1. Kapitel
Never let you down
Der Fall befreite mich wie es nichts anderes je tun könnte. Meine Augen waren geschlossen, aber ich spürte, wie die Wasseroberfläche immer näher kam. Ich machte mich lang und stieß leise ins Wasser ein. Der Druck beförderte mich bis an den Boden des Schwimmbeckens, doch mit drei kräftigen Schwimmzügen war ich am Beckenrand angekommen, wo ich mich abstützte und das High Five meines Kumpels annahm. Lee grinste mich mit seinem Zahnpastalächeln an und sagte: „Du wirst von Mal zu Mal besser!" Ich musste nur lachen und schüttelte gerührt den Kopf. Er kam wirklich jeden Tag mit mir her, aber sah die gröbsten Fehler nicht. „Ich hab schon den Absprung verhauen!", seufzte ich nur und blickte wieder hoch zum 10er. „Ich meine es ernst, Hope! Lass uns was zu essen holen gehen! Ich hab echt Hunger, wir sind schon den ganzen Nachmittag hier!"
Hope. Was für ein bescheuerter Name.
Ich schob mich aus dem Becken und nahm das Handtuch, welches Lee mir hin hielt. Während ich mich notdürftig abtrocknete, packte er seine sieben Sachen, die über die ganze Bank verteilt lagen zusammen und meine noch dazu. Obwohl das bei mir nicht so schwierig war. Außer dem Beutel mit meinen Klamotten war da nichts. Im Gegensatz zu ihm. Ich weiß nicht was er immer alles einpackte, aber es war eindeutig genug für eine überdimensionale Sporttasche. Obwohl er meistens nicht einmal mit ins Wasser kam. Daher war ich ihm immer umso dankbarer, wenn er sich mal wieder seine Nachmittage mit mir im Schwimmbad verschlug. Obwohl er so viele andere Optionen hätte. Die Mädchen flogen ihm ja fast hinterher, die ganzen beliebten Jungs fanden ihn cool, was eigentlich auch klar war. Er hatte dunkelblonde Engelslocken, aber das sah bei ihm nicht lächerlich aus wie bei meinem 13 Jahre alten Bruder, sondern mega hot. Jedenfalls meinten das die Mädchen vom Chearleading Team. Außerdem sieht man seinem Körper nicht an, dass er stundenlang mit mir Mario Kart gezockt, Chips gefuttert und sein ganzes Leben lang gelesen hat. Ehrlich gesagt sah er ohne T-Shirt aus wie ein Gott. Ganz objektiv gesehen.
„Glaubst du, ich muss zu Laurens Party gehen?", unterbrach er mich in meinen Gedanken, „Sie hat gesagt, sie veranstaltet am Wochenende eine Hausparty, aber ich muss noch den Aufsatz für Geschichte fertig schreiben."
Vielleicht hing er auch deswegen eher mit mir rum. Er hatte keine Lust auf Partys, sondern war eher so der Vorzeigeschüler.
„Du, ich glaub die lädt dich auch die nächsten 10 Male noch ein, obwohl du immer absagst. Wird für sie kein Problem sein. Genauso wenig wie die letzten 10 Mal.", antwortete ich. Er grinste, sagte aber nichts, weil wir mit bestellen dran waren. „Zwei mal Pommes und Cola bitte!", lächelte er den Typ stattdessen an, der die Bestellung aufnahm. Er musste neu sein, jedenfalls hatte ich ihn noch nie gesehen. Lee musterte ihn von oben bis unten und biss sich auf die Lippe. Ich verdrehte nur die Augen und trat ihm gegen sein Schienbein. „Au!", machte er, wobei seine Stimme eine Oktave in die Höhe rutschte.
„Das macht dann Zehn Euro", krächzte der Pommestyp. Er hatte eindeutig Probleme mit der Stimme, so wie er sich anhörte. Entweder er hatte üblen Stimmbruch, in der Hinsicht tat er mir dann leid, oder hatte einfach die letzte Nacht zu lange gefeiert. Während ich nach meinem Geld kramte, legte Lee einfach einen 10€ Schein auf den Tresen und sagte in meine Richtung: „Ich zahl heute! Du hast die letzten Male bezahlt!" Ich ließ meine Hände sinken. Da war Protest Zwecklos. Das hatte ich in den letzten 10 Jahren gelernt, mit Lee zu diskutieren war Aussichtslos. Da war er genauso hart wie ich.
