Schwindende Hoffnung

Triggerwarnung für dieses Kapitel: Selbstzweifel, Kindheitstrauma

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Jisungs Pov:

Zwei Tage war ich nun schon im Palast.

Naja, zumindest innerhalb der Palastmauern – so viel wusste ich von Felix. Genauer gesagt befand ich mich in einem Nebengebäude, das sich als eine Art Unterkunft für Bedienstete herausstellte. Jedoch war es für meinen Aufenthalt hier eher zu einem Gefängnis umfunktioniert worden, denn seit zwei Tagen hatte ich nichts anderes gesehen als die kahlen Lehmziegelwände und das kleine Strohlager in einer Ecke.

Die Luft hier drin war furchtbar stickig, sodass man kaum atmen konnte, vor allem wenn die sengende Mittagssonne das Gebäude beschien. Ein Entkommen aus diesem Raum schien ebenso unmöglich zu sein, da Fenster und Tür verriegelt waren.

Aber wo sollte ich auch hinwollen? Es gab hier ohnehin keinen Zufluchtsort für mich.

Am Tag fielen ein paar spärliche Sonnenstrahlen durch die Bretter des verbarrikadierten Loches, das sich wohl Fenster schimpfen sollte. Allerdings hatte ich durch das Licht und die Temperaturen zumindest eine grobe Orientierung, ob es Tag oder Nacht war. Nachts wurde es außerdem furchtbar kalt und meine spärliche, immer noch schmutzige Kleidung half mir kaum dabei, mich warmzuhalten. Meistens hockte ich dann zusammengekauert auf meinem Lager aus Stroh und konnte kaum einschlafen, weil ich so fror.

Einige Male hatte ich deshalb die Wachposten belauschen können, die draußen vor dem Gebäude standen. Mittlerweile war das knirschende Geräusch von Schritten auf dem sandigen Untergrund beinahe vertraut und ich hörte den halblauten Stimmen der Männer aufmerksam zu, jedoch blieben die Unterhaltungen oberflächlich und nichtssagend.

In diesen zwei Tagen hier hatte ich viel Zeit gehabt, über meine Situation nachzudenken. Wenn ich es so betrachtete fast zu viel Zeit, denn es gab nichts anderes, mit dem ich mich beschäftigen konnte und womöglich war auch genau das das Ziel meiner Gefangenschaft. Man wollte mich zermürben, solange bis ich die Wahrheit sagen würde.

Das diese Wahrheit weitaus komplexer war, als sich die Menschen hier vorstellen konnten, würde ich ihnen aber nie verraten. Immer noch war ich ziemlich bestürzt darüber, dass ich offensichtlich knapp 3500 Jahre in die Vergangenheit gereist war. Mit diesem Wissen ging man nicht leichtfertig um und erzählte es jedem.

Wer konnte schon ahnen, was für Schaden es anrichtete, wenn jemand davon erfuhr, dass ich aus der Zukunft stammte? Möglicherweise würde dann die gesamte Weltgeschichte anders verlaufen.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf. So wichtig sollte ich mich vielleicht auch nicht nehmen. Nur aufgrund meiner Aussagen oder Taten würde sich die Welt nicht vollständig ändern, dennoch musste ich vorsichtig sein.

Wie so oft in den letzten beiden Tagen stütze ich meinen Kopf in die Hände und grüble nach, warum ausgerechnet mir das passiert war.

Welche Rolle spiele ich in dieser perfiden Komödie? Dieses Rätsel hat mich zielgenau zu der Grabkammer geführt und dann habe ich den zweiten Lapislazuli gefunden, der identisch zu dem war, den ich so lange mit mir herumgetragen habe. Heißt das, dass es sowas wie meine Bestimmung gewesen ist, diesen Ort zu finden und in der Zeit hierher zu reisen? Aber wenn ja, warum hat mir niemand gesagt, was ich hier tun soll?

Krampfhaft versuchte ich mir die Zeilen des Rätsels ins Gedächtnis zu rufen, um irgendeinen Hinweis zu finden, aber selbst dabei kam mir keine Erleuchtung. Die Hinweise hatten mich nur bis zu dem Sarkophag geführt und damit mehr oder weniger ihren Zweck erfüllt.

Dann erinnerte ich mich an den letzten Satz von Yeosang, bevor meine Welt wortwörtlich in sich zusammengebrochen war. Er hatte mir etwas Wichtiges mitteilen wollen, als er am Fußende des Sarges stand. Manchmal hatte man dort den Namen des Verstorbenen eingemeißelt.

Aber wessen Namen hatte er dort gelesen, dass es ihn so überrascht hatte?

Doch bevor ich wieder ins Grübeln kommen konnte, drängte sich eine andere Frage viel schärfer in den Vordergrund und wollte nicht mehr aus meinem Verstand weichen.

