Wein und Widerworte
Jisungs Pov:
„Han Jisung. Ich soll euch zum Pharao bringen."
Die Worte klangen in meinen Ohren nach und mein Lächeln verblasste. Mit zittrigen Fingern verstaute ich das kleine Fläschchen mit dem gut duftenden Öl, das mir Sunoo auf dem Markt geschenkt hatte, zwischen der weichen Kleidung, die so gut wie abreisefertig in der Truhe lag. Etwas unsicher erhob ich mich auf die Füße und wandte mich der Wache zu, die sich ehrfürchtig verbeugte. Dabei erhaschte ich einen Blick auf Seungmin, der mich prüfend betrachtete, während Hyunjin sich abgewandt hatte und so tat, als würde er keine Notiz von mir nehmen.
Ehrlich gesagt hatte ich heute nicht damit gerechnet, dass Minho nach einem von uns schicken würde. Wir waren alle bereits frisch gebadet und im Begriff, ins Bett zu gehen, um morgen ausgeruht nach Memphis aufbrechen zu können. Dass er ausgerechnet mich auswählte, war noch bedenklicher – vor allem nach dem Vorfall im Bad.
Mein Herz schlug viel zu schnell und zu unregelmäßig gegen meinen Brustkorb, und diesmal gewann die Sorge wieder die Oberhand. Am liebsten hätte ich mich geweigert.
Ich könnte sagen, dass ich krank bin oder mich nicht wohlfühle. Vielleicht sollte ich eine Ohnmacht vortäuschen. Aber das würde mir die Wache jetzt wohl nicht mehr abkaufen.
Also beschloss ich, mich meinem Schicksal tosdesmutig entgegenzustellen.
Den ganzen Weg zu Minhos Gemächern sagte ich mir die folgenden Sätze wie ein Mantra vor.
Du wirst dich nicht von ihm um den Finger wickeln lassen. Er wird dir keine weiteren Versprechen abringen oder dich anders dazu bringen, mit ihm intim zu werden. Du wirst ihn abweisen. Du wirst ihn nicht mit dir schlafen lassen.
Doch schon als ich sah, wie sich die große, schwere Tür zum Königsgemach öffnete, hatte ich den Faden verloren und meine Mutmachsprüche hatten sich in zusammenhanglose Silbenfetzen aufgelöst, die mir keinen Deut mehr halfen. Dennoch trat ich möglichst würdevoll und mit neutraler Miene in die Gemächer des Pharaos. Verwirrt stellte ich fest, dass ich ihn nirgendwo entdecken konnte.
„Buhh." Hauchte mir dann jemand tief ins Ohr und ich stieß einen spitzen Schrei aus, während ich einen Schritt in den Raum stolperte und mich hastig umdrehte, um den Überrascher zu erkennen. Noch während ich mich drehte, verlor ich auch noch die Balance und wäre wohl nach hinten gekippt, wenn mich Minho nicht rasch in seine Arme gezogen hätte und mich nun mit seinem typisch katzenhaften Lächeln betrachtete.
„Du bist wirklich niedlich, wenn du so ängstlich in mein Zimmer schleichst." Bei diesen Worten strich er mir eine Haarsträhne zurück und sah mit funkelnden Augen auf meine Lippen. Dann lehnte er sich nach vorn und für einen Moment dachte ich, er wolle mich küssen, doch dann streifte seine Lippe nur meine Wange und er raunte direkt in mein Ohr. „Ich mag es, dich so fassungslos zu sehen, Jisung. Aber deinen letzten Abgang nehme ich dir dennoch ein bisschen übel."
Mit geweiteten Augen starrte ich ihn an, schluckte trocken und brachte dann ein wenig geistreiches „Sorry" zustande. Der hübsche König vor mir runzelte die Stirn und sah fragend zu mir.
„Was bedeutet das?"
„I-ich meinte E-entschuldigung", stammelte ich nervös und hätte mich für meine Unvorsicht selbst ohrfeigen können. „Ich habe mich nur verhaspelt", versuchte ich die Situation abzuwiegeln und offenbar glaubte er mir, da seine Augen sich nun wieder auf mein Gesicht fokussierten. Besser gesagt auf meine Lippen und erneut lehnte er sich zu mir herab. Rasch stemmte ich meine Hände gegen seine Brust, um ihn auf Abstand zu halten und nicht zu riskieren, dass er etwas Unangemessenes tat.
