Rechtzeitige Rettungen

Jisungs Pov:

So kam es dazu, dass ich Minho zum Festmahl begleitete. Wir liefen gerade durch einen der hohen Säulengänge, umringt von seinen Wachen. Ich ging direkt neben dem Pharao und warf ihm manchmal einen flüchtigen Blick zu, doch ich bekam nur seine entschlossene Miene zu sehen, aus der sich keine Rückschlüsse mehr auf den sanften, fürsorglichen Minho von vor ein paar Minuten ziehen ließen. Er war nun fokussiert und schien sich seiner Umgebung nur allzu bewusst zu sein. Schlussendlich betraten wir die Haupthalle des Anwesens, die angefüllt mit herausgeputzten Menschen war, die sich angeregt unterhielten, auf prunkvollen Sitzgelegenheiten Getränke einnahmen oder einfach das Geschehen überblickten.

Doch sie alle hielten sogleich in dem inne, was sie taten, und fielen auf die Knie und pressten dann die Stirn in einer tiefen Verbeugung auf den Boden. Ausnahmslos alle erwiesen dem Pharao ihren Respekt.

Sogleich fühlte ich mich wieder fehl am Platz, doch Minho gab mir mit einem stummen Blick und seiner Hand, die nach meinem Unterarm griff, zu verstehen, dass ich dicht neben ihm bleiben sollte und mich der Aufmerksamkeit der zahlreichen Anwesenden erwehren musste. Also blieb ich tapfer wo ich war und verfolgte dann aufmerksam, wie sich die Menschen erhoben. Gleich darauf eilte ein großer, schlanker Mann auf uns zu und begrüßte Minho herzlich, aber immer noch voller Ehrerbietung.

„Es ist mir eine außerordentliche Freude, dass ihr meinen Hallen die Ehre eurer Anwesenheit zuteilwerden lasst, eure Majestät. Ich hoffe, eure Reise hierher verlief gut?" Der Gastgeber schien sich gut mit Minho zu verstehen, denn sie vertieften sich schnell in ein Gespräch. Dann aber bemerkte der große Mann auch meine Anwesenheit und betrachtete mich neugierig.

„Welchen hübschen jungen Mann kannst du mir denn diesmal vorstellen, Minho?" Sofort wurde ich nervös, blieb aber aufrecht und würdevoll stehen und sah mit großen Augen zu Minho auf. Für eine Sekunde vergaß ich sogar das leichte Brennen der Wunde, weil ich immer noch keine Ahnung hatte, wie ich mich jetzt verhalten musste.

„Sag Ani Hamed deinen Namen und wer du bist", forderte mich Minho auf und ein leichtes Nicken stärkte diese Aussage auf eine ruhige, fast ermutigende Weise.

Höflich wandte ich mich dem Gastgeber zu und neigte meinen Kopf. „Ich heiße Jisung und ich komme aus Nubien. Genauer gesagt aus Kerma." Dann erst wurde mir klar, was Minho tatsächlich gefordert hatte, und rasch richtete ich meinen Blick auf den Boden vor mir. „Ich gehöre zum Harem seiner Majestät." Irgendwie hatte ich es geschafft, dass meine Stimme nicht verbittert klang und auch nicht leiser geworden war.

Ani Hamed musterte mich gründlich und lächelte dann freundlich. „Es ist mir Freude und Ehre zugleich, dich kennenzulernen, Jisung. Du bist noch nicht lange bei Minho, oder? Sonst hätte ich längst von dir erfahren."

Höflich bejahte ich die Frage und antwortete dann: „Da haben Sie Recht. Ich bin erst seit etwa einem Monat bei ihm."

Minhos Augen trafen die meinen, als ich zu ihm blickte.

„Dann freut es mich umso mehr, euch nun hier begrüßen zu dürfen", entgegnete unser Gastgeber und wandte sich dann dem nahegelegenen Eingang zu, da nun auch Seungmin, Hyunjin, Yeji sowie Sunoo und Niki eintraten und die Blicke der Menschenmenge auf sich zogen. Meine Aufmerksamkeit richtete sich vor allem auf die beiden elegant gekleideten jungen Männer an der Spitze der Gruppe, die ihre Umgebung sofort für sich einnahmen: Hyunjin und Seungmin. Der schwarzhaarige Hyunjin strahlte eine unvergleichliche Eleganz aus und seine Schönheit schien sowohl Frauen als auch Männer im Raum zu bezaubern. Währenddessen bestach Seungmin mit seinem gewinnenden Lächeln und seiner liebreizenden Art, eine Konversation zu beginnen und den Leuten das Gefühl von Nähe und Vertrautheit zu geben.

