Nichts ist, wie es scheint
Jisungs Pov:
„Ich wusste doch, dass ich dich hier finde." Mit diesen Worten begrüßte mich Yeji, als sie zu mir unter den schattigen Baldachin trat und sich mit einem Lächeln neben mir auf die weichen Kissen sinken ließ. Sie machte es sich bequem, schob eines der fluffigen, mit Federn gefüllten Kissen etwas höher in ihrem Rücken, sodass sie sich besser zurücklehnen konnte und ließ dann ein zufriedenes Seufzen hören, bevor sie stumm auf die blühenden Büsche um uns herum sah.
„Du verbringst in den letzten Tagen viel Zeit mit Minho", stellte sie sachlich fest und ihr Kopf wandte sich zu mir. „Liegt das an Jeongins Anwesenheit oder hast du allmählich deine Unsicherheit bezüglich deiner Empfindungen für Minho abgelegt?"
Nun ließ ich mich ebenfalls etwas tiefer in die Kissen sinken und drehte nachdenklich den Becher zwischen den Fingern, als mir klar wurde, dass dieses Gespräch mit Yeji wohl ähnlich intensiv und aufwühlend werden würde wie das erste. Dennoch vertraute ich ihr und sah es als gutes Zeichen, dass sie erneut von selbst auf mich zukam und sich nach meinem Befinden erkundigte.
„Ich denke, Jeongins Anwesenheit erleichtert mir den Zugang zu Minho. Trotzdem würde ich auch gern allein mit Minho etwas unternehmen... also schafft Jeongin vielleicht eine gute Basis, um Minho näherzukommen, aber schlussendlich muss ich selbst den nächsten Schritt wagen."
Yeji summte leise und ihre Finger tippten langsam und rhythmisch auf den Handrücken ihrer anderen Hand. „Das klingt für mich ganz danach, als hättest du deine Krise beinahe überwunden. Wirst du Minho sagen, dass du für ihn Gefühle entwickelst?"
Ich schnaubte etwas ungläubig, weil mir diese Frage in letzter Zeit eindeutig zu häufig gestellt wurde und mich unnötig unter Druck setzte, etwas in exakt dieser Richtung zu initiieren. Also schwang nun mein Kopf hinüber zu Yeji und ich betrachtete sie scharf. „Du weißt, dass das nicht so einfach geht. Wenn ich ihm von meinen Empfindungen erzähle, wird er mich womöglich enger an sich binden wollen... und dann wäre ich wieder in einer ausweglosen Situation, weil ich nicht sicher sein kann, dass ich für immer hier bleibe oder überhaupt ein Leben mit ihm führen kann." Gerade noch so stoppte ich die nächsten Worte, weil ich Yeji ganz sicher nicht beunruhigen wollte, indem ich ihr gestand, dass Minho möglicherweise in Lebensgefahr schwebte.
Ihre rehbraunen Augen blickten mir unerschrocken entgegen und erneut bewunderte ich sie für ihre Klugheit, als sie sprach: „Ich verstehe dich durchaus. Aber willst du wirklich deine Zeit damit verschwenden, ständig nur darüber nachzudenken, was passieren könnte und dadurch nie anfängst, wahrhaft zu leben? Außerdem hast du eine weitere Möglichkeit, die dir diese Last deutlich erleichtern würde."
Hoffnungsvoll hing ich an ihren Lippen und erwartete ihre nächsten Worte stumm. Als sie dies merkte, bildete sich wieder das feine Lächeln um ihre Mundwinkel. „Sei ehrlich zu Minho. Geh zu ihm und erzähle ihm alles, so wie du es mir berichtet hast. Bring ihn dazu, dir zuzuhören und dann weißt du, ob er trotz dieser verwirrenden Umstände zu dir steht."
Betreten senkte ich den Kopf und schüttelte ihn daraufhin leicht. „Yeji, du weißt nicht, was du da von mir verlangst. Wenn ich es ihm sage, dann könnte er mich ebenso gut verstoßen. Was ist, wenn er mir nicht glaubt? Oder mich für einen Betrüger hält und mich aus dem Palast werfen lässt. Wie soll ich ihm dann noch helfen?"
