Neuer Tag, neues Glück

Jisungs Pov: 

Mein Wecker klingelte unbarmherzig und so früh, dass ich ihn am liebsten zertrümmert hätte. Die Sonne ging bereits über der Stadt auf und dabei war es gerade einmal fünf Uhr am Morgen. Das war eines der Dinge, die ich an dem praktischen Teil meines Studiums wirklich hasste.

Das frühe Aufstehen.

Dummerweise würde dieses frühe Aufstehen auch noch von einer etwa einstündigen Autofahrt hinaus in die Wüste – zu unserer derzeitigen Ausgrabungsstätte – begleitet werden. Die Grabungsstätte lag nahe der heutigen Stadt Luxor. Dort wo sich heute eine Stadt mit Märkten und Wohnhäusern befand, lag ehemals der riesige Tempelbezirk einer altägyptischen Königsmetropole. Zur Zeit der Pharaonen war sie unter einem anderen Namen bekannt. Theben. Theben oder Waset, wie es in der Sprache der Ägypter noch genannt wurde, war in der altehrwürdigen Zeit ein gutes Siedlungsgebiet und während der 18. Pharaonendynastie im Mittleren Reich war Theben sogar die Hauptstadt Ägyptens und Stammsitz des jeweiligen Herrschenden gewesen.

Ich schälte mich immer noch schlaftrunken aus meiner Decke und gähnte herzhaft, bevor ich es endgültig schaffte, das gemütliche Bett zu verlassen. Müde nahm die Kleidungsstücke vom Stuhl, die ich mir gestern zurecht gelegt hatte. Ein weißes, luftiges T-Shirt und eine kurze, beige Hose würden für heute genügen. Bei den heißen Temperaturen und unter der Glut der Sonne sollte man möglichst Kleidung tragen, die einen nicht so schnell schwitzen ließ. Noch war es angenehm kühl draußen, doch bereits in ein bis zwei Stunden, wenn die Sonne hoch genug am Himmel stand, wäre kaum noch etwas von der Kälte der Nacht zu spüren.

Ich lief ins Bad, um noch vor Yeosang zu duschen und Zähne zu putzen. Als das Wasser dann auf mich herabprasselte und nur schwerlich die bleierne Müdigkeit vertrieb, bereute ich meine nächtlichen Grübeleien, die mich wieder einmal viel zu lange wach gehalten hatten. Jede Zeile, ach was, jede Hieroglyphe dieser verfluchten Schriftrolle hatte sich mittlerweile in meine Hirnrinde eingebrannt und wollte mich nicht mehr loslassen und dennoch war ich der Lösung des Rätsels keinen Schritt nähergekommen.

......

Eine gute Stunde später bogen wir auf den sandigen Vorplatz der Grabungsstätte ein und parkten den Wagen neben einem der aufgebauten Zelte, die zur kurzen Zwischenlagerung von nicht allzu wertvollen Funden diente. Schon jetzt waren erstaunlich viele Menschen auf den Beinen, wuselten geschäftig umher und räumten verschiedene Bereiche des Ausgrabungsorts von Gestein und Sand frei.

„Oh Jungs, da seid ihr ja. Sehr gut. Wir machen heute mit dem zweite Schacht auf der Ostseite weiter." Unser Ausgrabungsleiter sah bereits wieder hochmotiviert aus, während ich hastig ein Gähnen unterdrückte und stattdessen versuchte, zu lächeln.

Der zweite Schacht war momentan ein besonders aussichtsreiches Projekt unseres Leiters. Er hatte die Umgebung sorgfältig kartografiert und im östlichen Sektor lagen mehrere Gebäuderuinen, sowie der zweite Schacht, der auf ein Grab hinwies. Wir alle vermuteten, dass es sich bei diesem noch verschlossenen Grabmal um die letzte Ruhestätte eines Priesters handelte, da die unmittelbare Nähe zum Amun-Re Tempelbestand. Das Grab sollte uns vor allem Rückschlüsse auf die Lebensweise der Priester gewähren, aber ebenso sollte der Einfluss dieser Männer auf den Glauben an die Götter ergründet werden. Aber im Moment war das für mich nicht wirklich interessant. Den ganzen Tag nur kleine Grabbeigaben, viele Tiermumien und ab und an eine Statue oder Schnitzerei von Sand und Erde zu befreien oder sie einzupacken und zu beschriften ließ mich nicht unbedingt Luftsprünge machen.

Ich wollte schon fragen, wo wir uns am besten nützlich machen konnten, als der Professor, sozusagen der schlaue Kopf hinter unserer Ausgrabung, aus dem Zelt stürmte und sein Satellitentelefon sinken ließ.