Die beiden passten hier wirklich gut hin, während ich mich wie ein Pony unter Einhörnern fühlte. Ich war anders, ich passte nicht in diese Gesellschaft, ich sollte nicht hier sein. Aber ich blieb, weil Minho es wollte.

Dieser sprach jetzt auch direkt zu mir.

„Jisung, geh ruhig zu den anderen und sieh dich um. Vielleicht findest du unter den Anwesenden alte Bekannte."

Das bezweifelte ich zwar sehr stark, aber ich bedankte und verbeugte mich gehorsam und lief dann in die Richtung, in die Seungmin gerade verschwunden war. Die stetigen Bewegungen strapazierten meine Wunde und selbst die Salbe konnte nicht ganz verhindern, dass das Gewand ab und an unangenehm über die offene Haut rieb. Ich hoffte inständig, dass man mir nicht anmerkte, dass ich Schmerzen hatte.

Ich bog um die nächste goldverzierte Säule und glaubte, Seungmins dunkelbraunen Haarschopf zu entdecken. Doch dann verschwand er unvermittelt wieder und überall waren so viele fremde Menschen, alles Personen, zu denen ich keinerlei Bezug hatte. Einige drehten sich zu mir, betrachteten mich ganz genau, andere verbeugten sich.

Diese übermäßige Aufmerksamkeit war für mich unglaublich unangenehm. So als würde man sich auf dem Markt Vieh ansehen. Ich hasste alles daran und zu meiner Unsicherheit mischte sich das Brennen der Wunde.

„Euch habe ich noch nie auf einem von Ani Hameds Empfängen gesehen. Wer seid ihr?" Ein etwas korpulenter Mann mit kleinen Schweinsäuglein betrachtete mich, als wäre ihm gerade ein Festmahl serviert worden. Seine Haut war leicht wettergegerbt und an seinen Händen formten sich Schwielen. Zunächst verstand ich nicht einmal, warum er mich angesprochen hatte, und eine nähere Betrachtung verdeutlichte mir, dass ich diesem Mann noch nie begegnet war.

Vermutlich war er einstmals ein Krieger oder Ähnliches gewesen, denn die Narben und die genaue Musterung ließen dies vermuten. Doch gerade schien ihm mehr der Alkohol und das Essen zuzusagen als ein Zweikampf mit einem Mann. Ich musste kurz an Minho denken. Mit welch eleganter und präziser Bewegung er den Viehtreiber heute umgebracht hatte.

Ob er dasselbe bei seinen Eltern getan hat? Was ist eigentlich mit seinem jüngeren Bruder? Ist dieser nicht schrecklich traurig über den Verlust der Eltern?

Ich schüttelte unmerklich den Kopf und überlegte, ob Minhos Bruder möglicherweise auch einfach noch sehr jung gewesen war und sich kaum an etwas erinnerte.

„Ich habe mit ihnen gesprochen, Junge!", vernahm ich plötzlich die Stimme meines Gegenübers in einem etwas schärferen Ton und ich zuckte zusammen, bevor ich dem dicken Mann mit den kleinen wässrigen Augen wieder notgedrungen ins Gesicht sah.

„Es tut mir sehr leid, ich habe nur versucht, mich daran zu erinnern, ob wir einander schon einmal begegnet sind." Versuchte ich mich zu retten und zwang mir ein Lächeln auf. Er schien den Köder zu schlucken, leider auf eine gänzlich unangebrachte und nicht intendierte Art und Weise.

„Das hängt ganz davon ab, in welchen Etablissements man dich sonst antrifft."

Nun starrte ich den Mann wirklich fassungslos an.

„Nein, so- so ist das ganz sicher nicht", protestierte ich nun und spürte die Wut in mir aufsteigen, als sich ein schmieriges Lächeln auf dem runden Gesicht meines Gesprächspartners bildete.

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter und Seungmin trat neben mich, während Yeji die andere Seite sicherte.

„Jisung, wir haben dich schon gesucht. Wir sollten uns zu Tafel begeben, seine Majestät wünscht unser aller Anwesenheit." Erst jetzt wandte Seungmin sich zu meinem Gegenüber und neigte knapp den Kopf. „Wie ich sehe, hat General Habachi dich während unserer Abwesenheit unterhalten", meinte er betont höflich, obwohl seine Hand merklich fester nach meiner Schulter griff.

