1. Licht und Schatten
"Egypt is a great place for contrasts; splendid things gleam in the dust"
Geduckt huschte Eleanor durch die Menge hindurch.
Ab und zu rümpfte sie streng die Nase, denn die ausgetretenen Ausdünstungen, alt und frisch, stellten ihren Geruchsinn auf eine wahrhaftige Probe. Mit ausgefahrenen Ellbogen kämpfte sich die junge Frau tapfer Schritt für Schritt voran, fing sich allerdings dabei das ein oder andere laut ausgerufene Allaena! ein.
Schon bald erregte allerdings ein lautes Gruppenlachen ihre vollständige Aufmerksamkeit. Dem Anschein nach zu urteilen handelte sich bei der versammelten Truppe um Yankees, die mithilfe luftigen Leinhosen und locker sitzenden Hemden durchaus einen feschen Eindruck schindeten.
Von Onkel Ansgar, vielbereist und weltgewandt, hatte die junge Frau bereits so manch haarsträubende Geschichten über diese Sorte von Menschen gehört, eine schier unglaublicher als die andere. Obwohl Eleanor nicht viel davon hielt, Menschen vorschnell über einen Kamm zu scheren, entsprach aber das dargebotene Abbild durchaus seinen dargestellten Schilderungen.
Amerikaner schießen erst und stellen dann ihre Fragen, meinte ihr zweitliebstes Familienmitglied einst im Scherze, doch der eher legere Umgang mit den parat gehaltenen Schusseisen warnte dennoch ihre inneren Alarmglocken zur äußersten Vorsicht.
Sobald ihr umher schweifender Blick allerdings eine bekannte Gestalt entdeckte, fiel der Brünetten augenblicklich ein Stein vom Herzen.
»Rafik«, rief Eleanor erleichtert aus, als sie den munteren Führer durch die Wüste ausmachte, den Robert und Ansgar bei ihrer Ankunft in Kairo für ihren Zweck gewonnen hatten. Natürlich gegen das entsprechende Trinkgeld, wohlgemerkt.
Trotz alledem konnte sie den älteren Herrn, der stets einen flotten Spruch auf den Lippen trug, gut leiden. Sein pechschwarzes Haar schimmerte zwar bereits an der ein oder anderen Stelle in silberner Farbe, doch wohnte seinem Erscheinungsbild eine fast alterslose Eleganz bei.
Von Kopf bis Fuß hatte sich der breit lächelnde Mann in weißer Baumwolle eingekleidet, wodurch seine sonnengeküsste und nur leicht verknittert wirkende Haut besonders deutlich hervorstach. Ein buschiger Schnauzer unterstrich das markante Antlitz, das nun ihr direkt entgegen starrte.
»Marhaban ya fataatan«, lachte der bärtige Mann aus vollem Halse, eher er wieder fließend ins Englische wechselte und mit seinen Armen wild in der Luft hin und her wedelte. »Gut dich zu sehen, altes Mädchen. Hab mir schon gedacht, dass du dir diese Entdeckung nicht entgehen lassen willst. Komm, ich bring dich zu deinen Onkeln!«
»Shukran jazeelan, Rafik«, bedankte sich Eleanor grinsend, im Insgeheimen heilfroh, die Unterhaltung wieder in einer ihr bekannteren Sprache zu führen. Zu Anbeginn der Abenteuerfahrt hatte sie zwar so gut wie möglich das Arabische zu studieren versucht, aber am Ende lag ihr wohl die Artikulierung der grünen Insel aber deutlich besser. Deutsch, ihre eigentliche Heimatsprache, ließ sich dann wenigstens wieder mit ihren mitgereisten Verwandten sprechen.
Schnurstracks führte Rafik sein Mündel in Richtung eines großen Lochs, das inmitten einer weitläufigen Felswände klaffte. Zu allen Seiten türmte sich ein Haufen Sand, gepaart mit Schutt und Geröll, in die Luft empor.
»Lass mich raten. Ansgar ist mal wieder auf den Geschmack von Dynamit gekommen, oder?«, scherzte Eleanor in Richtung ihres Begleiters, während ihre Mundwinken zur gleichen Zeit verdächtig zu zucken begannen. »Hat er wenigstens dieses Mal mit seiner Vermutung recht gehabt? Man sollte ja meinen, dass alle guten Dinge drei sind.«
»Sagen wir es einmal so. Du wirst dir gleich selbst ein Bild von der Lage machen können«, zwinkerte Rafik ihr zu, seine Schritte wirkten zu aller Zeit zielgerichtet und genau ausgewählt. »Momentan weiß ich nicht mehr als du. Vielleicht können ja deine geschätzten Onkel etwas Licht ins Dunkle bringen!«
Bereits aus einiger Entfernung konnte Eleanor die gerade erwähnten Gestalten ausmachen. Während Robert vorsichtig den Eingang der gefundenen Höhle begutachtete, schien Ansgar hingegen tief über eine Karte gebeugt, die größten Teils ausgebreitet auf einer alten Weinkiste lag.
