Taktisches Vorgehen
Jisungs Pov:
Schmollend schlug ich die Decke zurück und setzte mich dann immer noch schlaftrunken auf. Ich vermisste es unglaublich, durch mein Handyklingeln geweckt zu werden und dann einfach noch zehn Minuten liegenzubleiben und durch irgendwelche TikToks zu scrollen und meine Zeit totzuschlagen. Ich vermisste den Geruch von frischem Kaffee am Morgen oder die Croissants, die Yeosang so gerne vom Bäcker mitgebracht hatte. Aber noch mehr vermisste ich ihn selbst.
Rasch rieb ich mir über die Augen, um den Schlaf herauszuwischen und möglicherweise auch meine Gedanken auf etwas anderes zu fokussieren. Seit dem Spaziergang mit Minho, der mittlerweile drei Tage zurücklag, hatte der Pharao sich nicht mehr bei uns gezeigt und auch keinen von uns zu sich gerufen. Also bestand eine reelle Chance, dass dieser Tag ähnlich friedlich verlaufen würde.
Also erhob ich mich, faltete meine Decke wieder säuberlich auf der Unterlage und schüttelte das Kissen auf. Anschließen tapste ich zu meiner Kiste mit Kleidungsstücken und zog ein Gewand heraus, das recht angenehm zu tragen war. Eilig kleidete ich mich an, wusch mir das Gesicht und die Hände gründlich mit dem klaren Wasser, das wie durch Zauberhand schon bereitstand, und entschloss mich dann, in den Wohnraum zu treten, wo es sicher bereits zu essen gab.
Was würde ich gerade nur für ein Croissant mit Nutella geben...
Aber alles, was es hier gab, war definitiv gesünder als Nutella. Na gut, bis auf den Honig, aber der war tatsächlich auch echt lecker.
Als ich eintrat, begrüßten mich Seungmin und Niki mit einem Lächeln, während die anderen gerade dabei waren, eine Debatte über die beste Beilage zu Rindfleisch zu führen. Ich setzte mich an den freien Tisch zwischen Hyunjin und Niki und nahm wahr, wie der Ältere sogleich einen hochnäsigen Blick zu mir hinüberwarf.
Innerlich seufzte ich, wusste aber, dass es nichts bringen würde, mit ihm darüber zu sprechen. Er hatte schon entschieden, mich so gut es ging, zu meiden. Sehr wahrscheinlich war er immer noch verstimmt, weil Minho mir in letzter Zeit so viel Aufmerksamkeit schenkte.
Als könnte ich irgendwas dafür... Mir wäre es auch lieber, er wäre mehr an den anderen interessiert und würde mich dafür in Ruhe lassen, aber so war das offenbar mit neuen Spielzeugen – sie waren weitaus interessanter als alles andere.
Geflissentlich ignorierte ich also den abschätzigen Blick des schönen Mannes und nahm mir ein Stück Brot und ein wenig kalten Braten. Ich hatte nicht wirklich Hunger, wollte aber etwas essen, um nicht später einen Diener um etwas bitten zu müssen. Dann lauschte ich den Gesprächsthemen der anderen, beteiligte mich selbst aber kaum und sah mich dann nach einem Krug mit Wasser um. Normalerweise hätte ich auch einen der Bediensteten fragen können, aber in dem Augenblick entdeckte ich eines der Wassergefäße in meiner Nähe. Also räusperte ich mich leise und bat dann denjenigen, der dem Krug am nächsten war, um Hilfe.
„Hyunjin? Könntest du mir bitte das Wasser geben?" Hoffnungsvoll sah ich in seine funkelnden Augen und wusste schon in der nächsten Sekunde, dass mein Versuch, auf ihn zuzugehen und ein Gespräch aufzubauen, seine Stimmung nicht verbesserte.
Er verdrehte nur die Augen und schnaubte. „Bist du dir jetzt selbst zu fein dafür, aufzustehen, Jisung?", fragte er schnippisch. Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu erwidern, dass er nicht so eine Bitch sein müsste und mir einfach das Wasser geben könnte. Stattdessen blickte ich ihm fest in die Augen. „Nein, aber du sitzt genau davor und würdest du mich um etwas bitten, würde ich es dir geben", konterte ich.
Die Augen des Älteren wurden schmal und er sah so aus, als wolle er mir gleich das Gesicht zerkratzen. Ich hatte nicht geahnt, dass seine Abneigung so tief reichte, aber seltsamerweise verstand ich es sogar ein bisschen. Er mochte Minho wirklich sehr und bisher gab es hier offenbar keine ernste Konkurrenz, was ihm die beste Aussicht darauf verschaffte, in naher Zukunft zum Königsgemahl zu werden und an Minhos Seite zu herrschen. Das war eine hohe Position und wenn er ihn wirklich liebte, war das jetzt sicher schmerzhaft mitanzusehen.