General Habachi schien ebenfalls überfordert mit dem Auftauchen von Seungmin und Yeji. Dann weiteten sich die Schweinsäuglein auf das Doppelte der normalen Größe und der zuvor so selbstgefällige Mann stammelte daraufhin: „Ich-ich wusste nicht, dass Sie seiner Majestät gehören. Sonst hätte ich-" „Keinen Grund, sich zu rechtfertigen", kätschte plötzlich Yeji dazwischen und lächelte süßlich. „Haben Sie einen angenehmen Abend und genießen Sie den Wein. Wir werden jetzt gehen."

Eigentlich hätte mir der Besitzanspruch sauer aufstoßen sollen, aber im Augenblick war ich Seungmin und Yeji einfach super dankbar, dass sie hier waren und mir Beistand leisteten. Sie hatten mich ganz offenkundig aus einer heiklen Situation gerettet.

Der General verneigte sich schnell und sehr tief und ich schloss daraus, dass es ihm nicht zustand, mit mir überhaupt so zu sprechen.

Schon lotste mich Yeji zu einem Bereich mit vielen, kleineren Tischen, an denen Diener bereitstanden, und raunte mir dabei zu. „Jisung, du musst dich jetzt verhalten wie jemand, der einen höheren Status begleitet. Du bist nicht länger ein armer Flüchtling, du bist im Harem seiner Majestät. Zeige den Leuten den Wohlstand und die Eleganz, die sie sehen wollen. Nur hochrangigem Adel, den Priestern der Tempel und anderen Königsfamilien musst du noch Respekt entgegenbringen. Aber ganz besonders Minho und ihm würde es ganz sicher nicht gefallen, wenn du mit einem Schürzenjäger und Trunkenbold sprichst."

Betreten nickte ich, zum Zeichen, dass ich verstanden hatte und blickte dann stur geradeaus, um zu sehen, wo ich hinlaufen musste.

Seungmin und Yeji platzierten sich am Tisch links und rechts neben mir. Bei einem kurzen Rundumblick stellte ich fest, dass wir im vorderen Drittel der Halle saßen und demnach dem Gastgeber und Minho sehr nahe sein würden. Zu meiner Verwunderung trat dieser nun nicht allein zu seinem Platz, sondern hatte Hyunjin bei sich, der sich anmutig an seiner Seite niederließ.

Bitter schluckte ich das aufsteigende Gefühl herab und versuchte, nicht allzu oft hinüberzusehen.

Warum finde ich es jetzt so unverständlich, dass Hyunjin an Minhos Seite ist? Wieso stört es mich überhaupt?

Verbissen wandte ich mich dem aufgetragenen Essen zu und wollte mir schon etwas nehmen, als Seungmin blitzschnell meine Hand hinabdrückte und mich strafend ansah. Verständnislos blinzelte ich und dann zischte er mir zu.

„Zuerst kostet der Gastgeber." Verstehend nickte ich, legte meine Hand in den Schoß und wartete ganz brav, bis der hochgewachsene Mann sich von einem Bediensteten die Speisen hatte bringen lassen und nun vom Fleisch und den Beilagen kostete. Selbst Minho wartete geduldig, und erst als etwas zehn Minuten vergangen waren, neigte der Herr des Hauses das Haupt und erklärte das Mahl für eröffnet.

Und endlich verstand auch ich, warum dieses Prozedere nötig war. Ich befand mich hier in einem Zeitalter, wo man mit Vorlieben die Speisen und Getränke eines Festmahls mit Gift versetzte, um unliebsame Konkurrenz aus dem Weg zu räumen, und ich erkannte, dass das Warten ein effektiver Schutz war. Allerdings machte mir der Gedanke schlagartig Angst und ich beschloss, wirklich nur von den Speisen zu essen, von denen ich auch sicher gesehen hatte, dass der Gastgeber davon probiert hatte.

Nun war die Stimmung an der Tafel ausgelassen. Alle griffen zu Gebäck und Fleisch, unterhielten sich mit den Nachbarn und stopften sich mit den köstlich duftenden Speisen voll.

Ich nahm mir etwas Wild und ein wenig Hirse, dann lehnte ich mich zu Seungmin.

„Wird das hier vor jeder Mahlzeit so gemacht?" Er nickte. „Ja, solange wir hier sind, wird immer vorgekostet. Im Palast von Minho geschieht das auch, aber davon bekommst du weniger mit."

