Mit der Kraft der Sprache
Jisungs Pov:
Ich erwachte von der Wärme, die im Raum herrschte, und sah mich zunächst etwas orientierungslos um. Erst nachdem ich mehrmals geblinzelt hatte, erinnerte ich mich daran, dass ich nicht länger im Palast des Pharaos war, der momentan sicherlich wesentlich angenehmer wäre, da dort die Räume gut belüftet wurden. Erschöpft setzte ich mich auf und verzog das Gesicht, als mir richtig bewusst wurde, wie stickig es hier drin war.
Langsam erhob ich mich und lief hinüber zu dem bereitstehenden Wasserbecken, um mir das Gesicht zu waschen. Selbst das dünne Nachtgewand, das ich trug, klebte an meinem Körper und mit gerümpfter Nase zog ich es mir aus, schöpfte mehr Wasser in meine hohle Hand und ließ dieses über meine erhitzte Haut fließen.
Unvermittelt öffnete sich die Tür und Seungmin schlüpfte herein. Als er mich wach und halbnackt vorfand, stockte er nur kurz, bevor er mich ansprach.
„Du bist wach. Wie geht es dir, Jisung? Konntest du schlafen?"
Ich summte leise als Antwort auf seine letzte Frage und drückte mir dabei die kühle Hand an die Stirn. „Mir ist so warm. Hier drinnen ist es stickig", beschwerte ich mich und fast augenblicklich war Minnie an meiner Seite und ersetzte meine kühle Hand durch seine trockene, warme Hand.
„Mhm, du fühlst dich tatsächlich sehr warm an. Möglicherweise eine Folge der Verletzung." Besorgt betrachtete mich Seungmin. „Draußen ist es bereits zu heiß, um die Vorhänge zu öffnen, Jisung. Du solltest etwas trinken und dich weiterhin ausruhen."
Mit einem leisen Schnauben schüttelte ich den Kopf und drehte mich zu Minnie um, damit ich ihn mit flehendem Blick ansehen konnte.
„Bitte, ich muss aus diesem Zimmer raus. Wenn ich noch länger hier bleibe und diese Wände anstarre, sterbe ich vom Nichtstun."
Seungmin zog die Augenbrauen nach oben und sah eher geschockt als belustigt von meiner theatralischen Reaktion aus.
„Jisung, sowas solltest du nicht sagen."
Ich erkannte meinen Fehler, biss mir auf die Unterlippe und murmelte eine Entschuldigung, die meine übertriebenen Worte erklären sollte. Offenbar besänftigte die Entschuldigung Minnie, denn er fasste nach meiner Hand und hielt sie locker in seiner.
„Wie wäre es dann, wenn du mit mir in den Tempel des Ptah gehst und dort Opfer darbringst. Sicher wird dir Ptah eine schnelle Genesung schenken und deine Schmerzen lindern."
Zunächst verspürte ich eher Ernüchterung über die Aussicht eines Tempelbesuches, aber als ich nachdachte und mir klar wurde, dass ich so immerhin etwas mehr von dem alten, prachtvollen Ägypten entdecken würde, kam mir diese Möglichkeit ganz gelegen.
Zwar hoffte ich, dass der Tempel nicht ebenfalls so stickig und voller Rauch wäre wie der des Amun Re, aber ich würde es wohl ertragen können.
„Gern, Seungmin. Wann brechen wir auf?"
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Seungmin hatte umgehend einen der wachhabenden Soldaten gebeten, eine Sänfte bereitzustellen, und nur eine halbe Stunde später waren wir prunkvoll gekleidet und eingedeckt mit kleinen Opfergaben wie Speisen und Gefäße mit Öl und Wein auf dem Weg zum Tempel.
Ich war ganz fasziniert von meiner Umgebung, die ich durch die dünnen Stoffschichten der Sänfte beobachten konnte, während ich und Minnie behutsam getragen wurden.
Natürlich begleiteten uns mehrere Wachen. Sowohl einige aus Minhos Leibgarde als auch mehrere aus Ani Hameds Haushalt, die ich demnach noch nie zuvor gesehen hatte. Dennoch sorgten sie zuverlässig dafür, dass der Weg vor den Trägern der Sänfte frei blieb und niemand uns zu nahe kam. Nicht selten beobachtete ich Menschen, die sich beim Anblick der Sänfte niederwarfen und uns mit ihren Zurufen ewiges Leben und Gesundheit wünschten.
Zum einen irritierte mich ihre Unterwürfigkeit, auf der anderen Seite faszinierte mich die Hingabe und Liebe, die die Menschen nicht nur für ihren Pharao, sondern auch für dessen Angehörige zeigten.