„Tut mir leid, Herr Shedid, aber heute muss ich Ihnen diese aufgeweckten, jungen Männer abspenstig machen. Es kam soeben der Anruf von Herrn Damaty, dass die Arbeiten zur Sicherung eines Schachts im Tal der Könige abgeschlossen wurden. Sie wollen heute damit beginnen, in den bis jetzt als einsturzgefährdet geltenden Tunnel vordringen." Die Begeisterung, die in der Stimme des älteren Mannes mitschwang, war kaum zu überhören und selbst ich fühlte mich schlagartig wacher und von neuer Energie beseelt, als er diese Neuigkeit verkündete.

Okay, vielleicht wird das doch noch ein spannender Tag.

Unser Ausgrabungsleiter nickte ergeben, aber schien nicht wirklich enttäuscht zu sein. „Na wenn das so ist, dann werde ich euch nicht aufhalten. Das wird hoffentlich ein voller Erfolg."

Herr Shin – so heißt der Professor in Wirklichkeit – winkte uns zu sich. „Alles klar, dann folgt mir mal mit dem Wagen. Ich fahre wieder voraus. Kennt ihr den Weg noch?"

Gutmütig nickte ich. „Wir kennen den Weg, Professor." Es war irgendwie putzig, wie schnell der ältere Herr vergessen konnte, dass wir bereits mehrmals mit ihm im Tal der Könige gewesen waren. Doch wenn es um Ausgrabungen und gefundene Objekte ging, konnte er einem vermutlich eine detaillierte Liste mit allen Gegenständen anfertigen, die er je entdeckt hatte.

Für die verschiedensten Ausgrabungen und auch zur Besichtigungen der Grabkammern waren sowohl Yeosang als auch ich schon häufiger im Tal der Könige gewesen und wir erinnerten uns bestens an den Weg. Dennoch ließen wir dem Professor höflich den Vortritt und Yeosang fügte hinzu.

„Aber natürlich fahren wir Ihnen hinterher und sollten wir Sie aus den Augen verlieren, hat unser Auto immer noch ein Navi, dem wir folgen könnten."

Also stiegen wir erneut in das gut klimatisierte Auto ein. Während ich mich auf den Beifahrersitz plumpsen ließ und leise kicherte, schnallte sich Yeosang schon an und drehte den Zündschlüssel.

„Irgendwie ist er ja schon ganz knuffig. Wie ein liebenswerter Opi, den man zu jeder Zeit bitten kann, eine Geschichte zu erzählen."

„Oh ja, das trifft es ziemlich gut. Nur würden die Geschichten ewig dauern, wenn du ihn nicht irgendwann unterbrichst", ergänzte Yeosang und lenkte den Wagen wieder auf die Straße. Währenddessen machte ich es mir bequem und schloss die Augen, um noch etwas Ruhe zu bekommen. Allerdings dauerte es nicht lange, bis ich sie wieder öffnete und nachdenklich aus dem Fenster sah.

„Was denkst du? Werden wir heute endlich mal einen richtig großen Fund machen? Ich meine, seit wir hier sind, haben wir zwar schon einige Grabkammern betreten, viele Artefakte ausgebuddelt und zeitlich bestimmt, aber wir haben noch keinen dieser wirklich spektakulären Funde miterlebt. Die Entdeckung eines weiteren Königs wäre doch mal was."

Mein Kumpel zuckte kurz mit den Schultern und beschleunigte ein wenig, da wir eine lange, gerade Straße entlangfuhren.

„Keine Ahnung, Jisung. Wir sollten uns noch nicht zu sehr freuen. Am Ende sind wir nur enttäuscht davon, wenn es nicht so krass und toll ist, wie wir immer dachten. Allerdings würde ich mich genauso über einen guten Tag freuen. Ich bin sehr gespannt, wie sie den Grabungsgang stabilisiert haben. Sie meinten ja, dass er wirklich in so schlechtem Zustand war, dass sie ihn lieber verschlossen lassen würden."

Ich brummte zustimmend und beobachtete dann die vorbeiziehende Landschaft, die hier durch die direkte Nähe zum Nil in einem satten Grün erstrahlte und immer wieder von Palmen durchbrochen wurde. „Wir werden ja sehen, was uns erwartet."

Wenige Sekunden richtete ich den Blick auch auf das fahrende Auto vor uns, da dieses nun langsamer wurde und dann nach rechts abbog. Bald mussten wir den Nil überqueren, um auf der anderen Uferseite das Tal der Könige zu erreichen.

