Unvermeidliche Veränderungen (Teil 2)
Jisungs Pov:
„Du wirst mich nicht fortschicken, Bruder! Nicht in dieser Situation! Nicht wenn ich dich verlieren könnte. Ich habe mit Chan darüber gesprochen und wir sind uns einig, dass wir dir zur Seite stehen, egal was kommen sollte. Ich werde also nicht gehen und mich verkriechen wie ein Feigling. Ich werde neben dir stehen, ich werde mit dir gemeinsam kämpfen – wenn es sein muss bis zum letzten Atemzug!"
Diese Antwort des Prinzen war mehr als deutlich und jeder der Anwesenden merkte, wie ernst ihm seine Worte waren. Seine Haltung war stolz und aufrecht, und auch wenn ich ihn noch nie gegen Minho hatte aufbegehren sehen, beeindruckten mich seine Unnachgiebigkeit und die Überzeugung, mit der er dabei auftrat. Selbst für Minho schien diese entschlossene Seite seines Bruders neu zu sein, denn er schwieg nachdenklich, betrachtete den Jüngeren eingehend, bis er schlussendlich einen letzten Versuch unternahm, seinem Bruder ins Gewissen zu reden.
„Ich verstehe deine Haltung und glaube mir, es erfüllt mich mit Stolz und Zuversicht für die Zukunft unseres Landes, dich so sprechen zu hören. Dennoch will ich, dass du auch mich verstehst. Sollte mir etwas geschehen, bist du der nächste in der Erbfolge. Dann wirst du auf dem Thron Thebens sitzen. Ich will nicht riskieren, dich sogleich mit mir ins Verderben zu reißen, nur weil du an meiner Seite bleibst. Fürs Erste werde ich dich nicht fortschicken und deine Wünsche respektieren, Bruder. Aber sollte mir etwas den Anlass zu einer begründeten Sorge geben, dass dein Leben in Gefahr ist, werde ich nicht zögern, dich in Sicherheit zu bringen."
Nur zu gut konnte ich die Absichten beider Seiten verstehen und Jeongin schien es ähnlich zu ergehen, denn er maß seinen älteren Bruder ebenso mit eingehenden Blicken, bevor er schließlich sein Kinn senkte und zumindest teilweise einlenkte.
„Ich verstehe deine Sorgen ebenfalls, Minho. Aber wir sind die einzige Familie, die uns noch bleibt. Genau deshalb sollten wir füreinander kämpfen. Ganz gleich, ob die Götter längst entschieden haben, dass du sterben sollst... Ich werde mich selbst ihnen entgegenstellen, um das zu verhindern." Kurz fing der Jüngere meinen Blick ein. „Und ich denke, mit Jisung an unserer Seite haben wir eine Chance, das Schlimmste zu verhindern."
Mein Magen machte einen Salto und ein flaues Gefühl breitete sich erneut aus. Es machte mich nervös, wie sehr sich nun sogar Jeongin und damit auch Chan auf mich verließen.
Wenn ich doch nur wüsste, wie genau ich diese Tat verhindern kann. Wir alle sind entschlossen, etwas zu tun... nicht nur etwas, sondern alles, was nötig ist – das hat Jeongin gerade eindrucksvoll verdeutlicht. Alle hoffen darauf, dass ich ihnen den entscheidenden Hinweis liefere, dabei kann ich nicht einmal den beisteuern.
Stumm erwiderte ich Jeongins Blick und versuchte zumindest etwas Überzeugung in diesen zu legen, aber mir erschien es noch nicht genug. Auch ich wollte meinem Gemahl meine Hilfe und Unterstützung deutlich zusichern. Er musste hören, dass er nicht allein für sich und ein ganzes Land kämpfen musste. Ich schluckte die aufsteigende Übelkeit hinunter und ließ meinen Blick zu Minho schweifen, der ebenso durchdringend zu mir zurücksah. Entschlossen trat ich zu ihm und griff nach seiner Hand.
„Nicht nur Jeongin wird dabei an deiner Seite stehen, Minho. Ich bleibe ebenso, egal, wie sehr du meine Entscheidung verfluchen wirst. Ich war immerhin derjenige, der dir die schreckliche Nachricht überhaupt erst überbracht hat. Und jeder in diesem Raum weiß, ich wünschte, ich hätte es nicht tun müssen. Aber ich verspreche dir, dass ich dir nicht von der Seite weichen werde und du dir meiner Unterstützung und Liebe sicher sein kannst. Wir treten unseren Feinden gemeinsam entgegen."
Minhos Mundwinkel hoben sich zu einem liebevollen Lächeln, das ich schon lange nicht mehr so voller Zuversicht gesehen hatte. Er legte seine Arme um mich, zog mich eng an sich und küsste meine Stirn und dann meine Lippen.
