Verstanden werden und verstehen können

Jisungs Pov:

Ich hatte den Moment lange genug hinausgezögert, mich wieder bei den anderen aus dem Harem blicken zu lassen. Selbst nachdem Minho schon längst seine Gemächer verlassen hatte, um einer Ratssitzung beizuwohnen, hatte ich noch auf seinem Bett gesessen und die Ereignisse der letzten Tage Revue passieren lassen. Vor allem die Offenbarungen und Abgründe des gestrigen Abends beschäftigten mich und ich bemühte mich ebenso darum, mir eine gute Strategie für ein Gespräch mit Seungmin, Hyunjin und den anderen zurechtzulegen. Sie hatten alle ein Anrecht auf die Wahrheit. Und dennoch war ich mir nicht sicher, ob ich dazu bereit war.

Schließlich hatte ich mich innerlich dazu durchgerungen, meine wahren Gefühle immerhin Seungmin und Hyunjin anzuvertrauen. Mir war zwar bewusst, dass Hyunjin womöglich nicht gut auf mich zu sprechen sein würde – vor allem, da er von Anfang an gegen meine und Minhos Verbindung war – ganz zu schweigen davon, dass ich ihn hatte belügen müssen. Aber er und Minnie hatten das größte Anrecht auf die gesamte Geschichte und eine ernstgemeinte Erklärung und Entschuldigung von mir – immerhin standen sie Minho ebenfalls nahe und waren sogar mit ihm verheiratet. Vermutlich würde sich Hyunjin von den neuesten Entwicklungen noch mehr entmutigt und verletzt fühlen, aber das musste ich in Kauf nehmen. Mittlerweile hatte ich sogar das Gefühl, ihn teilweise verstehen zu können: Ich wäre vermutlich ebenfalls eifersüchtig, wenn mir unvermittelt die gesamte Aufmerksamkeit durch einen anderen Menschen entzogen werden würde. Hyunjin war vor meiner Ankunft vermutlich Minhos absoluter Favorit gewesen und wenn er ernsthafte Gefühle für den Pharao hegte, konnte ich sogar noch besser nachvollziehen, weshalb er Abstand zu mir hielt.

Jedenfalls hatte ich mich noch vor der Mittagszeit dazu durchgerungen, zu den gemeinsamen Gemächern zurückzukehren und den anderen zu zeigen, dass ich nicht verschwunden war.

Sunoo war der erste, der mich entdeckte. Er sprang so hastig auf, dass Niki neben ihm zusammenzuckte und den Pinsel, mit dem er gerade Hieroglyphen auf ein Blatt Papyrus gesetzt hatte, auf ebendieses fallenließ.

„Jisung! Du bist wieder da!" Sunoo rannte zu mir und umarmte mich fest, während auch die anderen Anwesenden nun aufsahen oder schon in meine Richtung kamen.

Mit einem erleichterten Lächeln umarmte ich Sunoo zurück und genoss die freundschaftliche Umarmung, die mir schlagartig mehr Mut verlieh.

„Jisung, ist alles in Ordnung bei dir?" Seungmin musterte mich aufmerksam und ich konnte den Rest Sorge deutlich an seiner Intonation und in den aufmerksam geweiteten Augen lesen. Also nickte ich ihm zu und bestätigte dann leise.

„Es geht mir gut."

„Wir dachten schon, du seist ernsthaft verletzt oder krank, als du gestern nicht zurückgekehrt bist", plapperte Niki drauflos und es tat mir leid, dass sie sich um mein Wohlergehen sorgen mussten.

„Oder dass du weggelaufen bist", drang plötzlich Hyunjins Stimme etwas schärfer an mein Ohr. Ich suchte seinen Blick und konnte seinen Unmut erkennen, aber dann blitzte auch in seiner Miene die Erleichterung auf. Gleich darauf landete Seungmins Ellenbogen in Hyunjins Rippen und der Jüngere funkelte den Schwarzhaarigen empört an.