Als wir den bepflanzten Kiesweg aus dem Schwimmbad hinaus gingen überlegte ich laut: „Ich hätte mal wieder Lust auf einen Film Marathon. Wie wär's? Wärst du dabei?" „Klar, immer! Thema?", er grinste, „Marvel?" „Gerne", sagte ich trocken. Das war eines der Themen, mit denen wir unsere Mitmenschen extrem nerven konnten. „Aber sonst haben wir auch lange kein Star Wars mehr geguckt", erwiderte ich. „Naja, eigentlich stimmt das nicht. Wir gucken jede Woche the Mandalorian zusammen. Das ist auch Star Wars!", warf Lee ein. Ich wiegte den Kopf. „Okeeeeeeeee, Marvel!", knickte ich ein. „Perfekt! Wann bei wem?", Lee klatschte übermütig in die Hände. Ich musste fast lachen. Er war einfach wunderbar.
Ich zog die Kapuze meines Wollpullis über meinen Kopf. Ich war mit dem Fahrrad auf dem Rückweg von der Schwimmhalle nach Hause, und es hatte angefangen in Bächen zu schütten. Heute Mittag war das Wetter noch schön gewesen, warum musste es ausgerechnet jetzt regnen? Mein Blickfeld war durch den Regen gehörig beeinträchtigt und ich konnte froh sein, wenn ich es innerhalb 10 Minuten heil nachhause schaffte. Lee war nur wenige Meter hinter mir und rief irgendetwas, was ich durch den Fahrtwind nicht verstehen konnte.
Als ich Zuhause ankam, begann es draußen, komplett verrückt zu spielen. Eigentlich hätte ich ja gesagt typisch April, aber es war Anfang September und eigentlich noch Sommer. Meine Mutter begrüßte mich an der Tür nur kurz mit einem „Hey" und eilte dann mit dem Telefon wieder in ihr Büro im Erdgeschoss. Ich schloss die Tür hinter mir und streifte meine Schuhe ab. Der Lärm aus dem Zimmer meines Bruders war kaum zu überhören, daraus schloss ich, dass das Basketball Training für heute abgesagt worden und er bereits wieder zuhause war. Triefend schlurfte ich in die Küche und setzte mir Tee auf. Während ich überall in der Küche nach Keksen suchte, hörte ich draußen einen lauten Donner. Hoffentlich war Lee jetzt auch bei sich zuhause angekommen. Ein Blick aus dem Fenster zeigte einen stockdunklen Wolken Himmel, durch den Blitze zuckten und das Schwarzgrau hin und wieder durch teilten.
Das Fiepen des Wasserkochers riss mich aus dem Bann, in dem das Dunkel vor dem Fenster mich gefesselt hatte. Ich goss den Tee auf, nahm die Tasse und verzog mich samt Keksen und Tee in mein Zimmer. Ich mochte mein Zimmer. Es war möglicherweise etwas voll, aber genau das mochte ich an ihm. Die Wände waren voll mit Bildern, Plakaten und künstlichem Efeu, von der Decke hingen Pflanzen in Gläsern und alten Glühbirnen und eine große Lampe mit einem Lampenschirm aus Bambus. Außerdem standen mehrere Gitarren an die Wand gelehnt da, ein Sitzsack hing von der Decke und überall waren Bücherregale. Mein Bett ähnelte eher einem Sofa mit hunderten von Kissen und auf dem Schreibtisch standen viele Dosen mit Stiften herum. Außerdem stand dort mein Laptop. Ich stellte den Tee und die Kekse auf einen kleinen Abstelltisch in der Mitte des Raums.
Meine Klamotten waren immer noch nass, daher streifte ich sie mir vom Körper und schlüpfte in eine neue weite Vintage Hose und einen Strickpulli. Mein Style ist wohl eher etwas außergewöhnlich, fand sogar meine Mutter. Meine Haare machte ich zu einem losen Dutt und startete einen Videocall mit Lee über den Laptop.
