4. Kapitel

The  Greatest

Mein Kopf lag schwer auf dem zerknautschten Kissen. Ich öffnete meine Augen und für mehrere Momente sah ich erst mal gar nichts, wie das immer ist nach dem Aufwachen. Aber dann wurde der Raum um mich herum klarer und nahm Form und Farbe an. Lee lag noch schlafend im Bett. Langsam setzte ich mich auf und sah mich müde um. Die Gardinen vor dem Fenster waren zugezogen, daher konnte ich nicht erkennen, ob es schon hell draußen war. Mein Handy-Bildschirm zeigte mir 7:47 Uhr. Leise stand ich auf und schlich auf leiden Fußsolen in das angrenzende Badezimmer. In einem kleinen Schrank war ein Stapel Handtücher. Lee hatte mir früher immer gesagt, ich solle mir einfach ein Handtuch zum duschen nehmen und das tat ich jetzt auch.

Das lauwarme Wasser rann an meinem Körper herunter und perlte von meiner Haut ab. Wasser aus meinen Haaren tropfte in meine Augen und ich wischte es fort. Meine Haare hingen mir triefend den Rücken herunter und als ich das Wasser auschaltete, klebten sie sich an mir fest. Seufzend griff ich nach einem Shampoo, was ich vor ein paar Wochen hier vergessen hatte und öffnete die Tube. Es gab ein ordentliches Schmatzen, als ich mir etwas von dem Shampoo in die Hände drückte und in meinen Händen verteilte. Angeekelt verzog ich das Gesicht und eine Gänsehaut breitete sich auf meinem gesamten Körper aus. Solche Töne waren die schlimmsten. Da kam auch kein Nägel-an-Tafel-kratzen, oder das Geräusch, wenn Schuhe auf dem Boden quietschten, drüber.

Nachdem ich meine Haare mit Shampoo eingerieben hatte, schaltete ich das Wasser wieder an und spülte es raus. Auf dem Boden der Dusche sammelte sich Schaum und ich sah zu, wie dieser sich nach und nach auflöste und im Abfluss verschwand. Dann schaltete ich das Wasser ab, stieg aus der Dusche und wickelte mich in das Handtuch. Mein Blick glitt durch das Badezimmer und blieb an der Kloschüssel hängen. Etwas rotes klebte von innen daran. Ich trat näher und betrachtete es genauer.

Dann, Realisation.

Blut.

Mein Herzschlag beschleunigte sich Augenblicklich. Warum war da Blut in Lee's Toilette? Was war passiert und warum war es mir vorhin nicht schon aufgefallen? Schnell zog ich mich an und verließ das Bad. Suchte mit meinen Augen das Bett ab, aber sah Lee nicht. Auch sonst nirgendwo im Zimmer. Panisch sah ich mich um und ging zur Tür. Unten hörte ich aufgeregte Stimmen. Langsam ging ich in den Flur und - ehrlich, ich wollte nicht lauschen - hörte Stimmen aus der Küche von unten. „Du muss damit zum Arzt, Schatz! Lass dich doch einfach behandeln!", das war eindeutig Zanele. Ihre Stimme zitterte und es hörte sich so an, als kämpfte sie mit Tränen. Ich hörte jemanden antworten. Lee. Die Stimme erkannte ich überall. „Das bringt eh nichts! Der Arzt hat gesagt, das bringt so lange etwas, wie ich das jeden Tag mache, ich will mich aber nicht einschränken lassen um am Ende vielleicht 3 Monate mehr zu haben in denen ich im Bett liege." In meinem Kopf drehte sich alles. Wovon redeten die denn? „Lee, Schatz, ich... Du nimmst so viel ab in letzter Zeit und du... Ich kann das nicht mit ansehen, das bricht mir das Herz!" Jetzt weinte sie wirklich. Ich bewegte mich weiter die Treppen herunter. An einer Stelle knarzte es, was mich erschrecken ließ. Überrascht hüpfte ich eine Stufe weiter.