„Hyunjin! Er ist gerade erst zurückgekommen!"

Der Gescholtene murmelte etwas vor sich hin, bevor er zurücktrat und den Kopf senkte. „Ich wollte nur das aussprechen, was wir insgeheim alle gedacht haben", verteidigte er sich und ich verstand, dass er es nicht als Affront gemeint hatte. Also antwortete ich dementsprechend ruhig und sachlich, während mein Blick über die Anwesenden schweifte. Dabei entdeckte ich auch Yeji, die sich bisher zurückgehalten hatte. Sie wusste immerhin viel mehr als die anderen und vielleicht hatte sie bereits die richtigen Schlüsse aus allem gezogen.

„Wie ihr seht, geht es mir gut. Ich bin nicht verletzt, nicht krank und weggelaufen bin ich auch nicht." Ich baute Augenkontakt mit Hyunjin auf. „Und das habe ich auch nicht vor. Ich hätte es euch vermutlich viel früher sagen sollen, aber in den letzten Wochen seid ihr mir alle sehr wichtig geworden und ich würde euch nie ohne Verabschiedung und Begründung zurücklassen."

Die funkelnden Augen des Schwarzhaarigen betrachteten mich durchdringend und dann nickte er kurz, zum Zeichen, dass er meine Aussage akzeptierte.

Auch alle anderen schienen erleichtert von meinen Worten und Seungmin umarmte mich fest, bevor er mir verkündete, dass wir nun alle gemeinsam etwas essen sollten. Ich willigte sofort ein, da ich doch einen gewissen Hunger verspürte nach all der Anstrengung.

Die Speisen schmeckten gefühlt sogar besser als sonst, was vermutlich nicht nur an meinem Appetit lag, sondern auch an der neuen Zuversicht, die mich durchströmte. Allein zu wissen, dass ich Minho nun so viel näher war und wir einander mochten, beflügelte mich.

Ebenso sehr genoss ich die Gesellschaft der anderen und lächelte über ihre Kabbeleien und die Witze, die sie machten. Sunoo und Niki schienen besonders ausgelassen und einmal musste Yeji sie sogar ermahnen, ihre guten Manieren nicht vollkommen zu vergessen. Ich verfolgte das Schauspiel mit einem breiten Grinsen auf den Lippen und fragte mich, wieso ich nicht jeden Tag mit dieser verrückten Gruppe genossen hatte, sondern mich lieber auf mich allein konzentriert hatte.

Erst als die Bediensteten die Tische abräumten und das Mittagsmahl beendet war, straffte ich meine Haltung und sah hinüber zu den zwei Personen, die ich so dringend sprechen wollte.

„Seungmin, Hyunjin, wäre es euch recht, mich hinaus in den Garten zu begleiten? Ich würde gern mit euch reden."

Der Erstgenannte war sofort bereit, meiner Bitte zu folgen, und neigte den Kopf. „Natürlich, Jisung." Dann beobachtete ich Hyunjin, der eine Augenbraue angehoben hatte und seine vollen, weichen Lippen etwas stärker aufeinanderdrückte. Aber dann wich die Anspannung aus seiner Mimik und er stimmte ebenso zu. „Wenn du das wünschst."

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So saßen wir drei wenig später unter dem großen Sonnensegel und ich fühlte mich seltsam an den Augenblick zurückerinnert, als ich zum ersten Mal mit Seungmin und Hyunjin hier gesprochen hatte. Damals, als sie mir erklärt hatten, was ich von Minho und dem Palast zu erwarten hatte und wer sie eigentlich waren.

Es fühlte sich bizarr an, nun derjenige zu sein, der ihnen etwas erklären musste und ihnen offenbarte, dass ich Minho tatsächlich nähergekommen war – freiwillig.

Ich holte tief Luft und blickte von Hyunjin zu Seungmin und wieder zurück.