Kurz rief ich mir nochmal einige Fakten zum Tal der Könige in Erinnerung. Es war vielmehr eine ganze Totenstadt und diese erstreckte sich über mehrere Talabschnitte hinweg, wobei ebenfalls das Tal der Königinnen und das Tal der Adeligen zu beachten war. Allerdings waren einige der Gräber so gut verborgen oder durch Gesteinsablösungen verschüttet, dass sie bis heute unentdeckt waren. Natürlich bedeutete das im Umkehrschluss, dass es immer wieder Ausgrabungsarbeiten dort geben würde, um noch weitere Schätze zu entdecken.

Auch die Touristen kamen in ganzen Heerschaaren zu diesem Tal und drängten sich in ihren bunten Gewändern zwischen den Felswänden, machten Selfies und ließen ihren Müll herumliegen. Kurz rümpfte ich die Nase und dachte darüber nach, dass es wohl tatsächlich sicherer war, diese vielen rücksichtlosen Menschen nicht in jeden Grabkomplex eintreten zu lassen. Einige der Grabkammern waren für den Tourismus unzugänglich, da die Gefahr zu groß war, die Inschriften oder die Farben der Malereien zu beschädigen oder gar für immer zu zerstören.

Ich sah hinaus auf den hellen Sand der Wüste und beobachtete, wie dieser allmählich zu flimmern begann, da die Sonne sich immer weiter am Himmel erhob und unbarmherzig alles versengte, was ihr im Weg stand.

Wenige Minuten später fuhren wir im Schritttempo den breiten Zufahrtsweg entlang, wurden von den Wachposten kontrolliert und durften dann sozusagen Backstage zu den Arbeitern und Helfern des Ausgrabungsteams.

Der Professor war bereits ausgestiegen und begrüßte einen hochgewachsenen, schlanken Mann, der so aussah, als hätte er hier das Sagen. Allein seine stolze Haltung verriet, das er diesen Ort als seine Spielwiese betrachtete.

Wir gesellten uns ebenfalls zu der Gruppe und begrüßten die Umstehenden und deren Ausgrabungsleiter. Offenbar verlor dieser Mann ungern Zeit, den er wechselte nur ein paar knappe Sätze mit seinem Vorarbeiter und führte uns dann zu dem besagten Schacht, der bereits von zwei Bauspezialisten umstanden und überprüft wurde.

„So da sind wir. Das ist Schacht fünfundsechzig. Wir denken, dass hier ein Herrscher aus der 18. Dynastie liegt, aber wir sind uns nicht sicher, ob wir sein Grabmal unbeschädigt finden."

Ich war kurz davor, dem Mann einen Motivationstrainer zu besorgen, da es sich so anhörte, als hätte er nicht mal selbst Vertrauen in dieses Vorhaben.

Aber was solls. Dafür war ich jetzt gemeinsam mit Yeosang und dem Professor hier, um den Schacht und all seine großen und kleinen Geheimnisse unter die Lupe zu nehmen und mögliche Funde sofort zu diesem vor Zuversicht nur so schäumenden Mann zu tragen.

Die Sonne schien mittlerweile unnachgiebig heiß vom Himmel und ich überlegte, ob ich bereits losgehen und meine Ausrüstung holen sollte, doch mir wurde die Entscheidung mit den nächsten Worten abgenommen.

„Herr Shin? Würden sie vielleicht mit ihren beiden jungen Kollegen die erste Besichtigung übernehmen? Es wäre eine gute Sache, wenn Sie, als renommierter Wissenschaftler, auf etwas Außergewöhnliches stoßen würden. Meine Männer meinten, der Hauptgang wäre zunächst breit genug für mehrere Personen, also können sie gern zuerst dort hinein."

Na toll, dieser Kerl will sich offenbar nicht einmal selbst die Finger schmutzig machen... egal, mehr Spaß für mich.

Nach höchstens einer Viertelstunde war alles bereit für den ersten Versuch, in das Grab hinabzusteigen.

Mit geschickten Griffen legte ich mir meine Sicherung um und beobachtete dann, wie sich der Professor bereits in den Schacht abseilen ließ, wobei er selig lächelte. Besser gesagt strahlte er wie ein Kind, das vom Weihnachtsmann gerade seine Geschenke überreicht bekam.


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Hey ihr Lieben, ich bin gesundheitlich etwas angeschlagen und werde deshalb heute nur ein Kapitel hochladen. Dafür bekommt ihr am Sonntag dann zwei. ❤️

I love you Stay. 💕

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