„Hope, Guten Morgen!", sagte plötzlich jemand hinter mir. Ich drehte mich erschrocken um. Hinter mir stand Michael und lächelte mich an. Ich konnte nicht anders, als zurück zulächeln. Er ging an mir vorbei in die Küche und ich folgte ihm. „Guten Morgen, ihr Lieben!", begrüßte er seine Familie und drückte Lee einen Kuss auf den Kopf. Bei diesem Bild bogen sich meine Mundwinkel augenblicklich erneut nach oben. Das war diese rund um perfekte Familie, dich ich immer ein bisschen beneidet hatte. „Ah, Hope! Frühstückst du mit uns?", fragte Zanele freundlich. Ich zuckte hilflos mit den Schultern. „Ich bitte darum!", Lee zog mich mit zum Esstisch und drückte mich auf einen Stuhl.

Ich war gerade dabei mir ein Brot zu schmieren, als mein bester Freund mir eine unerwartete Frage stellte. Er sah gerade auf seinen leeren Teller und blickte mich dann an.  „Willst du eigentlich deinen Führerschein machen?". Irritiert sah ich ihn an und legte dann den Kopf schief. Darüber hatte ich mich mir bisher keine Gedanken gemacht. Wieso auch? Führerscheine kosten extrem viel Geld. Geld, das ich nicht hatte, Geld, das meine Mutter nicht hatte. Das hatte bisher nie eine Rolle gespielt. „Hab ich noch nicht so drüber nach gedacht, muss ich ehrlich sein", antwortete ich ihm also und biss von meinem dritten Brot ab, während er noch immer sein erstes Brot vor sich liegen hatte. „Denk mal drüber nach. Wir würden ihn dir auch bezahlen, weil ich... ich brauch keinen.", murmelte er und fuhr sich durch die Haare. Ich bin mir nicht sicher ob ich mir das nur einbildete, aber seine Hand zitterte leicht. „Mum, ich... ich würde mal kurz auf die Toilette gehen. Ich komme gleich wieder", damit sprang er geradezu auf und verließ fluchtartig den Raum. Obwohl er mir wahrscheinlich nicht auffallen sollte, entging mir der besorgte Blick zwischen Zanele und Michael nicht. Dann stand Michael auf und begann den Tisch abzuräumen. Er ging mit einem Stapel Teller in die Küche und tauchte nicht mehr auf.

Mit leicht schief gelegtem Kopf sah Zanele mich an und wir unterhielten uns kurz über die Schule, aber irgendwie hatte ich das Gefühl bekommen, dass ich gerade eher störte, also verabschiedete ich mich und sagte Zanele, sie solle Lee von mir grüßen, weil dieser immer noch auf der Toilette war als ich ging. Ich schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr nachhause. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen, welches mich den gesamten Sonntag begleitete, egal was ich tat. Als ich abends ins Bett ging, schrieb ich Lee ob wir telefonieren könnten. Er antwortete nicht. Also machte ich die Augen zu und versuchte einzuschlafen.

Mein Wecker klingelte. Ich setzte mich auf und schaltete ihn aus. Es war nicht so, als würde ich seit Stunden auf dieses Geräusch gewartet haben. Ich hatte natürlich nicht, die halbe Nacht wach in meinem Bett gelegen und darauf gewartet auf zu stehen. Nein, das wäre ja wahnsinnig. Ich drückte mich aus dem Bett und lief durch mein Zimmer zum Bad. Ich wusch mein Gesicht, putzte meine Zähne und machte meine Haare. Meine Stimmung hob sich nicht. Als ich mich im Spiegel betrachtete, sah ich mir das auch an. Ich hatte Schatten unter den Augen und sah aus, wie eine wandelnde Leiche. Seufzend griff ich nach meinem Concealer. Ich hasste es eigentlich. Ich hasste es, mich zu schminken. Dafür tat ich es aber viel zu oft. Warum, wusste ich selber nicht.

