Nie wieder
Jisungs Pov:
Ich hätte es wissen müssen. Er wird keine Rücksicht auf mich nehmen, nur weil ich verletzt bin. Er kennt keine Gnade und wird mich auch nicht länger verschonen, nachdem er nun weiß, dass ich ihn hingehalten habe. Er wird sich das nehmen, was er will.
Hier und jetzt.
Die unvergossenen Tränen brannten in meinen Augen, doch ich war zu stolz, um vor dem Pharao zu weinen und meine Schwäche zu zeigen. Also schluckte ich hart und spürte meinen Körper beben, als ich mich darauf einstellte, ihm erneut zu widersprechen und seinen Zorn zu wecken.
Dann drehte sich Minho zu mir um. Er hielt einen kleinen Tontopf in der Hand, doch als er sah, dass ich noch immer genauso regungslos dastand, schloss sich seine Hand fester um den Gegenstand. Seine Augen wurden schmaler und seine Gesichtszüge härter. Diesmal jedoch hielt dieser Ausdruck nicht länger als zwei oder drei Sekunden an, bevor ein leises Seufzen zu hören war und die Wut einer beinahe entschuldigenden Miene Platz machte.
„Ich wollte dich bitten, dich auszuziehen, Jisung. Und zwar nicht, um dich zu erniedrigen, sondern um deine Wunde zu behandeln." Seine Stimme war weich und ruhig, kein Vergleich zu dem Tonfall, den er heute nach dem unglücklichen Vorfall verwendet hatte. „Glaubst du wirklich, ich würde diese Situation ausnutzen?" Er war noch einen Schritt auf mich zugekommen, stand jetzt direkt vor mir und betrachtete mich forschend aus seinen großen, schokoladenbraunen Augen.
Ich war so überrascht und verwirrt von dem wiederholten Wandel seiner Laune, dass ich nur minimal den Kopf schüttelte und weiterhin zu ihm aufsah.
Minho merkte offenbar, dass er vorerst keine klareren Worte aus mir herausbringen würde, denn er verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere und sprach diesmal wesentlich präziser aus, was er wollte:
„Zieh dein Gewand aus, damit ich mir die Wunde ansehen kann. Ich muss wissen, wie schlimm es ist und ob ich einen Heilkundigen rufen lasse."
Nervös und mit zittrigen Fingern nestelte ich an meinem Gürtel herum und löste anschließend auch die übrigen Knoten, die mein Gewand zusammenhielten. Sekundenlang erinnerte mich diese Tätigkeit an den fatalen Abend mit Hyunjin, aber hastig schob ich den Gedanken wie auch den Stoff zur Seite und fühlte nun, wie das Kleidungsstück geschmeidig und unaufhaltsam meinen Körper hinabglitt und sich dann in sanft aufwogenden Kaskaden um meine Füße legte. Mein Kopf blieb gesenkt und meine Zähne gruben sich in meine Unterlippe, während meine Wangen brannten und ich nicht wusste, was ich tun sollte.
Unvermittelt streckte sich mir eine Hand entgegen, die ich beinahe automatisch ergriff. „Es wird wesentlich leichter sein, wenn du dich niederlegst." Noch immer war Minhos Stimme gelassen, also trat ich, von ihm geführt, aus meinem Gewand heraus und lief hinüber zu seinem Bett, wo er mit einer Geste andeutete, dass ich mich hinlegen sollte.
Ein wenig umständlich krabbelte ich darauf und ließ mich anschließend bäuchlings auf den gepolsterten Untergrund sinken. Noch immer machte mich das freundliche Auftreten des Pharaos skeptisch, aber gleichzeitig wollte ich ihm einen kleinen Vertrauensvorschuss geben. Möglicherweise weil ich mich schlecht fühlte, weil ich sofort davon ausgegangen war, dass er mich erneut demütigen wollte oder mir Schlimmeres zufügen würde.
Als ich mich noch etwas weiter nach oben schob, um angenehm zu liegen, zog sich ein unangenehmes Brennen durch die Wunde auf meinem Rücken und ich wimmerte schmerzerfüllt.