Sie glauben nicht daran, dass sie in Wahrheit ebenso viel wert sind wie der König selbst. Was würden sie wohl tun, wenn sie einen Beweis dafür bekämen, dass es keine Götter gibt? Würden sie versuchen, ihren Gottkönig zu stürzen? Würden sie ihr ganzes Leben hinterfragen, so wie ich es nun tun muss?
„Sieh nur, Jisung. Dort sind schon die Tempelanlagen und gleich davor ist der Basar." Minnie deutete durch die Stoffbahnen hinüber zu einer beachtlichen Menschenansammlung und mehreren, hohen Bauten im Hintergrund, die von der hellen Wüstensonne beschienen wurden. Die riesigen Steinquader, aus denen die Mauer und die Wände des Tempels gefügt waren, sahen selbst aus dieser Entfernung schon überdimensional groß und schwer aus. Der Boden direkt vor der weitreichenden Anlage flimmerte von der Hitze und ich machte mir bereits jetzt Sorgen, wie warm mir nachher werden würde.
Wenn ich Fieber habe und jetzt auch noch dieser Hitze ausgesetzt bin, sollte ich definitiv aufpassen.
Deshalb verlangte ich auch nach Trinkwasser, sobald wir am Tempel ankamen. Nachdem ich meine Kehle also ausreichend befeuchtet hatte, wusch ich mir gründlich die Hände und betrat dann gemeinsam mit Seungmin den Schatten des Tempelkomplexes. Erleichtert stellte ich fest, dass der Rauch und die erdrückenden Duftstoffe hier kaum bis gar nicht die Luft verpesteten. Zwar war der Innenraum des Tempels ebenso spärlich beleuchtet wie der in Theben, aber weder brannten meine Augen vom beißenden Rauch, noch legte sich dieser sofort auf meine Lungen.
Entspannt atmete ich ein und aus und lief mit gemäßigten Schritten neben Seungmin durch eine Art Vorraum, der von 16 symmetrisch angeordneten Säulen gestützt wurde. Gemeinsam traten wir bis nach vorn zu dem steinernen Altar, auf dem eine prunkvolle, kindergroße Statue des Gottes Ptah aufgestellt war. Man hatte die Darstellung in edle Gewänder gehüllt, ihr frische, grüne Palmzweige zu Füßen gelegt und daneben Papyrus und Feder. Nun erinnerte ich mich auch an die Erzählungen zu dieser ägyptischen Gottheit.
Ptah wurde zeitweise – vor allem in Memphis – als ein mächtiger Schöpfergott verehrt. Zwar erlangte er nie die selbe Macht wie Re oder Amun, aber dennoch wurde er hoch geschätzt. Laut seinem Schöpfungsmythos konnte er nur durch das laute Aussprechen der mit dem Herzen gebildeten Gedanken das Universum, den Kosmos, die Welt erschaffen. Also kreierte Ptah die Welt und alles darin, indem er sie benannte und Sprache nutzte.
Eine sehr schlaue und ebenso poetische Vorstellung. Alles entsteht durch die Benennung eines Gegenstandes oder einer Sache. Erst durch einen Namen erhält es Form, Sinn und Wert. Und wenn man dabei noch auf sein Herz hört, dann kann man ja nur den richtigen Namen für die Dinge finden.
Ehrerbietig warf sich Seungmin vor dem Altar nieder und ich tat es ihm etwas langsamer gleich, um meine Verletzung zu schonen. Dennoch verharrte ich angemessen lange in der demütigen Position und brachte dem Gott die mitgebrachten Opfergaben dar. Dabei betrachtete ich aufmerksam das geschaffene Abbild mit dem königlichen Antlitz des Ptah.
Ich hatte einmal gelesen, dass er der Gott der Handwerker und Künstler war. Manchmal wurde er kleinwüchsig dargestellt, weshalb auch die kindliche Darstellung in diesem Tempel gut passen könnte. Die Attribute, an denen man Ptah erkannte, waren sein eigentümliches Zepter mit den Symbolen für Macht, Leben und Dauerhaftigkeit und sein mit der Sonnenscheibe und zwei Federn geschmücktes Haupt.
Was würde ein Gott wohl von meiner Situation halten? Würden diese übersinnlichen Wesen existieren, dann gäbe es doch eine solche Ungerechtigkeit gar nicht. Sind die Götter nicht gerecht und bestrafen nur diejenigen, die es verdienen? Was hat diese Welt für einen Zweck, wenn sie nur als eine Zwischenstation für ein zweites, viel besseres Leben dient? Sie wäre nur eine Probe, um zu ergründen, ob man auf dem richtigen Pfad wandelt. Aber warum sollte man sich erst für ein zweites Leben beweisen müssen?