Ich wartete kaum 20 Sekunden, dann teilte sich der Bildschirm und Lee saß vor seinem Laptop und schaute in die Kamera. „Ich kann heute nicht so lange. Mein Vater kommt heute etwas früher und meine Mum will mit uns beiden zusammen kochen.", startete er ins Gespräch und überging eine formale Begrüßung. „Alles gut. Ich muss nachher noch irgendetwas kochen, sonst verhungert Jay!", antwortete ich schnell. Für Manche mochte es vielleicht seltsam erscheinen, wenn wir nach mehreren Stunden Schule, Nachmittagsbeschäftigungen und weiterem, abends noch telefonierten, aber für uns gehörte es seit Jahren dazu. Wir sind seit dem ersten Schultag beste Freunde. Damals waren wir sechs. Aus Jays Zimmer tönten verzerrte E-Gitarren Riffs und lautes Gegröle. „Mach leiser!", schrie ich gegen den Lärm durch die Wand. Es brachte nichts. Möglicherweise bildete ich es mir ein, aber die Musik wurde sogar noch etwas lauter. Entschuldigend zuckte ich mit den Schultern und blickte hilfesuchend Richtung Kamera, aber Lee konnte sich das Lachen kaum verkneifen. „Deswegen bin ich froh, Einzelkind zu sein!"
Ich musste grinsen. Er lebte mit seinen Eltern einige Straßen weiter in einem niedlichen Häuschen mit Hund das perfekte Vorzeige Leben einer amerikanischen-Vorstadt-Familie. Ich hingegen lebte bei meiner alleinerziehenden Mutter mit meinem kleinen Bruder und versuchte, den Haushalt im Griff zu halten, während meine Mum den ganzen Tag arbeitete. Manchmal bekamen wir sie wochenlang nicht zu Gesicht, weil sie auf Konferenzen war, oder so. Langsam war Jay zum Glück alt genug um auf sich selbst aufzupassen und brauchte nicht mehr 24/7 einen Babysitter. Außerdem war er eh die meiste Zeit auf dem Basketballplatz.
„Was kocht ihr denn?", fragte ich Lee. Er kniff die Augen zu. „Irgendsoein Curry. Mum sagt, dass das gesund ist", antwortete er mir verkniffen. Er wirkte nicht sehr begeistert. Seine Mutter kam ursprünglich aus Südafrika und hatte seinen Vater beim Studium hier kennengelernt. Immer wenn ich dort war, kochten Zanele oder Michael extra etwas frisches. Das ist Verwöhnung pur. Bei uns im Haus fand man meistens nur Toastbrot, Tiefkühlpizzen, oder das Zeug vom nächsten FastFood Laden. „Klingt doch gut!", lächelte ich in die Kamera.
Im Hintergrund seines Bildes in Discord tauchte Thor, sein Hund, auf und man hörte ein verzerrtes Bellen. „Aus, Thor!", rief Lee und der Hund wurde kurz still. Als er aber meine Stimme über den Lautsprechen Lees Laptops hörte, begann er wieder wie wild zu bellen. Wir verabschiedeten uns, weil wir merkten, dass es keinen Sinn mehr machte und beendeten den Call. Ich schloss das Fenster und machte den Laptop aus. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir bereits viertel nach acht hatten. Ich ging nach unten in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Endlose Leere strahlte mich an. Außer einem Joghurt, einer halb geöffneten Flasche Wein und einer Cola war der Kühlschrank restlos leer. Der Gefrierschrank hatte auch nicht mehr zu bieten. Meine letzte Hoffnung lag in der Abstellkammer, in der wir manchmal Lebensmittel lagerten. Auch hier wurde ich enttäuscht. Wie konnten wir vergessen einkaufen zu gehen? Verzweifelt stampfte ich zurück in die Küche und suchte auf meinem Handy nach FastFood Läden in der Nähe, die ausreichend ausgewogenes Abendessen anboten. Dann nahm ich Geld aus der Dose im Wohnzimmerschrank, schlüpfte in meine Stiefel und zog mir eine Jacke über. Draußen regnete es noch immer in Strömen, also schnappte ich mir noch einen Schirm und machte mich auf den Weg zu unserem Abendessen.
Auf dem Rückweg begann es noch mal so richtig zu donnern und zu blitzen. In der einen Hand trug ich die Tüten mit dem Essen, in der anderen den Schirm und joggte so die 20 Minuten nachhause. Als ich ankam hatten wir fast 9 Uhr abends und Jay stand schon mit knurrendem Magen an der Tür. Ich drückte ihm die Tüten in die Hand und schüttelte das Wasser von mir und dem Schirm. Ich war trotz dem Ding nämlich klitschnass geworden.