„Ich bin letzte Nacht nicht in unsere Gemächer zurückgekehrt, weil ich bei Minho war." Noch bevor Hyunjin etwas sagen oder nur einen verächtlichen Laut von sich hätte geben können, erklärte ich weiter: „Ich habe ihm die Wahrheit gestanden, ebenso wie ich sie jetzt euch sagen werde. Ich hatte Vorurteile gegenüber diesem Ort. Nicht nur habe ich geglaubt, Minho wäre ein grausamer Pharao, der seine eigenen Eltern getötet hat, sondern ich habe ebenso wenig versucht, ihn tatsächlich kennenzulernen. Ich hatte schreckliche Angst davor, er würde mir etwas antun – schon allein aus dem Grund, dass ich weder von hoher Abstammung bin noch mich mit euren Gebräuchen auskenne."

Im Punkt meiner Herkunft würde ich vage bleiben, da ich den beiden Personen vor mir zwar vertraute, aber ich wusste, welchen Einfluss das Wissen um Zeitreisen mit sich brachte, und noch wollte ich dieses Geheimnis nicht jedem offenbaren – Seungmin aus religiösen und Hyunjin aus vertrauenstechnischen Gründen.

„Aber ich musste gestern meinen großen Irrtum erkennen, nachdem Minho mich mit der Wahrheit konfrontiert hat. Und ob ihr mir nun glaubt oder nicht, ich habe in den letzten Wochen trotz meiner Zweifel und Ängste ebenso liebevolle Gefühle für Minho entwickelt. Ich habe es bis zum gestrigen Tage versucht zu verstecken, aber ich habe mich in ihn verliebt und möchte seinem Werben um mich nachgeben. Deshalb habe ich die gestrige Nacht auch bei ihm verbracht."

Die darauffolgende Stille war für mich besonders unangenehm, auch wenn ich damit hätte rechnen müssen, dass mein Geständnis erst verarbeitet werden musste. Fast schon schüchtern blickte ich zuerst zu Seungmin, da ich mir von ihm mehr Zuspruch erhoffen konnte als von Hyunjin. Und tatsächlich erkannte ich auf den Lippen des Braunhaarigen ein sanftes Lächeln, das andeutete, wie sehr es ihn freute, dass ich endlich meine Mauern einriss und zu mir selbst fand.

„Ich habe es dir doch gesagt." Waren dann auch seine ersten Worte. „Minho ist eine sehr respekteinflößende Person, aber er ist ebenso von Herzen aufrichtig und dafür bestimmt, dieses Land zu führen. Und ich freue mich sehr, dass du dies erkannt hast und du ihm offenbart hast, was dich hat zögern lassen. Wenn ich ehrlich sein soll, habe ich es schon eine Weile vermutet, dass da mehr ist, als du uns sehen lässt."

„Ja, es war nicht besonders gut versteckt", mischte sich zu meiner Überraschung nun Hyunjin ein und ich wandte ihm den Kopf zu, nur um einen neutralen Blick aus seinen rehbraunen Augen aufzufangen. Er wirkte weder erzürnt noch gekränkt, was ich zugegebenermaßen nicht ganz verstand, aber es beruhigte mich, dass er nicht gleich auf mich losgehen wollte.

„Wir waren gestern alle besorgt um dich, da hatte Niki vorhin recht. Wir alle haben gesehen, wie du die letzten Wochen damit verbracht hast, dich von uns zurückzuziehen und lieber für dich selbst zu grübeln. Deshalb haben wir gestern das Schlimmste befürchtet."

Im ersten Moment konnte ich nur verwundert blinzeln, als Hyunjin diese Worte so unbekümmert aussprach und mich mit keinem Wort und keiner Geste daran zweifeln ließ, dass er das ernst meinte.

Wieso ist er jetzt auf einmal so verständnisvoll? Kann es sein, dass er irgendetwas plant?