Ich wollte etwas essen, bevor in die Schule fuhr. Lee hatte mir geschrieben, dass er heute nicht in die Schule kommen würde, also startete der Tag nicht grauenvoll, sondern er würde auch grauenvoll weiter gehen. Ich öffnete den Kühlschrank und holte eine Joghurt heraus. Während ich durch Instagram scrollte und mich über die teilweise dämlichen Beiträge aufregte, aß ich den Joghurt auf und warf die Packung in den Müll. Dann zog ich mir meinen Rucksack an und verließ das Haus. Viel zu schnell kam ich an der Schule an. Ich parkte mein Fahrrad und stiefelte alleine zum Matheraum. „Guten Morgen!", begrüße mich die Mathelehrerin Mrs. Davis, „Bist du heute alleine? Ist Lee krank?" Ich nickte und sagte: „Es geht ihm nicht gut, meinte er." Sie nickte, als wüsste sie, wovon ich redete. „Wenn das so ist, kannst du nachher Lee's Klausur mitnehmen? Das wäre sehr hilfreich!", sie schaute mich durchdringen an. „Klar, kann ich machen! Ich fahre nachher eh noch bei ihm vorbei", das war zwar nicht gelogen, jetzt würde ich halt bei ihm vorbeifahren, aber vorgesehen hatte ich es nicht. Ich wollte eigentlich nachher ins Schwimmbad gehen.

„So, Hope, hier ist deine Klausur! Ich gebe dir auch direkt die von Lee mit, ja?", Mrs. Davis legte mir zwei Mappen auf den Tisch. Auf der einen Mappe stand mein Name, auf der anderen der von Lee. Ich öffnete meine Mappe und blätterte bis zu der Note. Ein A+ leuchtete mir entgegen. Wie immer. Mit roten Stift stand ein 99 Punkte, gut gemacht! auf den Blatt. Meine Mundwinkel zogen sich kurz nach oben. Ein Punkt fehlte mir, um 100% zu erreichen! Ein verdammter Punkt! ich zog die Stirn in Falten und betrachtete den Noten Spiegel. Es gab mehrere F's und D's. Aber nur zwei A's. Eines davon war ich.

„Yeees!", schrie plötzlich einer von den Jungen hinter mir. ich drehte mich leicht um, um zu sehen, was so toll war. „Ich hab ein A- geschafft! Jungs, das heißt wir können wieder zusammen Football spielen!", jubelte er wieder. Ich drehte mich um und verdrehte die Augen. Natürlich freute ich mich für ihn, aber man muss ja nicht gleich so übertreiben. Plötzlich ratterte mein Kopf. Mein Blick glitt zu Lee's Mappe. Wenn es nur zwei A's gab, dann hatte Lee kein A und das wäre das erste Mal seit der ersten Klasse, dass er kein A in Mathe schrieb. Verwirrt zog ich die linke Augenbraue hoch. Es ging mich zwar nichts an, aber ich hatte mit Lee gelernt und ich hatte eigentlich erwartet, dass er, weil er es mir erklären konnte, es selbst besser verstanden hätte als ich. Naja, jeder hatte mal einen schlechten Tag. Selbst Lee.

Ich war dabei, die Mappen in meiner Tasche zu verstauen, als ein Blatt heraus rutschte und auf den Boden fiel. Schnell hob ich es auf und drehte es um, damit ich sehen konnte, wem von uns beiden das Blatt gehörte. Stattdessen blieb mein Blick bei der Note hängen. Mein Magen drehte sich um, als ich sie sah. F stand in der Ecke und daneben ein Text. Eigentlich durfte ich den Text garnicht lesen, aber irgendwie war es so verlockend. „Was war denn da los? Wollen wir da nochmal drüber reden? Weil im Unterricht hast du das Thema ja immer verstanden, oder liege ich da falsch? Jedenfalls glaube ich nicht, dass du das nicht wieder aufholen könntest! Streng dich an, dann kann es dieses Schuljahr noch etwas werden!" Ich zog die Stirn in Falten. Das selbe, was sich Mrs. Davis fragte, fragte ich mich auch. Gedanken verloren legte ich das Blatt Papier zurück in seine Mappe und steckte beide Mappen in meine Tasche.