Gleich darauf spürte ich, wie sich die Bettstatt dicht neben mir ein wenig senkte und rasch kniff ich die Augen zusammen. Zittrig holte ich Luft und versuchte mich, so gut es ging, zu entspannen. Dennoch blieb die Ungewissheit bestehen. Ungewissheit, ob ich mich tatsächlich auf Minho verlassen konnte und ob er mir vollkommen uneigennützig half.
„Dein linkes Schulterblatt hat den größten Teil der Wucht des Hiebes abgefangen. Dort ist die Haut an einigen Stellen stark gerötet... Es kann sein, dass dieser Bereich am schlimmsten schmerzen wird."
Kühle Fingerspitzen strichen über meinen Rücken, dann tasteten sie sich dicht neben dem Peitschenstriemen entlang und ich zuckte zusammen – ob aus Angst oder vor Schmerz wusste ich nicht genau.
Sogleich verschwand die Hand, nur um kurze Zeit später mit einer kühlen, feuchten Masse direkt über die verletzte Haut zu streichen und die wohltuende Paste, oder was auch immer es sein mochte, ganz behutsam zu verteilen. Durch die leichte Kälte und die unerwartet zarte Berührung spannte ich mich an, doch hielt augenblicklich still, als sich die zweite Hand auf mein Schulterblatt legte.
„Bleib ruhig liegen, ich will dir nicht wehtun", drang seine Stimme nun eher rau und angenehm an mein Ohr. Sofort folgte ich seiner Anweisung und versuchte, keinen einzigen Muskel zu rühren. Alles in mir war gerade dermaßen aufgewühlt und durcheinander, dass mir kurz schwindelig wurde. Es war einfach unfassbar, so bizarr und abwegig.
Minho, der Herrscher über ganz Ägypten, versorgt gerade eigenhändig meine Wunde und kümmert sich beinahe liebevoll um mich.
Ganz deutlich spürte ich die Fingerspitzen, die noch ein wenig mehr von der Paste auf meinem Rücken verteilte, die zusätzlich eine angenehm betäubende Wirkung auf den Schmerz hatte. Es war eine wahre Wohltat, was diese Medizin auslöste. Sie linderte das Brennen, sodass ich auch meinen verspannten Rücken lockern konnte und auf die weiche Decke unter mir sank. Meine Augen schlossen sich.
„Zwei kleinere Stellen sind aufgeschürft und der Striemen verläuft bis hierhin." Behutsam tippte Minhos Zeigefinger auf einen Punkt nahe meiner unteren Rückenwirbel. „Die Paste wird die Wunde feucht halten, dann trocknen die offenen Stellen nicht aus und die Schmerzen sollten schneller nachlassen." Dann spürte ich einen kühlen Lufthauch, als Minho abschließend über die Creme pustete, und im nächsten Augenblick entfloh meinen Lippen ein wohliges Seufzen.
Die Hand auf meinem Schulterblatt zuckte kurz verdächtig und auf einmal war es sehr still hinter mir. Sogleich hatte ich das Gefühl, etwas schrecklich Dummes getan zu haben, und es war mir nebenbei gesagt sehr peinlich. Aber Minhos nächste Worte überraschten mich noch mehr als meine unbedachte Reaktion.
„Es ist ungewohnt, dich so entspannt in meiner Gegenwart zu sehen, Jisung."
Am liebsten hätte ich mich umgedreht, um dem Pharao in die Augen blicken zu können. Ich wollte wissen, welche Emotionen ich jetzt entdecken würde. Zeitgleich wurde ich unruhig und fühlte mich schlagartig nackt und unterlegen. Doch diesmal war das Gefühl weniger erniedrigend, also widerstand ich auch dem Drang, mich seinem Griff zu entziehen. Stattdessen atmete ich kontinuierlich und ruhig, während ich darauf wartete, dass Minho sprach oder irgendwie handelte.
Zunächst glaubte ich fast, ich hätte mich getäuscht, doch dann widerholte Minho die Geste: Seine Hand streichelte vorsichtig über meinen Rücken. Erst nur über die unverletzte Schulter und den oberen Rippenbereich, doch als ich auch jetzt nichts tat, um ihn abzuschütteln, streifte seine Hand meine Taille. Seine Fingerspitzen rutschten nach außen und wanderten federleicht über meine empfindliche Haut. Dann verschwand seine Hand, nur um nochmal von ganz oben anzusetzen und die gleiche Bewegung erneut auszuführen.