Und vielleicht habe ich auch zu viel Angst, ganz allein dazustehen. Dann bin ich wieder ohne Schutz, kann mich niemandem mehr anvertrauen und weiß nicht, wie ich hier überleben soll. Würde ich auch dann in der Zeit zurückreisen, wenn klar wird, dass ich meinen Auftrag nicht erfüllen kann?
Yeji drehte ihren gesamten Körper in meine Richtung und eine ihrer Hände tastete nach meiner. „Vertraust du ihm denn so wenig, Jisung? Siehst du nicht, was ich sehe? Er ist eindeutig hingerissen von dir. Er will dich für sich gewinnen und das Einzige, was zwischen euch steht, ist diese eine Sache. Denkst du nicht, deine ungezwungene Ehrlichkeit bedeutet ihm mehr als deine wahre Herkunft?"
Meine Augen wurden etwas feucht und ich blinzelte mehrmals, bevor ich verloren die Schultern zuckte und die Hand von Yeji fester umschlang. „Ich-ich weiß es nicht." Und mit jeder Sekunde, die ich länger darüber nachdachte, bekam ich mehr Panik vor den möglichen Konsequenzen und Reaktionen, die Minhos Wissen über meine Vergangenheit haben könnten. „Er wird mich nicht länger bei sich haben wollen. Er wird mich hassen, weil ich ihn von Anfang an belogen habe. Sicher will er keinen Verräter in seinem Palast und schon gar keinen Verräter, der ihn ständig auf Abstand hält, ihm nie die Zärtlichkeit und Nähe gibt, die er sich wünscht, und- und-" Meine Stimme versagte und ich holte tief Luft, um mein rasendes Herz zu beruhigen, während Yeji näher rutschte und dann mit einer Ruhe in der weichen Stimme sprach, die mir erneut klar machte, wie gefestigt ihre Persönlichkeit selbst in emotionalen Situationen war. „Minho wäre nie so oberflächlich und unnahbar, wie du ihn dir gerade vorstellst. Gib ihm die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, wie er dein Handeln bewertet. Er wird erkennen, dass nicht alles von dir gewollt war, was passiert ist, und wenn es dich beruhigt, kann ich gern mit dir gehen, wenn du es ihm sagst. Ich würde ein gutes Wort für dich einlegen."
Diese liebevolle Geste und der Zuspruch, den sie mir gab, machten alles nur noch schwieriger für mich. Während mein Herz mich anbettelte, dass ich nachgeben und ehrlich sein sollte, schrie mich mein Verstand permanent an, dass mich das alles kosten würde, was ich hier erreicht hatte. Ich verstand beide Seiten. Mein Herz und meine aufblühende Liebe für Minho wünschten sich eine glückliche Zukunft und eine sichere Partnerschaft, die auf einem fast schon romantischen und wahrheitsdurchdrungenen Gerüst der Liebe und Hingabe aufgebaut war, doch ebenso konnte ich meinem Verstand in seine düstere Spirale folgen. Er wollte, dass ich nicht die Fehler meiner Vergangenheit wiederholte und mich zu sehr auf Menschen stützte, nur um sie dann zu verlieren. Mir war bewusst, dass ich nicht jeden würde festhalten können und es war noch schlimmer zu wissen, dass ich nicht jeden retten konnte. Ich hatte meine Familie nicht retten können und wenn ich nun erneut eine Person in mein Herz ließ, von der ich wusste, dass sie möglicherweise starb, könnte das der Punkt sein, an dem ich selbst zerbrach. Wo sollte ich nur die Grenze ziehen zwischen dem, was ich ertrug und dem, was ich mir ersehnte?
Diesmal straffte sich meine Haltung und ich blickte Yeji fest in die Augen. „Ich kann es ihm nicht sagen. Es geht hier um sein Leben. Sollte ich ihn nicht retten können, wird er sterben, Yeji. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich nicht bei ihm bin und es nicht verhindern kann, weil ich ihm die Wahrheit gesagt habe. Ich kann nicht riskieren, dass er stirbt, nur weil ich ihn zu sehr liebe und mich richtig verhalten will."