Ich saß in der Cafeteria und starrte missmutig auf mein Essen. Die Hälfte des Schultages war rum und ich vermisste Lee unglaublich. Es war einfach doof ohne ihn in der Schule. Ich vermisste seine Kommentare im Unterricht, die mich sonst durch den Tag brachten, ohne dass ich einschlief. Und ja, manchmal war einer von uns krank gewesen, aber schon seit Jahren, waren wir nicht mehr, nicht gleichzeitig krank gewesen. Außerdem kamen wir mit einem leichten Husten im normal Fall zur Schule. Nicht wie Lauren, die sich schon mit dem leichtesten Schnupfen aus der Schule abholen ließ. „Hey, ist hier noch frei?", fragte eine ruhige Stimme. Ich nickte nur, blickte aber nicht auf. Die Person setzte sich gegenüber von mir hin und begann zu essen. ich ignorierte es. „Sitzt du hier immer so alleine?", fragte die Person auf einmal. Konnte man mich nicht mal in Ruhe essen lassen? Genervt sah ich auf und blickte in zwei unglaublich grüne, schöne Augen. Sie gehörten einem Jungen, den ich nur vom sehen kannte. Er hatte letztes Jahr an unsere Schule gewechselt, von einer Elite-HighSchool in Kalifornien hier hin. Auf die andere Seite des Landes, in einen winzigen Vorort einer nichtmal so großen Stadt, an eine winzige HighSchool, wo die Schüler nichts besseres zutun hatten, als über alles und jeden zu reden, was neu oder seltsam war. Es musste schrecklich für ihn gewesen sein. Wobei ich mir nicht sicher war, ob er gemerkt hatte, wie sich ein halbes Jahr alle Gespräche auf dem Flur nur um ihn gedreht hatten. Er wirkte auf mich nicht besonders schlau, obwohl ich das natürlich nicht beurteilen konnte, er ging in einen Jahrgang über mir. Dafür das er nicht so schlau aussah, sah er unglaublich gut aus. Das musste selbst ich zugeben. Er hatte einen leicht gebräunten Hautton, braune Haare, die so aussahen, als hätte er sie Ewigkeiten gestylt, damit es so aussah, als wären sie verstrubbelt, hohe Wangenknochen und volle Lippen. „Ne, eigentlich sitze ich hier immer mit meinen ach so tollen und vielen Freundinnen. Die wollten nur heute lieber zu den Einhörnern auf dem Schulhof", meine Stimme triefte nur so vor Ironie, als ich ihm antwortete. Ich weiß nicht, ob ich es mir einbildete, aber um seine Mundpartie zuckte es. Dann zog er eine Augenbraue hoch und sah mich skeptisch an. Dann blickte er auf mein essen. „Isst du überhaupt?", erkundigte er sich. Demonstrativ steckte ich mir eine Gabel in den Mund und begann zu essen. Das brachte ihn wohl zum schmunzeln. „Oke, aber wenn deine ach so tollen Freundinnen jetzt bei den Einhörnern sind, warum bist du dann nicht da?", er sah mich skeptisch an. Ich sah ihn entrüstet an: „Hast du denn nichts aus Harry Potter gelernt? Einhörner sind nicht ansatzweise so wunderbar, wie sie scheinen!" ich legte meine Gabel auf den Tisch und er sah mich belustigt an. „Naja, eigentlich sind die da doch nur als scheu beschrieben, oder nicht?", er überlegte noch kurz aber sagte nichts mehr. Ich schüttelte den Kopf über dieses Halbwissen. „Ganz dünnes Eis", kommentierte ich nur und trank einen Schluck. Das Wasser schmeckte widerlich und angewidert verzog ich das Gesicht. „Aber mal ehrlich, warum sitzt du alleine?", wollte er erneut wissen. In meinem Bauch zog sich etwas zusammen. „Gegenfrage: Warum sitzt du alleine bei mir und nicht bei deinen Freunden?", erwiderte ich. Er zog seinen rechten Mundwinkel hoch und grinste: „Gute Frage, nächste Frage! Wieso bist du mir bis jetzt nicht aufgefallen?". Mein Kopf zerplatze fast. Der Typ nervte mich. Okay, ja, er spielt im Baseball Team unserer Schule, als einer der besten Spieler, die wir je hatten, ist bestimmt der heimliche Mädchen Schwarm von mindestens der hälfte der Mädchen (und Jungen) hier und so, aber bitte, konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Ich musste nicht antworten. Ich könnte ihn einfach ignorieren, so wie ich es mit den meisten Menschen tat. Aber nein. Mein verdammter Kopf wollte nicht auf mich hören. „Keine Ahnung. Ich bin die, die immer mit dem übertrieben gut aussehendem Typen unterwegs ist, dem so nervige Mädchen ständig hinterher laufen. Vielleicht hast du uns ja schon mal gesehen", antwortete ich ihm, schon wieder mit, vor Sarkasmus triefender Stimme. Er verzog das Gesicht. „Aha", machte er nur sah mich aufmerksam an. Irgendwie war mir die Situation total unangenehm. Ich hasste Menschen im Allgemeinen und er war jetzt nicht unbedingt die Gruppe von Leuten, mit denen ich mich gerne abgab. Hoffentlich merkte er nicht, dass ich immer kleiner in meinem übergroßen Hoodie wurde, während er mich musterte. Mir stieg das alles zu Kopf und ich musste einfach hier raus! „Ich glaub ich geh jetzt. Tschüß!", ratterte ich so schnell, das er mich unmöglich verstanden haben konnte runter und sprang fluchtartig auf, krallte mir meine Sachen und lief aus der Cafeteria.

