Zuverlässig
Jisungs Pov:
Die nächsten beiden Tage geschah nichts Aufregendes. Abgesehen von den erfrischenden Spaziergängen mit Seungmin, Sunoo oder Niki in den Gärten des Anwesens und natürlich den gemeinschaftlichen Mahlzeiten mit unserem Gastgeber und dessen Hausstand, bemühte ich mich sehr um Ruhe und Erholung für meine heilende Wunde. Ich hielt mich häufiger in den Gemächern auf, versuchte meinen Rücken zu entlasten und ganz nebenbei bemühte ich mich auch, meine Emotionen und zukünftigen Absichten auszuloten. Vor allem Changbins Frage nach meinen Zielen hatte mich aufgerüttelt. Nun überlegte ich, inwiefern sich mein Standpunkt verändert hatte und wie ich nun weiter vorgehen sollte.
Wenn ich mich Minho wirklich annähern sollte, was wird sich dann noch alles ändern? Wer sagt mir, dass er sich nicht nur so freundlich verhält, um mich endlich zum Einlenken zu bringen? Wie kann ich sicher sein, dass ich ihm vertrauen kann?
Mir war bewusst, dass diese Richtung der Fragen nicht zielführend war, denn alleine konnte ich sie mir nicht beantworten. Also musste ich auf meine Einschätzung vertrauen und auf das, was ich wusste, um meine Entscheidungen zu fällen.
Solange ich ohnehin nicht weiß, was ich hier eigentlich tue und weshalb ich in diesem Zeitalter gelandet bin, ist es klüger, Minhos Schutz zu suchen. Egal, ob er nur gespielt ist oder echt, er hilft mir damit sehr. Und selbst wenn ich Gefühle für ihn entwickeln sollte, wäre es besser, es ihm nicht zu sagen oder zu stark zu zeigen. Es ist selbst in dieser Situation falsch, in ihm Hoffnungen zu wecken, die nie zu einem erfüllten Leben führen können.
Das waren immerhin moralisch vertretbare Ziele und in meinen Augen erstrebenswert, dennoch wehrte sich ein kleiner Teil in mir gegen diese Denkweise, und ich bemühte mich, mehr aus Minhos Sicht zu denken, um sein Verhalten zu analysieren.
Noch nie habe ich mit Königen oder anderen hohen Beamten zu tun gehabt. Ich weiß eigentlich nicht viel darüber, wie Minho sich fühlt oder ob ihm seine Tätigkeit gefällt. Sicher ist es ermüdend, ein ganzes Reich unter Kontrolle zu halten und für jeden Misserfolg verantwortlich zu sein. Außerdem war er sehr jung, als er sich diese Last aufgebürdet hat. Vielleicht war seine Vorstellung vom Herrschen anders als die Realität. Womöglich will er auch einmal ganz normal sein und braucht dazu jemanden, der ihn nicht nur als König sieht, sondern als Mensch. Und vielleicht gebe ich ihm genau das.
Exakt an diesem Punkt meiner Überlegungen war ich von Seungmin unterbrochen worden, da er den Raum betrat und bemerkte, dass ich noch wach war, obwohl wir am nächsten Tag früh aufbrechen würden, um nach Theben zurückzureisen.
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Entsprechend müde blinzelte ich also am folgenden Morgen hinüber zu den Pferden, die abmarschbereit auf uns warteten, während sich Minhos gesamte Gefolgschaft im Innenhof des Anwesens versammelte. Ehrlich gesagt hatte ich wenig Lust auf den Ritt durch die Wüste bis hin zu den Booten, denn ich wusste nicht, wie mein Rücken die ständige Bewegung vertragen würde. Dennoch fügte ich mich meinem Schicksal und stellte mich kerzengerade neben Sunoo und Niki, als sich unser Gastgeber nun von jedem wichtigen Mitglied des königlichen Haushaltes verabschiedete. Momentan sprach er noch mit Minho, umarmte diesen dann fest und versicherte ihm seine Loyalität und Gefolgschaft. Die brüderliche Geste wurde vom Pharao erwidert und kurz darauf trat Ani Hamed vor Hyunjin, verabschiedete diesen ebenso höflich und respektvoll und tat es bei Yeji ähnlich.
Als ich schließlich an der Reihe war, neigte der junge Mann ehrerbietig den Kopf. „Ich danke dir besonders für deine Hilfe, Jisung." Ich benötigte einen Moment, um zu verstehen, dass er wohl die Situation mit seiner Frau im Garten meinte. Jedenfalls senkte ich ebenso höflich den Kopf. „Es war mir eine Freude, euch dienen zu können, so wie Ihr es für uns getan habt", entgegnete ich freundlich.