Schließlich schlug ich die Augen nieder und seufzte. „Schon gut, ich hole es mir selbst, ich–"
Plötzlich schepperte es und ein wenig Wasser traf meinen Unterarm, als Hyunjin den Krug mit etwas zu viel Schwung neben mir abstellte und sich dann wieder auf seinen Platz fallen ließ.
„Hier hast du dein dämliches Wasser und jetzt lass mich in Ruhe."
Gehorsam nickte ich und goss mir dann schweigend ein, bevor ich meine Mahlzeit ebenso ruhig beendete und mir einmal mehr vorkam, als würde ich diesen Platz hier nicht verdienen. Es war, als wäre ich hier eingedrungen und würde Privilegien einfordern, die mir nicht zustanden. Ich musste definitiv schneller an Informationen kommen und versuchen, zu fliehen, um diesen Leuten das Leben wesentlich leichter zu machen.
Gerade war ich auf dem Weg zu der Stelle, an der ich letztes Mal die Arbeiter am Kanal beobachtet hatte, als ich an einem Quergang vorbeikam und ein leises Gespräch etwas unfreiwillig belauschte. Ich erkannte sogleich Yejis Stimme, die der zweiten Person jedoch nicht.
„Es ist erneut schlimmer geworden, Yeji. Die Anschläge auf sein Leben nehmen zu und ich habe Angst, dass sie bald auch euch treffen könnten."
Neugierig hielt ich inne und stellte mich dicht neben dem Quergang an die Wand, beugte mich nur so weit vor, wie ich es wagte, und lauschte weiter der Unterhaltung.
„Von welchen Zahlen sprechen wir hier, Ryujin?", fragte Yeji besorgt.
„Letzte Woche sind kurz nacheinander zwei der Vorkoster vergiftet worden... Einer davon hat es nicht überlebt, der andere quält sich noch immer mit unsagbaren Schmerzen. Unser König muss unglaublich vorsichtig sein. Seine Gegner wollen ihn unbedingt tot sehen. Es könnten Personen sein, die sich dafür rächen wollen, dass er Nubien besetzt hat... oder noch schlimmer, es könnten Leute aus den eigenen Reihen sein."
Sogleich begann es auch in meinem Kopf zu arbeiten und ein kalter Schauder überlief meine Haut, als ich darüber nachdachte, dass unser Essen von gerade eben gleichfalls vergiftet sein könnte. Ein ungutes Gefühl stieg in mir auf und auch das weitere Gespräch der beiden trug nicht unbedingt zu meiner Beruhigung bei.
„Das glaube ich nicht. Minho achtet sehr genau darauf, wer in seine Nähe gelangt. Er überprüft diese Menschen und alles, was er isst und trinkt, wird zuvor kontrolliert. Jeder hier trägt dazu bei, dass es ihm gut geht, und wir werden uns nicht von irgendwelchen Fremden einschüchtern lassen, die glauben, dass eine Vergiftung hinter unserem Rücken straflos ausgeführt werden kann."
„Du hast ja recht, sehr wahrscheinlich sind Täter von außerhalb dafür verantwortlich. Aber was passiert, wenn sie genug bezahlen, um einen der Vorkoster zu bestechen, oder irgendwas aus Versehen vertauscht wird?"
Yejis Antwort kam so klar und unmissverständlich, dass ich sie für ihren Mut und ihre Zuversicht bewunderte. „Dann werden wir diese Menschen eher ausfindig machen und die Schwachstellen beseitigen."
Kurz fragte ich mich, was Yeji überhaupt in diesem Harem tat, wenn sie als Strategin offenbar viel besser war. Aber eigentlich schloss das eine das andere ja nicht aus. Einige der engsten Vertrauten von Königen und Königinnen waren gut darin gewesen, diese politisch zu beeinflussen oder selbst Macht zu erlangen, indem sie sich in solche Angelegenheiten einmischten.
„Das ist schwerer gesagt als getan, Yeji. Es braucht einen Köder oder eine passende Gelegenheit für so etwas und ich bin schon sehr lange in der königlichen Küche und den Vorratsräumen angestellt... Dennoch habe ich von beiden Vorfällen erst viel zu spät erfahren. Ich sollte es doch früher merken."
„Du kannst auch nicht immer überall sein, Ryunjin. Du tust dein Bestes und du solltest bedenken, dass diese Menschen, die unserem König nach dem Leben trachten, keine Anfänger sind. Ihr Hass schwelt sicher schon lange und ihre Pläne hatten lange Zeit zu reifen, wir müssen ab jetzt noch vorsichtiger sein."