Nach dem Unterricht war ich ausnahmsweise mal eine der Ersten, die den Raum verließ. Ich hastete zu meinem Fahrrad und schloss das Schloss auf, dann schwang ich mich darauf und fuhr im Eiltempo zu Lee's Haus. Der Weg kam mir viel länger vor, als sonst, was aber garnicht sein konnte. Es hatte sich ja nichts verändert. Und dann stand ich endlich vor seiner Haustür und klopft. Vermutlich hätte ich ewig weiter geklopft, wenn Michael mir nicht die Tür geöffnet hätte. „Ah, Hope! Schön, dass du vorbeikommst. Lee ist oben", begrüßte er mich. Ich trat lächelnd ein. „Wie geht's dir?", fragte er und klopfte mir auf die Schulter. „Ganz gut", antwortete ich müde und streifte mir die Schuhe ab. „Willst du was trinken?", wollte er wissen und ich schüttelte den Kopf. „Ich kann leider nicht so lange bleiben, ich muss nachher noch trainieren!", entschuldigend zuckte ich mit den Schultern. „Ach, alles gut! So, ihr meldet euch, wenn was ist, ja? ich gehe wieder arbeiten. Ich mach heute Homeoffice, aber ich kann nicht so lange fehlen", entschuldigte er sich und ich nahm das als Zeichen nach oben zugehen und an Lee's Türe zu klopfen. „Hey!", sagte ich ruhig und öffnete die Türe. Er lag in seinem Bett und sah zu mir auf, als ich den Raum betrat. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Er war blass und sah seine Augen hatten den sonst immer präsenten Glanz verloren. Ich hasste es ihn so zu sehen und es schmerzte in mir, schon alleine bei dem Anblick von seinem kranken Körper. Ich wollte aber nicht, dass er sah, wie ich mich innerlich fühlte. Er hasste Mitleid. Schon früher hatte er sich dagegen gesträubt und war sauer geworden, wenn er hinfiel und ich ihm sagte, dass er mir leid tat. Seit dem hatte ich mir angewöhnt, ihm das nicht so offen zu zeigen.