Auf Ani Hamed Lippen erschien das sonnige Lächeln, das ich in den letzten Tagen häufig an ihm beobachtet hatte. „Ich blicke schon mit Freuden dem Tag entgegen, an dem ihr uns wieder einmal mit einem Besuch beehrt, Jisung. Vielleicht bringt ihr dann bereits des Pharaos Erben mit euch."
Meine Zähne bohrten sich sekundenlang in meine Unterlippe, um nicht unverschämt zu reagieren und lautstark klarzustellen, dass ich nicht von Minho schwanger war. Doch ein solcher Gefühlsausbruch hätte in dieser Umgebung nur unnötige Fragen aufgeworfen und für fiesen Tratsch gesorgt. Deshalb nickte ich schwach.
„Ich danke euch für eure Großzügigkeit und die Gastfreundschaft", entgegnete ich möglichst beherrscht und wandte mich dann ab. Mit bedachten Schritten näherte ich mich den Pferden, als sich auch schon Seungmin zu mir gesellte.
„Habt ihr ihm diese Lüge erzählt, um meine wahre Verletzung zu verschleiern?", fragte ich geradeheraus und der Braunhaarige schüttelte entschieden den Kopf.
„Natürlich nicht, Jisung. Ich weiß nicht, weshalb er das behauptet. Vermutlich hat er sich selbst eine Geschichte zusammengereimt, und da du sie nicht widerlegt hast, hält er daran fest."
Ich brummte etwas missmutig, während ich beobachtete, wie Seungmin sich auf dem Rücken eines kleinen, scheckigen Pferdes zog. Noch bevor ich mich nach meinem Reittier erkundigen konnte, tauchte Minho neben mir auf, mit Felix im Schlepptau, der das zuverlässige dunkelbraune Pony am Zügel führte, das mich auch hierher getragen hatte.
„Ich möchte, dass du den Weg zurück zum Boot dicht neben Felix reitest, Jisung", erklärte Minho, wobei es ihm nicht vollkommen gelang, den befehlsgewohnten Tonfall aus seiner Stimme zu verbannen. Im starken Kontrast dazu standen seine braunen Augen, die auf mir ruhten, so als würde er nach einem Anzeichen meines Unwohlseins suchen. Als er dieses nicht fand, trat er noch einen Schritt näher, beugte sich nach vorn und fügte hinzu: „Halte dich an diese Bitte, Jisung. So bist du bestens vor möglichen Gefahren geschützt... und ich muss mir keine Sorgen um dich machen."
Ein kleines Lächeln legte sich um meine Mundwinkel und ich stimmte Minho ohne Bedenken zu. „Ich werde mich angemessen verhalten, eure Majestät."
Offenbar zufrieden mit dieser Antwort summte Minho und funkelte mich aus seinen braunen Augen an. „Dann lass uns aufbrechen."
Ich nickte nur etwas unbeholfen, während ich immer noch schmachtend in diese schokoladenfarbigen Seen aus Tatendrang und königlicher Würde sah, und war beinahe dankbar, als sich der Pharao zuerst abwandte und hinüber zu seinem eigenen Pferd ging. Dafür trat nun Felix mit dem Pony dicht neben mich.
„Aufsitzen", wies mich der Großwesir strikt an und hielt das Pony fest am Zügel, während mir ein Bediensteter half, auf den Pferderücken zu klettern.
Ich hatte ohnehin nicht die Absicht, ein weiteres Mal für Unannehmlichkeiten zu sorgen und mich zu verletzen, also tat ich anstandslos, was verlangt wurde. Ich lenkte mein braves Reittier neben den sandfarbenen Hengst des Wesirs und trabte dann an, als sich unsere Karawane in Bewegung setzte.
Zunächst fiel mir gar nicht auf, wie nahe ich Minho nun war, da ich mich verbissen darauf konzentrierte, mich nicht zu viel zu bewegen und das Tier möglichst genau zu lenken, um es nicht stolpern zu lassen. Aber als eine Weile lang alles wie am Schnürchen lief, wurde ich doch etwas ruhiger und sah mich aufmerksam um.
Felix ritt genau hinter dem Pharao, während die Schnauze meines Pferdes auf Höhe von Felix Unterschenkel war, sodass er notfalls nach meinen Zügeln greifen konnte. Aber das schien gar nicht notwendig zu sein. Mein Pferd ging so ruhig und gelassen voran, als habe es noch nie etwas Entspannenderes getan, als mich zu tragen.
So hatte ich nun die Möglichkeit, Minhos Kehrseite zu betrachten. Er saß stolz und kerzengerade auf der prachtvoll verzierten Reitdecke und seine Waden spannten sich an, wann immer er sie fest an die Flanken seines feurigen Ross drückte. Im Gegensatz zu meinem tiefenentspannten Tier war sein Pferd fast schon unruhig und ungewöhnlich schreckhaft. Immer wieder warf der Grauschimmel den Kopf zurück, machte einen Satz nach vorn oder schlug auch mal aus, wenn ihm danach war.