„Jisung. Ich werde nie in Worte fassen können, wie viel du mir bedeutest. Aber allmählich glaube ich, die Götter haben mich geleitet, als ich dich erwählt habe. So wie du von ihnen zu mir gesendet wurdest. Es war gewollt, dass wir einander finden, dass du mein Gemahl wirst. Wenn ich auf eines vertraue, dann auf dich."
Endlich verschwand die Übelkeit und wich einem warmen Brodeln, das voller Zuneigung und Hingabe war. Ich konnte es in jeder Pore fühlen und wusste instinktiv, dass Minho auf seine Art Recht hatte.
Dennoch spürte ich mit wachsender Verwunderung, dass sich sein Körper anspannte und er mich kurz darauf sanft an den Schultern zurückschob. „Und gerade weil ich dir und allen anderen in diesem Raum so sehr vertraue und ich nun weiß, dass ihr an meiner Seite bleiben werdet, muss ich eine Versicherung haben, die eure Sicherheit betrifft. Ich will darauf vertrauen können, dass ihr selbst im schlimmsten aller Fälle nicht leidet." Er nickte Felix zu, der sich umwandte und ein kleines Kästchen vom Tisch holte, das er anschließend Minho reichte.
Dieser nahm es an sich, zögerte sichtlich, bevor er den Deckel abhob und mehrere hübsche Perlenketten zum Vorschein kamen. Alle Ketten sahen nahezu identisch aus und irgendwie überkam mich ein ungutes Gefühl. Ich durchschaute Minhos Plan noch nicht, aber seinen Worten nach zu urteilen waren diese Perlen nicht nur ein wertvolles Geschenk.
Minho nahm eine der prachtvollen Ketten an sich und zählte die Perlen vom Verschlusshaken ab, dann hob er die vierte Perle einzeln an und blickte der Reihe nach fest in die Augen aller Anwesenden. „Sollte je der Zeitpunkt kommen, an dem der Tod euer einziger Ausweg aus einer Lage ist, dann zerbrecht die Perle zwischen den Zähnen und schluckt das austretende Pulver. Ich habe die besten Gelehrten und Ärzte gebeten, das Gift so hoch wie möglich zu dosieren, um das Leiden kurz zu halten. Sie sagten, dass der blaue Eisenhut am schnellsten wirkt."
Endlich verstand ich, worauf Minho hinauswollte, und alles in mir verkrampfte sich beinahe schmerzhaft.
Er will, dass wir uns selbst töten, falls er nicht überlebt und wir dabei gefangen genommen oder gefoltert werden. Er möchte, dass wir unser Schicksal selbst bestimmen können, weil er am eigenen Leib erfahren hat, wie schrecklich Machtlosigkeit sein kann.
„Sie haben mir versichert, dass es im Falle einer Einnahme nicht lange dauern wird, bis der Tod eintritt. Laut den Gelehrten kühlt der Körper rasch ab und es kommt zu einem Atemstillstand."
Eine sehr beschönigende Umschreibung dafür, dass Eisenhut Atem- und Herzlähmung sowie Krämpfe verursachen kann. Aber vermutlich wissen das die Ärzte nicht einmal genau. Immerhin können sie die Vergifteten nur bedingt nach ihren Symptomen befragen.
Zögerlich streckte ich dennoch meine rechte Hand nach vorn und erlaubte dem Pharao somit, die Kette um mein Handgelenk zu schließen. Ich wollte zwar nicht sterben, aber mir war es im Moment wichtiger, Minho eine gewisse Sicherheit und Kontrolle über unsere so ungewisse Zukunft zu geben. Ich glaubte nicht daran, dass ich dieses Gift je nehmen würde, aber noch weniger wollte ich mit Minho momentan darüber diskutieren.
Stumm sah ich zu, wie Minho behutsam den Verschluss einhakte und dann liebevoll über meine Hand strich. In seinem Blick erkannte ich die unausgesprochene Sorge und den übermächtigen Wunsch, dass es nie so weit kommen würde, dass ich zu diesem letzten Ausweg griff.
Es ist makaber, dass Minho, nachdem Seungmin mit Gift umgebracht wurde, nun selbst zu dieser Methode greift, um uns Übrige damit vor noch größerem Leid zu schützen. Vermutlich haben ihm die Ärzte bewusst gemacht, dass Gift immer noch eine der schmerzlosesten Methoden ist.