„Hi", machte er und grinste mich leicht an. Ich sah, wie er sich aufzusetzen versuchte und nach dem Wasserglas auf seinem Nachttisch griff. Er begann zu trinken und verzog das Gesicht. „Wie geht's dir?", fragte ich und Ohrfeigte mich selben Moment selbst dafür. „Scheiße", er lachte und spielte es runter, aber wenigstens hatte er ehrlich geantwortet. Ich zog seinen Schreibtischstuhl heran und ließ mich darauf nieder. Dann zog ich seine Arbeitsmappe und noch einige weitere Blätter heraus und legte sie auf seinen Nachttisch. Er lachte nur trocken und sagte: „Die Mathearbeit kannst du vergessen! Das war kompletter Schwachsinn, dass weiß ich selber." Ich lachte nicht, aber zwang mir ein Lächeln auf. Irgendwas war nicht richtig. ich stand auf und ging langsam durch das Zimmer und strich im Vorbeigehen über einige Poster und musste dann doch ehrlich lächeln. „Und dir?", fragte er plötzlich.

Hä? „Wie geht's dir?", wiederholte er seine Frage. Ich zuckte nur mit den Schultern. „Ich bin nicht die Kranke", murmelte ich und drehte mich zu ihm um und sah ihn wieder an. „Ey! Mich interessiert das!", schmollte er und schob seine Unterlippe vor. Ich betrachtete ihn, wie er so da lag und antwortete ihm dann doch: „Gut, obwohl es echt langweilig ohne dich ist." Obwohl es nicht die ganze Wahrheit war, stimmte es in teilen. Ich war müde, fertig mit der Welt und wollte mich endlich mit etwas ablenken! Ich wollte ins Wasser! Das Springen von Turm und das Schwimmen beruhigte mich auf einer anderen Ebene, als alles andere auf dieser Welt. Wobei das nicht ganz stimmte. Lee beruhigte mich meistens so sehr, wie das schwimmen auch. Trotzdem brauchte ich diesen Adrenalin-Kick, wenn ich von dem Sprungbrett sprang. Da war es egal, ob es das Dreier, Fünfer oder Zehner war. „Gehst du heute noch ins Schwimmbad?", riss Lee mich aus meinen Gedanken. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er viel zu oft einfach in meinen Kopf gucken konnte. Er laß in mir, wie in einem offenen Buch. Manchmal war das okay, aber nicht so oft, wie er es tat. Langsam nickte ich und versuchte dabei seinem Blick auszuweichen. „Hey, Hope! Guck mich an!", befahl er mir. Verzweifelt sah ich ihn an. Ich konnte ihn nicht alleine lassen! Das wäre doch Verrat! Wir sollten uns hier hin setzen und zusammen einen Film schauen! Das wäre viel besser! „Hope, es ist okay! Ich wollte eh noch schlafen und wenn du fertig bist, kommst du einfach hier vorbei, in Ordnung?", versuchte er mich zu beruhigen. Ich hatte garnicht bemerkt, wie schnell meine Atmung geworden war. Lee legte beruhigend seine Hand um mein Handgelenk. Es half tatsächlich. ich wurde wieder ruhiger und nickte dankbar. Ich brauchte das Schwimmen jetzt um runter zu kommen. Nach der Schule und so. Viele Menschen auf einem Fleck hatten mich schon immer gestört und machten mich fertig. Es war nicht die Lautstärke, wie viele dachten. Das ergäbe keinen Sinn, da ich ja auch Musik auf „viel zu lauter" Lautstärke hörte und dabei störte es ich auch nicht. Ich konnte aber ehrlich gesagt nicht sagen was es war, ich hatte einfach wirklich keine Lust auf viel Kontakt mit anderen Menschen, wenn ich sie nicht, so wie beispielsweise Lee, zu meiner engen Gruppe Menschen zählte. Mum hatte es früher „Mein Rudel" genannt, aber irgendwann damit aufgehört.

