Zurück ins Sonnenlicht

Triggerwarnung für dieses Kapitel: Selbstzweifel, psychische Schmerzen, Trauma 


Jisungs Pov:

Das Erste, was ich spürte, waren bohrende Kopfschmerzen. Mein Schädel fühlte sich an, als habe man ihn als Bowlingkugel missbraucht und ich atmete ganz flach, um keinen zusätzlichen und unnötigen Schmerz zu verursachen. Dann bemühte ich mich, meine Augen zu öffnen und schaffte es komischerweise auf Anhieb. Ich hatte nicht erwartet, überhaupt etwas zu sehen, da ich ja eigentlich in einem geschlossenen, beengten Sarg lag und meine Taschenlampe wahrscheinlich schon den Geist aufgegeben hatte. Doch erstaunlicherweise sah ich sehr wohl etwas: Ein helles Flackern, das über und neben mir an der steinernen Decke zu tanzen schien. Einige Sekunden starrte ich vor mich hin, bis mir klar wurde, dass dies Feuer war.

Aber Stopp... wenn ich die Wände und ein Feuer sehen kann, dann bin ich auch nicht länger in dem Sarkophag.

Ich drehte meinen Kopf zur Seite und tatsächlich gab es keine steinerne Wand, die mich einschloss. Auf der anderen Seite war es das Gleiche, auch hier machte ich den sanften Wiederschein des Feuers aus und fragte mich langsam, wo ich mich befand.

Meine letzte Erinnerung war, dass ich mit Yeosang die Grabkammer erforscht hatte, bis diese unvermittelt eingestürzt war und da ich es nicht mehr durch den Ausgang geschafft hatte, war ich in den Sarg geklettert. Daraufhin musste ich ohnmächtig geworden sein, denn dort endete mein Erinnerungsvermögen.

Da ich nun jedoch nicht mehr von einem Sarkophag geschützt wurde, wagte ich mich an einen Versuch, mich aufzusetzen. Auch dies gelang mir erstaunlich schnell, abgesehen von den Kopfschmerzen, die mich leicht benommen fühlen ließen. Ich verkniff mir einen Fluch, als ich nach meiner Schläfe tastete und beruhigend über einen Punkt rieb, der die Schmerzen erträglicher machen sollte. Währenddessen sah ich mich verwundert in dem Raum um, in dem ich so unvermittelt erwacht war.

Ich befand mich noch immer in der Grabkammer, soviel konnte ich mit Sicherheit sagen. Allerdings sah sie anders aus, als ich sie in Erinnerung hatte. Die Wände waren heller und erstaunlich leer, stattdessen hingen mehrere Fackeln an den Säulen, die dieses warme, flackernde Licht aussendeten. Auch all die Opfergaben und Schmuckstücke waren verschwunden. Es war alles leer und verlassen.

Mit einem unwohlen Gefühl in der Magengegend rappelte ich mich auf, kam schwankend zum Stehen und drehte mich um meine eigene Achse. Ich selbst stand auf dem kahlen Steinboden der erhöhten Plattform, kein Sarkophag war zu sehen und auch die große Katze, die vorher so wohlwollend auf diesen herabgeblickt hatte, war weg.

Da war nichts – nur Leere.

Was sollte das? War das ein schlechter Scherz? Hatte Yeosang die anderen bereits geholt und diese hatten alles aus der Grabkammer getragen? Das würde aber nicht erklären, was ich noch hier tat – auf dem Boden liegend und obendrein verletzt.

Doch erst da sah ich hinab zu meinem Oberarm und dem tiefen Schnitt, der dort sein sollte. Das Stoffstück war noch an seinem Platz, aber ich spürte keinen Schmerz mehr. Ganz vorsichtig wickelte ich den Verband ab und starrte ungläubig auf die blasse Haut, die nicht einen kleinen Kratzer zeigte. Hastig beugte ich mich herab und wiederholte das Prozedere bei meinem Bein, mit demselben Ergebnis. Auch dort fand ich keine Verletzung und ich zweifelte plötzlich ganz stark an meinem klaren Urteilsvermögen.

Die Verwirrung wurde langsam zu Panik und allmählich begann ich zu zittern.

Was passierte hier? War das ein Fiebertraum? Eine kranke Vorstellung von mir, um das Erlebte zu verarbeiten? Oder war ich eigentlich schon tot?

Unwillig schüttelte ich den Kopf, drängte die Gedanken zurück und beschloss, so schnell wie möglich aus dieser Grabkammer zu entkommen. Vielleicht waren es ja auch irgendwelche Pilzsporen in der Luft oder der Sauerstoffmangel.

