Komplimente und Kompromisse

Jisungs Pov:

Es gab in dieser Zeit keinen sicheren Platz für mich.


Seungmin räusperte sich. „Sie sollen dich hergebracht haben, weil du nicht vertrauenswürdig bist?" Er klang verwundert und ich hob meinen Kopf um zu nicken.

„Ja, ich glaube, der Pharao und sein Großwesir wollen mich hier einsperren, bis ich eine Tat gestehe, die ich nicht begangen habe, um mich dann loszuwerden."

Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie die beiden jungen Männer vor mir einen irritierten Blick tauschten und sich dann offenbar kurz stumm unterhielten. Beinahe fürchtete ich, dass sie mir nun genauso misstrauen würden, dass sie die gleiche Reaktion zeigen würden, wie Felix und der Pharao; dass sie mich für nutzlos empfanden und einfach links liegen ließen.

Der Funken Hoffnung, der in meiner Brust gekeimt war wie ein kleiner Baum, verdorrte wieder und wurde zu trockener, verbrauchter Erde, in der nichts mehr aufgehen wollte.

„Hast du denn einen Grund, dich schuldig zu fühlen? Willst du uns auf irgendeine Weise schaden?", fragte Seungmin nun mit sanfter Stimme und er klang so, als würde er selbst nicht daran glauben. Ebenso vehement schüttelte ich jetzt meinen Kopf.

„Ich will euch nichts antun, ich kenne euch doch gar nicht. Ich will nur in Sicherheit sein", flüsterte ich erstickt und merkte, wie mir bei meinen letzten Worten schon wieder mulmig wurde.

„Ich glaube dir", sagte Seungmin so behutsam und leise, als wäre ich aus fragilem Glas und würde bei jedem noch so unangenehmen Ton in tausende und abertausende Scherben zerspringen. „Wenn du nichts von alledem vorhast, was Sie denken, dann wirst du es seiner Majestät beweisen können. Für den Anfang kannst du uns besser kennenlernen und unser Vertrauen gewinnen."

Es kostete mich ungemein viel Anstrengung, meinen Kopf zu heben und den Dunkelhaarigen wieder anzusehen, aber sobald ich es wagte, begegnete ich tatsächlich nur dem sanften Leuchten seiner braunen, verständnisvollen Augen und allmählich beruhigte ich mich.

Es wäre wirklich eine Chance, eine Möglichkeit nicht mehr vollkommen allein zu sein.

„Was genau soll ich tun?", fragte ich vorsichtig, da ich immer noch nicht wusste, was mich hier erwarten würde oder von mir erwartet wurde.

„Wir gehen ganz langsam und überlegt vor. Du sagtest, du bist ein Flüchtling, sicher bist du zum ersten Mal in einem Palast. Zuallererst werden wir dir also den Palast zeigen und dir beibringen, wie du dich zu verhalten hast, denn offenbar sollst du jetzt bei uns leben. Du wurdest von seiner Majestät ausgewählt. Wenn du ein Teil unse-unserer Gemeinschaft sein willst, musst du einiges wissen." Seungmin klang eifrig, während Niki nur zustimmend nickte und erst jetzt seine Meinung äußerte. „Zunächst stellen wir dir die anderen vor, dann bekommst du einen eigenen Schlafplatz hergerichtet und währenddessen zeigen wir dir alles, was du benötigst."

Obwohl ich nicht alles verstand, nickte ich brav und stellte fest, dass die Worte der beiden beruhigend klangen und mich die Beschäftigung von all den düsteren Gedanken ablenken würde.

„Zuallererst solltest du dir ein frisches Gewand überziehen." Entschied Niki mit einem kritischen Blick auf den zerknitterten Stoff, der an meinem Körper herabhing. Er sprang auf und lief zu einem der Betten auf der gegenüberliegenden Raumseite. Dort öffnete er eine große Truhe und griff nach einem hellblauen Stoffstück und einem kleineren Gegenstand. Dann kam er zurück zu mir und streckte mir Stoff und eine Gewandspange entgegen. „Hier, du kannst das tragen, bis du dir eigene Kleidung ausgesucht hast."

Wie in einer Art Trance nickte ich, richtete mich ein wenig schwerfällig auf und nahm den Stoff entgegen. Kurz kaute ich auf meiner Unterlippe und wusste nicht, ob ich mich jetzt und hier umziehen sollte. Niki jedenfalls schien mein Zögern anders zu deuten.

