1

Panisch huschte mein Blick durch das kleine Zimmer. Nur nebenbei nahm ich das Chaos und die Scherben wahr. Verzweiflung erfüllte mich, als meine Suche erfolglos blieb. Dann hatte ich wohl keine andere Wahl.

"Mum! Wo sind meine Wanderstiefel?", rief ich, so laut meine Stimmbänder mich ließen, während ich die Scherben des Glases, welches ich vorhin fallen gelassen hatte, aufsammelte.

Ein kleines Stück drückte mir dabei unangenehm fest in den Daumen, wobei ich schmerzlich das Gesicht verzog. Doch als ich mir den verletzten Finger schon in den Mund stecken wollte um die Blutung zu stoppen, fiel mir auf, dass da gar kein Blut war. Verwirrt legte sich meine Stirn in Falten.

"Die habe ich in den Schrank im Flur geräumt.", kam die gedämpfte Stimme meiner Mutter nach kurzem Zögern.

Mit einem genervten Stöhnen raufte ich mir die Haare. Wieso kann sie nicht einfach die Finger von meinen Sachen lassen?

Seufzend riss ich meine Zimmertür auf und stürmte die Treppe nach unten, direkt auf den kleinen Schrank im Flur zu.

"Hast du sie gefunden, Frey?", meine Mutter tauchte mit einem dreckigen Lappen in der Hand neben mir auf und versuchte an mir vorbei in den besagten Schrank zu stieren. In dem Moment zog ich die Stiefel hervor, welche auf ihren jährlichen Einsatz warteten.

Stolz präsentierte ich meiner Mum die Ausbeute. Diese nickte nur und wandte sich wieder zum Gehen, wobei ihr eine ihrer blonden Strähnen ins Gesicht fiel. Ungeduldig strich sie sie zurück und warf mir einen raschen Blick über die Schulter zu.

"Stell doch die Stiefel zur Kommode, das Zelt und die Parker habe ich auch schon dort deponiert. Sobald dein Vater und Bruder vom Einkaufen zurück sind kann es losgehen!", voller Vorfreude blitzten ihre blauen Augen auf.

Ich verdrehte jedoch nur genervt die Augen. Das meine Mutter sich jedes Jahr aufs Neue so über diesen Campingtrip freute, fand ich doch etwas übertrieben. Schließlich zelteten wir lediglich ein paar Tage in den Rocky Mountains und nicht in einem Luxushotel. Nun ja, meine Familie war schon immer etwas sonderbar, was das Verbringen der Freizeit anging. Mein Vater zog es zum Beispiel vor, uns das Spurenlesen beizubringen anstatt ins Kino zu gehen oder einen Vergnügungspark zu besuchen.

Mich störte dies jedoch nicht. Schon von klein auf hatte ich gelernt, die Natur zu respektieren und zu achten. Schließlich gab es nur diese eine Erde auf der wir lebten, da sollte man etwas nachsichtiger mit den Ressourcen und Tieren umgehen, als wir es zur Zeit taten.

Die trüben Gedanken an das rücksichtslose Verhalten der Menschheit verdrängend gesellte ich mich zu Mum in die Küche, nachdem ich die Schuhe an ihrem vorgesehenen Platz verfrachtet hatte. Wir schlugen die Zeit bis zum Eintreffen der Männer mit inhaltlosem Geplänkel tot.

"Und seid ihr bereit für die Wanderung?", fragte mein Vater während er den Kopf in die Küche steckte. Was für unsere kleine Familie eine 'Wanderung' war, entsprach bei gewöhnlichen Menschen, die ihre Freizeit mit Freunden und Alkohol verbrachten, einem einzigen Höllenmarsch. Bei diesem Gedanken musste ich ein Lachen unterdrücken. In dem Moment kam Dad gefolgt von meinem kleinen Bruder Sam mit sichtlicher Vorfreude in die Küche gestapft.

Letztes Jahr hatte ich eine Freundin überzeugt, uns doch zu begleiten. Meine Absicht war es eigentlich, sie von den Vorteilen, die ein paar Tage elektronikfreier Zeit mit sich brachten, zu überzeugen. Tja das Ergebnis war, dass Chris nach zwei Tagen schreiend aus dem Camp gerannt war und sich geweigert hat zurückzukehren, da ihr Sam eine Schnecke neben ihr Kopfkissen gelegt hatte. Das war dann das erste und letzte Mal, dass ich jemanden mit auf unsere speziellen Ausflüge genommen hatte.

"Na klar!", erwiderte ich mit einem breiten Grinsen und richtete das Wort an den Elfjährigen vor mir.

"Und dieses Jahr schaffe ich es endlich, dich beim Fährtenlesen zu schlagen.", spielerisch wuschelte ich Sam durch das blonde Haar. Dies quittierte er bloß mit einem genervten Seufzen und verdrehte gespielt böse seine stahlblauen Augen, bevor sich ein kleines Lächeln auf sein pausbäckiges Gesicht stahl.

"Dann lasst uns doch nicht so rumstehen! Kommt, jeder nimmt einen Teil der Sachen und dann geht's auch schon ab in die Berge.", während Mum Befehle erteilte, eilten wir schon zur Haustür. Ich konnte mir nichts schöneres, als diese paar entspannten, naturbelassenen Tage mit meiner Familie vorstellen.

Wäre da nicht der Nebel gewesen.

Er lag bereits seit ein paar Tagen über dem Land. Unser kleiner Volvo versuchte sich durch das undurchdringliche Grau zu kämpfen doch durch die beschränkte Sicht, hielt sich unser Fortschritt in Grenzen, ebenso wie unser Tempo.

"Wenn wir so weitermachen sind wir ja nächstes Jahr noch nicht da!", meckerte Sam neben mir und sah die graue Masse vor seinem Fenster anklagend an. Ich nickte nur stumm und versuche ein paar Bäume in der Ferne auszumachen.

Doch es gelang mir nicht und langsam schnürte mir Panik die Kehle zu. Ich hasste Nebel. Dieses einengende Gefühl, als würde man jeden Moment von einer Welle aus Nichts überrollt. Schon als kleines Mädchen hatte ich panische Angst vor den Schwaden, was sich über die Jahre eher verschlimmert als gebessert hatte. Gänsehaut breitete sich auf meinen Armen aus und nervös versuchte ich meine Augen vom Fenster zu lösen.

"Mum, kannst du das Radio anmachen?", bat ich so ruhig wie möglich und hoffte, dass mich Musik etwas ablenken würde.

Sofort begann meine Mutter an dem besagten Gerät rumzuhantieren.

"...bereits unzählige Leute vermisst. Es scheint, als würden überall dort, wo der Nebel hinwandern, die Menschen verschwinden. Allein in den letzten beiden Tagen gingen acht Vermisstenmeldungen bei der örtlichen Polizei ein. Bei möglichen Hinweisen auf den Verbleib der nachfolgenden Personen bitten wir um sofortige Verständigung des ortsansässigen Amtes. Peter McGonagal, Nancy...", den Nachnamen dieser Nancy würde ich wohl nie erfahren, da in diesem Moment die monotone Stimme des Nachrichtensprechers durch ein statisches Rauschen ersetzt wurde.

Ich wurde hart in meinen Sicherheitsgurt gedrückt, als mein Dad mit ganzer Kraft auf die Bremse trat und so der Wagen schlitternd zum Stehen kam. Verwirrt sah ich nach vorne und verschluckte mich beinahe, als ich das riesige Loch erblickte, das mitten oder besser gesagt anstatt der Straße vor uns klaffte.

Was zum Teufel ist hier denn passiert?

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top