Also tapste ich mit unsicheren Schritten die Stufen von der Plattform herab und stellte fest, dass der Durchgang nach draußen offen war. Ohne weiter zu überlegen, schnappte ich mir eine der brennenden Fackeln, um mich auf dem Weg nach draußen nicht zu verirren. Dann betrachtete ich das Stück Holz in meiner Hand, es war dunkelbraun und um das obere Ende war ganz primitiv ein Fetzen Stoff gewickelt, der in Harz getaucht worden war.

Moderne Ausgrabungsteams verwendeten keine altertümlichen Fackeln, wo sie doch Baustrahler und Neonröhren zur Verfügung hatten. Die innere Unruhe und Sorge wuchsen beständig an, aber noch immer weigerte sich mein Verstand, die logischste Möglichkeit in Betracht zu ziehen.

Mit der Fackel fest in der rechten Hand trat ich in den Vorraum der Grabkammer hinaus. Auch hier waren die Katzenstatuen verschwunden, sowie die Lanzen, die mich hatten aufspießen wollen. Hart biss ich auf meine Unterlippe, um durch den kontrollierten Schmerz etwas zu haben, dass mich auf dem Boden der Tatsachen halten würde und mir half, keine Panikattacke zu bekommen. Die Wände zu meinen beiden Seiten waren vollkommen leer, da waren keine Zeichnungen, keine Symbole, keine Schrift, nur glattbehauener Stein.

Was für kranke Wahnvorstellungen oder Halluzinationen sind das bitte? Oder habe ich mir eine Gehirnerschütterung zugezogen und stehe vollkommen neben mir?

Ich tastete nach meinem Kopf, aber ließ die Hand schnell wieder sinken.

Das Wichtigste war, so schnell wie möglich wieder ins Freie zu gelangen, denn dort konnte ich mir Hilfe holen und jemand musste mir endlich erklären, was passiert war. Und Yeosang würde ich fragen, was er sich dabei dachte, mich einfach hier allein zurückzulassen.

Beim bloßen Gedanken an meinen besten Freund traten Tränen in meine Augen, da ich mir momentan so schrecklich allein und verlassen vorkam. Nicht, dass ich dieses Gefühl nicht kannte, aber so schlimm hatte es sich schon länger nicht mehr angefühlt.

Mein Herzschlag beschleunigte sich und mein Atem wurde flacher. Das war absolut nicht gut. Wie aus Reflex griff ich an meinen Hals, um mit dem kleinen Edelstein an meiner Kette zu spielen, was mir bisher jedes Mal geholfen hatte, nicht meiner Angst zu verfallen. Doch meine Finger griffen ins Leere und die Verzweiflung schlug ihre Krallen so tief in mein Herz, dass der Schmerz kaum zu ertragen war. Panisch tastete ich meinen Hals ab, aber fand weder den Lapislazuli noch das weiche Lederband.

Sofort kehrte ich wieder um, lief mit wackeligen Beinen zurück zur Grabkammer und suchte den Boden der Plattform nach meiner Kette ab. Als ich sie dort nicht fand, durchkämmte ich jeden Winkel der Grabkammer und mit jeder verstreichenden Minute breitete sich diese fürchterliche Leere in mir weiter aus. Schließlich sank ich zu Boden, als mir klar wurde, dass ich die Kette nicht finden würde. Heiße Tränen kullerten mir über die Wangen, als ich um mein Schmuckstück trauerte, das mir durch so viele dunkle Stunden geholfen hatte. Es schmerzte unfassbar, dass dieser Teil von mir, der mich begleitete, seit ich ein Baby war, nun auf einmal verschwunden war.

Es mochte für Außenstehende komisch klingen, doch diese Kette war für mich alles. Sie war seit ich denken konnte da gewesen. Meine Eltern hatten mir als Kind immer und immer wieder die Geschichte erzählen müssen, wie sie zu mir gelangt war:

Sie berichteten mir, dass ich die Kette – wenige Stunden nachdem ich geboren worden war – einfach in der Hand gehalten hatte. Ich hätte meine kleine Faust ganz fest um den Edelstein geschlossen und diesen partout nicht losgelassen. Keiner – nicht einmal das Krankenhauspersonal – hatte sich erklären können, wie die Kette zu gefunden hatte, aber sie vermuteten, jemand habe sie unbemerkt in mein Bettchen gelegt. Meine Eltern hatten sie mir aus der Hand nehmen wollen, da sie fürchteten, ich könnte sie verschlucken oder mich an ihr verletzen, doch ich hätte fürchterlich geweint, sobald man sie mir abnahm und deshalb hatten sie beschlossen, die Kette zunächst bei mir zu lassen. Sie meinten, dass es mich bereits damals beruhigt hätte, wenn sie mir nahe war oder ich sie tragen durfte. Diese Kette hatte mich durch all die finsteren Zeiten meines bisherigen Lebens begleitet, selbst als meine Eltern und mein Bruder plötzlich nicht mehr da waren, blieb sie die Konstante in meinem Leben.