„Weißt du nicht, wie man es anzieht? Du hast recht, als Flüchtling hast du sicher kaum Kleidung besessen." Ohne Berührungsängste trat er vor mich, löste die zwei Knoten, die mein jetziges Gewand zusammenhielten und ließ den Stoff zu Boden gleiten. Bevor ich ihn aufhalten konnte, hatte er auch den Schurz um meine Hüften gelöst und blickte anerkennend auf meinen Körper. „Du bist gut gebaut und gesund für einen Geflüchteten."

Vollkommen überfordert blinzelte ich nur und fragte mich, ob ich ihm für das Kompliment danken sollte, oder mich echauffieren wollte, weil er mich gerade schamlos ausgezogen hatte. Aber schnell verbiss ich mir die Worte und dachte daran, dass es im alten Ägypten keinesfalls unüblich war, kaum bekleidet zu sein. Bauern und auch einfache Bürger schämten sich damals nicht, unter der Wüstensonne nackt umherzugehen. Vielmehr war die Kleidung ein Zeichen des Wohlstands. Also beschwerte ich mich nicht und versuchte die Unsicherheit herabzuschlucken.

Wenig später hatte ich von Niki und Seungmin gelernt, wie ich das weiße Leinendreieck zwischen meinen Beinen falten musste und wie man es sicher verknotete, sodass es beim Gehen nicht herausrutschte. Auch das hellblaue Stoffstück, das nun meinen Oberkörper und den größten Teil meiner Beine bedeckte, war erstaunlich leicht zu befestigen.

Zufrieden mit ihrer Arbeit betrachteten mich die beiden jungen Männer und dann trat Seungmin zu mir. „Kommst du mit uns und wir zeigen dir alles?"

„Darf ich wirklich hinausgehen?", fragte ich misstrauisch und erinnerte mich an Felix Worte, bei denen es mir wieder eiskalt über den Rücken lief. „Werde ich nicht bestraft, wenn-."

„Du bist doch nicht allein. Wir sind bei dir und ich bin mir ganz sicher, dass es niemand wagt, dir etwas anzutun. Komm, beweise uns und auch den anderen, dass du nichts zu verbergen hast." Der junge Mann mit den Welpenaugen hatte meine Beunruhigung sofort bemerkt und versuchte erfolgreich, entgegenzuwirken. Seungmin blieb an der Türschwelle stehen und winkte mich sanft zu sich.

Endlich gehorchten meine Beine und ich trat auf Seungmin und Niki zu. Immer noch etwas unsicher folgte ich ihnen und betrat erneut die große Halle, mit den Divanen. Bei näherer Betrachtung und klarem Verstand fiel mir der Prunk und der Reichtum der Gemächer auf und verstohlen sah ich mich um. Die hohen, kunstvoll bearbeiteten Säulen und die bunten Wandmalereien waren nicht alles. Es gab außerdem hohe, silberne Feuerschalen, die die Räumlichkeiten nachts sicher in ein flackernd, rötliches Licht tauchten und zwei überlebensgroße Statuen, vermutlich von Gottheiten, die diese Räume schützen sollten. Zusätzlich erblickte ich zwei Schalen aus hellem Gestein, die auf unterschiedlich hohen Säulen standen und ein leises, beständiges Tropfen von Wasser war zu vernehmen, als ich mit Seungmin und Niki nahe an der Konstruktion vorbeilief. Endlich verstand ich, dass es sich hierbei wahrscheinlich um eine Wasseruhr, ein antikes und eher ungenaues Zeitmessgerät, handelte. Ich beschloss, es später nochmal näher zu betrachten und seine Funktionsweise zu ergründen, sollte ich dafür Zeit finden.

Dann richtete sich mein Blick nach vorn, auf einen der Divane. Auf diesem erkannte ich die junge Frau mit den langen, schwarzen Haaren, die gestern im Türrahmen gelehnt und meine Ankunft beobachtet hatte. Nun saß sie neben einem weiteren Jungen, der niedliche, runde Wangen hatte und sich unbekümmert mit der Frau unterhielt. Auf seinem Gesicht zeichnete sich ein Lächeln ab, als er schließlich den Kopf zu uns umwandte.