Die braunen Augen vor mir weiteten sich und ich wusste sehr wohl, was ich gerade riskierte, indem ich Yeji indirekt bestätigt hatte, dass Minho ernsthaft in Gefahr war. Sie hatte offenbar nicht mit einem solchen Ausbruch von mir gerechnet und nun schwankte ihre Miene zwischen Verständnis und Sorge.
Zunächst schwiegen wir beide und ich bekam ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr das alles zumutete und nicht einfach geschwiegen hatte. Unvermittelt fühlte ich mich egoistisch und ich überlegte, ob ich einfach aufstehen und gehen sollte, bevor sie mir sagen würde, dass ich einen riesigen Fehler machte.
„Aber Jisung, wie willst du ihn beschützen, wenn er es nicht weiß?", fragte sie erstaunlich sanft und ich musste zugeben, dass sie genau den Ton traf, den es benötigte, um meine Gedanken leider nur noch tiefer in die düstere Abwärtsspirale zu ziehen. Sicher war das keine böse Absicht, sondern bloß die ernstgemeinte Frage einer guten Freundin, die mir helfen wollte.
Aber hierbei kann man mir nicht helfen.
Etwas umständlich rappelte ich mich nun auf und kam unsicher vor ihr zum Stehen. „Verstehe es doch, ich kann es ihm nicht sagen. Wenn ich das tue, wird alles nur noch schlimmer."
Fragt sich nur, für wen.
Mit diesen Worten ließ ich sie allein, drehte mich hastig um und lief zurück in Richtung der gemeinsamen Räume. Aber im nächsten Moment verstand ich, dass ich nicht dahin zurückwollte, wo mich jetzt jeder sehen konnte. Noch war ich viel zu aufgewühlt und schnell bog ich in einen anderen Gang ein, der in die grobe Richtung von Minhos Gemächern führte. Der Weg schien mir so vertraut und ich musste nicht darüber nachdenken, ihn einzuschlagen. Meine Füße trugen mich zielsicher über den glatten Marmorboden, der einen fühlen ließ, als würde man jeden Moment auf ihm ausgleiten. Aber nichts dergleichen geschah, während ich ihn entlangeilte und bemüht war, meine Zuneigung für Minho und diese erdrückenden Schuldgefühle irgendwie zu vereinen oder sie zumindest zurück in die geöffneten Schubladen zu drücken, aus denen sie hervorquollen.
Aber es war etwas anderes, das schließlich meinen Verstand zum Schweigen brachte.
Der Blick nach vorn.
Wie angewurzelt blieb ich plötzlich stehen und wusste nicht, was ich zu dem Anblick sagen sollte, der sich mir bot. Ich erkannte nur die beiden Personen, die da eng aneinandergepresst schräg hinter einer der Säulen standen und sich ungestüm küssten, während ihre Hände sich im Haar und der Kleidung des jeweils anderen festkrallten.
Mein Mund klappte auf und ich kam mir sofort fehl am Platz vor. Ja, fast bereute ich meine Entscheidung, diesen Weg genommen zu haben und nun Zeuge eines so intimen Augenblickes zu sein. Aber da lösten sich die beiden Personen voneinander und dunkle Augen trafen auf meine, als Chan mich zuerst entdeckte.
Augenblicklich versteifte sich sein Körper und Jeongin musste es wohl gespürt haben, denn er sah zu Chan auf und folgte dann seinem Blick zu mir. Nun wurden seine schlitzförmigen Augen ebenso rund und eine feurige Röte schoss in sein Gesicht.
Endlich schaffte ich es, mich zu bewegen und irgendwas musste in meinem Gehirn wohl an den richtigen Platz gerutscht sein, denn plötzlich ergab diese eine Zeile des Rätsels so viel mehr Sinn.