Und genau jetzt war ebendiese Kette weg, sie konnte mich nicht vor der Panik schützen, die dank dieser absurden und äußerst verstörenden Situation in mir aufkam. Alles um mich herum erschien mir so fremd und surreal, dass ich nicht einmal sagen konnte, was von alledem, was ich sah und fühlte, das Schlimmste war.

Dennoch wischte ich mir übers Gesicht, trocknete mühsam die Tränen und atmete tief durch. Noch wollte ich nicht aufgeben, sicher würde alles gut werden, sobald ich aus diesem Schacht herauskletterte und das helle, wärmende Sonnenlicht wiedersah. Deshalb nahm ich zum zweiten Mal den Weg zum Ausgang und lief danach etwas schneller und zielstrebiger den Gang entlang, der mich auch hineingeführt hatte.

Ich wollte hier raus, so schnell wie möglich. Ich wollte nur in mein gemütliches Bett und schlafen, sehr lange schlafen und dabei diese Angst und den Stress vergessen. Vorerst schluckte ich den Kloß in meinem Hals also hinunter und eilte weiter, bis ich schlussendlich an der Weggabelung ankam, die vermutlich zu den beiden anderen Grabkammern führten. Allerdings sah es auch hier ganz anders aus und statt drei Abzweigungen gab es nur zwei. Doch ich ließ mich nicht täuschen und wählte den Weg, der mich zurück nach draußen führen würde.

Nur noch gute zwanzig Meter und ich bin wieder im Freien. Sprach ich mir selbst Mut zu und bog um die letzte Ecke, dort wo der verborgene Tunnel abzweigte.

Fast wäre ich dabei in jemanden hineingelaufen und ich zuckte zurück, um nicht doch noch mit meinem Gegenüber zusammenzustoßen. Ich blickte verwirrt zu dem Mann vor mir, der genauso verwundert zurückstarrte. Er trug lediglich einen weißen Lendenschurz und offenbarte einen sehr dünnen aber durchaus muskulösen Oberkörper. Seine Haut war stark sonnengebräunt und in seiner Hand hielt er eine eher primitive Spitzhacke, die sehr abgenutzt aussah. Sein Blick war ebenfalls auf meine Kleidung gerichtet, doch dann senkte er eilig seinen Kopf und verbeugte sich vor mir, ehe er hastig an mir vorbeilief.

Ich blieb noch einige Sekunden genau da stehen, wo ich war, und starrte ihm nach, bis ich nicht einmal mehr den weißen Lendenschurz in der Dunkelheit ausmachen konnte. Mein logisches Denken schien sich abgemeldet zu haben, denn das Einzige, was mir in den Sinn kam, war, mich darüber zu wundern, dass ein Mitarbeiter eines Ausgrabungsteams so herumlief.

Aber dann erinnerte mich der schwache Lichtschein am Ende des Ganges an die wartende Aufklärung dieses Rätsels und ich legte die Fackel auf dem Boden ab, um dann förmlich loszurennen und das sichere Tageslicht schneller wiederzusehen. Mit schnellen, raumgreifenden Schritten eilte ich den warmen Sonnenstrahlen entgegen und achtete nicht weiter auf meine pochenden Kopfschmerzen.

Endlich spürte ich feinen Sand unter meinen Schuhen und kam schlitternd zum Stehen. Ich atmete tief durch und blinzelte mehrmals, da sich meine Augen erst wieder an die starke Nachmittagssonne Ägyptens gewöhnen mussten. Ich trat noch einen Schritt nach vorn und sah dann von dem kleinen Plateau herab.

Aber genau dieser eine Blick erschütterte mein Innerstes zutiefst und brachte die letzten gut behüteten Mauern zum Einsturz, die mich davor bewahrt hatten, die Realität zu erkennen. Zunächst riss ich meine Augen auf und dann schnappte ich völlig entsetzt nach Luft, als ich nach unten in das Tal der Könige sah.


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Hello ihr Lieben, 

ich hoffe, euer Jahr 2024 hat gut begonnen. Ich bin pünktlich nach dem Stress der Feiertage krank geworden (war zu erwarten) und jetzt bin ich dabei, meine Erkältung zu kurieren. Außerdem muss ich euch heute nochmal mit einem Kapitel vertrösten, da wir schon wieder Besuch bekommen... Aber dafür werde ich morgen und übermorgen jeweils ein Kapitel hochladen. 

Immerhin hat die Story jetzt richtig begonnen und wir kommen auf der wilden Achterbahnfahrt an Gefühlen zu den ersten Loopings. 

I love you Stay. 💕

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