„Seungmin, Niki, da seid ihr endlich. Wie geht es dem Neuen?", begrüßte uns der junge Mann und äugte neugierig zu mir herüber, dabei schien das vergnügte Lächeln gar nicht mehr von seinen Lippen weichen zu wollen.

Seungmin blieb vor dem Divan stehen, während Niki sein Gewand etwas zusammenraffte und sich zu dem Jungen setzte, den ich noch nicht kannte.

„Dann werde ich euch gleich einmal miteinander bekannt machen. Jisung, das hier sind Yeji und Sunoo. Du kannst dich jederzeit mit Fragen an sie wenden, sie werden dir gern helfen." Der Junge, der wohl Sunoo hieß, nickte überzeugend. Jetzt deutete Seungmin auf mich. „Yeji, Sunoo, das ist Jisung. Er ist von Kerma hierhergekommen und der Pharao hat ihn im Palast aufgenommen. Ab heute wird er bei uns leben."

Irgendwie klangen diese Worte für meinen Geschmack ein wenig zu endgültig und auch so, als ob Seungmin eigentlich noch mehr sagen wollte, aber es sich dann anders überlegte. Rasch versuchte ich meine guten Manieren unter Beweis zu stellen, schließlich sollte ich mich besser integrieren, um nicht unangenehm aufzufallen.

„Es freut mich, euch beide kennenzulernen." Ich verbeugte mich vor ihnen und sie taten es mir gleich. Die junge Frau musterte mich aufmerksam und auch Sunoo schien mich überaus interessant zu finden, fast als hätte ich etwas Exotisches an mir, aber vielleicht traf das ja auch zu. Jedenfalls zwang ich mir ein unverbindliches Lächeln auf und versuchte nicht zu zeigen, wie stark die Unsicherheit meinen ganzen Körper lähmen wollte.

„Er ist sehr hübsch", stellte Yeji nun nüchtern fest und scannte meine Erscheinung ein weiteres Mal ganz genau. Kurz war ich verblüfft von diesem unerwarteten Kompliment – schon das zweite an diesem Tag. Also tat ich es ihr gleich und musterte sie ebenfalls intensiver.

Tatsächlich war auch sie außergewöhnlich hübsch. Yeji besaß ein markantes Gesicht mit klugen, katzenartigen Augen und einen schlanken, anmutigen Körper. Wäre ich nicht so nervös und noch immer verwirrt von all den neuen Eindrücken, hätte ich sie definitiv nach ihrer Handynummer gefragt.

Okay.... vergessen wir das. Ich bin nicht mehr im 21. Jahrhundert, hier gibt es ganz sicher keine Handys. Dennoch ist sie bezaubernd.

Allerdings hatte ich sowieso das Gefühl, von äußerst vielen, attraktiven Menschen umgeben zu sein. Nicht nur Yeji war außerordentlich hübsch sondern auch der Junge neben ihr, ebenso wie Niki und Seungmin.

„Da hast du recht, aber sonst wäre er ja auch nicht hier", merkte Sunoo mit einem breiten Lächeln an. Er lehnte sich entspannt zurück und blinzelte Niki zu. „Wollen wir uns mit den Bediensteten um ein angemessenes Nachtlager für Jisung kümmern? Dann könnte ihn Minnie in der Zwischenzeit herumführen." Niki antwortete unumwunden und war schon im Begriff, aufzustehen: „Du hast recht, wir werden uns darum kümmern."

„Das ist ausgesprochen freundlich von euch. Wäre es möglich, dass ihr den Bediensteten sagt, sie sollen Jisungs Bett ein Stück weit neben meinem aufstellen?" Seungmin blickte nach diesen ersten Anweisungen kurz zu mir und schien sich unsicher, wie er seine nächsten Worte ausdrücken sollte. „Ich hoffe, wir machen es dir angenehmer, wenn du jemanden neben dir hast, den du bereits kennst."

Dankbar zeigte ich ihm ein schwaches Lächeln und konnte momentan nicht in Worte fassen, wie viel es mir bedeutete, dass er sich um mich kümmerte und mir auch noch half, obwohl es ihm keinen Vorteil brachte.

„Das tun wir gern." Niki und Sunoo machten sich auf den Weg und so blieben nur Yeji, Seungmin und ich zurück.

„Weißt du, wo sich dein Cousin gerade aufhält?", fragte mein Begleiter nun die junge Frau und diese nickte.

