Nebel

Ich war es nicht gewohnt, auf etwas hartem zu liegen. Als ich aufwachte, schmerzte mein ganzer Körper. Das war ich noch weniger gewohnt. Ich wusste, menschliche Körper waren vergänglich und schwächer als die unseren, doch hätte ich mit Schmerzen dieses Ausmaßes nie gerechnet. Mir war nie klar gewesen, was Schmerz ist. Jetzt lernte ich ihn kennen. Und es war grauenhaft.

Ich versuchte, mich hochzustemmen, doch entrann meiner Kehle nur ein Wimmern. Ich war schwach. Zu schwach. Stattdessen versuchte ich also meine Augen zu öffnen. Mein Blick war unklar, verschwommen und ich fühlte mich, als würde ich in eine Vision von Runa schauen; alles schien von weiter Ferne zu kommen. Hätte ich gewusst, wie schwach menschliche Körper waren, hätte ich mir eine andere Gestalt ausgesucht.

Doch hätte das irgendwas geändert?

Das erste was ich aber wahr nahm war rot. Alles war rot. Ich realisierte erst später, dass das Rot von der Wand kam, die ich anstarrte. Benommen strich ich darüber. Es war rau. Sandig. Steinig.

Es war also eine rote steinerne Wand. Aber je weiter ich sie anschaute, desto mehr dämmerte mir, dass sie nicht künstlich errichtet worden sein kann. Sie war dafür zu rau und zu uneben. Und ich sah keine Spalten und keinen Mörtel.

Merkwürdig.

Ich lag noch eine Weile so. Sehr auf meinen Atem konzentriert, versuchte ich so ruhig zu bleiben wie möglich. Ich konnte es mir in meinem jetzigen Zustand nicht erlauben, noch schwächer zu sein. Oder schwächer zu wirken. Dadurch ging es mir nach und nach auch besser und meine Sicht wurde allmählich klarer.

„Iss," ertönte plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich langsam um, sodass man mir meine Schmerzen nicht allzu gut ansah. Also ich meinen Kopf in die Richtung gedreht hatte, sah ich als erstes eine Gestalt. Sie war ganz in Rüstung gekleidet und hatte das Visier runtergeklappt. Es war unmöglich das Gesicht zu sehen, geschweige denn zu bestimmen, welcher Rasse die Gestalt angehörte. Das einzige, was ich feststellen konnte, war, dass die Gestalt weiblich war. Sie hatte eine sehr schlanke und großgewachsene Figur. Ihre Stimme war rau wie ihr Tonfall, aber jung. Wäre sie ein Mensch gewesen, hätte sie nicht älter als dreißig sein können.

Ich blickte also auf den Boden. Meine Zelle wurde von Gitterstäben eingegrenzt. Aber zwischen zweien hatte man eine kleine Klappe eingebaut. Man hatte mir wohl Essen und eine Schale Wasser dadurch reingeschoben. Ich hatte es nicht gehört.

„Iss, hab ich gesagt," wiederholte die Gestalt.

Was erlaubte sie sich eigentlich so mit mir zu reden?

Ich schaute sie noch ein paar Momente an. Sie stand stramm mit einem Speer in der Hand vor meiner Zelle, als würde sie mich damit zwingen, das Brot und das gekochte Gemüse runterzuwirgen, sollte ich es nicht freiwillig tun. Und dabei konnte ich nicht mal ihr Gesicht sehen.

Und dann kam mir auf einmal ein anderer Gedanke, der mein Herz kurz stehen lassen ließ.

Sie müssen wissen, dass ich keine Magie mehr besitze.

Ich spürte... nichts. Keine andere Magie. Hätten sie gedacht, dass ich noch Kräfte besitze, hätten sie mich nie in eine gewöhnliche Zelle gesperrt. Und meine Wärterin hätte vielleicht nie so mit mir gesprochen.

Obwohl... Bei ihr bezweifelte ich das.

Nach kurzem Zögern kroch ich in Richtung der Schale. Egal wie ich mich auch anstrengte, aber ich kam nicht drum herum, mein Gesicht in Schmerz zu verziehen.

Ein höhnisches Schnauben verklang im metallischen Kopfschutz meiner Wärterin.

„Wirst du mir von nun an Gesellschaft leisten?", fragte ich sie, als ich meine spärliche Mahlzeit erreicht hatte.

Sie schnaube nochmal. Aber diesmal hörte es sich wie Verachtung an, die aus ihr sprach. „Ich habe Befehle. Und als "Gesellschaft leisten" würde ich das nicht bezeichnen." Den letzten Satz spuckte sie mir förmlich vor meine Knie. „Glaub mir, Mensch, ich hätte tausende Sachen lieber gemacht, als hier in diesem Loch bei dir zu versauern."

Mensch.

Ich bin kein Mensch.

Ich war nie ein Mensch.

Vielleicht wusste sie das ja nicht. Vielleicht wusste sie nicht, wer ich wirklich war.

Lächerlich. Das konnte nicht sein.

In diese Gedanken vertieft nahm ich das Brot in die Hand. Es war weder frisch, noch sehr alt. Es war etwas trocken, während die Kruste genauso weich war wie der Rest des Brotes. Das Gemüse war genauso lieblos ausgewählt worden. Möhren mit Kartoffeln und Sellerie. Es wirkte, als hätte man mir die Reste vom letzten Mittagessen und das Wurzelgemüse der Suppen vor die Füße gelegt.

Aber hatte ich was anderes erwartet?

Nicht wirklich.

Ich war es nicht gewohnt. Wie alles andere.

Als ich versuchte die Möhre zu greifen, zerfiel sie in der Mitte. Frust überkam mich. Bis jetzt hatte ich... nichts gefühlt. Keine Gefühle. Es war, als hätte man nun eine Glasglocke von meinem Kopf genommen und die Realität überkam mich mit schrecklicher Wucht. Wie eine Welle, die mich wach gespült hatte. Und doch war mein Verstand nicht so klar, wie er es normalerweise in meiner eigentlichen Form ist. Ein Nebel, der sich lichtete, aber nie ganz verschwand. Ich wusste nun nur wenige Dinge. Ich war gefangen. Ich war allein. Allein unter Leuten, die mich vorher über ein Schalchtfeld gejagt hatten. Wie ein Tier. Ein Tier auf einer Treibjagd.

Sollte ich weinen? Wütend sein?

Fühlte sich so Ungewissheit an?

Es war ein schreckliches Gefühl. Nicht zu wissen, was jetzt passiert oder passieren könnte, keinen Einfluss zu haben.

Machtlos zu sein.

Es war ein ekelhaftes Gefühl. Ich fühlte wie ein Mensch. Wie hielten sie das nur aus? Arme Geschöpfe.

„Wird's bald, oder muss ich dir das in den Rachen stopfen?"

Ihre Stimme ließ mich hochschrecken, doch riss ich mir leicht meine Augen auf und starrte sie an. Jetzt verspürte ich noch etwas, was ich zuvor nie gespürt habe. Ein Verlangen. Ein Verlangen, zu wissen.

„Warum bist du denn so erpicht darauf, dass ich etwas esse?"

Ich konnte immernoch nichts sehen, aber ich meinte in ihrer Stimme zu hören, dass sie ihr Gesicht zu einem schmutzigen Grinsen verzogen hatte.

„Das wirst du noch fühlen."

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