Wie geht es Yeosang? Ist er am Leben? Ist er in Sicherheit und nicht im falschen Jahrtausend gefangen?

Mir wurde jetzt erst klar, wie weit ich diesen Gedanken von mir weggeschoben hatte, da er mich nun unfassbar quälte. Ich liebte diesen Jungen wie einen zweiten Bruder. Er war immer für mich dagewesen, wenn ich ihn gebraucht hatte. Nie könnte ich mir verzeihen, wenn er meinetwegen – denn es war nun einmal klar, dass er dieser Erkundung nur meinetwegen zugestimmt hatte – leiden musste.

Aber selbst wenn es ihm gut ging und er den Schacht unbeschadet verlassen hatte, dann würde er sich jetzt die größten Sorgen um mich machen. Das war noch weniger fair.

Sicherlich hat er schon das ganze Forschungsteam verständigt und alle Hilfskräfte mobilisiert. Aber was wird passieren, wenn er mich nicht mehr in der Grabkammer vorfindet?

Ich hoffte so sehr, dass er nicht an meinem Verschwinden zerbrechen würde.

Er darf nicht meinetwegen leiden.

Eine stumme Träne lief über meine Wange und ich wischte sie schnell mit meinem Handrücken weg.

Vielleicht habe ich es ja verdient, hier zu sein. Ich bringe die Menschen um mich herum nur unnötig in Gefahr. Also sollte ich lieber hierbleiben, hier wo ich keinem schaden kann, hier wo keiner durch mich leiden muss.

Um diesen erdrückenden Gedanken nicht noch mehr Raum zu lassen, erhob ich mich von meinem Lager und vertrat mir ein wenig die Beine. Kurz zupfte ich an meinem Shirt, da es mittlerweile nur noch wie ein Fetzen an mir hin und unangenehm nach Schweiß roch. Angewidert rümpfte ich die Nase und fühlte mich absolut dreckig und ekelhaft.

Seitdem mich Felix und dessen Handlanger in diesen Raum gesperrt hatten, bekam ich nur zweimal am Tag eine kleine Mahlzeit: Trockenes und sehr hartes Brot und einen kleinen Krug schales Bier. Und selbst bei der Aussicht auf weitere Tage mit derselben unmenschlichen Behandlung blieb ich erschreckend ruhig. So als würde ich mein Schicksal allmählich akzeptieren – als würde ich annehmen, dass man mich hier verrotten ließ, weil ich ein Fremder war. Mehr noch, ich war ein Alien, ein junger Mann aus der Zukunft, der mit all seinen Problemen und Narben hier eine Bruchlandung gemacht hatte und ganz sicher war auch in dieser Zeit niemand bereit, sich all meine Sorgen anzuhören. Es war ja schon erstaunlich, dass man mir nicht postwendend den Kopf abgeschlagen hatte, nachdem ich aus diesem verfluchten Grabschacht getreten war.

Was ist es nur gewesen, dass mir die Ehre zuteilwerden ließ, mein verfluchtes und aussichtsloses Leben weiterhin zu behalten?

Ich setzte mich wieder und zwang mich, nicht nach wenigen Sekunden erneut aufzuspringen, um ein weiteres Mal durch den kleinen Raum zu tigern. Jetzt auf einmal schwemmten die schrecklichen Erinnerungen meinen Verstand, erneut waren da hell lodernde Flammen, die schon an meinem Körper nagen wollten, wie hungrige Ratten, da waren die schrecklichen Schreie und dann das Beben der Erde, alles vermischte sich und ich zuckte zusammen, als ein untypisches Geräusch diese Szenerien in meinem Kopf unterbrach.

Es war der schwere Riegel, der die Tür öffnete und ich glaubte, mir würde nur wieder eine Mahlzeit hingestellt werden, doch dann traf mich das tiefstehende Sonnenlicht und ich blinzelte zu dem jungen Mann mit den grünen Augen empor.

Felix sah mich forschend an, so als hätte er meine bodenlose Verzweiflung entdeckt. Aber schon trat er einen Schritt zur Seite, sodass sich zwei Männer zu ihm gesellen konnten.

„Ergreift ihn und folgt mir", befahl Felix harsch und wartete nicht, bis seinem Kommando Taten folgten, sondern schritt bereits durch die Tür ins Freie. Die beiden Männer liefen nun zu mir und packten meine Arme, um mich mitzuzerren. Mehrmals stolperte ich und wusste nicht, ob ich dankbar war, dass sie mich festhielten und so vor einem schmerzhaften Sturz bewahrten, oder verärgert darüber, dass sie mich so grob mitschleiften.

Den ganzen Weg über war ich damit beschäftigt, mich nicht allzu ungeschickt anzustellen und nicht dauernd wie ein Trottel einzuknicken. Deshalb achtete ich wenig auf meine Umgebung und war etwas irritiert, als wir eine recht komfortable Unterkunft betraten und man mich in einem geräumigen Zimmer direkt vor einem gefüllten Waschbottich absetzte.