„Er wollte hinaus in den Garten gehen. Bestimmt findet ihr ihn dort." Sie erhob sich ebenfalls elegant und warf ihr langes, dunkles Haar zurück. „Ich werde mich jetzt in der Küche erkundigen, wann es Essen gibt und vielleicht höre ich auch den neuesten Tratsch der Köchinnen." Ihre Augen funkelten bei ihren Worten unternehmungslustig und fast ein wenig beängstigend, so klug und scharf wie bei einer Raubkatze. Es war offensichtlich, dass sie großes Interesse an den Neuigkeiten und den damit einhergehenden Unterhaltungen hegte.

Und so waren es schließlich nur noch Seungmin und ich, die in dem hochherrschaftlich ausgestatteten Raum standen und vermutlich hätte die aufkommende Stille auch meine langsam abklingende Nervosität wieder hervorgebracht, hätte Seungmin nicht zum Sprechen angesetzt.

„Dann gehen wir jetzt ebenfalls nach draußen. Dort kannst du die ganze Pracht des Palastes bewundern und die großzügig angelegten Gärten, sowie die Kanäle und den See." Selbst ganz begeistert von allem, was er mir zeigen wollte, griff er nach meiner Hand und zog mich einfach mit sich auf das hohe Tor zu, das die Gemächer von den Außenanlagen trennte.

Die Wachen öffneten uns ohne jeglichen Kommentar das Tor. Stattdessen verbeugten sie sich sogar leicht und ließen mich – zu meiner großen Verwunderung – unbehelligt hinaustreten. Jetzt stand ich wieder in dem schattenspendenden Säulengang und sah diesmal länger auf die sattgrünen Gärten, die sich vor meinen Augen erstreckten. Gestern hatte ich nicht die Zeit und ganz sicher nicht die nötige Ruhe besessen, um die Schönheit und Einzigartigkeit dieses Ortes zu erkennen. Heute schimmerte alles prächtig in der hellen Mittagssonne, sodass ich es fast für eine Fata Morgana gehalten hätte, so überwältigend war die Realität vor meinen Augen.

Zwischen den hohen Dattelpalmen und den Akazien, die beinahe akkurat und symmetrisch angeordnet waren, schlängelte sich ein künstlich geschaffener Bach, der in dem kleinen See endete. Ich wusste, dass jedes größere Wasservorkommen von den Kanälen gespeist wurde, die direkt mit dem nahen gelegenen Nil verbunden waren. Dennoch war ich fasziniert von dieser Oase, die in einer Wüstenlandschaft geschaffen worden war. Sogar kleine Details fielen mir auf, wie beispielsweise das Schilfrohr, das auf einer Seeseite hoch emporspross und mehreren Enten und Gänsen Schutz bot, um sorglos umherzuschwimmen. Dieser Ort strahlte so viel Ruhe und Frieden aus, dass es beinahe paradiesisch wirkte.

Weiter hinten zwischen zwei großen Akazien war ein helles Sonnensegel gespannt und von weitem erkannte ich die Umrisse einer Gestalt.

Seungmin zupfte vorsichtig an meinem Arm, bevor er mich genau zu diesem Ort leitete. Er lief zielsicher einen der sandigen Pfade entlang und steuerte auf die Person zu, die unter dem Sonnensegel gemütlich auf einigen Decken und Kissen lag.

Der junger Mann, der auf den Kissen thronte, schob sich gerade eine Dattel zwischen seine vollen Lippen und schien deren Geschmack bewusst zu genießen.

„Wie ich sehe, hast du es dir hier draußen sehr bequem gemacht, Hyunjin."



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So ihr Lieben, mal ein anderes Thema, das ich diesmal frühzeitig ansprechen möchte, um möglichst viele mit ins Boot zu holen: Ich würde, wenn von eurer Seite auch Interesse besteht, wieder eine kleine Discordparty veranstalten für diese Story. Allerdings wahrscheinlich erst wenn mindestens die Hälfte der Story veröffentlicht ist und etwas mehr passiert ist. Also frage ich euch, ob ihr darauf Lust habt und wie ihr euch so ein Treffen vorstellt, damit es für uns alle eine gute Zeit wird. Also ich habe noch keinen Termin oder einen genauen Plan, aber nur damit ihr vorbereitet seid und ihr ab und an unter den aktuellen Kapiteln meine Anmerkungen checkt. 🥰

I love you Stay. ❤️


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