Stier und Fennek, Chan und Jeongin. Deshalb hat man einen General neben zwei Pharaonen bestattet. Es ist mehr als ein paar vertraute Blicke oder gegenseitige Zuneigung. Das ist Liebe, heiße, brodelnde und alles andere vergessende Liebe.
Ich hob beschwichtigend die Hände, blickte kurz prüfend den Gang entlang und trat dann näher. „Keine Sorge, ich werde das keinem sagen. Niemand wird von mir etwas erfahren", versicherte ich den beiden und versuchte mich an einem aufmunternden Lächeln, als ich die Unsicherheit in Jeongins Augen lesen konnte. „Ich habe mir schon beinahe gedacht, dass da mehr zwischen euch ist, aber ich wollte keine voreiligen Schlüsse ziehen."
Das Reden beruhigte mich und scheinbar ging es den beiden vor mir ähnlich, da sich Chan langsam entspannte, während er dennoch einen Arm um Jeongins Taille legte. Dieser betrachtete mich noch einige Sekunden aufmerksam und sprach dann ungewöhnlich leise. „Ich- meinst das das ernst, Jisung? Wirst du keinem davon erzählen?"
Hastig schüttelte ich den Kopf. „Keine Menschenseele wird erfahren, was ich gesehen habe."
Jeongin atmete etwas erleichtert aus und dennoch trafen seine dunklen Augen erneut skeptisch auf meine. „Auch nicht mein Bruder?", fragte er und fügte hinzu. „Ich- ich weiß nicht, wie er reagieren würde. Wenn er erfährt, dass es mir Ernst mit Chan ist, dann riskiere ich, dass er sich unter Druck gesetzt fühlt." Unvermittelt erblickte ich so viele verschiedene Emotionen in Jeongins Augen – von Angst über Resignation und Reue bis hin zu offenkundiger Sorge. „Der Rat der Beamten könnte ihn anzweifeln, weil er als Pharao noch keinen rechtmäßigen Königsgemahl erwählt hat und keine legitimen Thronerben hat. Ich will ihn nicht damit belasten."
Verstehend nickte ich und trat dann noch einen Schritt auf beide zu. „Jeongin, dein Geheimnis ist bei mir sicher. Ich schwöre dir, wenn nötig, vor jedem Gott einzeln einen Eid, dass ich nichts verraten werde. Keinem. Du hast mich bei unserer ersten Begegnung gebeten, dich wie ein Familienmitglied zu behandeln und das werde ich dir nie vergessen. Du hast mich damit willkommen und geborgen fühlen lassen. Also lass mich nun etwas für dich tun und wenn dir mein Schweigen hilft, so bin ich bereit, bis zu meinem letzten Tag darüber kein Wort zu verlieren."
Pure Erleichterung erblühte auf beiden Gesichtern vor mir und das ließ auch mir leichter ums Herz werden. Ich trat zaghaft näher und erkannte in Chans Mimik eine Art Zufriedenheit, so als hätte ich seine hohen Erwartungen bestätigt, während Jeongin glücklich darüber schien, dass uns beiden so viel an unserer Freundschaft lag. Er griff nun nach meinen Händen und übte sanften Druck auf meine Knöchel aus.
„Ich bin dir so dankbar. Ich wusste, du bist der Richtige für meinen Bruder. Und ich- ich bin irgendwie froh, dass zumindest du es jetzt weißt." Er drehte sich zu Chan und strahlte ihn an. „Ich liebe ihn und doch darf ich es niemandem außer ihm zeigen, das ist mühsam und teils sehr frustrierend. Aber ich würde alles für ihn tun. Für ihn, meine Familie und für die Sicherheit meines Landes."
„Das verstehe ich. Deshalb ist es mir eine Ehre, dass ich nun dieses Geheimnis bewahre", murmelte ich und betrachtete beide nacheinander.
Die Wahrheit mag erleichternd sein, aber macht sie auch glücklich?
Unvermittelt schlang Jeongin beide Arme um mich und seine Lippen drückten sich gegen meine Wange, bevor er seinen Griff um meinen Körper beinahe schraubstockartig verstärkte. „Danke, Jisung. Ich danke dir wirklich von Herzen."
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