Auf einen Wink von Felix Hand hin verließen die zwei Männer den Raum, während der Braunhaarige schräg neben dem Durchgang stehengeblieben war und mich nun abwartend ansah. Als ich aber mehr damit beschäftigt schien, meine Umgebung zu betrachten, als herauszufinden, was er von mir wollte, seufzte er.

„Du solltest dich waschen. Währenddessen werden wir uns noch einmal gründlich unterhalten."

Erstaunt blinzelte ich ihn an und wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte, dass er mir wirklich ein Bad anbot.

„Jetzt mach schon", kam es streng aus seiner Richtung. „Oder soll ich dir helfen, dieses komische Gewand abzulegen?" Seine Augen blitzten kurz belustig auf und schnell schüttelte ich abwehrend den Kopf und streifte mir mein schmutziges Shirt über den Kopf. Auch meine kurze Hose fand sich bald auf dem Boden wieder und ich wurde rot, als ich bemerkte, wie Felix meinen Körper musterte.

„Also bitte... ich kann dir ja wohl kaum etwas abgucken, wenn ich genau das Gleiche zwischen meinen Beinen habe", schnaubte er belustigt, als er meinen abweisenden Blick auffing. „Oder bist du gar kein Mann?"

Nun war ich tatsächlich ein wenig beleidigt und schob trotz meines Schamgefühls auch meine Boxershorts von den Beinen und stand nun vollkommen nackt und verletzlich vor dem Waschzuber.

„Na dann fang mal an, oder muss ich dir auch noch erklären, wie man einen Schwamm und das Öl verwendet?" Ich schüttelte den Kopf, drehte mich leicht zur Seite und stieg dann in den Bottich. Das Wasser war nicht erhitzt aber auch nicht kalt, vielmehr hatte es eine angenehm erfrischende Temperatur. Somit entspannte ich mich minimal und griff eifrig nach einer kleinen Bürste aus groben Tierhaaren und dem kleinen Krug, der mit einem recht aromatischen Öl gefüllt war.

Nachdem ich die Bürste mit Wasser benetzt hatte, träufelte ich vorsichtig etwas von dem Öl darauf und begann mich richtig abzuschrubben. Noch immer konnte ich den Blick meines Aufpassers auf mir spüren und es machte mich dezent nervös. Vielleicht sogar noch mehr, weil ich mitbekommen hatte, wie er unterschwellig mit diesem Changbin geflirtet hatte. Wahrscheinlich wären sich die beiden gern an die Wäsche gegangen... oder an die Kehle, ich wusste es nicht so recht.

„Dann fangen wir jetzt nochmal ganz von vorn an. Wie heißt du?"

Ich hielt mit gerunzelter Stirn inne und sah dem Braunhaarigen in die Augen. „Das habe ich diesem Changbin doch schon gesagt."

„Stimmt, aber ich will, dass du es für mich widerholst."

„Jisung. Ich heiße Jisung."

„Hast du auch einen Nachnamen, du kleiner Geheimniskrämer?"

„Han Jisung."

Mein Gegenüber nickte. „Wie alt bist du genau?"

Das exakte Datum sollte ich ihm wohl nicht nennen.

„Ich bin jetzt 23. Meine Eltern haben mir immer erzählt, dass es ein sehr heißer Septembertag war, als ich geboren wurde und dass der Tigris besonders wenig Wasser führte", brabbelte ich drauflos.

„Achja, stimmt, du sagtest, du kommst ursprünglich aus dem Zweistromland."

Ich versuchte, mich nicht allzu sehr auf seine Worte zu konzentrieren, sondern stellte sicher, dass ich jede Stelle meines Körpers mindestens zweimal mit dem leicht fruchtig duftenden Öl abrieb, bevor ich dazu überging, meine Haare auszuwaschen.

„Du bist tatsächlich sehr gründlich", stellte jetzt auch Felix fest und lächelte dann schon wieder so, als wüsste er etwas, dass ich noch nicht einmal erahnen würde. Deshalb sah ich nun auch zu ihm und versuchte seine Blicke und das Lächeln zu ergründen.

„Das ist gut", summte der Großwesir und zupfte sein Gewand ein wenig zurecht. „Das ist sehr gut, Jisung... der Pharao schätzt es außerordentlich, wenn sich seine Gäste zivilisiert benehmen können."

Meine Augen weiteten sich und ich betete, dass es nicht das bedeuten sollte, was ich dachte.

Der Braunhaarige schritt nun hinüber zu einem kleinen Bündel, das sich als langes Leinengewand herausstellte und legte es anschließend neben dem Waschbottich ab.


„Zieh dir das hier an. Du wirst vor den Pharao treten." 

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Well, guess who you'll meet in the next chapter? 👀

I love you Stay. 

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