In der Küche packte er das Zeug auf den Tisch und begann die Pommes und das Hühnchen in sich hinein zu fressen. Mein Blick glitt immer wieder zur Tür. Aus dem Arbeitszimmer meiner Mum drang zwar immer noch ihre Stimme, als wäre sie in einem Call, aber es war schon spät und ich überlegte, ob ich ihr etwas bringen sollte. Wobei sie bald fertig sein sollte und dann eigentlich kommen würde.
Meine Intuition war richtig. Wenige Minuten später kam sie in die Küche. Völlig fertig, noch mit Blazer und Bluse an und total müde. „Ah, Essen! Das ist meine Rettung! Danke Süße!", bedankte sie sich und quetschte sich auf die Bank des Küchentisches. Es ist nicht so, als ob wir keinen Esszimmertisch besaßen, aber der war einfach viel zu groß für uns zu dritt und wir benutzten ihn selten. Immer nur dann wenn die Großfamilie antanzte. Oder Lee mit Zanele und Michael. Das waren dann Tage, an denen Mum früher aufhörte zu arbeiten um noch etwas zu kochen, was keine Tiefkühlpizza war.
———
Ding, Ding, Ding! Der Wecker riss mich aus dem Tiefschlaf. Mein erster Impuls war, den Wecker auszuschalten und einfach weiterzuschlafen. Doch mir war bewusst, dass es dann nur noch schwieriger für mich werden würde, aus dem Bett zu kommen. Ich blieb noch ein bisschen mit geschlossenen Augen liegen, bevor ich nach meinem Handy angelte, um zu schauen, wieviel Uhr es war. Ich fluchte. Es war schon viertel nach sieben und um acht Uhr musste ich zur Schule. Ich hatte den Wecker wohl aus Versehen eine Stunde zu spät eingestellt. Oder wollte mir mein kleiner Bruder einen Streich spielen? Ich würde ihn mir auf jeden Fall gleich mal vorknüpfen. Ich sprang aus dem Bett. Jetzt musste ich mich wirklich beeilen.
Ich rannte ins Badezimmer und sprang für fünf Minuten unter die Dusche. Das Wasser prasselte auf mich ein und ich hätte gerne noch länger geduscht, aber die Badezimmeruhr zeigte mir an, dass wir schon 20 nach sieben hatten, also trocknete ich mich ab, putzte mir die Zähne und föhnte mir die Haare. Wieder in meinem Zimmer, zog ich mich in Windeseile an. Dann fiel mir ein, dass ich vergessen hatte mich zu schminken. Ich lief ins Bad und schnappte mir meine Make-Up-Bag. Ich kramte als erstes nach meiner Mascara und tuschte mir die Wimpern. Anschließend bog ich sie mit meiner Wimperzange hoch. Ich warf einen kurzen Blick in meinen Spiegel. Ich war ganz zufrieden mit mir, wären da nicht diese nervigen Augenringe gewesen. Ich versuchte sie so gut es ging mit Concealer zu verstecken und hoffte, es war mir einigermaßen gelungen.
Im Vorbeigehen schnappte ich mir meinen Beutel von meinem Schreibtischstuhl und lief nach unten. Im Flur traf ich auf Jay, der sich schon Schuhe und Jacke angezogen hatte und kurz darauf das Haus verlies. Mit einem kurzen Blick zur Garderobe stellte ich fest, dass Mum's Mantel fehlte, daher ging ich davon aus, dass sie schon bei der Arbeit war. Ich eilte in die Küche um etwas zum frühstücken zu holen, da fiel mir ein, dass wir ja nichts mehr hatten. Ich musste wohl auf dem Weg etwas kaufen.
Als ich aus der Tür kam, wartete Lee schon mit dem Fahrrad vor dem Vorgarten. Er war auf sein Handy fixiert und schaute erst auf, als ich ihn begrüßte. „Guten Morgen! Sorry, dass ich so spät bin!", rief ich ihm zu. „Kein Problem!" Er lächelte mich an. Ich zog die Tür hinter mir zu und schloss ab. Dann schwang ich mich auf mein Rad und wir fuhren los. „Ich muss gleich noch zu Mr. Smorr's. Wir hatten nichts mehr zum frühstücken da", teile ich ihm mit. Er nickt nur.