„I-ich verstehe nicht... ich-"

„Du verstehst nicht, warum ich auf einmal so ungezwungen mit dir sprechen kann und mich dir gegenüber freundlich verhalte?", vollendete der Schwarzhaarige dann auch noch meine unausgesprochene Frage. Seine plumpen Lippen kräuselten sich zu einem amüsierten Lächeln, bevor er einen raschen Blick zu Seungmin riskierte, der sich etwas gemütlicher hingesetzt hatte.

„Halten wir die Erklärung kurz, Jisung. Ja, ich hatte am Anfang sicher Vorbehalte gegen dich und vermutlich stammten sie größtenteils aus meiner Eifersucht, weil dir Minho mehr Aufmerksamkeit schenkte als mir." Seine Wangen färbten sich bei diesem Eingeständnis pink und ich hörte ein leises Kichern, das nur von Minnie stammen konnte. Sekunden später warf Hyunjin ihm auch schon einen bösen Blick zu, bevor er sich wieder an mich wandte. „Aber viel störender fand ich dein Misstrauen, das du von Anfang an gegen Minho gezeigt hast. Man hat dir deine Abneigung förmlich angesehen und, wie du es so richtig erkannt hast, war dies dein größter Fehler. Es hat mich wütend gemacht, dass du den Menschen, der dir so viel Sicherheit und Reichtum geschenkt hat, nur geringschätzen konntest und schlecht über ihn gesprochen hast."

Ich senkte den Blick, nachdem Seungmin Hyunjin beruhigend eine Hand auf die Schulter gelegt hatte.

„Er ist ehrlich zu dir, Jisung. Ich weiß, manchmal ist Hyunjin anstrengend und von sich selbst überzeugt, aber seine größte Loyalität gilt Minho, so wie die meine. Nur weiß ich, sie anders auszudrücken." Sanfter Tadel schwang in seiner weichen Intonation mit und ich musste mir selbst eingestehen, dass ich Hyunjin gründlich missverstanden hatte. Er war beinahe berechtigt auf mich wütend gewesen, weil er mir nicht hatte vertraut können. Schließlich hatte er meine Reaktionen auf Minhos Einladungen stets gesehen. Aus seiner Sicht war sein Misstrauen mir gegenüber sogar verständlich.

„Es- es tut mir aufrichtig leid, dass ich so lange benötigt habe, um meinen Irrtum zu erkennen", sprach ich direkt zu ihm und erkannte sofort, dass ihm diese Worte nicht gleichgültig waren. Hyunjin nickte verstehend, bevor seine Augen wieder durchdringend auf mir lagen. „Also, was ist gestern Abend geschehen?"

Überrascht von dem spontanen Themenwechsel und auch der Richtung, die die Unterhaltung nun nehmen würde, öffnete ich ein paar Mal die Lippen, nur um sie dann wieder zu schließen.

„Du musst es uns auch nicht jetzt sagen", beschwichtigte mich Seungmin, doch ich schüttelte den Kopf und endlich gelang es mir, das auszusprechen, was noch so neu und aufregend für mich war.

„Gestern Abend ist nichts passiert. Wir haben miteinander gesprochen, die Unklarheiten ausgeräumt und nebeneinander im Bett geschlafen. Erst heute Morgen sind wir uns nähergekommen." Den letzten Satz murmelte ich eher in mich hinein, aber dennoch verstanden ihn die beiden Personen, die mir direkt gegenübersaßen, bestens.

„Was habt ihr getan?" „Wie hast du dich dabei gefühlt?" Stellten beide gleichzeitig ihre Fragen und es war lustig, die Neugier auf beiden Gesichtern gespiegelt zu erblicken.

Etwas verschämt biss ich auf meine Unterlippe und sprach dann mit gedämpfter Stimme weiter: „Also– naja, er-er hat mich angefasst und mich befriedigt und es war sehr intensiv. Ich habe mich wohlgefühlt."

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Was sagt ihr zu Hyunjins Erklärung zu seinem bisherigen Verhalten? Glaubt ihr ihm, oder misstraut ihr ihm noch mehr? 😊

I love you Stay. ❤️

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