. Dabei stets begleitet von dem rhythmischen Klang von Schritten, die sich gleichfalls auf schnellen Sohlen annäherten.

Augenblicklich spürte Eleanor, wie ein Funke Hoffnung in ihrer erschöpften Brust aufflammte.

Onkel Robert. Ansgar. Rafik. Sie sind bestimmt gekommen, um mich aufzulesen. So muss es sein, ja!

»Hallo, hier bin ich!«, rief die junge Frau den Heraneilenden mit gebündelter Kraft entgegen, freute sich im Insgeheimen wie eine diebische Elster. Allerdings dauerte es keine Minute, bis sie urplötzlich von hervor schnellenden Händen rüde in die Kammer und auf den sandigen Untergrund geworfen wurde.

»Was....«, brachte Eleanor stammelnd über die Lippen, denn sie hatte beileibe nicht damit gerechnet, auf eine solch forsche Art der Begrüßung von ihrer lieb gewonnen Gruppe willkommen geheißen zu werden.

Sobald sich ihr wütender Blick wieder hob, blieben ihr allerdings die nächsten Worte buchstäblich im Halse stecken. Egal wie oft die junge Frau auch blinzelte, das Bild vor ihr blieb bestehen - eine surreale Vision, geboren aus jenem Stoff, der Alpträume und andere schauderhafte Vorstellungen webte.

Fortwährend warf das schwache Flackern von brennenden Fackeln ein bedrohliches Spiel aus Licht und Schatten auf die Antlitze derer, die sich mittlerweile in Form eines Halbkreises um sie herum versammelt hatten. Blankes Misstrauen sprach aus vielen Gesichtszügen und auch die einheitliche Körperhaltung schien mehr bedrohlich als friedensspendend.

Eleanor spürte, wie ihr Herzschlag wild gegen ihren Brustkorb hämmerte, ein verzweifelte Trommel, die vergeblich gegen die erdrückende Stille der Szene ankämpfte. Als die Abenteuerin erneut ihren Blick schweifen ließ, jagte sofort ein kalter Schauder über ihren Rücken hinweg. Denn sie erkannte niemanden wieder - nicht eine verdammte Seele.

Dem ersten Anschein nach zu urteilen, kleideten sich die Frauen, allesamt unterschiedlichen Alters, in einfache Leinentuniken ein, die wiederum durch luftige Fledermausärmel bestachen und bis zu den Knien herab reichten. Selbst in ihrem verwirrten Zustand erkannte Eleanor, dass die gegebenen Stoffe grob und billig wirkten, als seien sie nicht dazu gemacht, zu schmücken, sondern nur um die freien Stellen vor dem Einfluss der Sonne zu schützen.

Ein weiterer Blick verriet, dass die argwöhnischen Männer ihre unbedeckten Oberkörper stolz zur Schau stellten und lediglich einen weißen Schurz zur Verhüllung ihrer Leistengegend benutzten. Sandalen aus dunklem Leder bedeckten die Füße beider Geschlechter, hielten jedoch Schmutz und Staub nicht davon ab, sich auf den unbedeckten Schienbeinen festzusetzen.

Allen sonnengeküssten Gesichter haftete eine sichtbare Müdigkeit an, die beinahe mit den Händen greifbar schien und jeder einzelnen Bewegungen auf Schritt und Tritt folgte. Fast wie eine zweite Haut schmiegte sich ein streng riechender Schweißgeruch um sämtliche Anwesenden, so als hätten die Namenslosen schon seit einer langen Zeit nicht mehr gebadet.

Eleanor, fassungsloser denn je, war es in jenem Moment, als wäre die Zeit für eine gefühlte Ewigkeit lang stehen geblieben.
Dumpf donnerte ihr das Blut durch beider Gehörgänge, während die unzähligen Gedanken in ihrem Kopf verrückt spielten und sich in ihrer Schnelligkeit kaum fassen ließen.

Ist das alles ein Witz? Erlaubt sich Ansgar einen Spaß mit mir und will mich glauben lassen, in eine andere Epoche der Geschichte gesprungen zu sein? Hat er mir tatsächlich Arbeiter, verkleidet als altägyptische Sklaven, vorbeigeschickt um mir das Fürchten zu lehren? Ja, so muss es sein. Ganz bestimmt.

»Was für ein Wahnsinn spielt sich denn hiervor meinen Augen ab? Welche Frevlerin hat diese heilige Halle ungefragt aufgesucht? Erheb dich Weib, bevor ich dich den Krokodilen zum Fraß vorwerfen lasse!«, sauste sogleich eine scharfe Stimme wie ein geworfenes Messer durch die Luft und traf Eleanor am Ende direkt ins Herz.

Aus dem lauernden Schatten trat schließlich der hagerer Mann mit gemächlichen Schritten hervor. Obwohl auch er nicht den Anschein erweckte, sonderlich gut betucht zu sein, schien er dennoch eine unverkennbare Autorität auszustrahlen. Das harte Gesicht schien über und über mit Falten durchzogen, während er seine ergrauten Haare relativ kurz geschoren trug. In seinen dunklen Iriden lag ein gefährlicher Glanz, der zweifelsohne für einen ungetrübten Verstand sprach.

Bei seinem Anblick fühlte sich die Abenteuerin just an eine Katze erinnert, die aus sadistischem Vergnügen immer wieder mit ihrer gefangenen Beute spielte, bis sie das arme Geschöpf am Ende doch mit Haut und Haaren verspeiste. Obgleich die junge Frau fest an den Grundsatz glaubte, ein Buch nicht nach seinem Äußeren bewerten zu dürfen, konnte sie den blasiert lächelnden Unbekannten auf Anhieb nicht ausstehen.

Verzweifelt wollte Eleanor ihre Stimme erheben, doch im nächsten Augenblick fegten bereits seine donnernden Worte ein zweites Mal über ihren Kopf hinweg.

»Habt ihr Eure Zunge verschluckt, Weib? Sprecht, Dirne, wer seid Ihr?«, fuhr sie der Unbekannte mit einer scharfen Zuge an, während er zur gleichen Zeit ein paar Schritte in ihre Richtung unternahm. Sein Tonfall prallte wie herab fallendes Gesteinsgeröll an den Umliegenden Wänden wider. »Und warum tragt Ihr diesen seltsamen Stoffballen am Körper? Nennt ihr das etwa ein schickliches Gewand? Wer seid Ihr

Je mehr sich der erzürnte Herr in Rage redete, desto deutlicher wurde ihr die wahre Bedeutung ihrer Situation gewahr. Obgleich ihr Verstand weiterhin um eine logische Erklärung rang, so wusste doch ihr Herz bereits bestens Bescheid.

So unglaublich die Feststellung auch in ihren Ohren klang, aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund schien sie tatsächlich in eine längst zu Staub zerfallende Vergangenheit gereist zu sein. Und diese Schlussfolgerung bedeutete letztendlich, dass sie nun gewaltig in der Patsche saß.

Ohne Aussicht auf Rettung.


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