Einige Zeit fuhren wir schweigend nebeneinander her, dann sagte er: „Das Essen gestern war dann doch ganz lecker." Ich musste lachen. Es schmeckte ihm immer. Trotzdem heulte er mir jeden Tag die Ohren voll, dass er keine Lust auf das hatte, was es am Abend zu Essen geben würde. „Bei uns gab es FastFood von der Ecke", merkte ich an, damit er sich bewusst wurde, wie viel Glück er hatte, dass seine Eltern frisch kochten. „Boar, I wish!", stöhnte Lee, „Ich wünschte meine Eltern würden auch bei uns mal FastFood kaufen!" Ich schüttelte verständnislos den Kopf.
Nach einem kurzen Zwischenstopp beim Bäcker kamen wir an der Schule an. Überall auf dem Schulgelände wimmelte es von Schülern, die nach und nach ins Schulgebäude verschwanden. Das Wetter hatte sich wieder gebessert und der Himmel lichtete sich den ganzen morgen über schon mehr und mehr. Es war so viel, was versprach, dass der Tag doch noch gut werden würde. Lee und ich stellten die Fahrräder an die Ständer und gingen Richtung Schulgebäude.
„Hey Lee!", begrüßte Lauren ihn und ignorierte mich gekonnt. Wie immer. Sie war blond, hatte eine Sanduhrfigur, perfekte, makellose Haut, blaue Augen und immer perfekt sitzende Kleidung. Sie war perfekt, wie ihr Lächeln. Lauren war die Schul-Queen. Sie war die beliebteste Chearleederin und Promballqueen. Jeder fand sie toll. Außer eben Lee. Und ich. Aber das war nicht so wichtig. Ich war nicht so wichtig. „Kommst du am..." „Hi", machte er nur, unterbrach damit ihren Satz und drückte sich an ihr vorbei. Ich folgte ihm wortlos. Irritiert sah Lauren ihm hinterher. Einige ihrer Freundinnen kicherten leise, die anderen waren ebenfalls sprachlos. Ich stupste Lee grinsend in die Seite. „Du kannst ihr ja wenigstens mal eine Chance geben ihren Satz zu beenden!", schlug ich ihm ironisch vor. Er verdrehte bloß die Augen. „Lach nur. Sie hängt ja nicht dir jeden Tag an der Backe", stöhnte er.
Wir trennten uns bei den Naturwissenschaftsräumen. Er hatte Biologie, ich hatte Philosophie in einer Etage weiter oben. Oben angekommen ging ich in den Raum und setzte mich an einen Platz in der letzten Reihe. Weiter vorne im Raum saß schon ein anderer Schüler und schrieb etwas in sein Heft. Vertieft in meine Unterlagen, merkte ich nicht, wie jemand an meinen Tisch trat. Vor mir stand Lauren, samt Amy, Sue, Emma und Rixy. Die Blicke waren unterschiedlich. Manche herablassend, andere eher interessiert, wie bei einem Tier im Zoo, dass man selten sieht. „Hey, Hope!", begrüßte sie mich. Verwirrt sah ich sie an. „Du... Lee ist schon hübsch, oder?", fragte sie mich mit verspielter Stimme. Was sollte ich denn jetzt antworten? Wenn ich ja sagte, klang es, als wäre ich in ihn verliebt. Wenn ich nein sagen würde, würde sie mir das immer vorhalten. „Schon. Es ist halt Lee, wir kennen uns schon ewig. Ich kann das schlecht beurteilen", entgegnete ich ruhig. Ich sah kurz einen Ausdruck von Unzufriedenheit in ihrem Gesicht, dann verschwand er wieder hinter ihrer Maske aus einem Lächeln. Sie trat noch näher an den Tisch und beugte sich zu mir herunter. „Hör mir jetzt gut zu, ja? Freundschaften zwischen Mädchen und Jungen können nicht gut enden. Am Ende landen sie immer miteinander im Bett. Also halt dich besser fern von ihm, okay? Denn Lee gehört mir!", zischte sie mit bedrohlicher Stimme. Unbeeindruckt hob ich die linke Augenbraue und sah skeptisch von ihren Augen zu ihrer Stirn, und wieder zurück. „Warum?", fragte ich einfach nur. Mit dieser Antwort hatte sie wohl nicht gerechnet, jedenfalls zuckte sie zurück und kreischte mit viel zu hoher Stimme: „Hörst du mir überhaupt zu?" Ich nickte und blickte sie schweigend an. Wütend stapfte sie an mir vorbei an einen leeren Tisch. Ihre Freundinnen folgten ihr wie eine Schar Enten und schon waren sie weg.