Mein Körper sendete vollkommen widersprüchliche Signale an mein Gehirn und es kostete mich viel Mühe, einzelne zentrale Emotionen herauszufiltern. Als Erstes war da die Erleichterung darüber, dass er so zärtlich war und mich nicht grob behandelte wie erwartet. Dann kam noch das Gefühl von Entspannung hinzu, das durch die kühlende Paste und seine Hand ausgelöst wurde.
Es war absurd und definitiv frevelhaft, dass ich es entspannend fand, wie er mich streichelte. Mein Widerwillen zu dieser Art an Zuwendung durch einen anderen Mann versuchte, sich verbittert an die Oberfläche zu kämpfen, doch wurde sogleich durch die zärtliche und wohltuende Streicheleinheit hinweggewischt.
„Ich habe zu viel von dir gefordert, Jisung... vor allem bei unserem letzten Aufeinandertreffen. Es wird nicht noch einmal vorkommen, das verspreche ich dir."
Diesmal ließ ich seine Berührung ohne Bedenken zu, genoss sie sogar ein wenig und unterdrückte nur halbherzig ein leises Summen, als seine Hand meine Taille streifte. Meine Mundwinkel zogen sich nach oben und ich hätte beinahe gekichert, da ich an dieser Stelle sehr empfindlich war. Seine Worte beinhalteten so viel mehr Bedeutung, als ich momentan erfassen konnte. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, und dennoch spürte ich die Erleichterung über das Eingeständnis seines Fehlers.
Vielleicht ist er kein so schlechter Mensch, wie ich geglaubt habe.
Unvermittelt entfernte sich seine Hand und noch einige Sekunden wartete ich vergeblich auf ihre Rückkehr, auf eine weitere, behutsame Berührung. Diese blieb allerdings aus und dann hörte ich das Rascheln von Stoff, als sich Minho von seinem eigenen Bett erhob.
„Das Gastmahl wird bald beginnen. Du solltest dich wieder anziehen."
Etwas umständlich drehte ich mich um, setzte mich dann auf und sah zu, wie Minho hinüber zu meinem Gewand ging, es vom Boden aufhob und zu mir zurückkehrte. Er richtete die dünnen Stoffbahnen und reichte mir seine Hand. „Lass mich dir helfen."
Mit gerunzelter Stirn und immer noch nicht ganz erholt von den bedeutungsschweren Worten reichte ich ihm meine Hand, ließ mich auf die Beine ziehen und beobachtete überfordert, wie Minho mir den Stoff umlegte und elegant verknotete, bevor er mir den Gürtel reichte. Er sah zu, wie ich nun den teuren, mit Edelsteinen besetzten Gürtel umband und dann noch etwas verstohlen den Stoff zurechtzupfte. Als offensichtlich wurde, dass ich bestens zurechtkam, wandte er sich ab und lief hinüber zum Tisch, um von dort mehrere schwere Armreifen zu holen, die er sich nun selbst überstreifte. Das glänzende Gold schmeichelte seiner bräunlichen Haut und den dunklen Haaren und offenbar war ich so in dem Anblick gefangen, dass erst ein leises Räuspern des Pharao mich zurückbrachte.
Verlegen blickte ich zu ihm auf, während er an mich herantrat und dann ernst fragte: „Denkst du, du schaffst das?"
Ich war mir sicher, dass er auf meine Verletzung in Bezug auf den öffentlichen Auftritt an diesem Abend anspielte und da ich ihn nicht enttäuschen wollte, nickte ich rasch. „J-ja."
„Gut." Erneut stand er direkt vor mir und sah mich durchdringend an. Seine Augen schienen tief in meine Seele zu blicken und die Wahrheit aus mir herauskitzeln zu wollen. Seine Haltung war würdevoll wie eh und je. Seine Mimik zeigte nicht, was er dachte oder fühlte. Neben ihm kam ich mir so jung und unerfahren vor – was vermutlich an den gesellschaftlichen Erwartungen lag, die mir bisher beinahe fremd waren.
Aber da war noch eine andere Empfindung. Der Pharao strahlte Ruhe aus. Ruhe und Macht. Neben den Gefühlen der Unerfahrenheit und dem Zweifel war noch ein weiteres: Schutz.