„Nicht. Bitte nicht."
Ich musste stark bleiben. Ich musste unnachgiebig bleiben, um nicht wieder halb von ihm verführt zu werden, so wie er es schon unzählige Male und auf unterschiedliche Arten versucht hatte. Und bis jetzt hatte er mich noch nie geküsst oder es versucht... also war das ganz sicher seine neuste Taktik, um mich dazu zu bringen, ihm gefügig zu sein und ihm zu geben, was er möchte.
„Nun gut." Vollkommen gegen meine Erwartungen wurde ich aus seinen Armen entlassen und konnte einen gebührlichen Abstand zwischen uns bringen. „Wie wäre es stattdessen, wenn wir uns unterhalten und du mir mehr von deinem früheren Leben berichtest. Ich weiß immer noch erschreckend wenig über dich als Person."
Er trat an mir vorbei zum Tisch und füllte zwei goldene Becher mit einer dunkelroten Flüssigkeit, die ihren schweren, süßlichen Duft bis zu mir schickte. Er nahm einen der Becher und reichte ihn mir, den anderen zog er zu sich und trank einen Schluck. Dabei blickte er in meine Richtung und schirmte auch nicht ab, dass er trank. Ich konnte zusehen, wie er die aus Trauben gekelterte Flüssigkeit schluckte, und verstand, warum er das tat. Er bewies mir, dass er nichts in den Wein gegeben hatte, um mich zu vergiften oder mir anders zu schaden. Es war eine Geste des Respektes, und um das Vertrauen des Gegenübers zu gewinnen, das hatte ich einmal in einem Aufsatz gelesen.
Da ich nicht unhöflich erscheinen wollte, führte ich den goldenen Becher nun ebenfalls an die Lippen und nippte an dem alkoholischen Getränk. Das Gebräu war verdammt stark und es rann wie flüssiges Feuer meine Kehle hinab. Meine Augen brannten und ich schluckte eilig, bevor ich hustete und mir verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischte.
Meine Güte ist das krasse Zeug. Nicht mal diese schrecklichen Long Island-Icetea-Mischungen von Yeosang können diesem Wein an Prozenten das Wasser reichen.
„Ist er dir zu stark?", fragte Minho mit belustigt hochgezogenen Mundwinkeln und einem neckenden Unterton. Er drehte sich halb zum Tisch und deutete auf die Wasserkaraffe. „Du kannst ihn auch gern strecken. Das tun die meisten Beamten, wenn sie schon tagsüber ein bisschen angetrunken sein wollen... einige behaupten sogar, es helfe zu arbeiten." Er schnalzte missbilligend mit der Zunge und ließ sich dann bequem auf einem Divan nieder. „Vollkommener Unsinn. Um seine Arbeit zuverlässig zu erledigen, sollte man einen klaren Kopf haben. Findest du nicht auch, Kätzchen?"
Ich war zu verwirrt von dem lockeren Smalltalk, den der Ältere betrieb, sodass ich nicht wirklich nachdachte, sondern mich ihm gegenüber niederließ und mir dann tatsächlich noch einen Schluck dieses feurigen Gesöffs in den Rachen kippte. Diesmal war das Brennen weniger schlimm und ich räusperte mich nur kurz, bevor ich Minho antwortete.
„Ich denke ebenfalls, es ist klüger, nicht betrunken zu sein, wenn man arbeiten muss. Schließlich passieren sonst viel leichter Unfälle oder Fehler. Es ist sicherer, nichts zu trinken."
Mit meiner Antwort offenbar zufrieden, nickte Minho und prostet mir dann zu, bevor er ohne auch nur mit der Wimper zu zucken trank. „Wahre Worte. Mich mit dir zu unterhalten, gestaltet meinen Tag ohnehin gleich viel interessanter. Sag mir... Was weißt du über die Gesellschaft dieses Landes? Bist du vertraut mit unserem Staatswesen und den Gepflogenheiten oder fällt es dir schwer, dich an deinen neuen Status zu gewöhnen?"