Jeongin hingegen wirkte fast gekränkt, als sich Minho mit der nächsten Kette zu ihm wandte. „Bruder, ich habe dir gerade versichert, dass ich dir nicht von der Seite weichen werde. Ich kämpfe für dich und unser Land." Kurz stockten seine Worte, so als würden sie ihm im Halse stecken bleiben. Dann räusperte er sich und fuhr weniger aufgebracht fort: „Und solltest du das eines Tages nicht mehr können, werde ich allein weiterkämpfen. Also sieh das Tragen der Kette als mein Versprechen dafür, dass ich dieses Land nie im Stich lassen werde. Ich werde sie jeden Tag ansehen und dann kämpfe ich weiter, weil ich weiß, du wirst dasselbe tun, und deshalb werden wir am Ende siegen."
Minho nickte ergriffen, befestigte dennoch die Perlenkette an Jeongins Handgelenk und nahm seinen Bruder dann fest in den Arm.
Wie konnte ich es nur so weit kommen lassen? Sie sind beide noch so jung und dennoch haben sie schon Entscheidungen getroffen, die man keinem Menschen zumuten möchte... und sie werden weiterhin so schwere Entschlüsse fassen müssen.
Als Minho hinüber zu Chan blickte, hob dieser stolz das Kinn. „Ich brauche diese Kette nicht, Minho. Sollte ich jemals in Bedrängnis geraten, werden die Gegner unter meiner Klinge fallen oder ich unter ihrer. Und Jeongin werde ich ohnehin bis zu meinem letzten Atemzug schützen. Mein Schwert, mein Speer und mein Lebenswille gehören euch."
Diese Worte schienen Minho gleichzeitig zu berühren und zu beruhigen, denn er legte Chan brüderlich eine Hand auf die Schulter und erwiderte dessen entschlossenen Blick. „Ich vertraue dir, Chan. Mehr noch, ich lege das Leben und das Glück meines Bruders in deine Hände. Du bist ein wahrer Freund."
Jeongin stellte sich dichter neben Chan, lehnte sich sogar leicht an ihn und verdeutlichte damit für jeden, wie eng das Band zwischen ihm und dem General mittlerweile war. Minhos Blick wurde sofort weicher, als er sich zu der letzten Person im Raum umwandte, ähnlich wie zuvor, als er Jeongin angesehen hatte. Doch jetzt blickte Minho in die stechend grünen Augen von Felix, der sich noch aufrechter hinstellte, um ein wenig selbstsicherer für seine nächsten Worte zu wirken.
„Mir brauchst du auch keine dieser Ketten zu geben, das weißt du, Minho. Gib sie Yeji und Hyunjin und lass dir bei deinem Gemahl eine einleuchtende Begründung einfallen, weshalb du ihm ein solches Gift anbietest. Ähnlich wie Chan kenne ich dich schon zu lange, um nicht ehrenhaft im Kampf für dich zu sterben."
Die Stimme des Braunhaarigen klang im ersten Moment hart und entschlossen. Dennoch erkannte ich das verräterische Blinzeln, das seine kalte, unerschrockene Haltung Lügen strafte.
Er hat ebenso Angst. Nicht unbedingt um sein Leben, sondern vielmehr vor Minhos Tod und vielleicht auch vor dem, was danach folgt.
Minho schien dies ähnlich schnell zu erkennen wie ich, denn er trat zu seinem treuen Großwesir und legte ihm beide Hände auf die Schultern. „Niemand war so für mich da wie du, Felix. Wir kennen uns, seitdem wir Kinder sind. Selbst als meine Tage nur wie Schatten an mir vorüberzogen und ich den Sinn dieses Lebens nicht mehr sehen konnte, hast du mir beigestanden – mich insgeheim unterstützt. Dank dir habe ich durchgehalten und dank dir bin ich heute noch dort, wo ich meinem Volk helfen kann. Dabei habe ich dir ebenso viel abverlangt wie mir selbst und ich hoffe, du verzeihst mir das. Ich will, dass du glücklich und zufrieden lebst, und ich weiß, du bist stark. Deshalb bin ich mir sicher, du würdest das auch ohne mich schaffen."
Felix biss sich fest auf die Unterlippe und zum ersten Mal bröckelte die unerschütterliche Mauer des sonst so beherrschten Großwesirs. Seine Augen glänzten feucht und er senkte beschämt den Kopf, als er selbst merkte, dass er sich so verletzlich zeigte. „Ich-ich danke dir, Minho~" murmelte er leise. Er wollte noch etwas hinzufügen, doch da zog ihn der Pharao schon in seine Arme und ein kurzes Schniefen war zu hören.
Dieser unerwartete Anblick ließ mich die Anspannung des Augenblicks noch einmal verstärkt spüren und ich erlaubte mir, ebenfalls einige Tränen zu vergießen, die für all die Verluste standen, die bereits zu beklagen waren. Doch ich schwor mir im selben Atemzug, alles daranzusetzen, um in Zukunft das Übel von diesen Menschen und von diesem Palast fernzuhalten.
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Und was haltet ihr von Minhos Methode?
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