Minho konnte mir Schutz gewähren und das tat er. Meine Verteidigung vor weiterem Schmerz und seine Verarztung meiner Wunde hatten mir Hoffnung geschenkt. Es hatte ein Moment der Wertschätzung zwischen uns geherrscht und ich hatte ihm vertraut.
Kann ich das wirklich? Kann ich ihm vertrauen? So weit, dass er mich beschützt und ich bei ihm in Sicherheit bin? Er hat mich heute vor weiteren Verletzungen bewahrt und den Mann bestraft, der mir wehgetan hat. Minho hat meine Wunde eigenhändig versorgt und sich nach meinem Befinden erkundigt, obwohl er es nicht hätte tun müssen. Er hätte all das nicht tun müssen.
„Vielen Dank, Minho." Diese Worte hatten hastig meine Lippen verlassen und ich fühlte mich genötigt, meinen Dank noch etwas deutlicher zu formulieren, sodass er verstand, warum ich ihn aussprach. „Ich danke dir, dass du mich heute verteidigt und beschützt hast. Dass du mich sogar gepflegt hast und so nachsichtig mit mir warst. Du hast sogar einen Menschen getötet, nur weil er mir wehgetan hat." Ganz sicher war ich mir zwar nicht, ob ich dafür dankbar sein sollte, da diese Bilder mich wohl ein Leben lang verfolgen würden, doch ich wusste, dass seine Zivilisation durch dieses Gefüge der Gewalt und des Tötens stark geworden war. So funktionierte das schon seit Jahrmillionen – Töten oder getötet werden.
Sekundenlang verdüsterten sich Minhos Augen und er kam noch einen halben Schritt näher. „Ich hätte diesen Mann nicht töten müssen, wärst du nicht so leichtsinnig gewesen. Nur deinetwegen ist er jetzt tot."
Seine unerwarteten Worte fühlten sich fast selbst an wie Peitschenhiebe und ich sank in mir zusammen. „A-aber das-das wollte ich nicht. Du-du hättest ihn nicht umbringen müssen... nicht meinetwegen", hauchte ich.
Zwei Finger hoben vorsichtig mein Kinn an. „Sieh mich an", befahl er. Schnell gehorchte ich und blickte hilflos und bestürzt in seine ebenso aufgewühlten Augen. „Du gehörst zu mir. Du bist ein Teil des königlichen Hofstaats. Wer ein Mitglied meines Harems beschmutzt, es geringschätzt, ihm in irgendeiner Form Schaden zufügt, ihm Schmerzen bereitet oder es mir wegnimmt, den bestrafe ich angemessen. Es war nötig, diesen Mann zu töten, da er dich verletzt und dadurch auch mich, meine Macht und meine Herrschaft entehrt hat." Mittlerweile war er sichtlich aufgebracht. „Aber du hast Recht. Er hätte nicht sterben müssen, wenn du nicht so überaus leichtfertig gewesen wärst. Deine Unbedachtheit hätte dich heute das Leben kosten können."
Unter dieser harten Kritik konnte ich nicht länger seinem Blick standhalten, also sah ich auf den Boden und überlegte sogar, mich vor ihm niederzuwerfen und um Vergebung zu bitten. Doch da passierte etwas noch viel Absurderes: Minhos Arme zogen mich an sich, eine Hand umschlang meine Taille, die andere drückte meinen Kopf fest gegen seine Brust.
„Tu so etwas Wahnsinniges nie wieder. Hast du mich verstanden?" Immer noch ein wenig verschreckt nickte ich und spürte das kräftige Pochen seines Herzens gegen meine Brust. Ich erlaubte mir den Luxus, mich ganz kurz an ihn zu schmiegen, da ich ganz dringend ein wenig Geborgenheit fühlen wollte. Seltsamerweise spürte ich sie sogleich, als ich meine Arme zögerlich um ihn legte und mich an ihm festhielt.
„Ich verspreche, ich tue es nicht wieder."
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Ihr habt wieder einmal bewiesen, dass ihr mich und meine Plottwists gut kennt. Natürlich wollte Minho nur Jisungs Wunde versorgen. 😊
Und ich denke, so langsam wird sich auch die Dynamik unserer beiden Hauptcharaktere verändern.... 🙃
Stay tuned 💕✨
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