Er beobachtete mich aufmerksam und nahm noch einen kleinen Schluck vom Wein. Was ich ihm aus irgendeinem Grund gleichtat und dann den Kopf schieflegte.
Ist das eine Fangfrage? Will er mich testen?
„Ich kenne mich ein bisschen aus. Vieles ist mir jetzt schon vertrauter, dadurch, dass Seungmin und die anderen mich in allem, was ich nicht weiß, unterrichten."
Auch wenn es teilweise stark verzerrt von religiösem Glaube und ausufernden Machtgefügen ist.
„Heute habe ich beispielsweise gelernt, dass die frischesten und besten Duftstoffe und Öle durch euren regen Handel mit Äthiopien in den Palast gelangen. Sunoo hat mir davon berichtet, da er mir vor Kurzem ein solches Duftöl geschenkt hat und ich es vorhin nach dem Baden verwendet habe."
Minho lächelte und hob eine Augenbraue. „Das ist es also, wonach du heute riechst. Ich habe mich schon gewundert, da du beim letzten Mal einen viel dezenteren Duft getragen hast."
Ich nickte und streckte dann ohne nachzudenken meinen Arm in seine Richtung, da ich das parfümierte Öl vorhin auf der Innenseite meines Handgelenks verteilt hatte. „Ja, das ist es. Ich finde, es riecht sehr aromatisch und Sunoo meinte, es passt zu mir, also werde ich es jetzt öfter tragen", erzählte ich munter weiter, bevor mein Atem stockte, da Minho meine Hand zärtlich mit seiner umfasst hatte und nun sanft an der eingesalbten Stelle schnupperte. Dann platzierte er einen kleinen Kuss genau über meinem Handgelenk und gab meine Hand anschließend wieder frei.
„Es passt tatsächlich hervorragend zu dir. Es lässt dich nach wilden Rosen und den lieblichsten Veilchen riechen und ich mag beide Blumenarten sehr gern."
Die Hitze stieg in meinen Wangen und schnell führte ich den Weinbecher wieder an meine Lippen.
„Du solltest langsam trinken. Sonst steigt dir der Alkohol noch schneller zu Kopf, als er es ohnehin zu tun scheint." Ein amüsiertes Lächeln, was den sonst so unnahbaren Mann einfach noch hübscher aussehen ließ, schlich sich auf dessen Züge. Nach einer kurzen Sprechpause fügte der Pharao in ähnlich heiterem Ton fort. „Aber wer weiß, vielleicht sollte ich dich auch gewähren lassen. Möglicherweise wirfst du dich dann endlich in meine Arme und lässt mich alles von deinem wunderschönen Körper erkunden."
Sogleich hätte ich den großen Schluck, den ich gerade im Mund hatte, am liebsten wieder ausgespuckt.
Verdammt. Wie hatte ich auch nur so dumm sein können? Natürlich war das seine Taktik gewesen. Er wollte mich mit dem Alkohol benebeln, um mich so leichter ins Bett zu bekommen. Er wollte nichts Nettes tun oder sich einfach unverfänglich mit mir unterhalten... Er wollte mich betrunken machen und meine Schwäche ausnutzen.
Diesmal war das fast vergessene Brennen des Weins wieder schlimmer, sogar noch schlimmer als zuvor. Ruckartig lehnte ich mich nach vorn und stellte den Becher scheppernd auf den niedrigen Tisch. Sofort trafen mich die verwirrten Augen des Königs und ich erwiderte seinen Blick stumm und kühl, bis ich mich doch abwandte und meine Finger unruhig knetete.
Ob ich mir einen Vorwand ausdenken soll, um zurück in die Gemächer zu dürfen? Unwohlsein vielleicht? Aber würde er mir das jetzt abkaufen?
„Jisung?"
Ich antwortete nicht, da ich mich innerlich gerade selbst für meine Dummheit verfluchte und gleichzeitig nicht nur auf mich sauer war, sondern auch auf Minho – vor allem auf Minho.
„Was ist los, Kätzchen? Ist etwas nicht in Ordnung? Habe ich etwas Falsches gesagt?"