Zwei Brüder, vom gleichen Blute und doch besessen von unterschiedlichen Naturellen.
Robert, der Ältere, verkörperte mit jeder Faser seines Daseins einen Bilderbuch-Gelehrten. Er war von einer kleinen Statur und stets in einem adretten Anzug eingehüllt, dessen Beschaffenheit allerdings wohl eher dem letzten Jahrhundert als dem aktuellen Modebewusstsein entsprang.
Sein ergrautes Haar hatte sich mittlerweile zu einem kleinen Kranz auf dem Hinterkopf zurückgezogen und auch die Falten, die aus seinem runden Gesicht hervor stachen, sprachen bereits für ein fortgeschrittenes Alter. Einen Bart trug er nicht, denn ihr Onkel legte stets größten Wert darauf, ein rechtschaffendes Bild abzugeben.
Des Weiteren ergänzte eine Brille, hinter deren Gläsern sich kluge blaue Augen versteckten, und eine umgehängte Ledertasche das zusammen gestellte Ensemble.
Ansgar Ebertz, der jüngere Bruder, verkörperte dagegen einen Blockadebrecher der besonderen Sorte. Im Gegensatz zu seinem regelbewussten Geschwisterteil besaß der schlanke Hüne aber ein durchaus attraktives Aussehen. Sein blondes Haar, der akkurat gestutzte Dreitagebart und verwegene grüne Augen ließen bestimmt so manches Frauenherz höher schlagen - oder brachen es in nicht wenigen Fällen auch komplett entzwei.
Er schien wahrlich ein Händchen dafür zu haben, sich regelmäßig in die Bredouille zu bringen, egal ob es nun das Glückspiel, Alkohol oder feminine Bekanntschaften betraf. Doch die junge Frau hielt große Stücke auf ihn, denn er behandelte sie nicht wie eine zerbrechliche Vase, sondern forderte stattdessen ihren Intellekt und Schlagfertigkeit immer wieder aufs Neue heraus.
Anders als die heimische Gemeinschaft, die eine Heranwachsende zu aller Zeit wohlbehütet in Küche und Kirche sehen wollte. Blöderweise umging er allerdings bei jeder Zusammenkunft die Frage, mit welchen Mitteln er überhaupt sein Geld verdiente. Geflüsterte Gerüchte hatte Eleanor bereits hier und da vernommen, doch ob diese wirklich der Wahrheit entsprachen, gedachte sie lieber aus seinem eigenen Mund zu hören.
»Na, welchen Wahnsinns-Plan habt ihr Zwei nun wieder im Geheimen ausgebrütet? Ich hoffe, dass ihr an diesem Ort mehr Glück auf der Suche nach einem verborgenen Grab habt«, begrüßte Eleanor lächelnd das äußerst beschäftigt wirkende Duo.
Mit einer erhobenen Hand wischte sich die junge Frau den aufgestobenen Unrat aus dem Gesicht, ehe sie die Aufmerksamkeit der beiden Männer allmählich auf sich zog.
»Liebste Nichte«, feixte Ansgar, der sich wie auf Geheiß in die Senkrechte begab. Rasch schrubbte er seine Finger an der verdreckten Hose ab, dafür schien sein getragenes Lächeln umso frischer und natürlicher. »Gerade eben hast du einen richtigen Spaß verpasst, ich sag's dir. Es geht doch nichts über eine ordentliche Explosion!«
»Herr im Himmel", verdrehte Eleanor genervt die Augen, doch das feine Grinsen, das um ihre Lippen spielte, strafte ihren Worten allerdings Lügen, »schenk mir bitte Geduld mit den Männern. Ich werde wohl eure Faszination für die Anwendung von roher Gewalt niemals verstehen!«
»Und ich nicht die weibliche Vorliebe für solch langweilige Kleider«, beäugte Ansgar kritisch ihr Erscheinungsbild, seine Mundwinkel fielen augenblicklich um ein paar Grade in die Tiefe herab.