Mrs. Scribble kam in den Raum und begrüßte uns überschwänglich. „Guten Morgen, ihr Lieben!", sie breitete die Arme aus, „Heute diskutiert ihr mal über eure Definition von Gott! Was ist Gott? Los fangt an!" Zu dem Thema kann ich wenig beitragen. Einige Hände gingen nach oben. Ich behielt meine auf dem Tisch. „Ja, äh, Feli", nahm Mrs. Scribble ein schüchternes Mädchen dran. Sie brauchte einen Moment, bevor sie antwortete, aber dann sagte sie: „Ich glaube an einen Gott. Also, naja, an einen, der die undefinierte Liebe darstellt. Also er ist die Liebe in der Welt, aber dann ist da auch der Hass und Krieg. Ich frage mich, wie das zusammenhängt. Vielleicht gibt es ja noch etwas, wie einen Teufel oder so. " Lauren antwortete ihr schnell: „Ich glaube nicht an deinen Gott. Wie kann es einen Gott geben, wenn es so viel Hass, Krieg, Krankheit und Tod auf der Welt gibt?" Amy begann, sich an der Diskussion zu beteiligen. „Ich glaube an Gott, weil meine Eltern religiös sind. Aber ich kenne Gott nur aus der Bibel als Jesus." Mrs. Scribble hob das Wort: „Interessante Ansichten. Gibt es noch jemanden, der etwas hinzufügen möchte?" Ein Junge, ich glaube er hieß Marc, meldete sich und begann zu sprechen. „Ich glaube, dass Gott in allem ist, was wir tun. Jeder von uns kann seine Verbindung zu Gott nutzen, aber es liegt an jedem einzelnen, diese Verbindung zu finden und zu pflegen." „Ich denke, dass Gott für jeden etwas anderes bedeutet. Es gibt keine richtige oder falsche Vorstellung von Gott." wendet Emma, eine der ganz Schlauen dieser Schule, eine, der sogar ich zu dumm bin, obwohl die anderen Schüler mich als Streber, Schlaumeier, Lexikon, oder Wikipedia bezeichnen, ein.
Mrs. Scribble meldet sich wieder zu Wort: „Ich bin da derselben Meinung wie ihr, jeder hat seine eigene Vorstellung von Gott und es gibt keine richtige oder falsche Antwort. Aber was ist mit dem Leid und dem Bösen in der Welt? Wie passt das in unsere Vorstellung von Gott?" Marc fängt sofort an zu sprechen: „Ich denke, dass Gott uns freien Willen gegeben hat und wir selbst entscheiden, ob wir Liebe oder Hass in die Welt bringen." „Aber was ist mit Naturkatastrophen? Wie kann Gott das zulassen?", fragt Lauren wieder, etwas zu dramatisch. „In der hinduistischen Philosophie wird Karma als Ursache für Leid angesehen.", begann Eric mit kratziger Stimme zu sprechen. „Wenn jemand Leid erfährt, ist es eine Folge seiner Handlungen in der Vergangenheit." Lauren fragte: „Aber die Natur hat doch gar kein Karma, oder? Das wäre ja total unfair, weil sie kann ja nichts dafür, was sie macht." Mrs. Scribble unterbrach sie: „Das sind alles interessante Ansätze. Aber ich denke, dass wir uns nicht auf eine einzige Antwort festlegen sollten. Wir sollten offen für verschiedene Perspektiven sein und uns bemühen, die Welt und unsere Beziehung zu Gott besser zu verstehen."
Danach sprach sie noch über weiter Ansätze mit uns, aber irgendwann wurde es extrem langweilig und mein Blickfeld flackerte immer wieder, so als würde ich gleich einschlafen, daher verpasste ich auch das Ende der Stunde. Erst als Mrs. Scribble vor mir stand und mich fragte, ob alles in Ordnung sei, schreckte ich hoch. Mein Herz begann für einen Moment zu rasen, beruhigte sich aber schnell weieder, als ich merkte, dass keine Gefahr auf einen Angriff bestand. Ich hatte eindeutig zu viele Actionfilme gesehen! Eilig packte ich meine Sachen zusammen und stürmte aus dem Klassenraum. Auf dem Weg nach unten traf ich Lee, der an einer Säule im Treppenhaus lehnte und auf mich wartete.
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