Seine gespielt besorgte Stimme kann er sich sparen. Seine ganze dämliche Farce kann er sich sparen und seine anzüglichen Worte soll er doch Hyunjin oder sonst wem zuflüstern, aber nicht mir!
„Es ist nichts", erwiderte ich reserviert und sah ihn nicht einmal an. Am liebsten würde ich erneut fliehen und ihn vorher heftig beleidigen. Ich wollte ihm alle fiesen Schimpfworte an den Kopf werfen, die ich kannte, doch stattdessen blieb ich stumm.
„Wenn du das sagst." Minho hörte sich resigniert und möglicherweise auch frustriert an, was ich versuchte zu ignorieren. „Was weißt du denn bereits über unseren Staatsapparat? Siehst du gravierende Unterschiede zu deinem Heimatland?" Versuchte der Pharao mehr oder weniger elegant, das Thema zu wechseln und in eine weniger verfängliche Richtung zu lenken.
Die Frage traf mich nun etwas unvorbereitet und ich musste mich konzentrieren, um eine klare Antwort zu formulieren.
Verdammt, offenbar wirkt der Wein schon.
„Ich weiß, dass sich beide Länder in der Gesellschaftsstruktur sehr ähneln. Also die Führung durch einen königlichen Herrscher, der seine Minister, Beamten und die Priester delegiert und mit ihnen im Kronrat sitzt, um neue Dekrete zu erlassen. Nur in den unteren Schichten der Bevölkerung ist euer Staatsapparat wohl fortschrittlicher und humaner als das unserer. Ihr gesteht jedem Bauern Land zum Bewirtschaften zu und schafft somit viele Arbeitsplätze."
Mir war bewusst, dass ich bisher nur mein Bücherwissen nutzte und das eigentlich nicht besonders gut vergleichbar mit der Realität war, aber irgendwas musste ich ja sagen und mir kamen meine Worte immer noch sehr vage und ungenau vor. Schlussendlich war ich nicht ins Detail gegangen und hatte nur die sicheren Fakten wiedergegeben. Mein Gegenüber jedoch schien mit der Antwort durchaus einverstanden zu sein.
„Für einen ehemals bescheidenen Bürger bist du erstaunlich gut informiert und du scheinst dir auch hier einen schnellen Überblick verschafft zu haben. Bewundernswert." Minho beugte sich in meine Richtung und musterte mich gründlich.
„Ich gebe mein Bestes, mich zu integrieren, mein König." Leider konnte ich nicht ganz verhindern, dass sein Titel eher zynisch über meine Lippen kam, und am liebsten hätte ich mich selbst geohrfeigt. Offenbar wirkte der Wein stärker als erwartet, denn mit einem Mal fühlte ich mich kampflustiger als zuvor. Aber ob das in diesem Fall nicht doch eher mein Todesurteil war, wusste ich nicht.
Anders als erwartet drang ein Glucksen an mein Ohr, das mich fast selbst genötigt hätte zu lächeln. Doch noch immer wusste ich nicht, ob der mächtige Mann vor mir nicht doch gleich seine Contenance verlieren würde und mich anschrie oder mich anders bestrafen würde.
„Sprich ruhig weiter. Ich bin gespannt, was du mir noch zu sagen hast."
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Heute habe ich mal eine konkrete Frage für euch: Habt/hattet ihr auch einen Gegenstand oder etwas ähnliches, was euch Mut oder zumindest Zuversicht gab/gibt? Also etwas, das euch wirklich wichtig ist, weil es für euch persönlich von Bedeutung ist und was ihr nie weggeben würdet? (Weil in dieser Story hat Jisung ja seine Halskette gerade nicht mehr und diese war für ihn super wichtig.)
Ich habe selbst auch mal darüber nachgedacht, ob ich einen solchen Gegenstand habe und ich weiß noch, dass ich in meiner Kindheit ein ganz kleines Kuscheltier hatte, das man an einem Schlüsselanhänger befestigen konnte (das hat mir immer Mut gegeben). Und ich habe es bei wichtigen Schularbeiten immer mitgenommen ^^ und mittlerweile habe ich an meinem Schlüsselbund viele kleine Souvenirs oder Geschenke von Freunden, die mir alle wichtig sind.
I love you Stay. 💖
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