»Wie kannst du bei dieser Affenhitze überhaut in diesem lächerlichen Aufzug atmen? Sag mir, hast du wenigstens das olle Ding von Korsett daheim gelassen? Dieses Folterinstrument sollte wirklich mal verboten werden. Erstens sieht es furchtbar ungemütlich aus und lässt sich, wenn es schnell gehen muss, nicht leicht loslösen...«
»Bruder"« presste Robert, der nun aussah, als würde er an einem Schlaganfall leiden, mühsam über die Lippen hervor. Nervös blickte sich der Grauhaarige über seine Schulter, so als litt er unter schlimmer Verfolgungsangst. »Solche Dinge besprichst du keinesfalls mit unserer Nichte .... und ganz bestimmt nicht vor so vielen neugierigen Lauschern!«
»Entspann dich, Bruder. Mach dir nicht gleich ins Hemd«, erwiderte Ansgar leichthin, bevor er den vorgebrachten Einwand mit einer lässigen Handbewegung abwinkte. »Unsere liebe Eleanor ist kein zartbesaitetes Mädchen, das einer vorsichtigen Behandlung bedarf. Sie ist zäh, wagemutig und klug. Und abgesehen davon hat sie schon deutlich Schlimmeres mit uns Zwei miterlebt.«
Amüsiert zwinkerte er ihr daraufhin zu, eine lieb gemeinte Geste, die sich mit gleicher Intensität erwiderte.
»Da liegt er nicht falsch«, bestätigte die Brünette das eben Gesagte trocken. »Aber bevor Onkel Robert gleich vor Schreck in Ohnmacht fällt, lass uns lieber auf seine armen Nerven Rücksicht nehmen. Also, wie steht es um die aktuelle Ausgrabung? Mir scheint, dass ihr hier sogar einen Grabtunnel freigelegt habt!«
»Nun ja«, meldete sich der nervös wirkende Gelehrte unter ihnen erneut zu Wort. Während er mit zitternden Fingern seine über die Nase gefallene Brille richtete, fokussierte sich sein Blick abermals auf den schwarzen Schlund.
»Erst einmal abwarten und Tee trinken, fürchte ich. Wir müssen erst sicher stellen, dass es sich hier um einen richtigen Eingang handelt. Wie du bestimmt weißt, haben die Ägypter früher oftmals Tarn-Tunnel gegraben um Grabräuber in die Irre zu führen und von den eigentlichen Schätzen fernzuhalten...«
Nickend bestätigte sogar Ansgar das Gesagte.
»Wo er recht hat, hat er recht. Gerade eben wollten wir uns ein bisschen in die Höhle des Löwen hinein wagen. Natürlich nicht weit, denn alle dort vorhandenen Wege müssen erst auf einer Karte korrekt erfasst und katalogisiert werden. Sonst droht uns die Gefahr, dort drinnen für immer verloren zu gehen. Und das wollen wir doch ganz gewiss nicht, oder?«
»Darf ich mitkommen?«, fragte Eleanor mutig in die Runde hinein, das Gefühl von Hoffnung flammte zeitgleich in ihrem wild schlagenden Herzen auf. Genau diese Untersuchung schien wohl jenes von ihr so herbei gesehnte Abenteuer darzustellen. Eine aufregende Suche nach abhanden gekommenen Artefakten - was Besseres konnte sie sich beileibe nicht vorstellen!
Vor der blanken Finsternis fürchtete sich die junge Frau keinesfalls und auch an Geistergeschichten aus alten Tagen glaubte ihr funktionstüchtiger Verstand nicht.
Angesichts Onkel Roberts kritischer Miene musste Eleanor allerdings wohl oder übel mit überzeugenderen Argumenten aufwarten, wenn sie denn dieser spannenden Höhlenerforschung beiwohnen wollte.
»Bitte, bitte, ich hab deinen Eltern hoch und heilig versprochen, dass dir bei dieser Expedition kein Haar gekrümmt wird...«
»Sei unbesorgt, Onkel«, fuhr ihm die Brünette schnell über den Mund, damit er seine bedenkende Meinung gar nicht erst laut äußern konnte.
»Ich trage durchaus einen Kopf auf den Schultern, der eins und eins zusammen zu zählen weiß. Abgesehen davon habe ich mein Studium der Weltgeschichte mit hervorragenden Noten bestanden, sodass sich mein Wissen als große Hilfe herausstellen sollte. Und wenn ich euch Zwei begleite, dann wärt ihr beide in der Lage, stets ein Auge auf mich zu haben. Wer weiß, welchen Schabernack ich mir hier oben alleine ausdenken könnte!«
Normalerweise hasste Eleanor den Gedanke der Manipulation, doch dieses Mal blieb ihr leider keine andere Wahl. Um keinen Preis der Welt wollte sie hier oben allein gelassen werden, während sich das dynamische Duo kopfüber in ein waghalsiges Abenteuer stürzte.