Ich für meinen Teil hätte mich diesem unberechenbaren Tier nicht freiwillig genähert, geschweige denn hätte ich mich auf seinen Rücken gesetzt. Aber Minho kam mit den Macken des Grauen gut klar – selbst als das Tier sich vor einem Dornenbusch erschreckte und seitlich ausbrach, blieb er aufrecht auf dem Pferderücken sitzen und lenkte es mit ruhigen Worten und strenger Zügelführung zurück in die Reihe.
Vorsichtig löste ich daraufhin eine Hand vom Zügel und rieb meinem Pony dankbar über den Hals, kraulte den Mähnenansatz und gab ihm zu verstehen, dass ich erleichtert war, dass es sich durch nichts – nicht mal diesen silbergrauen Teufel vor ihm – aus dem gemütlichen Trott bringen ließ.
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Erschöpft rutschte ich schließlich vom Ponyrücken und verzog das Gesicht, als ich eher unsanft auf dem Boden aufkam. Kurz zog ein unangenehmer Schmerz durch meinen Rücken, aber er klang rasch wieder ab und ich war froh, den Ritt überstanden zu haben. Wir hatten eine kurze Pause gemacht, die ich größtenteils dafür genutzt hatte, um mich zu bewegen und etwas zu essen. Aber jetzt waren wir zurück am Ufer des Nils und die Bediensteten eilten sogleich herbei, um unser Gepäck entgegenzunehmen und dieses auf den Booten zu verstauen.
Ich rümpfte die Nase, als mir ein Krug mit verdünntem Wein angeboten wurde und nahm ihn dennoch an, um meine staubtrockene Kehle zu befeuchten. Ich sehnte mich nach klarem Leitungswasser und nach der Annehmlichkeit von Eiswürfeln oder sprudelnder Limonade, aber das suchte ich hier vergebens. Also trank ich bedacht ein paar kleine Schlucke und machte mich dann zusammen mit Yeji und Hyunjin auf den Weg zu der größten Barke.
An Deck wurden uns eilfertig Decken und Kissen angeboten, sodass wir uns gemütlich setzen konnten. Da meine Schultern und der Rücken durch das lange, möglichst gerade Sitzen doch etwas verkrampft waren, ließ ich mich dankbar auf einer weichen Decke nieder und atmete tief durch.
Den beschwerlichsten Teil des Weges haben wir ja schon geschafft.
Die Bediensteten und Sklaven waren beim Beladen der Barken ziemlich flink und schon eine halbe Stunde später stießen die Boote vom Ufer ab und trieben stromaufwärts Richtung Theben. Ich beteiligte mich nicht an dem Gespräch, das Hyunjin und Yeji unlängst begonnen hatten, sondern ließ mich vorsichtig auf meinem Lager nieder, drehte mich auf die Seite und schmiegte den Kopf in ein Kissen. Eigentlich wollte ich mich schon dem Schlaf hingeben, als meine Ohren doch noch die nahe Unterhaltung belauschten.
„Es ist nur noch etwa eine Woche bis zum heiligen Fest über den Nil. Sicherlich wird Minho uns alle mitnehmen", meinte Yeji und prompt kam Hyunjins Antwort. „Ich bin sicher, es wird ein prächtiges Fest. Seine Majestät wird, wie sonst auch, die Zeremonie anführen und dem Land und seinen Bewohnern Fruchtbarkeit und Wohlstand schenken."
Selbst mit geschlossenen Lidern verdrehte ich die Augen und fragte mich, ob Hyunjin je aufhören würde, von Minho zu schwärmen, als sei dieser tatsächlich ein Gott und kein sterblicher Mensch.
In meiner Zeit wäre Hyunjin wohl der perfekte Religionsfanatiker – immer darauf bedacht, seinem höchsten Meister zu dienen.
„Und ich bin mir ebenso sicher, dass du an diesem Abend wie üblich zu ihm ins Gemach schlüpfst und ihm mit Worten und Taten sagst, wie überaus göttlich und makellos er während des Festes aussah. Ich hoffe, diesmal sabberst du nicht schon während der Zeremonie wie ein kleines Kind, das Süßes sieht", zog ihn Yeji plötzlich mit einem neckenden Unterton und anschließendem leisen Lachen auf.
Ich runzelte nur die Stirn, weil ich nicht ganz verstand, wie das alles zusammenpasste, aber zu diesem Zeitpunkt übermannte mich endlich ein wohltuender und erholsamer Schlaf.
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I love you Stay. 💖
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