Gedankenverloren starrte ich ins Halbdunkel und versuchte meine wirren Gedanken zu sortieren oder einen Konsens in ihnen zu finden.
Das einzige, was dieser Glaube an ein zweites Leben tut, ist, eine unrealistische Hoffnung in den Menschen zu wecken. Sie verschwenden ihr echtes Leben mit aufopferungsvoller, harter Arbeit und haben gleichzeitig ständig Angst, zu versagen.
Ein bitteres Lächeln stahl sich auf meine Lippen, als mir bewusst wurde, dass auch ich teilweise diesem System folgte und dass es sich selbst 3500 Jahre später nicht grundlegend geändert hatte.
Selbst wenn die Menschen in meiner Zeit weniger gottesfürchtig leben, so verbringen sie den Großteil ihres Lebens mit Arbeiten, um Geld zu erlangen, das ihnen am Ende ihrer Lebensspanne ebenso wenig nützt wie ein federleichtes Herz. Weil dann sind sie tot und es gibt keine Wiedergeburt, bei der man für harte Arbeit, Ehrlichkeit und Gottgefälligkeit belohnt wird. Es gibt nur dieses eine Leben und das sollte niemand verschwenden.
Entschlossen stand ich auf und schritt dann zurück in den Vorraum und von dort aus in Richtung des hellen Tageslichtes.
Ja, ich muss mein Schicksal endlich selbst in die Hand nehmen. Wenn ich vorankommen will, muss ich bereit sein, Veränderungen in Kauf zu nehmen. Ab jetzt werde ich meinen Weg bestimmen.
„Ist alles in Ordnung, Jisung?", erkundigte sich Seungmin, als er neben mir nach draußen in die Sonne trat. Ich kniff die Augen ob der Helligkeit zusammen und nickte energisch.
„Lass uns noch auf den Basar gehen, Seungmin. Ich würde mir gern die Ware ansehen und vielleicht finde ich etwas, das mir gefällt."
Der junge Mann mit den braunen Haaren stimmte mir zu und kurz darauf saßen wir erneut in der Sänfte, die uns hinüber zu den wimmelnden Menschenmassen trug und uns dem Puls der ägyptischen Gesellschaft näherbrachte.
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Mit einer Eskorte unterwegs zu sein, hatte durchaus seine Vorteile. Die Menschen auf dem Basar machten uns sogleich Platz und auch als wir zu Fuß von Händler zu Händler schlenderten, wurde uns sogleich Raum geschaffen. Nie mussten wir auf etwas warten oder uns darum bemühen, die Aufmerksamkeit eines Verkäufers zu erlangen. Es fühlte sich beinahe so an, als würden uns diese allein dadurch zu Füßen liegen, dass man ihren Verkaufsstand ausgewählt hatte.
Einige boten uns ihre Ware sogar umsonst an, aber auf solche Deals ging ich nicht ein. Zwar kannte ich mich kaum mit dem Wert einiger Produkte aus, aber dafür hatte ich Seungmin, den ich ab und an nach einem fairen Preis fragte. Diese Menschen arbeiteten hart für ihren Lebensunterhalt und das würde ich ihnen auch gerecht vergelten.
Schließlich fand ich sogar für Sunoo und Niki hübsche Talismane, die man sich als Kette ums Handgelenk binden konnte. Für Yeji erwarb ich eine außergewöhnlich blaue Tinte und einen verzierten Goldgriffel. Seungmin würde einen silbernen Haarkamm erhalten und für mich hatte ich zwei Papyrusrollen voller Märchenerzählungen erstanden. Zwar war der Papyrus bereits leicht abgegriffen, aber dafür war der Text umso interessanter. Dieser würde mir hoffentlich helfen, die Hieroglyphen besser lesen zu können und mich an langweiligen Tagen gut zu unterhalten.
Auch zwei neue Stoffe mit außergewöhnlich sauberer Webstruktur und von blütenweißer Farbe hatte ich erworben, zusätzlich zu neuen Gürteln, Ohrschmuck und schwarzem Kajal, bei dem ich mich doppelt versichert hatte, dass kein Blei enthalten war.
Es hatte beinahe etwas Befreiendes, Minhos Gold auszugeben, und ich fühlte mich beim Kaufen und Feilschen auf dem Markt fröhlich und beschwingt, obwohl mich nach einer Weile meine Wunde daran erinnerte, dass ich mich nicht zu sehr anstrengen sollte.
Schließlich war sie auch der Grund, weshalb wir zurück zur Sänfte gingen und mit dieser zurück zum Palast von Ani Hamed gelangten.
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