Nachdenklich wandte ich mich wieder dem Essen zu und versuchte das, was ich aß, zu genießen. Allerdings gelang mir das nur bedingt, da sich das Sitzen offenbar nicht positiv auf meine Verletzung auswirkte, und schon bald überlegte ich mir jede einzelne Bewegung, die ich machte. Zu Hyunjin und Minho versuchte ich genauso wenig zu sehen, denn ich fand es ziemlich ernüchternd, wie perfekt Hyunjin hierher passte. Er saß erhobenen Hauptes neben Minho, beteiligte sich an den Konversationen, lächelte unwiderstehlich und wirkte an Minhos Seite wie ein strahlender Stern. Ich fragte mich, wozu Minho uns Andere überhaupt brauchte, wenn er jemanden wie Hyunjin haben konnte. Nicht, dass ich die Anderen nicht hübsch oder intelligent genug fand, aber Hyunjin war einfach alles in einem und übertraf jeden. Und ich schaffte es nicht einmal, eine simple Unterhaltung zu führen, ohne als Außenseiter enttarnt zu werden.

Schließlich wurde die Tafel aufgehoben und alle erhoben sich, fanden sich in Grüppchen zusammen, plauderten oder tranken. Schon als ich aufgestanden war, hätte es mir beinahe die Tränen in die Augen getrieben, weil die Wunde schrecklich brannte, und mit jedem Schritt musste ich aufpassen, niemanden meine Pein sehen zu lassen. Schlussendlich fand ich mich neben Seungmin und Sunoo wieder, die beide mit zwei Damen sprachen, die ganz offenkundig die Schwestern von Ani Hamed waren. Ich hatte mir in der Kürze nicht einmal ihre Namen gemerkt. Aber egal, ich hatte größere Sorgen – vor allen anderen der pochende Schmerz auf meinem Rücken.

Zunächst versuchte ich, ihn mit Alkohol zu betäuben, doch ich wollte mich auch nicht betrinken. Auch sämtliche Veränderungen meiner Körperhaltung halfen nicht und schließlich als ich mich bei einem plötzlichen Geräusch etwas zu hastig umdrehte, spürte ich das Ziehen auf dem Schulterblatt so schlimm, dass ich am liebsten geschrien hätte. Stattdessen verkrampfte sich mein gesamter Körper und Seungmin und Sunoo warfen mir beunruhigte Blicke zu. Aber da spürte ich auch schon, wie etwas Warmes meinen Rücken hinablief und mit zusammengepresstem Kiefer, um den Schmerz zu bewältigen, wenn ich sprach, entschuldigte ich mich.

„Es tut mir sehr leid, aber ich brauche ein wenig frische Luft. Ich bin gleich zurück." Noch ein gequältes Lächeln, dann schritt ich möglichst würdevoll durch die Menschenmenge, auch wenn ich spürte, wie weitere kleine Tropfen meinen Rücken hinabflossen.

Ich schaffte es gerade so außer Sichtweite der Festhalle, vergewisserte mich, dass niemand mich beobachtete und stützte mich dann mit einem gepeinigten Wimmern an einer aufwändig bemalten Säule ab. Die Wunde brannte nun unerträglich und mir tat alles weh. Alles stürzte wieder auf einmal auf mich ein und ohne es zu wollen, begann ich zu weinen, weil ich nicht einmal wusste, wie ich mich vom Fleck bewegen sollte, ohne zusammenzubrechen.

„Jisung." Die Stimme ließ mich durch meinen Tränenschleier aufblicken. Eigentlich wollte ich mich zurückziehen, ihm sagen, dass er mich nicht beachten und lieber das Fest genießen sollte, doch meine Hand rutschte von der Säule und meine Beine gaben bereits unter mir nach.

Minho war allerdings schon fast neben mir gewesen und fing meinen Körper geschickt auf, bevor ich zu Boden sinken konnte. Er hielt mich dicht an sich gedrückt und bemühte sich, mich festzuhalten, ohne mir dabei wehzutun.

„Ich hätte dich nicht bitten sollen, mitzugehen", murmelte er, und als ich endgültig keine Kraft mehr fand, um mich selbst zu stützen, seufzte er und hob mich in seine Arme. Dabei berührte er ungewollt meine Wunde, doch die Schmerzen waren schon so unerträglich, dass er es kaum noch schlimmer machen konnte, und als hätte mein Körper nun wirklich genug, fiel mein Kopf schlaff in den Nacken und alles wurde schwarz.

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