Ich drückte mich stärker gegen die Mauer und spürte erst da, wie schnell meine Gedanken kreisten. Ich verstand auf einmal, dass Minho in ständiger Gefahr war.
Er muss sich fühlen wie ein Tier im Käfig. Und diese sind unberechenbar. Sollte ich also in seiner Nähe bleiben, würde es nicht nur das Risiko für mich vergrößern, sondern es würde auch seine Anspannung nicht lindern. Kann ich wirklich einem Mann zu Diensten sein, der ständig in Lebensgefahr schwebt und dies auch noch weiß?
Verunsichert kaute ich auf meiner Unterlippe und tastete kurz suchend meinen Hals entlang, bevor mir wieder einfiel, dass die Kette nicht da war. Meine Hand sank zurück an meine Seite und ich schüttelte den Kopf, um die düsteren Vorahnungen und Szenarien aus meinem Geist zu vertreiben.
„Was ist mit diesem neuen Jungen im Harem? Vielleicht hat er damit zu tun."
„Du meinst Jisung?", fragte nun Yeji und ich spannte mich merklich an. Plötzlich hatte ich fast Angst, von jemandem hier entdeckt zu werden. „Nein. Das traue ich ihm nicht zu." Ich wollte mich schon entspannen, als die andere Stimme antwortete.
„Aber sieh mal, Yeji, du hast selbst bei unserem letzten Treffen gesagt, dass unser Pharao fasziniert von dem Jungen ist und dass er ihm sofort Zugang zu den privaten Räumen gewährt hat. Ich habe ihn gesehen, er ist wirklich außergewöhnlich schön und exotisch... aber was ist, wenn genau diese Schönheit uns nur blenden soll und er nur darauf wartet, eine Gelegenheit zu haben, unseren König zu töten?"
Kurz war es still und ich vermutete schon, dass Yeji nun zustimmen würde, aber dann hörte ich ihre sanfte, wohldurchdachte Antwort. „Du hast ihn nicht hier ankommen sehen, Ryujin. Er ist kein böser Mensch. Er war vollkommen verzweifelt und einsam. Er wollte nur Schutz und bis heute ist er sehr verschlossen, aber das liegt nicht daran, dass er etwas Böses plant. Er hat nur Angst, etwas falsch zu machen." Sie seufzte. „Ich stimme dir zu, wir wissen nicht viel über ihn und er stammt vermutlich aus einem der eroberten Gebiete und allein das könnte ihm genug Gründe verschaffen, aber du solltest ihn sehen, wenn er zu Minho gerufen wird. Er sieht aus wie ein verängstigtes Antilopenkitz, das dem Löwen vorgeworfen wird. Er kann mit den Ränkespielen und den Machtkämpfen dieses Hofes nicht umgehen. Er müsste schon ein herausragender Spion sein, um so viel Unwissenheit vorzutäuschen."
Ich wusste nicht genau, ob ich erleichtert sein sollte oder mich doch eher ertappt und bloßgestellt fühlte. Yeji hatte jedenfalls viel zu treffend beschrieben, was in mir vorging, und auf eine seltsame Art war ich ihr dankbar, dass sie mich verstand.
Vielleicht ist sie tatsächlich eine gute Zuhörerin und versteht mich, wenn ich ihr mehr von meinem Geheimnis erzähle.
Kurz presste ich meine Augenlider fest aufeinander, um meine Gefühle zu sortieren und nicht von der erdrückenden Last der zahllosen Eindrücke übermann zu werden. Dann lauschte ich dem Rest der Unterhaltung.
„Wenn du das sagst, vertraue ich deinem Urteil. Dennoch ist da etwas an ihm, das ich mir nicht erklären kann. Die anderen sagen, er würde anders sprechen und sich teilweise untypisch verhalten, aber vielleicht ist das wirklich nur seiner Herkunft geschuldet."
„Danke für dein Vertrauen, Ryujin. Nur die Götter werden wissen, wohin das mit Jisung und Minho führt. Ich werde mir nicht anmaßen, darüber zu urteilen. Aber jetzt muss ich zurück zu den anderen. Sollte es etwas Neues geben, leg wieder einen Zettel in meine Truhe."
„Das mache ich." Die beiden Frauen verabschiedeten sich offenbar und diese Zeit nutzte ich, um mich eilig zu entfernen und zurück zum Gemeinschaftsraum zu laufen. Meinen ursprünglichen Weg hatte ich ja nicht gehen können, deshalb schlüpfte ich, kurz bevor Yeji auch wieder eintrat, zurück in die große Halle und gesellte mich zu Sunoo, um mit ihm ein Spiel zu spielen, das dem zukünftigen Schach erstaunlich ähnlich war.
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Und was haltet ihr von Yeji?
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