»Ich, ich...«, rang Robert Ebertz sichtbar um Worte, ehe sich der unverkennbare Schleier der Erschöpfung über sein verkniffenes Antlitz ausbreitete.
Ansgar, hingegen, lachte lediglich laut auf.
Blanke Erheiterung sprach nun aus seinen funkelnden Iriden.
»Tja, da hat uns die Gute an den Eiern gepackt, was?«
Grummelnd rückte der Lehrer ein paar Falten auf seinem sandbedeckten Anzug zurecht, bevor er schließlich ergebend die Hände in die Höhe warf und aus tiefstem Herzen aufseufzte.
»Meinetwegen, du kleine Teufelin. Ich weiß, wann ich mich geschlagen geben muss. Aber wenn wir darunter gehen, dann musst du auf jeden unserer Befehle hören! Denn hierbei handelt es sich um tödlichen Ernst und nicht um eine gemütliche Exkursion. Nur eine kleine Missachtung ... du verstehst?«
»Versprochen. Ich werde mich benehmen«, schwor Eleanor aufrichtig ihren Eid, denn trotz all Vorfreude gedachte sie sich oder ihre beiden Begleiter keinesfalls in ernsthafte Gefahr zu bringen.
Urplötzlich ging ein gemurmeltes Raunen durch die Reihen der umher stehenden Arbeiter, ein beunruhigender Klang, der sich für Eleanors Ohren entschieden angsterfüllt anhörte. Schließlich trat ein mutiger Mann, trotz sichtbaren Unbehagens, ein paar Schritte nach vorne und deutete mit seinem Kinn in Richtung von Onkel Robert.
Eilig kam ihr Verwandter der gestikulierten Aufforderung nach und fand sich nur wenige Momente später in einer sichtbar erhitzen Unterhaltung wieder.
Ihr Arabisch war leider zu schlecht, als das Eleanor mehr als ein paar Brocken hätte verstehen können. Und doch glaubte sie, anhand mehrfach anklagendem Fingerzeigen auf ihr Selbst, den Gegenstand der Unterhaltung bestens zu verstehen.
Neugierig beobachtete die junge Frau, wie ihr überaus frustriert dreinblickender Verwandter schließlich mit einem Fuß auf den Boden trat, sich von dem kopfschüttelnden Mann abwandte und vor Wut schwelend zurück trabte.
»Bestimmt bringt euch meine Anwesenheit als Frau viel Unglück ein, nicht wahr? Wie könnte es auch anders sein! Im Zweifelsfall einfach dem weiblichen Geschlecht die Schuld für alles in die Schuhe schieben. Hätte doch Eva nicht in den Apfel gebissen, dann würde diese Erbschuld nicht durch unsere Ader fließen...«, spottete Eleanor, während sie zur gleichen Zeit die sich langsam auflösende Menge beobachtete. »Abergläubische Narren.«
»Nun ja«, meinte der Gelehrte, ehe er sich müde über das das Gesicht rieb, »deine Anwesenheit wurden natürlich auch angesprochen. Hauptsächlich ging es aber um einen bösen Fluch, der genau diesem entdeckten Abschnitt heimsuchen soll. Der Mann sagte zu mir, dass dieser Ort, so abgelegen von den anderen entdeckten Grabstätten, nichts Gutes bedeuten dürfte. Nadhir shum - ein schlechtes Omen.«
Schnaubend mischte sich Ansgar wieder mit ins Gespräch ein.
»Papperlapapp! Wer glaubt denn schon in unserer aufgeklärten Gesellschaft an solch veraltete Ammenmärchen? Ich ganz bestimmt nicht!«
Während die beiden Männer daraufhin in ein tiefe Diskussion verfielen, glitt die Sicht der Reiselustigen unweigerlich auf das in die Felswand gesprengte Loch. Nur wenig Sonnenlicht beleuchtete den klaffenden Eingang. Falls ein einzelner Strahl es schaffte, weiter ins Innere vorzudringen, wurde dieser gleich darauf von der dort vorherrschenden Schwärze aufgefressen.
Manchmal lagen Schatten und Licht eben dicht neben einander.
Und im Eleanors Fall deutlich näher, wie sich nur später deutlich herausstellen würde.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top