Jetzt stand ich auf dem Sprungturm und schloss genießerisch die Augen. Die Schwimmhalle war fast komplett leer und auch in dem Becken unter mir waren keine Personen. Ich stand mit dem Rücken zum Wasser und ließ mich fallen. Mit kompletter Körperspannung und geradem Körper, begann ich mich in der Luft um mich selbst und im Kreis, wie bei einem Salto zu drehen und tauchte mit dem Kopf zuerst ins Wasser ein. Es war ein unglaubliches Gefühl. Glücklich gab ich mich dem Wasser hin und tauchte weiter ein. Als ich nach einiger Zeit wieder auftauchte, war es, als würde ich meinen Safeplace verlassen. Ich zog mich den Beckenrand hoch und vermisste Lee, der sonst immer etwas zusagen hatte. Ich lief zu der Leiter und kletterte hoch. Es ging immer höher. Hoch auf den 10er. Ich blieb hinten stehen und schloss die Augen, bevor ich los rannte und mich einfach fallen ließ. Mein Körper begann zu tanzen. Ich liebte dieses Gefühl, dieses Gefühl, dass die kurze Schwerelosigkeit bei mir auslöste. Viel zu schnell war ich wieder im Wasser. Lautlos drang ich durch die Wasseroberfläche und war von Wasser umhüllt.

Ich sah auf die Uhr des Schwimmbads. Wir hatten kurz vor sechs und bevor ich zu Lee fuhr, wollte ich nochmal zuhause vorbei fahren. Geschafft zog ich das Handtuch aus meiner Tasche und begann mich abzutrocknen. Dann Band ich meine Haare zu einem lockerem Dutt zusammen und zog mich schnell um. Dann schnappte ich mir meine Sachen und verließ das Gebäude, dass mir viel zu oft Trost spendete. Beim Rausgehen verabschiedete ich mich von der alten Dame, die immer am Empfang saß. Soweit ich mich erinnern konnte, war sie schon immer da gewesen. Ich zog meine alte Rübe von den Ständern weg und achtete beim aufsteigen darauf, das ich den Gepäckträger nicht mit abriss. Eigentlich bräuchte ich ein neues, aber Mum sagte mir ständig, so lange es mir nicht aus einanderfällt, komme ich mit dem Fahhrad noch aus. Ich trat in die Pedale und fuhr los.

Bei mir zuhause angekommen, schloss ich die Haustür auf und betrat den Flur. Sobald ich eingetreten war, hörte ich, dass das Telefon klingelte. Mit schnellen Schritten war ich in der Küche und nahm ab. Währenddessen stellte ich meine Tasche ab und stellte den Wasserkocher auf den Herd, um Wasser zu kochen. „Hallo? Hier ist Hope, wer ist denn da?", fragte ich in den Hörer. Die Antwort kam prompt: „Ach, Hallo Hope! Wie geht's dir? Hier ist dein Opa!" Es zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. Ich hatte lange nicht mehr mit ihm telefoniert und ich wollte ihm mein Herz ausschütten. Wie es mir hier zu Hause ging. Aber andererseits wollte ich ihn damit nicht belasten. „Opa! Wir haben uns ja schon ewig nicht mehr gehört! Mir geht's gut und dir?", lachte ich und wartete bis er antwortete. „Mir geht es auch gut. Das Wetter hier ist sehr gut und ich wollte nachher noch eine Runde auf meinem Motorrad drehen. Weißt du schon, dass ich mir ein neues gekauft habe? Das alte war ja kaputt", er begann zu reden, ich liebte es wenn er mir von seinem Leben erzählte, also stoppte ich ihn nicht, „Aber jetzt habe ich mir ein neues gekauft. Es ist total schick und toll! Ich habe es Ottilie gennant, so, wie deine Omi heißt. Sie hat sich sehr gefreut." Er wartete auf eine Erwiderung meinerseits, aber was zum Henker sollte ich denn antworten? Als ich nichts erwiderte, sprach er weiter. „Wenn ihr das nächste mal hier seid, können wir zusammen fahren, wenn du willst", schlug er vor. „Oh ja, gerne!", rief ich aus. Früher, als ich noch kleiner war, waren wir öfter bei meinen Großeltern gewesen. Aber da sie in Europa lebten, war es immer schwierig für uns, zu ihnen zu kommen. Vor drei Jahren hatten sich dann von einem tag auf den anderen die Flugpreise drastisch erhöht, so dass es für uns kaum noch möglich war, zu dritt nach Europa und wieder zurück zu fliegen. Zu dem konnte Mum nur zwei Wochen am Stück Urlaub nehmen und so lohnte es sich nicht, zu unseren Großeltern zu fahren. Früher war das anders gewesen. Wir waren regelmäßig bei ihnen gewesen und es war jedesmal pure Erholung gewesen. Sie hatten das Glück, relativ weit draußen zu wohnen, weit entfernt von der nächsten Großstadt und einem Dorf. Im Umkreis gab es nicht viel, außer vereinzelte Dörfer, Felder, Wälder und hauptsächlich Berge. Die Strecken an den Feldern und Wäldern entlang, war ideal für lange Fahrrad- oder eben Motorradtouren. Mein Großvater hatte mich schon auf der Maschine mitgenommen als ich 12 Jahre alt war. Das erste Mal war beängstigend, obwohl wir nur die Straße, die höchstens 15 Häuser hatte, hoch und runter fuhren. Es dauerte höchstens 5 Minuten, dann waren wir wieder am Haus gewesen. Noch am selben Tag hatte mein Opa mich erneut auf das Motorrad gesetzt und wir waren eine größere Runde gefahren. Es war damals so beängstigend und aufregend, dass ich mich total versteifte und an meinem Großvater fest krallte, obwohl er nicht ansatzweise schnell gefahren war und in den Kurven übermäßig langsam geworden war, um ja keinen Unfall zu bauen.

Mit der Zeit war es immer angenehmer geworden. Schon bei meiner zweiten Fahrt, hatte ich dieses Gefühl der Freiheit gespürt. Je öfter ich hinten bei meinem Opa mit fuhr, desto mehr vernarrte ich mich in das Gefühl, das das Fahren bei mir auslöste. Es war ähnlich wie beim Turmspringen im schwimmen, aber auf dem Motorrad fühlte ich mich freier, als irgendwo sonst. Kurz unterhielt ich mich noch mit meinem Großvater, legte dann aber auf, weil ich ja nochmal zu den Jones fahren wollte. Apropos Fahren, mir schoss wieder das Gespräch vom Vortag durch den Kopf, in dem Lee mich gefragt hatte, ob ich einen Führerschein machen wollte. Mir war noch nicht ganz klar wieso er das umbedingt wissen wollte, aber diese Frage spukte mir seither im Kopf herum.

Nachdenklich verließ ich wieder das Haus und schwang mich auf mein Fahrrad. Zwar wohnte Lee nur ein paar Straßen weiter und ich könnte einfach laufen, aber Fahrrad war schneller. Das hatte ich schon vor Jahren festgestellt. Als ich bei den Jones ankam, klopfte ich. „Ist offen!", hörte ich Zaneles Stimme aus dem Haus. Also öffnete ich die Tür und trat ein. Gerade kam Zanele aus dem Wohnzimmer auf mich zu und umarmte mich zur Begrüßung. „Hallo, Süße! Wie geht's dir? Wie war dein Tag?", fragte sie und lächelte mich an. Ich lächelte leicht zurück. „Ein bisschen langweilig, aber an sich okay. Und deiner?", erwiderte ich und streifte meine Schuhe ab. Sie verzog das Gesicht. „Ich komme gerade von der Arbeit. Meine Kolleginnen sind etwas anstrengen, ich bin vollkommen fertig. Aber wir machen gleich Abendessen. Willst du mit essen?", ein Schwall Wörter prasselte auf mich ein. Überfordert brauchte ich einen Moment, um die Sätze zu verarbeiten, dann antwortete ich: „Äh... Ich überleg noch. Kann ich erstmal zu Lee hoch?" Sie nickte und schob mich mit den Worten „Er soll sich nicht überanstrengen" die Treppe hoch.

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Wer will einen Keks? 🍪

Sorryyyy,  das es so lange gedauert hat, bis das Kapitel kam! Das ist auch schon länger fertig, hab nur keine Zeit gehabt das hochzuladen.

Es gibt übrigens keine wöchentlichen Uploads, was ihr sicher schon gemerkt habt, sondern eher sehr unregelmäßigere Uploads. Aber ich versuch mich zu bessern.

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